Leitthema: Phakomatosen Radiologe 2013 · 53:1104–1106 DOI 10.1007/s00117-013-2606-2 Online publiziert: 1. Dezember 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

W. Reith · H. Körner Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Von-Hippel-Lindau-  Syndrom Hintergrund Die Historie der Von-Hippel-Lindau(VHL)-Erkrankung liegt in den 1870er Jahren. Der Ophthalmologe Eugen von Hippel lieferte 1904 und 1911 die Beschreibung der Angiomatosis retinae und prägte für die Erkrankung diesen Begriff. Eine Klassifikation ist in . Tab. 1 aufgeführt. Ursächlich sind Keimbahnmutationen im VHL-Tumorsuppressorgen, von denen über 300 verschiedene Mutationen gezeigt werden konnten. Im Jahr 1993 gelang die Identifizierung des VHL-Gens auf dem kurzen Arm des Chromosoms 3 (3p25-26 [2]). Inzwischen sind mehrere hundert verschiedene Mutationen bekannt. Eine direkte molekulare Analyse ist aufwendig und schwierig, da verschiedene Mutationstypen das VHL-Syndrom auslösen können. Ein direkter Mutationsnachweis gelingt jedoch bei 75–94% der betroffenen Familien. Neue Mutationen werden bei ca. 10–30% der Patienten gefunden. Die Inzidenz liegt bei 1:36.000. Die klinischen Symptome beginnen meist um das 30. Lebensjahr. Die Patienten versterben häufig an intrazerebralen Blutungen, zerebralen Hämangioblastomen oder an inoperablen Nierenzellkarzinomen. Zwei Typen der VHL-Erkrankungen werden unterschieden: Typ VHL1 ohne Phäochromozytom und Typ VHL2 mit Phäochromozytom.

Klinik Die Symptomatik der VHL-Erkrankung ist v. a. von der Lokalisation der Tumoren abhängig [4]. Kleinhirnhämangioblasto-

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me können zu entsprechender Kleinhirnsymptomatik, wie z. B. Ataxie, Hydrozephalus etc. führen. Hämangioblastome im Kleinhirn zeigen sich bei knapp 70% der Patienten, retinale Tumoren bei ca. 50%. Da die VHL-Erkrankung überwiegend im 2. bis 4. Lebensjahrzehnt klinisch zu Symptomen führt, ist es das Ziel, die komplexen Probleme der Erkrankung zu erfassen. Wichtig für die Untersuchung ist auch, sich ein Bild darüber zu verschaffen, ob Familienangehörige Gesundheitsprobleme im Hinblick auf eine VHL-Erkrankung haben. Neben Laboruntersuchungen zur Bestimmung der Katecholamine, des Kreatinins und basalen Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) empfiehlt es sich, Blutzucker, Insulin, CPeptid und Gastrin zu bestimmen. Eine molekulargenetische Analyse des VHLGens ist in Absprache mit einem humangenetischen Zentrum möglich. Eine viszerale Diagnostik zur Untersuchung abdomineller Manifestationen der VHL-Erkrankung ist notwendig [5]. Bei Verdacht auf das Vorliegen von Phäochromozytomen sollten ergänzende nuklearmedizinische Untersuchungen erfolgen. Die MRT ist aktuell die Standarduntersuchung zum Nachweis abdomineller Beteiligungen. Die CT-Untersuchung des Abdomens mit Kontrastmittel stellt eine Alternative dar [6]. Hinsichtlich einer ZNS-Beteiligung bei der VHLErkrankung ist es notwendig, eine MRTUntersuchung mit Kontrastmittel des Kopfs und der gesamten Neuroachse einschließlich koronarer, transversaler und sagittaler Schichten nach Kontrastmittelgabe durchzuführen. Die Tumoren soll-

ten ausgemessen und mit Voraufnahmen verglichen werden. Große Bedeutung bei ZNS-Tumoren haben der Nachweis und die Größe von Zysten. Wichtig ist die Erkennung eines perifokalen Ödems, woraus sich eine gewisse Aktivität ableiten lässt. Indikationen zur Operation ergeben sich aus Lage, Größe und Größenzunahme sowohl der soliden Tumoren als auch der häufig nachweisbaren Tumorzysten. Bei MRT-Untersuchungen des Kopfs ist darauf zu achten, dass die bei der VHLErkrankung selten vorkommenden Endolymphsacktumoren (ELST) des Innenohrs miterfasst werden. Bei Hörminderung oder vestibulär bedingtem Schwindel sollte ergänzend eine DünnschichtCT der Felsenbeine angefertigt werden. Eine Augenuntersuchung muss Bestandteil des Untersuchungsprogramms sein. Retinale Angiome können durch Lasertherapie koaguliert werden. Regelmäßige Untersuchungen in mindestens jährlichen Abständen sind für die meisten Organsysteme sinnvoll. Charakteristische Befunde im CT und MRT sind zerebelläre Zysten mit einem Tab. 1  Klassifikation der Von-Hippel-Lin-

dau-Erkrankung. (Nach [3]) VHL-Typ 1 2A

2B 2C

Phänotyp Vorwiegend ohne Phäochromozytom Vorwiegend mit Phäochromozytom, aber ohne Niervenzellkarzinom Vorwiegend mit Phäochromozytom und mit Nierenzellkarzinom Vorwiegend ausschließlich   Phäochromozytom

Abb. 1 8 a In der T2w-Sequenz zeigt sich eine zystische Raumforderung in der rechten Kleinhirnhemisphäre mit Umgebungsödem und beginnender Kompression des 4. Ventrikels. b In der Fluid-attenuated-inversion-recovery(FLAIR)-Sequenz ist zu erkennen, dass die Zystenflüssigkeit anscheinend vermehrt eiweißreiche Flüssigkeit enthält und nicht liquorisointens erscheint. c, d In den T1w-Sequenzen vor und nach Kontrastmittelapplikation zeigt sich ein stark enhancender Tumorknoten am lateralen Rand der Zystenwand. Die Zystenwand selbst nimmt kein Kontrastmittel auf. e In den koronaren Schichten ist der stark vaskularisierte enhancende Tumorknoten am lateralen, oberen Zystenrand zu sehen. (Aus [7])

kleinen, nodulären, stark Kontrastmittel anreichernden Tumorknoten.

Bildgebende Diagnostik In der CT erscheinen Hämangioblastome normalerweise als zystische oder solide Raumforderungen in der hinteren Schädelgrube. Der solide Tumoranteil zeigt meist ein homogenes kräftiges Kontrastmittelenhancement. Kleine solide Tumoranteile können jedoch nicht immer mit der CT nachgewiesen werden. Ein Hämangioblastom kann angiographisch bestätigt werden, da der solide Tumorknoten typische durchblutete Gefäßstrukturen besitzt oder einen ausgedehnten kräftigen Tumorblush aufweist. In der MRT zeigt sich in den T1-gewichteten Sequenzen meist eine zystische Raumforderungen mit einem wand-

ständigen, leicht hyperintensen Knoten (. Abb. 1a–e). Dieser wandständige hyperintense Knoten kann in den T1-gewichteten Sequenzen oft „flow voids“ aufweisen, die Ausdruck der kräftigen Vaskularisation sind. Nach Kontrastmittelgabe zeigt sich dann ein kräftiges homogenes Enhancement. Bei allen Patienten mit Verdacht auf eine VHL-Erkrankung sollte die gesamte Neuroaxis magnetresonanztomographisch untersucht werden.

Fazit für die Praxis F Hämangioblastome sind relativ seltene, benigne Tumoren vaskulären Ursprungs mit einer Häufigkeit von 1–2,5% aller intrakraniellen Neoplasien.

F Die meisten Hämangioblastome werden im jungen und mittleren Erwachsenenalter diagnostiziert. F Etwa 10% der Hämangioblastome kommen gemeinsam mit retinalen Angiomen vor, eine Konstellation, die als Von-Hippel-Lindau-Erkrankung bezeichnet wird. F Charakteristische Befunde im CT und MRT sind zerebelläre Zysten mit einem kleinen, nodulären, stark Kontrastmittel anreichernden Tumorknoten. F Bei allen Patienten mit Verdacht auf eine Von-Hippel-Lindau-Erkrankung sollte die gesamte Neuroaxis magnetresonanztomographisch untersucht werden.

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Zusammenfassung · Abstract Korrespondenzadresse Prof. Dr. W. Reith Klinik für Diagnostische   und Interventionelle Neuroradiologie,   Universitätsklinikum des Saarlandes, 66424 Homburg/Saar [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  W. Reith und H. Körner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur 1. Böhlin T, Plate KH, Haltia M et al (2000) Von HippelLindau disease and capillary haemangioblastoma. In: Kleihues P, Cawenee WK (Hrsg) Pathology and genetics of tumours of the nervous system. World Health Organization, Lyon, S 223–226 2. Bausch B, Boedeker CC, Berlis A et al (2006) Genetic and clinical investigation of pheochromocytoma: a 22-year experience, from Freiburg, Germany to international effort. Ann N Y Acad Sci 1073:112– 137 3. Neumann HPH, Cybulla M, Gläsker S et al (2007) Von-Hippel-Lindau-Erkrankung. Interdisziplinäre Patientenversorgung. Spektr Augenheilkd 21(5):271–278 4. Collins ET (1894) Intra-ocular growths. Two cases, brother and sister, with peculiar vascular new growth, probably primarily retinal, affecting both eyes. Trans Ophtalmol Soc U K 14:141–149 5. Walz MK, Alesina PF, Wenger FA et al (2006) Laparoscopic and retroperitoneoscopic treatment of pheochromocytomas and retroperitoneal paragangliomas: results of 161 tumors in 126 patients. World J Surg 30:1–10 6. Hoegerle S, Nitzsche E, Altehoefer C et al (2002) Pheochromocytomas: detection with 18F DOPA PET, initial results. Radiology 222:507–512 7. Ertl-Wagner B (2007) Pädiatrische Neuroradiologie, Springer, Berlin Heidelberg New York, S 265

Radiologe 2013 · 53:1104–1106 DOI 10.1007/s00117-013-2606-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 W. Reith · H. Körner

Von-Hippel-Lindau-Syndrom Zusammenfassung Das Von-Hippel-Lindau-Syndrom ist eine autosomal dominant vererbte Phakomatose mit der Prädisposition ZNS und Retina sowie variabler Ausprägung mit Hämangioblastomen von Kleinhirn, Medulla oblongata, Rückenmark, Nierenkarzinomen, Phäochromozytomen, Pankreaszysten und Inselzelltumoren sowie Tumoren des Endolymphsacks des Innenohrs. Etwa ab dem 30. Lebensjahr treten klinische Symptome auf. Eine MRT-Untersuchung der Neuroaxis ist bei allen Patienten mit Verdacht auf eine Von-Hippel-Lindau-Erkrankung indiziert. Schlüsselwörter Phakomatose · Hämangioblastom · Phäochromozytom · Angiom · MRT

Von Hippel-Lindau syndrome Abstract Von Hippel-Lindau syndrome is an autosomal dominant inherited phacomatosis with a predisposition for the central nervous system and retina. There is variable expression with hemangioblastomas in the brain, medulla oblongata, spinal chord, renal carcinoma, pheochromocytoma, pancreatic cysts and islet cell tumors as well as tumors of the endolymphatic sac of the inner ear. Clinical symptoms occur first after an age of approximately 30 years. Magnetic resonance imaging (MRI) of the neuroaxis is indicated in all patients with a suspicion of von Hippel-Lindau syndrome. Keywords Phacomatosis · Hemangioblastoma · Pheochromocytoma · Angioma · Magnetic resonance imaging

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Fachnachrichten Adolf Wallenberg-Preis 2014 für Forschung zur Pathophysiologie von Hirnblutungen Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zeichnen Priv.-Doz. Dr. med. Christian Foerch, Oberarzt der Klinik für Neurologie der Goethe- Universität Frankfurt, für seine Forschung zur Antikoagulantien-assoziierten Hirnblutung mit dem Adolf Wallenberg-Preis aus. Er erforscht die Pathophysiologie von Hirnblutungen, die unter Gerinnungshemmern auftreten, mit Hilfe eines experimentellen Modells. Der Preis, der seit 1975 hervorragende Forschungsleistungen auf dem Gebiet der zerebrovaskulären Erkrankungen, der Hirndurchblutung oder des Hirnstoffwechsels würdigt, wurde am 18. September im Rahmen des 86. DGN-Kongresses in Dresden auf dem Symposium der Arbeitsgemeinschaft Herz und Hirn verliehen. Er wird an deutsche und ausländische Ärzte bis zum Alter von 40 Jahren vergeben und ist mit einer Geldprämie von 5000 Euro verbunden. Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)

[Von Hippel-Lindau syndrome].

Von Hippel-Lindau syndrome is an autosomal dominant inherited phacomatosis with a predisposition for the central nervous system and retina. There is v...
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