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Weichen Wert hat die Messung des ,,Sängerformanten" in der Phoniatrie? F Klingholz

Zusammenfassung Der ,,Sdngerformant" ist em artikulatorisches Phanomen. Stimmfeldmel3geräte geben vor, ihn zu bestimmen. Die Geräte erfassen aber eher die Obertonenergie oder den Gerduschgehalt der Stimme (Mehrdeutigkeit). Die von den Mel3geräten gelieferte Stimmeffektivitat, die sieh aus dem Verhaltnis von Sehalidruck im Frequenzband von 2 bis 5 kHz zu Gesamtsehalldruck ermittelt, ist eine physikalisch und phy-

siologiseh undefinierte Grol3e, die niehts mit der Effizienz oder Leistungsfdhigkeit des Stimmapparates zu tun hat.

Phoniatric Aspects of the Measurement of the Singing Formant - ________ The singing formant is the product of an articulatory gesture. Devices for phonetogram measurement often claim the ability to determine it. However, they measure rather the overtone content or the noise of the voice than the formant. Moreover, the voice efficiency (ratio of the sound pressure in the frequency hand 2—5 kHz to the total sound pressure), also

measured by these devices, is not defined in a physical or physiological sense. Such measurement does not evaluate the efficiency of the vocal apparatus.

Schlüsselwörter

Key words

Stimmfeldmel3gerdt — Stimmeffektivität — Stimmapparat

Singing formant — Phonetogram —Voice efficiency — Vocal apparatus

Sdngerformant

Seit einigen Jahren wird im Zusammenhang mit Stimmerkrankungen vom ,,Skngerformant" gesprochcn. Da cm Formant jedoch em artikulatorisches Phdnomen ist und offensichtlich mit der gesunden trainiertcn Stimme in Zusammenhang steht, mul3 gefragt werden, wie er mit der kranken Stimme in Verbindung zu bringen ist, oh seine Messung sinovoll ist und oh kbufliche Geräte, die ihn zu messen vorgeben, datEr tauglich sind.

Der vom glottalen Schwingungsmcchanismus erzeugte primäre Stimmklang wird im Vokaltrakt (Ansatzrohr) modifiziert. Dabei passiert die Klangenergie in bestimmtcn Frequenzbereichen das Ansatzrohr mit wenig Verlusten, während

die restliche Energie dissipiert. Die Bereiche guter Passage nennt man Formanthereiche. Sic liegcn um die Resonanzfrequenzen, mit denen die Luftsdule im Vokaltrakt schwingt. Entsprechend der geometrischen Konfiguration des Ansatzrohres gibt es fiirjeden Laut einen Satz von mehreren Formantfrequenzen, die sich zu einem gewissen Grad den Hohlrãumen, die das Ansatzrohr bilden (Rachen-, Mund-, Nasenraum) zuordnen las-

sen. Formanten gehhrcn also zur Artikulation und nicht zur glottalen Stimmerzeugung.

Bartholomew (1) beschrieb als erster akustisch cxakt, daB im Stimmspektrum mannlicher Probanden bei gehaltenen Vokalen em spektrales Encrgiemaximum zwischen 2600 und 3200 Hz auftritt, das er der Luftresonanz im Kehlkopfraum

zuordnete. Winkel (4) untersuchte systematisch Sänger und fand

einen Zusammenhang zwischen der Qualitdt der Singstimme (Tragfdhigkeit, Durchdringungsfdhigkeit) und der Ausprdgung dieses Energiemaximums. Damit hat er sicherlich den Grundstein datEr gelegt, daB man heute das Vorhandensein des Energiemaximunls als glcichbedeutend mit gutcr Stimmqualität betrachtet. Sundberg (3) lddrte dann den physiologischen Mecha-

nismus der Erzeugung des in der Zwischenzeit ,,Sdngcrformant" (singing formant) genannten Phanomens auf Danach fiihrt eine artikulatorische Einstellung, bei der der Kehlkopf abgesenkt und der Pharynx geweitet wird dazu, daB sich der VokalKehlkopf als em gesondcrter Resonator ,,vom trakt absetzt" (mismatching) und eine eigene Rcsonanzfrequcnz beitragt, die zwischen drittcm und viertem Formanten licgt. Auf diese Weise wird bei 3 kI-lz em Konglomerat aus Formanten gebildet, da die Artikulationsstellung auch em Zusammenrükken dieser Formanten bewirkt (Abb. 1 a). Der ,,Sängerformant" ist bei tieferen Stimmgattungen starker ausgeprägt, d. h. beim Sopran also kaum zu identifizieren.

Der ,,Sängerformant" ist also em durch gesangstechnische Mittel erzeugtes Energiemaximum bei 3 kHz, das sich aus mehreren Formanten zusammensetzt und kein isolierter Formant, wie seine Bezeiehnung vermuten ldBt. Es sind seit ldngerer Zeit Geräte aufdem Markt (z. B. TuR SF 02, Atmos SM 03), die diesen Formanten messen sollen, um dem Phoniater Hinweise auf die Stimmqualität sei-

ncr Patienten zu geben. Diese Geräte erfassen neben dem Laryngo-Rhino-Otol. 71(1992) 581—583 Georg Thieme Verlag Stuttgart New York

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Klioik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke, Universität München, Abteilung für Phoniatrie

E K/in gholz

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Abb. 1 a Spektrum mit ,,Sangertormant": das Spektrum zeigt die Giptel der vier Formanten und die Kehlkopfresonanz bei 3 kHz; Spektren mit einer Zunahme der Energie zwischen 2 und 5 kHz als Folge der artilculatorischen Ausbildung des ,,Sangerformanten" b, einer aligemeinen Zunahme der Obertonintensitat c und einer vermehrten Gerauschintensität d.

0

0 b

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I4 FREQUENZ, kHz

FREQUENZ. kHz

Stimmsehalldruck im gesamten Frequenzbereich auch den Sehalldruck zwisehen 2 and 4 bis S kHz.

Wenn im Frequenzbereich zwisehen 2 und S kHz Energie gemessen wird, so ist damitaber nieht gesagt, daB diese Energie den ..Sängerformant" repräsentiert. Wenn es keine Gerãuschenergie ist, dann ist es lediglieh Oberwellenenergie in einem Frequenzbereieh, in dem vielleieht aueh das Formantkongl omerat ,, Sängerformant" auftauehen könnte. 1st namlieh

die SchluBzeit der Glottis sehr lang, d.h. ist die Glottis nur kurzzeitig offen, so cntsteht em sehr obertonreieher Kiang.

Wenn dagegen keine SchluBphase vorhanden ist, dann entsteht

em obertonarmer Klang. In Wirkliehkeit wird also eher em glottaler Effekt bei der Messung des ,,Shngerformanten" erfaBt.

Der ,,Sangerformant", d.h. die Messung des

ist aus naturwissensehafttieh-technischer Sieht aus drei (irOnden Kritik xii Uben. 1. Die EffektivitOt bezieht sieh immer auf Energien oder Leistungen. Zum Beispiel ist der Effektivwert einer zeitlieh variierenden GröBe der energetische Mittelwert. Em Pegelver-

haltnis F/P ist physikaliseh nieht definiert and hat keine perzeptive Relevanz. Aaeh wenn sich das MaR ,,in der Praxis bewOhrt", ist es nieht akzeptabel, da es em MaO gibt, das das gleiehe leistet und korrekt ist die Pegeldifferenz (F—P). Die Pegeldifferenz ist nOmlieh äquivalent zum Verhaltnis: Energie (2—S kHz)/Gesamtenergie.

2. Generell bezieht sieh die Effektivitat eines Systems auf das Verhältnis von Output xii Input. 1st es relativ groB, d. h. geht wenig Energie im System verloren, dann arbeitet das System effektiv. Die EffektivitOt, die das Stimmfeldmel3gerOt vorgibt xii ermitteln, ist aber nur auf den Output beschrOnkt, denn es werden keine Inputdaten (Atemparameter) des Stimmapparates erfaRt. Also hat diese MeBgrofle niehts mit einer Effekti-

Fonrianttripels aus drittem, viertem Formanten and Kehlkopfresonanz kann nur frequenzanalytisch erfolgen (Abb. 1 a). Dann zeigt sieh, ob der Effekt em artikulatoriseher (Formantkonglomeratisierung, Abb. 1 b), em glottaler (Zunahme der Obertonintensität, Abb. 1 c) oder em Gerhusch ist (Abb. I d).

vität zu tun. 3. Das Stimmfeldme0gerat vergleieht die Energie im Frequenz-

Wenn also mit den genannten Geräten bei einer Rekurrensparese vor Therapie em kleiner und nach Therapie em

band von 2 his 5 kHz zur Gesamtenergie im Stimmklang. Diese Vorgehensweise wird aber oft benutzt, am den hochfrequenten Gerauschanteil im Stimmsignal zu bewerten (z.

grol3er ,,SSngerformant" gemessen wird, hat das niehts mit einem Formanten zu tun. Das wiirde ja bedeuten, daB der Patient in der Zwisehenzeit eine Gesangsausbildung absolviert hat. Vielmehr ist er dureh Stimmtraining zur Erhdhung der glottalen Sehlul3fdhigkeit zu einem obertonreieheren Stimrnklang gekommen. Der Phoniater ist besser beraten, dieses mit einem Klangspektrum (z. B. Sonagramm) zu dokumentieren. Die emgangs gestelite Frage, ob die Messung des ,,Sängerformanten"

bei kranken and untrainierten Stimmen einen Wert hat, kann also eindeutig mit nein beantwortet werden.

Die Messung des Schalldruekpegels (P) und des Schalldruckpegels des ,,Sãngerformanten" (F) wird aueh benutzt, um em weiteres MaO, die Stimmeffektivitat E =F/P• 100%, zu erfassen (Atmos SM 03). An dieser Vorgehensweise

B. Fukazawa et al. [2]). Die Verhältnisse werden damit paradox. MilE man nOmlieh im Frequenzband einen hohen Pegel F, der durch Gerauseh (ineffektive Stimmgebang) bedingt ist, dann wOre die EffektivitOt, mit dem StimmfeldmeBgerOt ermittelt, sehr gut (Abb. 1 d).

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Laryngo-Rhino-Otol. 71 (1992) 583

Scingerformant

Literatur I Bartholomew, W T: A physical definition of "Good Voice-Quahty"

in the male voice. J. Acoust. Soc. Am. 6 (1934) 25 33 Fukazawa, T, Blaugrund, S. M., El-A ssuooty, A., Gould, WJ: Acou-

stic analysis of hoarse voice: A preliminary report. J. Voice 2 (1988)

Klinik und Poliklinik fir Hals-, Nasen- und Ohrenkranke, Universität München, Abteilung für Phoniatrie Pettenkoferstr. 4 a 8000 München 2

127 131 Sundberg, J: Articulatory interpretation of the "singing formant". J. Acoust. Soc. Am. 55 (1974) 838—844

Winkel, F: How to measure the effectiveness of stage singers voice. Folia Phoniat23 (1971) 228 233

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Prof Dr Dr Fritz Klingholz

[What is the value of measuring "singer's formant" in phoniatry?].

The singing formant is the product of an articulatory gesture. Devices for phonetogram measurement often claim the ability to determine it. However, t...
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