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Ursachensuche bei Polyneuropathie

Wenn es kribbelt, brennt und schmerzt Klagt ein Diabetiker oder Alkoholiker über Muskelschwäche, Parästhesien oder Schmerzen in den Extremitäten, liegt die Diagnose „Polyneuropathie“ nahe. Ansonsten kann die ursächliche Abklärung einer Polyneuropathie jedoch durchaus schwierig sein. An welche Erkrankungen müssen Sie denken, und wie lässt sich die Verdachtsdiagnose sichern?



Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die mehrere Nerven betreffen, werden als Polyneuropathien bezeichnet. Neben den peripheren Nerven können auch das Vorder- und Hinterhorn des Rückenmarks, die Spinalganglien und die Hirnnerven beteiligt sein. Je nach Ursache können motorische, sensible oder vegetative Nerven isoliert oder gemeinsam geschädigt sein, woraus sich das individuell unterschiedliche Beschwerdemuster ergibt. Die Erkrankung kann das Myelin oder das Axon betreffen. Die Symptome können sich an den Extremitäten proximal oder distal und symmetrisch oder asymmetrisch manifestieren. Meist gehen die sensiblen Symptome den motorischen voraus.

tiert werden. Die vorherrschende Symptomatik wird vom betroffenen Faser-Typ bestimmt: Small-fiber verursachen brennende Schmerzen in den Füßen, large-fiber dagegen Störungen des Vibrationsempfindens und Ataxie. Bei der demyelisierenden Form stehen Parästhesien im Vordergrund, bei der axonalen Form Schmerzen und Dysästhesien.

© Jim Varney / SPL / Agentur Focus

Buntes klinisches Bild Mit einer Inzidenz von 2–8% ist die Polyneuropathie keine seltene Erkrankung“, sagte Dr. Klaus Demuth, Stuttgart. Steht die Muskelschwäche im Vordergrund, muss differenzialdiagnostisch eine Myopathie und eine neuromuskuläre Erkrankung wie eine Myasthenia gravis disku-

Stimmgabeltest: Bei diabetischer Polyneuropathie ist das Vibrationsempfinden eingeschränkt.

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Breites Ursachenspektrum Mit ca. 30% ist der Diabetes mellitus die häufigste Ursache einer Polyneuropathie, gefolgt vom Alkoholabusus, der bei jedem vierten Betroffenen den Auslöser darstellt. „Nicht selten entwickelt sich die Polyneuropathie bereits bei Prädiabetikern bzw. Patienten mit einer gestörten Glukosetoleranz“, so Demuth. Die diabetische Neuropathie ist typischerweise distal symmetrisch lokalisiert. Im Vordergrund stehen Störungen der Sensibilität. Nicht selten kommt es auch zu vegetativen Störungen, und auch Hirnnerven können beteiligt sein. Weitere Ursachen einer Polyneuropathie sind: Medikamente wie Chemotherapeutika, Vitamin B-Mangel, Infektionen wie die Borreliose oder HIV, paraneoplastische Syndrome, autoimmunologische Erkrankungen wie Vaskulitis, Lymphome, Paraproteinämien bzw. multiples Myelom und hereditäre Formen. Findet sich keine eindeutige Ursache, spricht man von einer chronischen idiopathischen axonalen Polyneuropathie. Der Schlüssel zur Diagnose „Anamnese und klinische Untersuchung sind der Schlüssel zur Diagnose“, so Demuth. Mit dem Romberg-Standversuch kann eine Afferenzstörung nachgewiesen werden. Schon mit bloßem Auge

können Muskelatrophien erkannt und mit einfachen Übungen wie Stuhlsteigen Paresen erfasst werden. Unverzichtbar ist die umfassende Sensibilitätsprüfung. Dabei müssen Schmerz-, Kälte-, Wärmeempfinden ebenso geprüft werden wie die Oberflächensensibilität mit einem Wattestäbchen und das Vibrationsempfinden mit der Stimmgabel. Die Stereognosie, also das Erkennen von Gegenständen mit Hilfe des Tastsinns, lässt sich mit einer Münze oder einer Büroklammer beurteilen. Bei den Laboruntersuchungen sollte man sich von der vermuteten Ursache leiten lassen. Unverzichtbar sind Blutzucker-Werte bzw. HbA1c-Wert, CK, Schilddrüsenfunktionswerte, Vitamin B 12 und Folsäure, eine Immunelektrophorese und evtl. Autoantikörper wie ANA und ANCA. Bei Verdacht auf eine entzündliche Ursache ist auch eine Liquoruntersuchung sinnvoll und in Einzelfällen eine Hautbiopsie. Die Indikation für eine Nervenbiopsie sollte sehr kritisch gestellt werden. „Eine Indikation besteht nur bei einer entzündlichen bzw. vaskulitischen Polyneuropathie, bei rasch progredientem Verlauf ohne Ursache und bei einer Small-fiber-Neuropathie mit negativem Hautbiopsiebefund“, so Demuth. Dr. Peter Stiefelhagen ■ ■ Quelle: 50. Ärztekongress, 31.1.2015 in Stuttgart

Polyneuropathie

Fazit für die Praxis 1. Das klinische Bild einer Polyneuropathie ist vielgestaltig und geprägt von Muskelschwäche, Schmerzen und Parästhesien.

2. Die häufigste Ursache ist der Diabetes mellitus gefolgt vom Alkoholabusus.

3. Nicht immer findet sich eine eindeutige Ursache.

4. Anamnese und klinische Untersuchung sind der Schlüssel zur Diagnose.

MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (6)

[When it tingles, burns and is painful].

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