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Klingt einfach, ist es aber nicht!

Onnen Moerer • Steffen Weber-Carstens

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PD Dr. med. Onnen Moerer ist Leiter des Geschäftsfelds Intensivmedizin der Klinik für Anästhesiologie, Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen. E-Mail: omoerer@ med.uni-goettingen.de

Frühzeitige Planung Die Beatmung im Rahmen der Behandlung einer akuten, akut auf chronischen oder chronischen respiratorischen Insuffizienz kann im Sinne der Stabilisierung und Sicherstellung von Gasaustausch, Atemweg und Atemarbeit eine für den Patienten lebenssichernde Maßnahme sein. Gleichzeitg ist jedoch sehr gut belegt, dass eine lang andauernde invasive Beatmung mit einem schlechteren Überleben des Patienten assoziiert ist [3]. Darum müssen sich Intensivmediziner schon bei der Indikationsstellung und Initiierung einer Beatmung darüber Gedanken machen, wie die Entwöhnung von der Beatmung anschließend gelingen kann. Diesen Umstand spiegelt der im Zusammenhang mit Respiratorentwöhnung häufig benutzte Ausdruck wieder: „Die Respiratorentwöhnung beginnt mit der Intubation“. Unter Einhaltung der in den letzten Jahren entwickelten Konzepte einer zielorientierten Sedierung in Verbindung mit der Anwendung von Spontanatmungsprotokollen hat der Anteil der Respiratorentwöhnung an der Gesamtbeatmungszeit möglicherweise noch zugenommen.

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Die Zahl beatmeter Patienten auf Intensivstationen steigt stetig [1]. Dies betrifft v. a. Patienten mit (akuter) prolongierter maschineller Beatmung, für die kürzlich für die USA eine jährliche Zuwachsrate von 5,5 % geschätzt wurde. Bis zum Jahr 2020 kommt es demnach im Vergleich zum Jahr 2000 zu einem Anstieg von 250 000 Fällen auf 605 898 Fälle / Jahr, d. h., dass sich die Zahl der Fälle mehr als verdoppelt [1]. Erkrankungen des respiratorischen Systems sind mittlerweile nach den kardiovaskulären Erkrankungen die häufigste Ursache für eine Behandlung auf einer Intensivstation [2]. Die Respiratorentwöhnung nimmt in der Behandlung beatmeter Patienten eine zentrale Rolle ein. Esteban et al. beschrieben 2002 [3], dass > 50 % der gesamten Beatmungsdauer auf die Entwöhnung vom Respirator entfällt. Vor dem Hintergrund der o. g. Prognose muss alles daran gelegt werden, sowohl die Beatmungsdauer verlängernde beatmungsassoziierte Komplikationen zu minimieren als auch den Prozess der Entwöhnung von der Beatmung zu optimieren.

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Klassifizierung Wegweisend für die Charakterisierung und Verbesserung von Therapiekonzepten ist die Abgrenzung des Entwöhnungsprozesses von der Langzeitbeatmung. Dies ist mit Hilfe der „Weaning“-Klassifizierung anhand dezidierter Kriterien in eine „einfache“, „schwierige“ oder „prolongierte“ Entwöhnung durch eine Task Force von 5 internationalen Fachgesellschaften gelungen [4|. Auf Basis dieser Definition wissen wir mittlerweile, dass die Weaning-Versagerquote im Rahmen der prolongierten Entwöhnung im Vergleich zu den beiden Kategorien einfaches und schwieriges Weaning deutlich höher ist. Auch weisen Patienten mit prolongierter Entwöhnung eine erhöhte Mortalitätsrate auf, während sich diese zwischen Patienten mit einfacher und schwieriger Respiratorentwöhnung nicht zu unterscheiden scheint [5]. Einflussfaktoren Der Prozess der Respiratorentwöhnung wird allerdings auch signifikant durch die der respiratorischen Insuffizienz zugrundeliegenden Erkrankung sowie von pathophysiologischen Besonderheiten einzelner Patientengruppen bestimmt. Diesen Umstand grei-

Moerer O, Weber-Carstens S. Respiratorentwöhnung – Klingt einfach, ist es aber nicht! Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48: 608–609

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Respiratorentwöhnung

Klingt einfach, ist es aber nicht! q Definition und klinischer Kontext aus Sicht der Pneumologie q Definition und klinischer Kontext aus Sicht der Neurologie q Definition und klinischer Kontext aus Sicht der Pädiatrie q Definition und klinischer Kontext aus Sicht der Anästhesie q Die Atemmuskelpumpe ̶ Bedeutung für die Respiratorentwöhnung q Welche Verfahren sind geeignet q

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Anästhesie und Pneumologie Zentrales Thema, das beispielsweise sowohl seitens der Pneumologie (Schönhofer et al.) als auch aus der Perspektive der anästhesiologischen Intensivmedizin (Bickenbach et al.) aufgegriffen wird, ist die Notwendigkeit einer umfassenden Verbesserungen der Qualität der Beatmungsentwöhnung. Die Basis einer erfolgreichen Entwöhnungstherapie ist zum einen eine hohe Expertise innerhalb des behandelnden Teams, zum anderen scheint die Beschreibung und Festlegung von Struktur- und Prozessqualität hinsichtlich der Entwöhnung von der Beatmung insbesondere für Patienten mit schwieriger oder prolongierter Entwöhnung die Versorgungsqualität für diese Patienten zu verbessern [6,7]. Pathophysiologie der Atemmuskelpumpe Bei allen Patienten, die einer prolongierten Respiratorentwöhnung bedürfen, steht die Pathophysiologie der Atemmuskelpumpe im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen während der Entwöhnungstherapie. Im Beitrag von Pickerodt et al. widmen sich die Autoren neben der Pathophysiologie insbesondere den unterschiedlichen Verfahren, die Funktion der Atemmuskelpumpe zu erfassen, und beurteilen den Stellenwert der

Konzepte und Verfahren Die verschiedenen Konzepte und Verfahren, die uns für die Entwöhnung von der Beatmung zur Verfügung stehen, werden im letzten Beitrag von Onnen Moerer übersichtlich zusammengefasst. Neu entwickelte Beatmungsverfahren, welche die Beatmungseinstellungen teil- oder vollautomatisiert zeitnah an eine sich verändernde klinische Situation anpassen, werden nach Ansicht des Autors künftig möglicherweise an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus wird aus dem Beitrag deutlich, dass es nicht einen optimalen Entwöhnungsmodus gibt, der auf alle Patienten gleichermaßen anwendbar ist. Vielmehr verdeutlichen alle Artikel dieses Topthemas, dass die erfolgreiche Entwöhnung von der Beatmung neben der Beachtung und Anwendung von Therapieprotokollen ganz wesentlich von einer individualisierten Anpassung der Therapie an die Bedürfnisse der einzelnen Patienten abhängt.

PD Dr. Steffen Weber-Carstens gehört zu erweiterten Klinikleitung der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin. E-Mail: Steffen.Weber-Carstens@ charite.de

Wir wünschen Ihnen eine gewinnbringende Lektüre dieses AINS-Topthemas. Onnen Moerer und Steffen Weber-Carstens

Literaturverzeichnis 1 Zilberberg MD, de Wit M, Pirone JR, Shorr AF. Growth in adult prolonged acute mechanical ventilation: Implications for healthcare delivery. Crit Care Med 2008; 36: 1451– 1455 2 Lilly CM, Zuckerman IH, Badawi O et al. Benchmark data from more than 240,000 adults that reflect the current practice of critical care in the united states. Chest 2011; 140: 1232–1242 3 Esteban A, Anzueto A, Frutos F et al. Mechanical Ventilation International Study Group. Characteristics and outcomes in adult patients receiving mechanical ventilation: a 28day international study. JAMA 2002; 287: 345–355 4 Boles J-M, Bion J, Connors A, Herridge M et al. Weaning from mechanical ventilation. Eur Respir J 2007; 29: 1033– 1056 5 Funk G-C, Anders S, Breyer M-K et al. Incidence and outcome of weaning from mechanical ventilation according to new categories. Eur Respir J 2010; 35: 88–94 6 Bingold T, Bickenbach J, Coburn M et al . DGAI-Zertifizierung anästhesiologische Intensivmedizin: Entwöhnung von der Beatmung. Anästh Intensivmed 2013; 54: 522–524 7 Schönhofer B. Weannet – Strukturierte Entwöhnung vom Respirator. Dtsch Arztebl 2011; 108: A2768–2770

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0033-1358623

Moerer O, Weber-Carstens S. Respiratorentwöhnung – Klingt einfach, ist es aber nicht! Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48: 608–609

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Pädiatrie und Neurologie In ihrem Artikel zur Respiratorentwöhnung aus Sicht der Pädiatrie weisen Fuchs et al. auf Unterschiede zur Erwachsenenmedizin hin und es zeigt sich einmal mehr, dass die Datenlage für diesen Bereich insgesamt ungenügend ist. Beispielsweise bewerten die Autoren den Stellenwert der Tracheotomie bei pädiatrischen Patienten deutlich kritischer als es im Erwachsenalter der Fall ist. Auch weisen sie auf die technischen Probleme hin, die eine breitere Anwendung der nicht invasiven Beatmung in der Postextubationsphase behindern. Im zweiten Artikel gelingt es Wolfgang Müllges, dem Leser einen umfassenden Einblick in die akuten und chronischen neurologischen Krankheitsbilder zu verschaffen, die mit einer prolongierten Beatmungspflichtigkeit und schwieriger Entwöhnung einhergehen. Dabei zeigt er die Besonderheiten der Entwöhnungskonzepte bei diesen Patienten auf.

verschiedenen Methoden im klinischen Kontext. Die Beurteilung der Atemmuskelpumpenkapazität ist eine wesentliche Voraussetzung, um die eigentliche Beatmungsunterstützung optimal an die individuellen Bedürfnisse des Patienten anzupassen.

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fen die einzelnen Teil-Beiträge des aktuellen Topthemas „Respiratorentwöhnung“ auf. Die Autoren haben sich dabei die Aufgabe gestellt, Besonderheiten der Respiratorentwöhnung aus der Perspektive ihrer Fachbereiche zu beleuchten. Hierbei wird einerseits deutlich, dass wesentliche Themen der Beatmungsentwöhnung, wie z. B. die Frage des Stellenwerts von Protokollen, alle Autoren gleichermaßen beschäftigen. Gleichzeitig setzen die Autoren in ihren Betrachtungen ganz unterschiedliche Akzente und dem Leser werden in Kürze die Besonderheiten der behandelten Patienten nahegebracht.

[Weaning--sounds simple, but it is not!].

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