PRAXIS

Mini-Review

Praxis 2015; 104 (6): 287-291

287

P ä d ia tris c h e P a llia tiv e C are, U n iv e rs itä ts - K in d e r s p ita l Z ü ric h - E le o n o r e n s tiftu n g

Eva Bergsträsser

W ann sollte Palliative Care bei Kindern m it lebenslim itierenden Erkrankungen beginnen? When to Start Palliative Care in Children Suffering from Life-limiting Diseases?

Zusammenfassung Palliative Care bei Kindern ist in der Schweiz noch nicht weit entwickelt, und im Vergleich zur Palliative Care bei Erwachsenen ist das Wissen da­ rüber begrenzt. Um eine palliative Begleitung sinnvoll und zeitgerecht zu beginnen, wurde ein Instrument entwickelt, das Fachpersonen in die­ ser schwierigen Entscheidungsfindung unterstützen soll. Das Instrument, ge­ nannt Paediatric Palliative Screening Scale (PaPaS Scale), basiert auf fünf Domänen, die die Krankheit des Kin­ des beleuchten: 1) Auswirkungen der Krankheit auf den Alltag des Kindes, 2) Therapiemöglichkeiten und Ausmass der Belastung durch die Therapie, 3) Symptome, deren Kontrollierbarkeit und Belastung durch die Symptome, 4) Wünsche des Patienten und dessen Eltern und 5) Lebenserwartung. Ziele einer rechtzeitig beginnenden Pallia­ tive Care sind Lebensqualität und Ge­ staltungsmöglichkeiten für die verblei­ bende Lebenszeit. Schlüsselwörter: Palliative Care Kin­ der - Indikation - Instrument

Hintergrund Im Kontext der Palliative Care ist der Gedanke an Kinder und Jugendliche mit lebenslimitierenden Krankheiten nicht selbstverständlich und auch innerhalb der Pädiatrie wurde der Palliative Care bisher kein besonderes Gewicht gege­ © 2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

ben. Hieraus erklärt sich das geringe Angebot für Palliative Care bei Kindern in der Schweiz und die vernachlässigba­ re Anzahl von Kinderärzten, die sich in diesem Bereich weitergebildet oder spe­ zialisiert haben. Das Kinderspital Zürich nimmt diesbe­ züglich eine Vorreiterrolle ein. Seit 2008 besteht das Kompetenzzentrum für Pä­ diatrische Palliative Care (PPC), das für Kinder aller Altersstufen (0-18 Jahre) im stationären oder ambulanten Set­ ting eine palliative Begleitung anbie­ tet. Diese wird je nach Diagnose und Krankheitsverlauf in Ergänzung zu der spezial- oder kinderärztlichen Behand­ lung und seltener vollständig durch das Pädiatrische Palliative Care (PPC) Team übernommen. Fragen des Wann, Wie und manchmal auch Warum stellen sich natürlich bei einem neuen Angebot; erst recht, wenn es um eines geht, das nicht einfach zu fassen ist. Auf die Frage des Wann soll in der Folge näher eingegangen werden.

Definition Palliative Care bei Kindern Die in Europa und international gän­ gige Definition für Palliative Care bei Kindern liefert keine befriedigende Ant­ wort auf die Frage des Zeitpunktes. Sie stammt von der englischen Organisation «Together for short lives» [ 1] und ähnelt jener der WHO. Sie lautet: «PPC ist die aktive und umfassende Betreuung vom Zeitpunkt der Diag­ nose, während des Lebens des Kindes,

seinem Tod und darüber hinaus. Sie umfasst körperliche, emotionale, sozia­ le und spirituelle Elemente und hat das Ziel, die Lebensqualität des Kindes oder junger Menschen zu verbessern und die Familie zu unterstützen. Sie beinhaltet die Behandlung belastender Symptome, Bereitstellung von Erholungspausen (für die Familie) und eine Begleitung durch den Tod und die Trauer.»

Problem der D efinition und Gegenüberstellung «kurativ» «palliativ»

Das Hauptproblem dieser Definition ist der irreführende Zeitpunkt «ab Diagno­ se» und unklare Begriffe wie «aktive und umfassende Betreuung». Für eine höhe­ re Akzeptanz und Integration, insbeson­ dere innerhalb der hochspezialisierten Medizin, ist zum einen eine klare Defini­ tion wichtig, was Palliative Care bedeu­ tet, wie sie sich von anderen Bereichen der Medizin abgrenzen lässt und was sie bietet. Zum anderen ist auch seitens der Palliativmediziner eine Haltung nötig, die sich nicht über das Verständnis, Hal­ tungen, Angebote und Leistungen ande­ rer Fachdisziplinen stellt. Denn eine um­ fassende Betreuung bietet sicher nicht nur Palliative Care; allenfalls gelingt sie hier häufiger aufgrund eines grundver­ schiedenen Behandlungsansatzes. Wäh­ rend eine kurative Behandlung häufig durch einen abrupten Beginn mit der im

Im A rtike l ve rw en d ete A bkürzungen: PPC

Pädiatrische Palliative Care DOI 10.1024/1661-8157/a001953

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M in i-R e v ie w

Tab. 1: PaPaS Scale (P a e d ia tric P a llia tiv e S c re e n in g Scale) Dom äne

1. 1.1

M erkm ale

Score

K rankheitsverlauf/Befinden des Kindes und Auswirkung au f A lltag des Kindes K ra n k h e its v e r la u f u n d E in flu s s a u f f ü r das K in d ty p is c h e A llta g s a k tiv itä te n , d ie z.B. bei s c h w e r b e h in d e r te m K in d a u f

S ta b il

0 □

L a n g s a m v e rs c h le c h te r n d o h n e

1□

b e s o n d e re n E in flu s s a u f d e n

P r a x is 2 0 1 5 ; 1 0 4 ( 6 ) : 2 8 7 - 2 9 1

288

Vordergrund stehenden Krankheit ge­ kennzeichnet ist, beginnt eine palliative Behandlung prozesshaft und Therapie­ optionen werden in enger Abstimmung mit dem Patienten und seinen Zielen und Wünschen erwogen.

A llta g .

n ie d rig e m N iv e a u s in d . (ü b e r d ie v e rg a n g e n e n v ie r

In s ta b il m it z.B. h ä u fig e n S c h u l­

W o c h e n bis w e n ig e M o n a te )

a b s e n z e n o d e r E in s c h rä n k u n g

2 D

S in n v o lle r B e g in n v o n

d e r A llta g s a k tiv itä te n . D e u tlic h e u n d ra sch e V e r­

P a llia tiv e C a re b e im K in d 4 D

s c h le c h te ru n g , A llta g s a k t iv it ä ­ te n m e h r h e itlic h n ic h t m ö g lic h .

1.2

Z u n a h m e H o s p ita lis a tio n e n (>50% in d e n le tz te n d re i

N e in

0 D

Ja

3 D

M o n a te n )

2. 2.1

E in s c h ä tz u n g des T h e r a p ie e rfo lg e s in B ezu g a u f d ie G r u n d e rk ra n k u n g E r w a r te te r E rfo lg e in e r a u f d ie

K u ra tiv

OD

G r u n d e r k ra n k u n g g e ric h te te n

Kra n k h e its k o n tro ile u n d

ID

T h e ra p ie ( n ic h t T h e ra p ie v o n S y m p to m e n

L e b e n s v e rlä n g e ru n g m it g u te r L e b e n s q u a |i t ä t .

w ie S c h m e rz e n , S p a s tiz itä t) K e in e K r a n k h e its k o n tr o lle ,

2D

a b e r p o s itiv e r E ffe k t a u f L e b e n s q u a litä t. K e in e K ra n k h e its k o n tr o lle

4 □

u n d k e in e V e rb e s s e ru n g d e r L e b e n s q u a litä t.

2.2

B e la s tu n g d u rc h d ie B e h ä n d -

K e in e o d e r m in im a le B e la s tu n g

lu n g

o d e r k e in e T h e ra p ie

OD

( m it B e la s tu n g s in d N e b e n -

N le d rig e B e la s tu n g

!□

B e la s tu n g e n , z.B. a m b u la n te

M itte lm ä s s ig e B e la s tu n g

2D

o d e r s ta tio n ä r e S p ita la u fe n t-

H o h e B e la s tu n g

4D

Eine grosse Schwierigkeit der Palliative Care liegt in der Frage des sinnvollen Be­ ginns. Ein Beginn, der Ziele wie Lebens­ qualität und Selbstbestimmung erreich­ bar macht. Das bedeutet, die Krankheit ist nicht so weit fortgeschritten, dass im ungünstigsten Fall «nur» noch eine Sterbebegleitung möglich ist. Um einen «sinnvollen» Beginn zu ermöglichen, der sich meines Erachtens nur ganz selten mit dem Zeitpunkt der Diagnose deckt, habe ich in den vergangenen Jahren ein Instrument entwickelt, das Ärzten und Behandlungsteams eine Hilfestellung in Bezug auf einen sinnvollen und nicht überstürzten Beginn einer palliativen Betreuung geben soll.

W irk u n g e n a b e r a u c h a n d e re

h a lte g e m e in t)

3 3.1

S y m p to m e u n d B e la s tu n g d u rch S y m p to m e I n t e n s it ä t u n d K o n tr o llie r -

K e in e S y m p to m e

OD

b a r k e it v o n S y m p to m e n

M j|d e S y m p to m e u n d g u t zu

, D

(w ä h re n d d e r v e rg a n g e n e n v ie r

k o n tro N ie re n .

W ochen) M itte ls c h w e r e S y m p to m e zu

2D

k o n tro llie r e n . S c h w e re S y m p to m e u n d

4D

s c h w ie r ig zu k o n tro llie r e n ( u n g e p la n te H o s p ita lis a tio n e n , a m b u la n te V o rs te llu n g e n , K rise n ). 3.2

P sych isch e B e la s tu n g des P a tie n te n d u rc h d ie S y m p to m e

3.3

P sych isch e B e la s tu n g d e r E lte rn /F a m ilie d u rc h d ie S y m p ­

G a r n ic h t

0 D

W e n ig

10

M a s s ig

2

0

S ta rk

4 D

G a r n ic h t

0 D

W e n ig

IQ

M ä s s ig

2 D

S ta rk

4 □

t o m e u n d d a s L e id e n des K in d e s

Instrum ent zur Standortbestim m ung

Das Instrument (Tab. 1), genannt Pae­ diatric Palliative Screening Scale (PaPaS Scale) [2,3], orientiert sich am Verlauf einer Krankheit und an Prozessen, die daraus abzuleiten sind. Folgende weitere Überlegungen haben den Entwicklungs­ prozess geleitet; das Instrument soll • Entscheidungsprozesse unterstützen, indem es vorausschauend einen prog­ nostisch unsicheren Krankheitsverlauf und demzufolge die Chancen eines Therapieerfolgs einschätzt; • in der Einschätzung des Bedarfs für eine palliative Begleitung helfen; • für alle pädiatrischen Diagnosen und Altersgruppen anwendbar sein. Aller­ dings nicht für Kinder im ersten Le­ bensjahr, da deren Krankheitsverläu­ fe und Bedürfnisse meistens anders sind;

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Tab. i: PaPaS Scale (P aediatric P alliative Screening Scale) (F ortsetzung) 4. 4.1

Wünsche des Patienten/der Eltern Einschätzung der professionellen Bezugspersonen P a tie n t/E lte rn w ü n s c h e n p a llia ­

Nein

0 □

tiv e B e h a n d lu n g

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stufenweisen Prozess aufgebaut werden, wie dies die Stufen der Abbildung 1 ver­ anschaulichen (erklären - vorbereiten beginnen).

(Frage 4.2 b e a n tw o rte n ) Ja

40 (Frage 4.2 nicht m ehr b e a n tw orten )

4.2

B e h a n d lu n g s te a m h a t das

Nein

0 □

Ja

4 0.

G e fü h l, P atie nt kö n n te von P allia tive Care p ro fitie re n

5. 5.1

Einschätzung der Lebenserwartung E inschätzung d e r Lebens­

M eh rere Jahre

e rw a rtu n g

0 □ (Frage 5.2 b e a n tw o rte n )

M o n a te bis 1-2 Jahre

1□ (Frage 5.2 b e a n tw o rte n )

W ochen bis M o n a te

20 (Frage 5.2 nicht m ehr b e a n tw orten )

Tage bis W ochen

3 □ (Frage 5.2 nicht m eh r b e a n tw orten )

5.2

«W ären Sie überrascht, w e n n dieses Kind in den nächsten

Ja

0 □

Nein

30

sechs M o n a te n p lö tz lic h s te r­ ben w ürde?»

Gesamtscore:

• einfach handhabbar sein - für Ärzte und Behandlungsteams. Fünf Domänen sind die Säulen der Pa­ PaS Scale (Tab. 1), die bisher zwei erste Schritte der Validierung durchlaufen hat: 1. Krankheitsverlauf und Auswirkung des Krankheitsverlaufs auf die All­ tagsaktivitäten des Kindes 2. Erwarteter Erfolg einer auf die Grund­ erkrankung gerichteten Therapie und Belastung durch die Therapie 3. Symptome und Belastung durch die Symptome 4. Wünsche des Patienten/der Eltern oder Einschätzung der professionellen Bezugspersonen (Behandlungsteam) 5. Lebenserwartung Die Gewichtung der Merkmale inner­ halb der Domänen ist noch nicht vali­ diert, sie werden in diesem Kontext aber

abgebildet, um das Prinzip darstellen zu können. Aus der Summe der einzelnen Merkmale errechnet sich der Gesamt­ score, der einen Hinweis darauf gibt «wie palliativ» der Patient ist. Idealerweise, sollte eine palliative Begleitung in einem

Patientenbeispiele

Zwei Beispiele sollen dieses prozessori­ entierte Prinzip konkretisieren. Ein fünfjähriger Knabe mit metastasier­ tem Rhabdomyosarkom wird notfallmässig zugewiesen mit Tumorverdacht und Verdacht auf eine spinale Raum­ forderung. Wie oben gegenübergestellt, begann die zunächst kurativ ausgerich­ tete Therapie abrupt und die Krankheit des Kindes dominierte über viele Mo­ nate nicht nur den Alltag des Kindes, sondern auch jenen der ganzen Fami­ lie. Leider kam es nicht zu einem Therapieansprechen, sodass die Therapie zunächst intensiviert und die sich wei­ ter verschlechternde Lebensqualität des Kindes bei nach wie vor kurativem The­ rapieziel in Kauf genommen wurde. Als es auch darunter nicht zu einem Anspre­ chen des Tumors kam, fanden mehrere Gespräche mit den Eltern statt, die die Situation und die Möglichkeiten darin erläuterten. Allerdings hatte die Mutter des Kindes bereits in früheren Gesprä­ chen Befürchtungen geäussert, dass ihr Sohn nicht geheilt werden könnte. Für diese Eltern war rasch klar, dass sie ihr Kind nicht «unnötig» Leid aussetzen möchten, und sie waren einverstanden, auf eine mildere (palliative) Chemothe-

Beginnen

Vorbereiten

Erklären

Evaluation

Score > 15

Score >10

Abb. l: S tu fe n w e ise r Beginn der p a llia tiv e n B eg le itung .

Score > 25

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Key messages • Der Beginn einer palliativen Betreuung richtet sich auch bei Kindern nach dem Krankheitsverlauf und nicht nach der Diagnose. • Der Krankheitsverlauf hat einen Einfluss auf die daraus entstehenden oder notwendig werdenden Prozesse, wie beispielsweise Entscheidungsprozesse oder Aufbau von Unterstützungsmassnahmen. • Die PaPaS Scale kann als Hilfestellung für die Entscheidung der Einleitung einer palliativen Betreuung eines Kindes dienen.

Lernfragen 1. Welcher Aspekt einer Therapie der Grunderkrankung sollte beurteilt werden, um über den Einsatz der Therapie bei einer lebenslimitierenden Krankheit zu entscheiden? (Einfachauswahl, 1 richtige Antwort) a) Die Kosten der Therapie sind entscheidend. b) Wenn eine Therapie nicht schadet, kann die Therapie ohne Bedenken eingesetzt werden. c) Die Wirksamkeit und die Belastung durch die Therapie sind bei einer lebenslimitierenden Krankheit ausschlaggebend. d) Die Lebensverlängerung ist beim Kind ausschlaggebend. 2. Wann sollte eine palliative Behandlung bei einem Kind begonnen werden? Kreuzen Sie die Antwort an, die einen sinnvollen Einsatz von Palliative Care am besten beschreibt. (Einfachauswahl, 1 richtige Antwort) a) Bei jeder Krankheit, die tödlich verlaufen kann. b) Bei Krankheiten, die schwierige Therapieentscheidungen erfordern. c) Bei Kindern, die lebenslang von ihrer Krankheit gezeichnet sein werden. d) Bei Kindern, deren Krankheitsverlauf so komplex geworden ist, dass ihr Alltag davon stark beeinträchtigt wird und Symptome nicht mit zuvor hilfreichen Massnahmen zu kontrollieren sind.

rapie (Domäne 2) zu wechseln, um al­ lenfalls die verbleibende Lebenszeit des Kindes verlängern zu können (Merkmal: Krankheitskontrolle und Lebensverlän­ gerung mit guter Lebensqualität). Über­ raschenderweise kam es hierunter zu einem Wachstumsstillstand des Tumors, der Knabe erholte sich und fand zu sei­ ner Lebensfreude zurück. Die Dauer der verbleibenden Zeit wurde mit Wochen bis wenigen Monaten eingeschätzt und die Familie versuchte alles, um viele schöne Dinge zu tun. Jetzt standen das Kind, die Familie und die Lebensquali­ tät von allen im Zentrum, und aufgrund der veränderten Therapieziele und der überraschenden Erholung des Kindes verlor die Krankheit im Alltag der Fa­ milie an Bedeutung. Wiederum über­

raschend lebte der Knabe noch ein Jahr, und erst in den letzten sechs Wochen war eine intensive palliative Begleitung mit Unterstützung der Kinderspitex, des Hausarztes und Hausbesuchen durch die Palliativmedizinerin des Kinderspi­ tals notwendig, bis er schliesslich zuhau­ se ganz friedlich verstarb. Dieses Beispiel zeigt einen schrittweisen Beginn von Palliative Care, der sich nach dem Ver­ lauf der Krankheit, den Symptomen des Kindes und den Bedürfnissen der Fami­ lie orientiert. Im Gegensatz dazu ein siebenjähriger Knabe mit schwerer globaler Entwick­ lungsstörung und Epilepsie aus einer Familie mit Migrationshintergrund, der zum zweiten Mal in unserer Klinik hospitalisiert werden musste, da es im

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Rahmen einer Atemwegsinfektion zu einer respiratorischen Globalinsuffizi­ enz und Intubation gekommen war. Die Einleitung einer palliativen Betreuung war bei diesem Patienten aus mehreren Gründen nicht möglich. Seinen Eltern fehlte die Einsicht, dass eine intensivme­ dizinische Behandlung ihres Sohnes mit Intubation und maschineller Beatmung an seiner Grundproblematik nichts än­ dert. Auf dieser Grundlage gelang es den betreuenden Ärzten nicht, mit den Eltern Reanimationsmassnahmen zu diskutieren und damit den Knaben vor nicht hilfreichen Eingriffen zu schüt­ zen. Offensichtlich wurde die Einleitung einer palliativen Begleitung von dieser Verordnung («Reanimation: Nein») ab­ hängig gemacht und erst im Rahmen der zweiten Hospitalisation nach mehr als zweiwöchiger Beatmung ein ethi­ sches Gespräch einberufen und in die­ sem Rahmen das PPC-Team involviert. Eine Woche später kam es zum ersten Kontakt mit der Familie und drei Tage später verstarb der Patient. Dieses Bei­ spiel zeigt verschiedene Schwierigkeiten auf, die nicht nur mit interkulturellen Problemstellungen zu erklären sind. Ein frühzeitigeres Involvieren von PPC hätte möglicherweise das Verständnis der El­ tern in einer weniger bedrohlichen Situ­ ation verbessert und den zweiten langen Aufenthalt auf der Intensivstation ver­ hindern können.

E insatzm ög lich keiten der PaPaS Scale Die PaPaS Scale könnte in zweierlei Form eingesetzt werden. Zum einen könnte sie im Rahmen von ambulanten Konsultationen bei Patienten mit kom­ plexen chronischen Krankheitsbildern für eine Standortbestimmung angewen­ det werden und zum anderen könnte sie im stationären Setting bei Patienten mit komplexen Krankheitsbildern, instabi­ lem Krankheitsverlauf und unsicherem Therapieerfolg für Patienten-Besprechungen eingesetzt werden und jenseits

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von ethischen Fallbesprechungen in Therapieentscheidungen Unterstützung bieten. Damit würde eine höhere Sen­ sibilität für den «palliativen» Charakter eines Krankheitsverlaufs geschaffen. In den Validierungsschritten mit Experten-Interviews, einer Fokusgruppe und Fallvignetten fiel auf, dass manche Ärzte «Risiken» für den Einsatz eines solchen Instrumentes sahen, wenn es von Perso­ nen angewendet würde, die den Patien­ ten und dessen Familie zu wenig kennen. Dem ist entgegenzuhalten, dass viele Fragen in Unkenntnis des Patienten und seiner Familie gar nicht zu beantworten sind.

Schlussfolgerungen Der Beginn einer palliativen Betreuung richtet sich weder inhaltlich noch zeit­ lich nach der Diagnose eines Patienten, sondern nach dem Krankheitsverlauf und den damit in Verbindung stehenden Folgen wie beispielsweise Symptomen oder Einschränkungen und daraus her­ vorgehenden Prozessen, wie beispiels­ weise Entscheidungen für oder gegen eine Therapie oder den Aufbau eines Betreuungsnetzes. Die PaPaS Scale kann als Hilfsmittel eingesetzt werden, um eine palliative Betreuung rechtzeitig - nicht zu früh und nicht zu spät - zu beginnen. Eine Weiterentwicklung und Validierung des Instrumentes ist deshalb sinnvoll.

A bstract Paediatric Palliative Care in Switzerland is still in its infancy. In comparison to palliative care in adults, the knowledge about palliative care in children is lim­ ited. To facilitate the decision of when to start palliative care, an instrument for health professionals has been devel­ oped. The instrument, called Paediatric Palliative Screening Scale (PaPaS Scale), builds on five domains shedding light on the child's illness: 1) trajectory of disease and impact on daily activities;

M in i- R e v i e w

2) treatment options and burden of treatment; 3) symptoms, controllabil­ ity, and problem burden; 4) preferences of patient or parents; and 5) life expec­ tancy. The aims of a reasonably starting palliative care are quality of life and the ability to actively create the rest of life. Key messages: palliative care - children - indication - instrument

P rax is 2 015; 1 0 4 (6 ): 2 8 7 - 2 9 1

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In te re s s e n s k o n flik t: D ie A u to r in e r k lä r t, dass k e in In te r e s s e n s k o n flik t b e s te h t.

M a n u s k r ip t e in g e re ic h t: 31.12.2014, r e v id ie r te F a ssu n g a n g e n o m m e n : 6.1.2015

Bibliografie 1.

T o g e th e r f o r S h o rt Lives. D e fin itio n s . C h ild re n 's p a llia tiv e ca re B ris to l 2014

Resume

[14.12.2014]. A v a ila b le f r o m : h t t p : / / w w w . to g e th e r fo r s h o r tliv e s .o r g .u k /p r o fe s s io n -

Les soins palliatifs chez les enfants ne sont pas encore beaucoup developpes en Suisse et en comparaison des soins palliatifs chez l'adulte les connaissances dans ce domaine sont limitees. Pour mettre en route des soins palliatifs de maniere justifiee au bon moment, un outil a ete developpe pour aider les professionnels ä prendre des decisions qui sont difficiles. Cet outil, connu sous l'appellation de Paediatric Palliative Screening Scale (PaPaS Scale) se base sur cinq domaines importants ä prendre en compte chez l'enfant malade: 1) les effets de la maladie sur le quotidien de l'enfant; 2) les possibility therapeutiques et l'importance de la charge induite par la therapie; 3) les symptomes et la possibilite de les contröler; 4) les souhaits du malade et de ses parents; 5) l'esperance de vie. Le but de la mise en route de soins palliatifs au bon moment est d'offrir la meilleure qualite de vie et condition de sante pour le temps qui reste ä vivre. Mots-cles: soins palliatifs chez l'enfant - indication - outil decisionnel

a ls /c h ild re n s _ p a llia tiv e _ c a r e _ e s s e n tia ls / d e fin itio n s . 2.

B e rg s tra e s s e r E, H a in RD, P e re ira JL :T h e d e ­ v e lo p m e n t o f a n in s t r u m e n t t h a t can id e n ­ t i f y c h ild r e n w it h p a llia tiv e c a re n e e d s : th e p a e d ia tr ic p a llia tiv e s c re e n in g sca le (PaPaS S cale): a q u a lita tiv e s tu d y a p p ro a c h . BM C P a llia t C are 2013; 1 2 :2 0 .

3.

B e rg s tra e s s e r E, P aul M , R u fib a c h K, H a in RD, H e ld L :T h e P a e d ia tric P a llia tiv e S c re e n ­ in g Scale: F u r th e r v a lid it y t e s t in g . P a llia t M e d 2013; 2 8 :5 3 0 -5 3 3 .

K o rre s p o n d e n z a d re s s e

PD Dr. med. Eva Bergsträsser Leitende Ärztin Palliative Care Universitäts-Kinderspital Eleonorenstiftung Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich eva. bergstraesser@kispi. uzh. ch

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§ e j ^ u i 94 u a p n z u a iJ O M ju v

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[When should palliative care for children with life-threatening illnesses begin?].

Les soins palliatifs chez les enfants ne sont pas encore beaucoup développés en Suisse et en comparaison des soins palliatifs chez l'adulte les connai...
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