Schwerpunkt Herzschr Elektrophys DOI 10.1007/s00399-016-0417-7 Eingegangen: 18. Januar 2016 Angenommen: 19. Januar 2016

Wilhelm Haverkamp

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Welche Medikamente sind bei der Reanimation sinnvoll? Welche nicht?

Die auch für Deutschland gültigen Leitlinien zur Reanimation des European Resuscitation Councils wurden zuletzt 2015 aktualisiert [1]. Sie stehen im Internet (in deutscher Übersetzung) zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung [2]. Zeitgleich wurden die amerikanischen Leitlinien aktualisiert [3]. In beiden Leitlinien stehen Basismaßnahmen („basic life support“) bei den kardiopulmonalen Wiederbelebung im Vordergrund. Hierzu gehören das Feststellen des Kreislaufstillstands, das Freimachen der Atemwege und die kardiopulmonale Reanimation mit Herzdruckmassage (Kompressionsfrequenz: 100–120/min) sowie Beatmung (Verhältnis von Herzdruckmassage zu Beatmung: 30:2; [4]). Bei durch Kammerflimmern bedingtem Kreislaufstillstand sollte eine Defibrillation möglichst frühzeitig erfolgen. Hierfür stehen heute vermehrt öffentlich zugängliche automatische Defibrillatoren zur Verfügung. Erweiterte lebensrettende Maßnahmen („advanced life support“) kommen zum Einsatz, nachdem mit den Basismaßnahmen zur Wiederbelebung begonnen wurde. Hierzu gehören u. a. spezielle Aspekte der außerklinischen und innerklinischen Reanimation, die manuelle Defibrillation, das Atemwegsmanagement während der Reanimation sowie die Gabe von Medikamenten [5]. Dieser Artikel beschäftigt sich mit Letzterem, nämlich der Verwendung von Medikamenten während eines Kreislaufstillstands. Es geht um folgende Fragestellungen: Welche Medikamente sind im Rahmen der Reanimation noch sinnvoll? Welche nicht? Die Fragezeichen spiegeln die Ambivalenz wieder, die dem Thema

Medikamentengabe bei Wiederbelebung anhaftet. Und dies, obwohl der Einsatz von Medikamenten bei dieser Indikation seit Dekaden geübt wird und damit eine relativ lange Tradition hat. Adrenalin wurde erstmals 1922 bei einer Reanimation eingesetzt [6]. Antiarrhythmika wurden bereits gegen Ende der 1940er Jahre verwendet. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die externe transthorakale Defibrillation zur Terminierung von Kammerflimmern erst zu Beginn der 1950er Jahre in die klinische Routine eingeführt wurde [7]. Von den aktuellen Leitlinien werden 3 Gruppen von Medikamenten in Zusammenhang mit Reanimationsmaßnahmen bewertet: Vasopressoren, Antiarrhythmika und andere Substanzklassen [5]. Diese Arbeit folgt diesem Schema. Die besprochenen Empfehlungen sind in . Tab. 1 zusammengefasst.

Med. Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie, Campus Virchow-Klinikum, Charité – Universitätsmedizin, Berlin, Deutschland

Vasopressoren Der Einsatz von Vasopressoren wie Adrenalin oder Vasopressin erfolgt unter der Vorstellung, hiermit den Kreislauf und damit die Perfusion lebenswichtiger Organe zu stabilisieren. Insbesondere wird eine Steigerung des koronaren und zerebralen Blutflusses angestrebt.

Adrenalin Zur Wirkung von Adrenalin bei außerklinischem Kreislaufstillstand liegen zahlreiche Beobachtungsstudien und einige randomisierte kontrollierte Studien vor. Systematische Reviews mit Metaanalysen ergaben eine häufigere Wieder-

herstellung eines Spontankreislaufs unter Adrenalin [8–10]. Eine Verbesserung des Überlebens bis zur Klinikentlassung oder eine bessere neurologische Erholung wurden jedoch nicht beobachtet. Der therapeutische Effekt von Adrenalin wird in erster Linie durch die Stimulation α-adrenerger Rezeptoren vermittelt, die unerwünschten Wirkungen sind als Folge der Aktivierung β-adrenerger Rezeptoren zu sehen. Es kommt zu einer dosisabhängigen Zunahme des myokardialen Sauerstoffverbrauchs [11]. Das Ausmaß der myokardialen Dysfunktion nach Reanimation nimmt zu [12], und es resultiert eine drastische Steigerung der Arrhythmogenese [13]. Laut der aktuellen europäischen Leitlinie ist Adrenalin dennoch im Rahmen einer Wiederbelebung das Medikament der Wahl. Es wird alle 3–5 min in einer Dosierung von 1 mg intravenös oder intraossär verabreicht. Das ebenfalls 2015 erschienene Update der amerikanischen Leitlinien zur Reanimation verhält sich beim Einsatz von Adrenalin zurückhaltender. Der Leitlinie zufolge kann die Gabe von Adrenalin während der Wiederbelebung sinnvoll sein (KlasseIIb-Indikation; [14]). Nach Stabilisierung des Kreislaufs sollte Adrenalin sehr zurückhaltend eingesetzt werden – schon kleine Dosen können bedeutsame Rhythmusstörungen auslösen. Bei multiplen Episoden von Kammerflimmern außerhalb einer Reanimation ist die Gabe von Adrenalin wegen ausgeprägter proarrhythmischer Effekte kontraindiziert – im Vordergrund steht in dieser Situation die Gabe von βRezeptorenblockern [15]. Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie

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Schwerpunkt Tab. 1  Anwendung und Stellenwert von Medikamenten bei kardiopulmonaler Reanimation Substanz Vasopressoren Adrenalin

Anwendung bei Reanimation

Dosierung

Kommentar

Alle 3 bis 5 min bis ein spontaner Kreislauf gesichert ist (ohne Unterbrechung von Kardiokompression und Beatmung)

1 mg als Bolus intravenös oder intraossär; ggf. Wiederholung

Gilt für jede Reanimation, unabhängig vom dokumentierten Grundrhythmus. Unsichere Datenlage, Wirkung wird gerade in einer großen randomisierten kontrollierten Studie geprüft [22] Unsichere Datenlage

Vasopressin

Keine Verwendung anstelle von Adrenalin; da Hinweise auf eine negative Wirkung fehlen, kann eine gewohnte Anwendung von Vasopressin bei Reanimation allerdings fortgeführt werden Antiarrhythmisch wirkende Substanzen Amiodaron Bei schockrefraktärem Kammerflimmern/pulsloser Kammertachykardie (nach 3 ineffektiven Defibrillationen, ggf. Zusatzdosis nach dem fünften ineffektiven Defibrillationsversuch) Lidocain Bei schockrefraktärem Kammerflimmern/pulsloser Kammertachykardie (nach 3 ineffektiven Defibrillationen), wenn Amiodaron nicht verfügbar ist Magnesium Keine routinemäßige Anwendung bei Kreislaufstillstand, nur bei Medikamenten-bedingten Torsade de pointes Andere Substanzen Kalzium Indiziert bei pulsloser elektrischer Aktivität in Zusammenhang mit einer Hyperkaliämie, einer Hypokalziämie oder bei einer Überdosierung mit Kalziumantagonisten Natriumbikarbonat Keine routinemäßige Gabe. Kann bei lebensbedrohlicher Hyperkaliämie, bei Hypokaliämie-bedingtem Kreislaufstillstand und bei Überdosierung von trizyklischen Antidepressiva erwogen werden Fibrinolytika Keine routinemäßige Gabe; nur bei Verdacht auf oder bei nachgewiesener Lungenembolie

Aktuell wird die therapeutische Wertigkeit von Adrenalin bei einem Kreislaufstillstand – im Vergleich zu Placebo – in einer großen, mehrere tausend Patienten umfassenden, randomisierten kontrollieren Studie geprüft (PARAMEDIC 2, [16]).

Vasopressin Vasopressin wurde mehrfach als mögliche Alternative zu Adrenalin untersucht. Die Substanz wirkt in hohen Dosen stark vasokonstringierend [17]. Chronotrope und inotrope Wirkungen fehlen. Die Halbwertszeit ist mit 10–20 min länger als bei Adrenalin. Es ist auch bei

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Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie

Bspw. 40 IE als Einzeldosis, mit bis zu 4-maliger Wiederholung [32]

300 mg (z. B. in 5 % Glukose mit einem Volumen von 20 ml oder in einer Fertigspritze); ggf. zusätzlich 150 mg nach dem fünften Defibrillationsversuch

Unsichere Datenlage, Wirkung wird gerade in einer randomisierten kontrollierten Studie geprüft [16]

Initial 100 mg (1–1,5 mg/kg) als intravenöser Bolus, ggf. zus. 50 mg (die Gesamtdosis in der ersten Stunde sollte 3 mg/kg KG nicht überschreiten) Initial 2 g intravenös [4 ml (8 mmol) einer 50 %-Magnesiumsulfatlösung]; ggf. Wiederholung nach 10−15 min

Unsichere Datenlage, Wirkung wird gerade in einer randomisierten kontrollierten Studie geprüft [16] Nur wirksam in Zusammenhang mit einer QT/QTc-Intervall-Verlängerung (meistens QTc > 500 ms)

10 ml der 10 % Kalziumchloridlösung (6,8 mmol Ca2+), ggf. Wiederholung

Keine routinemäßige Anwendung bei Kreislaufstillstand

50 mmol (50 ml einer 8,4 %-Lösung) oder 1 mmol/kg KG intravenös; ggf. Wiederholung

Keine routinemäßige Anwendung bei Kreislaufstillstand. Kontrolle anhand von Analysen des Säure-Basen-Status

Unterschiedliche Präparate

Verlängerte Wiederbelebung bei V. a. oder nachgewiesener Lungenembolie (über 60–90 min) oft sinnvoll

Azidose wirksam. Metaanalysen der verfügbaren Studien ergaben keinen Vorteil gegenüber einem Vergleich mit Placebo oder Adrenalin [18, 19]. Im Rahmen einer Subgruppenanalyse ergab sich ein Vorteil für Vasopressin bei Präsentation des Patienten mit einer Asystolie [18]. Den aktuellen Leitlinien zufolge sollte Vasopressin beim Kreislaufstillstand nicht anstelle von Adrenalin zu verwendet werden. Da Hinweis auf eine negative Wirkung fehlen, kann allenfalls eine gewohnte Anwendung von Vasopressin in dieser Situation fortgeführt werden [5].

Antiarrhythmika Ebenso wie über den Einsatz von Vasopressoren, wird derzeit auch intensiv über die Sinnhaftigkeit der Verwendung von Antiarrhythmika bei einer Wiederbelebung nach Kreislaufstillstand diskutiert. In etwa 20 % der Fälle ist der erste bei einem Kreislaufstillstand aufgezeichnete Rhythmus Kammerflimmern oder eine pulslose Kammertachykardie [5]. Initial dürften Rhythmusstörungen häufiger sein, im Verlauf gehen sie in eine Asystolie über. Auf der anderen Seite tritt bei etwa 25 % der Patienten, die sich mit einer Asystolie präsentieren, im Zusammenhang mit Reanimationsmaß-

Zusammenfassung · Abstract nahmen im Verlauf Kammerflimmern auf [5]. Ziel der Antiarrhythmikagabe ist die Stabilisierung des Rhythmus im Kontext von Kardiokompression, Beatmung und oft mehrfach notwendiger Defibrillation. Zu den einsetzbaren Medikamenten gehören Amiodaron und Lidocain. Eine Indikation zum Einsatz von Magnesium ergibt sich nur in Zusammenhang mit Rhythmusstörungen auf dem Boden einer exzessiven QT/QTc-Verlängerung. Der Einsatz von Atropin bei Asystolie ist aufgrund des Fehlens von Wirksamkeitsnachweisen schon seit Langem obsolet [5].

Amiodaron Bei einem Kreislaufstillstand mit schockrefraktärem Kammerflimmern oder pulsloser Kammertachykardie verbessert Amiodaron (300 mg) im Vergleich zu Placebo das Überleben bis zur Klinikaufnahme [20]. Dies gilt ebenso beim Vergleich mit Lidocain [21]. Die Anwendung von Amiodaron (intravenös oder intraossär) wird daher von den aktuellen Leitlinien nach 3 ineffektiven Defibrillationsschocks mit zwischenzeitlicher Kardiokompression und Beatmung empfohlen [5]. Eine weitere Dosis von 150 mg kann nach dem fünften Defibrillationsversuch gegeben werden. Bei einem durch Kammerflimmern verursachten Kreislaufstillstand sollten bis zu 3 Schocks schnell nacheinander gegeben werden. Falls diese nicht wirksam sind bzw. erneut Kammerflimmern auftritt, wird Amiodaron verabreicht. Aktuell läuft eine große randomisierte kontrollierte Studie, welche die Wirksamkeit und Sicherheit von Amiodaron oder Lidocain gegenüber Placebo bei schockrefraktärem Kammerflimmern bzw. pulsloser ventrikulärer Tachykardie untersucht (ROC-ALPS, 22).

Lidocain Von den aktuellen Leitlinien wird die Gabe von Lidocain während Wiederbelebung (bei therapierefraktärem Kammerflimmern/pulsloser Kammertachykardie) nur dann empfohlen, wenn Amiodaron nicht verfügbar ist [5]. Die bereits oben erwähnte laufende Studie

Herzschr Elektrophys  DOI 10.1007/s00399-016-0417-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 W. Haverkamp

Welche Medikamente sind bei der Reanimation sinnvoll? Welche nicht? Zusammenfassung Einleitung.  Der plötzliche Kreislaufstillstand stellt eine große therapeutische Herausforderung dar. Wie sicher und effektiv bei der Wiederbelebung vorgegangen werden soll, zeigen – soweit wie möglich – evidenzbasierte Leitlinien auf, die zuletzt 2015 aktualisiert wurden. Methoden.  Im Vordergrund stehen Basismaßnahmen zur Wiederbelebung, zu denen die Herzdruckmassage mit Beatmung (Verhältnis 30:2) und, bei einem durch Kammerflimmern bedingten Herz-Kreislauf-Stillstand, eine frühzeitige Defibrillation gehören. Die Gabe von Medikamenten ist Bestandteil der sog. erweiterten lebensrettenden Maßnahmen. Vasopressoren (Adrenalin, ggf. Vasopressin) zielen auf eine Kreislaufstabilisierung ab. Antiarrhythmika (Amiodaron, falls nicht verfügbar Lidocain) sind bei schockrefraktären ventrikulären Tachyarrhythmien indiziert. Magnesium, Natriumbikarbonat und Atropin sollen nicht mehr routinemäßig eingesetzt werden.

Schlussfolgerung.  Vor dem Hintergrund eines bislang nicht eindeutig erbrachten Wirksamkeitsnachweises hat die Ambivalenz, mit der die Fachwelt der Gabe von Medikamenten bei der Wiederbelebung gegenübersteht, auch in den Leitlinien zugenommen. Verantwortlich hierfür ist eine sehr heterogene Datenlage, die im Wesentlichen auf den Ergebnissen von Beobachtungsstudien und kleinen kontrollierten Studien beruht. Von den Ergebnissen zweier derzeit laufender großer randomisierter und kontrollierter Studien, welche die Wirksamkeit von Adrenalin und von Amiodaron oder Lidocain gegenüber Placebo bei kardiopulmonaler Wiederbelebung untersuchen, darf mehr Klarheit hinsichtlich der sinnvollen Anwendung von Medikamenten bei einem Kreislaufstillstand erhofft werden. Schlüsselwörter Kardiopulmonale Reanimation · Adrenalin · Amiodaron · Lidocain · Magnesium

Which drugs are useful during resuscitation? Which are not? Abstract Introduction.  Cardiopulmonary resuscitation represents a therapeutic challenge. Evidence-based guidelines, which were updated in 2015, give detailed advice on how to treat the patient. Methods.  Basic life support consists of cardiopulmonary resuscitation (30 chest compressions interrupted briefly to provide to 2 ventilations) and, if ventricular tachyarrhythmia is present, urgent cardiac defibrillation. Administration of drugs is one of the aspects of advanced life support. Vasopressors (adrenaline, vasopressin) aim to optimize coronary and cerebral perfusion. Antiarrhythmic drugs (amiodarone or lidocaine, when amiodarone is not available) are given during cardiac arrest to treat specific cardiac arrhythmias, mainly ventricular fibrillation and ventricular tachycardia. Conclusion.  However, even in current guidelines, there is growing ambivalence towards

zur Gabe von Antiarrhythmika bei Reanimation beinhaltet auch den Vergleich Amiodaron mit Lidocain [22]. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Studienergebnisse einen wichtigen Bei-

drug treatment in the setting of cardiopulmonary resuscitation. This is mainly due to a paucity of robust clinical data. Most of the studies that have addressed the efficacy and safety of drugs during resuscitation are observational studies; however, a few small randomized controlled studies also exist. Recently, two large randomized controlled studies addressing the efficacy and safety of adrenaline versus placebo and amiodarone or lidocaine versus placebo have started. Both are currently recruiting patients. The hope is that the results of these studies will help to better define the role of drugs administered during cardiopulmonary resuscitation. Keywords Cardio-pulmonary resuscitation · Adrenaline · Amiodarone · Lidocaine · Magnesium

trag zur Klärung der therapeutischen Wertigkeit des Natrium-Antagonisten Lidocain bei Reanimation liefern werden.

Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie

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Schwerpunkt

Magnesium Die aktuellen Leitlinien sehen von einer Anwendung von Magnesium zur Behandlung des Kreislaufstillstands ab [5]. Studien an erwachsenen Patienten mit Kreislaufstillstand im und außerhalb des Krankenhauses konnten keine häufigere Wiederherstellung des Spontankreislaufs feststellen, wenn Magnesium routinemäßig bei der Wiederbelebung gegeben wurde [23–25]. Für Magnesium ergibt sich lediglich in Zusammenhang mit Medikamenten-bedingten Torsade des pointes eine Indikation. [26]. Definitionsgemäß liegt in dieser Situation immer einer QT/ QTc-Verlängerung vor – meistens überschreitet QTc 500 ms. Wirkungsmechanismus dürfte eine unspezifische membranstabilisierende Wirkung sein, die das Auftreten von späten Nachdepolarisationen als Auslöser von Torsade de pointes verhindert.

Andere Substanzen Die aktuelle Leitlinie von 2015 führt auch Kalzium unter der Rubrik Antiarrhythmika auf [5]. Regelrechte antiarrhythmische Wirkung entfaltet es jedoch nicht. Ebenfalls diskutiert werden Bikarbonat und Fibrinolytika.

Kalzium Auf die negativen Folgen einer Überladung der Zelle mit Kalzium wurde bereits oben hingewiesen. Spielraum für eine routinemäßige Anwendung von Kalzium bei einer Wiederbelebung ergibt sich nicht [5]. Laut der aktuellen Leitlinie kommt die intravenöse Verabreichung lediglich bei pulsloser elektrischer Aktivität in Zusammenhang mit einer Hyperkaliämie, einer Hypokalziämie oder bei einer Überdosierung mit KalziumAntagonisten in Frage. Die initiale Dosis von 10 ml der 10 % Kalziumchloridlösung (6,8 mmol Ca2+) kann wiederholt werden, sofern nötig.

Natriumbikarbonat Die Gabe von Bikarbonat hat eine Verstärkung der intrazellulären Azidose, negativ-inotrope Effekte auf das

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Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie

ischämische Myokard und eine Zunahme von osmotisch wirksamem Natrium zur Folge. Daraus resultiert eine Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve und erschwerte Abgabe von Sauerstoff an das Gewebe. Aufgrund dieser negativen Auswirkungen wird die routinemäßige Gabe von der aktuellen Leitlinie nicht empfohlen [5]. Erwogen werden kann es laut aktueller Leitlinie bei lebensbedrohlicher Hyperkaliämie, bei einem Hypokaliämie-bedingten Kreislaufstillstand und bei Überdosierung von trizyklischen Antidepressiva [5]. Bikarbonat ist nicht nur bei Überdosierung von trizyklischen Antidepressiva wirksam, sondern auch geeignet, Intoxikationen mit anderen Natrium-Antagonisten zu behandeln (Flecainid, Propafenon; [27]).

Fibrinolytika Eine laufende Wiederbelebung stellt keine absolute Kontraindikation für eine systemische Fibrinolyse dar [5]. Leicht nachvollziehbar ist, dass das Blutungsrisiko erhöht ist. Da sich das Outcome der Patienten nicht verbessert [28], wird die fibrinolytische Therapie auch nicht als routinemäßige Maßnahme während eines Kreislaufstillstands empfohlen [5]. Sie sollte erwogen werden, wenn eine Lungenembolie vorliegt oder vermutet wird. Eine sehr lange Reanimationsdauer (>60 min) schließt in solchen Fällen ein gutes neurologisches Ergebnis nicht aus [29].

Bedeutung von Medikamenten während der Reanimation In Deutschland kommt es jährlich zu etwa 100.000 plötzlichen Todesfällen und Herz-Kreislauf-Stillständen anderer Ursache. Bei fast 65.000 Patienten erfolgt eine Reanimation durch den Notarzt [30]. Etwa 15–46 % der Patienten erreichen lebend das Krankenhaus [31]. Von diesen Patienten, die bei Erreichen des Krankenhauses meist in komatösem Zustand sind, werden im weiteren Verlauf wiederum nur 40–50 % entlassen [31]. Vor dem Hintergrund der schlechten Prognose bei Kreislaufstillstand ist leicht nachvollziehbar, dass die Anstrengungen, eine Prognoseverbesserung durch Optimierung der Behandlungs-

algorithmen für die Wiederbelebung zu erzielen, enorm sind. International gültige Leitlinien, die dies anstreben, gibt es seit 1992. Die Formulierung evidenzbasierter Behandlungsempfehlungen wird allerdings erheblich dadurch erschwert, dass in vielen Bereichen Entscheidungshilfen fehlen, die auf den Ergebnissen ausreichend großer randomisierter kontrollierter Studien basieren. Dies gilt auch für den Einsatz von Medikamenten während einer Wiederbelebung. Dies gilt sogar für die beiden in diesem Zusammenhang wichtigsten Medikamente Adrenalin und Amiodaron. Wie bereits weiter oben im Text erwähnt, laufen derzeit placebokontrollierte Studien, deren Ziel es ist, den Stellenwert von Adrenalin, Amiodaron und Lidocain zu klären. Die Antiarrhythmika-Studie [22], die derzeit in Nordamerika durchgeführt wird, strebt an, insgesamt 3000 Patienten einzuschließen. Erste Studienergebnisse werden für 2016 erwartet. Beim Vergleich von Adrenalin mit Placebo ist der Einschluss von etwa 8000 Patienten vorgesehen [16]. Mit der Rekrutierung der in Großbritannien laufenden Studie wurde im Dezember 2014 begonnen. Erste Studienergebnisse dürften 2018/2019 zur Verfügung stehen. Beide Studien sind ausgesprochen wichtig und dürften zu Meilensteinen der Reanimatologie werden. Grundsätzlich setzt ein ethisch vertretbarer Einsatz von Placebo im Rahmen von Behandlungsstudien (insbesondere bei prognostisch bedeutsamen Krankheitsbildern) voraus, dass Evidenz, die belegt, dass das VerumPräparat gegenüber Placebo überlegen ist, fehlt. Ob Evidenz, die für den Einsatz von Adrenalin oder Amiodaron im Rahmen einer Reanimation spricht, wirklich fehlt, ist derzeit Gegenstand intensiver Diskussionen. Der Kreislaufstillstand ist ein ausgesprochen multifaktorielles und komplexes Phänomen. Diese Charakteristik erschwert seine standardisierte Untersuchung. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse von Beobachtungsstudien und Registern zum Thema Wiederbelebung grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten. Dies gilt auch für Beobachtungsstudien mit Medikamenten. Die aktuelle Leitlinie betont explizit die Ambivalenz, mit welcher sie der

Bewertung der Wertigkeit von Medikamenten während einer Wiederbelebung gegenübersteht [5].

Fazit für die Praxis 55Entscheidend bei einer kardiopulmonalen Reanimation sind Herzdruckmassage mit Beatmung (Verhältnis 30:2) und, bei Herzkreislaufstillstand aufgrund Kammerflimmerns, frühzeitige Defibrillation. 55Die Gabe von Medikamenten gehört zu den erweiterten lebensrettenden Maßnahmen. 55Als Vasopressor steht Adrenalin im Vordergrund. 55Bei therapierefraktärem Kammerflimmern bzw. pulsloser Kammertachykardie oder anderen andauernden bedrohlichen Tachyarrhythmien ist Amiodaron indiziert. Lidocain sollte nur dann gegeben werden, wenn Amiodaron nicht verfügbar ist. 55Die Gabe von Natriumbikarbonat und Magnesium ist nur bei speziellen Indikationen vorgesehen. 55Bislang ergeben sich keine eindeutigen Hinweise für eine nachhaltige Prognoseverbesserung oder eine Verbesserung der neurologischen Erholung durch Medikamentengabe bei kardiopulmonaler Reanimation. 55Die Ergebnisse von zwei großen randomisierten kontrollierten Studien zur Wirkung von Adrenalin und Amiodaron oder Lidocain bei Kreislaufstillstand stehen noch aus.

Korrespondenzadresse Univ. Prof. Dr. W. Haverkamp Med. Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie, Campus Virchow-Klinikum, Charité – Universitätsmedizin Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikte.  W. Haverkamp gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Which drugs are useful during resuscitation? Which are not?].

Cardiopulmonary resuscitation represents a therapeutic challenge. Evidence-based guidelines, which were updated in 2015, give detailed advice on how t...
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