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Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel J e n s E c k s te in

W a ru m f lim m e r t u nser Herz? - o d e r w a s d e r M en sch von d e r Z ie g e lern e n kan n Ü b e r den B e itra g von T ierversu ch en zu m V ers tä n d n is d e r k a rd ia le n P hysiologie W h y D o e s o u r H e a r t F ib r illa t e ? - o r W h a t G o a t s c a n T e a c h u s A b o u t t h e C o n t r i b u t i o n o f A n i m a l E x p e r i m e n t s t o t h e U n d e r s t a n d i n g o f C a r d ia c P h y s io lo g y

Z u s a m m e n fa s s u n g

Zum Erreichen des heutigen Wissens­ standes über die kardiale Elektrophysiologie waren unzählige Entdeckun­ gen und Experimente notwendig. Der Beginn dieser Entdeckungsreise darf in die Zeiten der griechischen Antike und des alten Ägyptens datiert wer­ den. Nachdem zunächst bis in das 17. Jahrhundert vor allem die Anatomie erforscht und die Funktionalität des Blutkreislaufes beschrieben wurde, entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahr­ hunderts das Fachgebiet der kardialen Elektrophysiologie mit grosser Ge­ schwindigkeit fort. Grundlage hierfür waren in den meisten Fällen Tierver­ suche, die Einblick in die kardiale Er­ regungsleitung boten und im Weiteren auf den Menschen übertragbar waren. Wir verdanken die vielfältigen Mög­ lichkeiten der modernen Medizin auf diesem Gebiet demnach einer Vielzahl von Menschen und Tieren, die hierfür untersucht wurden und den unzähli­ gen Arbeiten der Forscherinnen und Forscher. Schlüsselwörter: kardiale Elektrophy­ siologie - Tierversuche - Medizinge­ schichte - Vorhofflimmern

Eine der ältesten und bekanntesten his­ torischen Beschreibungen des Herzens verbirgt sich hinter dem sprichwörtli­ © 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

chen «springenden Punkt». Diese For­ mulierung ist auf Aristoteles Geschichte der Tiere (350 v.Chr) zurückzuführen, in der er ein präpariertes, bebrütetes Hühnerei untersuchte und ein «punktum saliens» beschrieb: «... und ähnlich einem blutigen Fleck in dem Weissen (erscheint) das Herz. Aber dieses Mal daher hüpfend und bewegt gleich wie beschenkt mit Leben,...» [ 1]. Das Herz als Organ war bereits in der Antike im Zusammenhang mit Obduk­ tionen und Vivisektionen von Tieren (meist Schweinen) beschrieben worden. Kenntnisse über die Anatomie des Men­ schen blieben jedoch durch das lange vorherrschende Verbot der Durchfüh­ rung menschlicher Obduktionen sehr vage. Nicht zuletzt wegen des liberalen Umgangs mit menschlichen Obduktio­ nen entwickelte sich das ägyptische Ale­ xandria in dieser Zeit zu einem wissen­ schaftlichen Zentrum, das Gelehrte aus allen Ländern anzog. Hier entwickelte sich unter anderem die fast 1000 Jah­ re gültige Lehre Aelius Galens, dessen Angaben zur menschlichen Anatomie dennoch zu grossen Teilen auf Erkennt­ nissen von tierischen Obduktionen stammte [2]. Der Einfluss Galens war sehr dominant, die wissenschaftlichen Fortschritte in den folgenden Jahrhunderten des Mit­ telalters derart gering, dass erst durch Andreas Vesal (Abb. 1) aus Brüssel eine öffentliche Diskussion und Korrektur

A b b . i: Andreas Vesalius. Das Porträt stam m t

aus seiner «Fabrica», es w ird Jan Stephan van Calcar zugeschrieben (Quelle: W ikim edia).

der teilweise fehlerhaften Beschreibun­ gen Galens erfolgte. Vesal praktizierte öffentliche humane Obduktionen mit bis dahin ungekannter Perfektion und schuf, in Zusammenarbeit mit Künstlern in Padua, wohin er als Ordinarius für Chirurgie gerufen wurde, ein epochales Lehrbuch der menschlichen Anatomie, die Fabrica [3]. Dieses Lehrbuch wurde bemerkenswerterweise in Basel verlegt. Im Rahmen der Veröffentlichung führte Vesal in Basel eine öffentliche Obdukti­ on durch, deren Resultat noch heute als Präparat im Basler Medizinhistorischen Museum besichtigt werden kann. DOI 10.1024/1661-8157/a001726

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Zu diesem Zeitpunkt, im 16. Jahrhun­ dert n. Chr., war nun ein ausreichend detailliertes Wissen über die anatomi­ schen Strukturen des Menschlichen Herzens vorhanden. Kenntnisse über die Funktion des Herzens und den Blut­ kreislauf waren aber noch immer vage, und die Vorstellung Galens, dass das Blut im Körper kontinuierlich in der Le­ ber gebildet und durch Kontraktion der Arterien zu den Organen gepumpt wird, noch nicht widerlegt. Die wissenschaftliche Entdeckung und Beschreibung des Blutkreislaufes geht auf Sir William Harvey zurück, dem im frühen 17. Jahrhundert, basierend auf Tierversuchen, die erste korrekte Be­ schreibung des Kreislaufs gelang [4]. Die Frage nach dem genauen Weg des Blutes aus den Arterien in die Venen konnte er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht befriedigend beantworten. Detaillierte Beschreibungen von Patien­ ten mit Herzrhythmusstörungen und vergrösserten Herzvorhöfen als pathophysiologischem Korrelat erfolgten erst Mitte des 18. Jahrhunderts durch Jean-Baptiste de Senac [5]. Durch ihn war damit der Schritt von der Anatomie, zur Physiologie und nunmehr der Pathophysiologie voll­ zogen und der Fokus auf die Ursachen und das genauere Verständnis von Herz­ krankheiten gerichtet. James Mackenzie, einem praktizierenden Arzt aus England, gelang es im 19. Jahr­ hundert mittels eines selbstentwickel­ ten «Polygraphs» bei seinen Patienten gleichzeitig Venen- und Arterien Puls zu dokumentieren und so, unter anderem bei sich selbst, Vorhofflimmern zu dia­ gnostizieren. [6] Er nannte dies zeitge­ nössisch «Pulsus irregularis perpetuus» oder «delirium cordis». Die Hingabe zur Wissenschaft überdauerte bei Harvey sein eigenes Leben. Er verstarb an seiner schweren koronaren Herzkrankheit und veranlasste noch zu Lebzeiten die Veröf­ fentlichung seiner eigenen Obduktion [7]. Während der Erkenntniszugewinn bis zu diesem Punkt vergleichsweise lang­ sam in Zeitabschnitten von Jahrhun­

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derten zu sehen war, entwickelte sich die medizinische Forschung mit Beginn des 20. Jahrhunderts in nie dagewesener Ge­ schwindigkeit. Im frühen 20. Jahrhundert beschrieb Ka­ rel Frederik Wenkebach, allein anhand seiner klinischen Untersuchungstechnik, den nach ihm benannten AV-Block [8]. Die heute übliche EKG-Diagnose dieser häufigen Arrhythmie wurde durch die Arbeiten von Willem Einthoven (Abb. 2) ermöglicht, der ungefähr zeitgleich das EKG entwickelte, für welches er 1924 den Medizin-Nobelpreis erhielt [9]. Ein­ thoven zeichnete damit auch das erste Vorhofflimmern-EKG auf, interpretierte es aber nicht korrekt, sondern hielt es schlicht für qualitativ minderwertig. Mit der nun zur Verfügung stehenden Technik war erstmals die zugrundelie­ gende elektrische Aktivität einer Herz­ rhythmusstörung aufgezeichnet und die Grundlage der modernen klinischen Elektrophysiologie geschaffen, die sich nun rasend schnell weiterentwickeln sollte. Theoretische Grundlagen für diese Entwicklung lieferte A. G. Mayer mit der Erklärung der elektrischen Erre­ gungsausbreitung im Herzen. Er experi­ mentierte dafür mit Tintenfischringen, die er mit einer Glaspipette berührte und dabei die Erregungsausbreitung an­ hand der Kontraktion des Ringes doku­ mentieren konnte. In der klinischen Forschung verglichen C. J. Rothberger und H. Winterberg, zwei Pathologen der Universität Wien, 1909 erstmals die Physiologie von Vor­ hofflimmern bei Menschen und Hun­ den, und dokumentieren diese Rhyth­ musstörungen mit EKG [10]. So begann man zu Beginn des 20. Jahr­ hunderts die zugrundeliegende Funkti­ onsstörung des Herzens während Vor­ hofflimmern zu verstehen und konnte diese mittels eines EKG diagnostizieren, so wie wir es heute, hundert Jahre später, im Prinzip immer noch tun. Die Suche nach den elektrophysiologischen Ursachen von Herzrhythmusstö­ rungen wurde in derselben Zeit durch George Ralph Mines wesentlich voran

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Abb. 2 : Willem Einthoven 1860-1927, (Quelle:

Wikimedia).

gebracht. Durch seine Forschung mit Fröschen, Rochen, Schildkröten, Hasen und an sich selbst, fand er als erstes eine Erklärung dafür, wie Herzrhythmusstö­ rungen im menschlichen Herzen ausge­ löst werden können. [ 11 ] Er beschrieb als erstes die notwendigen Rahmenbedin­ gungen für das Entstehen eines ReentryKreislaufes und die Grundlagen für das heute gültige Wissen über die sogenann­ te vulnerable Periode des Herzens. Diese Fülle an genialen Entdeckungen ist umso bemerkenswerter als er bereits im Alter von 29 Jahren (1886-1914) an einer Herzrhythmusstörung in seinem eigenen Labor verstarb. Ob er diese Rhythmusstörung im Rahmen seiner Experimente selbst induziert hatte oder eine entsprechende Disposition hatte, ist nicht bekannt. Zu der Zeit als Mines verstarb, wurde Gordon Kenneth Moe geboren. Von ihm stammt die sogenannte Multiple Wave­ let Hypothese. Er postulierte in dieser Hypothese das Vorhandensein von un­ abhängigen elektrischen Wellen die sich chaotisch über den Vorhof ausbreiten und den Muskel erregen [12]. Im Un­ terschied zu anderen Hypothesen, wel­ che die Mechanismen von anhaltendem Vorhofflimmern erklären, bedarf es bei

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dieser Erklärung keiner aktiven «Quel­ le», welche die Arrhythmie unterhält. Erstmalig experimentell beweisen konn­ te die Multiple Wavelet-Hypothese 1985 Maurits A. Allessie in Maastricht [ 13]. Um Moe's Hypothese zu untersuchen, konstruierte er technisch sehr aufwendi­ ge eiförmige Werkstücke mit einer Viel­ zahl von Elektroden an der Oberfläche und fügte diese in präparierte Hunde­ herzen ein. Mit diesen Versuchen konnte er die Ausbreitung der elektrischen Erre­ gung während Vorhofflimmerns detail­ liert in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung darstellen, und damit einen elementaren Beitrag zum Verständnis dieser Rhythmusstörung liefern. Nach diesen Arbeiten bestand erstmals der experimentelle Beweis für einen Mecha­ nismus, welcher der häufigsten mensch­ lichen Rhythmusstörung zugrundelie­ gen könnte. Maurits Wijfels, Student Allessies, ver­ wendete für seine Arbeiten ein zu die­ ser Zeit neu entwickeltes Tiermodel mit niederländischen Milch-Ziegen. Er konnte durch seine Experimente zeigen, dass die Zellen des Vorhofmuskels durch Vorhofflimmern selbst derart verändert werden, dass sie immer schneller erreg­ bar sind und dadurch Vorhofflimmern zunehmend stabiler machen. Diese Er­ kenntnis formulierte er in seiner Pro­ motions-Schrift «Atrial Fibrillation be­ gets Atrial Fibrillation» [14]. Alleine die Publikation dieser Arbeit wurde bislang in fast 3000 weiteren wissenschaftlichen Arbeiten zitiert, was beispielhaft die Re­ levanz dieser Experimente für die medi­ zinische Forschung belegt. Interessanterweise kam ein weiterer Meilenstein zum Verständnis von Vor­ hofflimmern primär aus dem Labor der klinischen Elektrophysiologen, als Mi­ chel Haissaguerre 1998 beschrieb, dass der Auslöser für Vorhofflimmern in der überwiegenden Anzahl der Fälle in den Pulmonalvenen zu suchen ist [15]. Auf der Basis dieser Arbeit entwickelte sich in den zurückliegenden 15 Jahren die Technik der Pulmonalvenen-Isolation als therapeutische Option zur Behand­

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lung von Vorhofflimmern. Die wissen­ schaftlichen Daten auf diesem Gebiet stammen zu einem grossen Teil aus kli­ nischen Studien. Tierexperimente waren aber auch hier nötig, um die heute ver­ wendeten Katheter und Ablationstech­ niken entwickeln zu können.

Gegenwart Nachdem der Auslöser von Vorhofflim­ mern zufriedenstellend identifiziert war, blieb zum Verständnis der Erkrankung noch die Frage nach der Ursache der ty­ pischen Progression von paroxysmalem zu persistierendem und permanentem Vorhofflimmern zu beantworten. Einen Teil dieser Frage hatte Wijfels bereits durch seine Beschreibung des elektri­ schen Remodelings beantwortet. Es ist aber durch zahlreiche tierexperimentelle Daten und klinische Beobachtungen be­ legt, dass auch nach Abschluss des elek­ trischen Remodelings eine progredien­ te Stabilisierung von Vorhofflimmern auftritt und die therapeutischen Erfolge dementsprechend abnehmen. Mögliche Ursachen für diese Stabili­ sierung wurden in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche benannt, und deren Relevanz für den Progress von Vorhof­ flimmern beim Menschen kontrovers diskutiert. Es finden sich sowohl tier­ experimentell als auch bei Menschen strukturelle Veränderungen des Vorhof­ myokards in unterschiedlichem Mass [16]. Es besteht aber aktuell kein Kon­ sens darüber, ob diese Veränderungen primär Vorhofflimmern ausgelöst haben oder erst durch das Vorhofflimmern entstanden sind. Eine ähnliche Situation zeigt sich bei der Erforschung der elektrischen Mechanis­ men, die anhaltendem Vorhofflimmern zugrunde liegen. Auch hier bestehen neben der von Moe beschriebenen und durch Allessies Experimente bei Hunden bewiesenen Multiple Wavelet-Hypothe­ se, multiple Theorien dazu, welche elek­ trischen Mechanismen Vorhofflimmern stabil und anhaltend werden lassen, wenn es erst einmal ausgelöst wurde.

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Die Arbeitsgruppe von Ulrich Schotten in Maastricht konnte zeigen, dass es bei Ziegen mit zunehmender Dauer von Vorhofflimmern, zu einer zunehmenden Dissoziation der elektrischen Aktivität zwischen endokardialer und epikardia­ ler Muskelschicht kommt, wodurch sich die funktionelle elektrisch aktivierbare Oberfläche des Vorhofes signifikant vergrössert [17], Eine Veränderung, die als proarrhythmogen bezeichnet werden darf. Damit zusammenhängend kommt es vermehrt zu transmuralen Aktivie­ rungen des Vorhofmyokards durch kon­ tralaterale Flimmerwellen, sogenannten Breakthroughs. Diese punktförmigen Aktivierungen dürfen als Quelle neuer Flimmerwellen und somit ebenfalls als proarrhythmogenes Substrat verstanden werden [18]. Neben weiteren überwiegend klinisch beschriebenen Mechanismen stellt die Hypothese des Auftretens von stabilen rotorförmigen Erregungen eine wichti­ ge Theorie unter den möglichen Ursa­ chen für anhaltendes Vorhofflimmern dar. Das Auftreten von Rotoren konn­ te in verschiedenen Experimenten mit Schafen und, wenn auch mit einigen

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[Why does our heart fibrillate?- or what goats can teach us].

Nos connaissances actuelles en électrophysiologie cardiaque sont basées sur de nombresuses expériences et décovertes remontant jusqu'à la Grèce antiqu...
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