Schweiz. Ophthal. Ges., 67. Vers., Interlaken 1974 Ophthalmologica, Basel 172: 188 193 (1976)

«Visual evoked response» bei der Schielamblyopie Y. B ornstein Universitäts-Augenklinik (Vorsteher: Prof. F.

R in t e l e n ),

Basel

Seit dem ersten Beitrag von van B ai.i.en und H enckes 119601 wurden von mehreren Autoren «Visual-evoked-rcsponse»(VER)-Veränderungen bei der Schielamblyopie beschrieben. Es wurden Amplitudenreduktionen und Latenzverschiebungen des primären VER-Komplexes festgestellt. Andere Autoren fanden allerdings keine signifikanten Reduktionen der Amplituden oder Latenzverschiebungen des primären VER-Komplexes. Die Divergenz solcher Befunde können folgende Ursachen haben: 1. Nicht einheitliche Untersuchungsbedingungen. 2. Fixationsschwierig­ keiten während der Untersuchung. 3. Die Untersuchungen wurden aus­ schliesslich mit diffuser Lichtstimulation durchgeführt. T sutsui und N akamura [1973] untersuchten eine grössere Anzahl von amblyopen Patienten und verwendeten zur Stimulation ein schach­ brettähnliches Muster. Diese Autoren berichteten über VER-Veränderungen im Sinne von Amplitudenreduktionen und Latenzverschiebungen so­ wie von Veränderungen in der Struktur der VER-Kurve. Auch da lässt sich eine Kontamination von Illuminationsunterschieden nicht ausschliessen; es wurde zwar der Stimulus als Muster dargeboten, aber die Illumi­ nation während der Untersuchung war nicht konstant. S peckreijse et al. [ 1972] untersuchten einen einzigen amblyopen Pa­ tienten und verwendeten zur Stimulation eine Anlage, die ein Schach­ brettmuster alternierend wechseln konnte, bei konstanten IlluminationsVerhältnissen. Diese Arbeit beruht offensichtlich auf der bisher exaktesten Methode zur Erforschung der Amblyopie, aber sie ist sehr aufwendig. Da bei der funktionellen Amblyopie die Schwachsichtigkeit im Vordergrund

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Einleitung

Bornstein

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steht, ist es verständlich, dass man diese Tatsache zu objektivieren ver­ sucht mit der Hilfe von Musterdarbietungen und nicht mit den diffusen Illuminations-VER. Die Methode von S peckreijse et al. [ 19721 ist für experimentelle Zwecke geeignet, jedoch für die tägliche klinische Rou­ tineuntersuchung zu kompliziert. Ziel unserer Untersuchung war, ein möglichst einfaches, nicht kost­ spieliges Stimulationsgerät zu entwickeln, um ein alternierendes Schach­ brettmuster zur klinischen Routineuntersuchung im Sinne von VER zu ermöglichen.

Methodik Bei unseren Untersuchungen wurden die VER-Untersuchungen monopolar ab­ geleitet. Die aktive Elektrode wurde 2,5 cm oberhalb des Promontorium occipitale und die Rcfcrenzelektrode präaurikulär aufgesetzt. Die Verstärkung erfolgte über einen Tönnies-Vorverstärker mit der Bandbreite von 0,8-800 Hz und einer Zeit­ konstante von 1 sec. Mit den Ausgangspotentialen wird ein Computer gespiesen (CAT 1000), dessen Analysenzeit auf 500 msec eingestellt wurde, die erhaltene Kurve wird auf einem XY-Schreiber registriert. Der Patient sitzt in 1 m Distanz vor dem Monitor. Bei unseren Untersuchungen fixierten die Patienten ins Zentrum eines Viergradfeldes. Die einzelnen Muster, Rechtecke, sind kontinuierlich variierbar. Die durchschnittliche Leuchtdichte auf dem Schirm betrug 500 cd/nr-, Kontrast­ verhältnisse von 85%. Bei den Untersuchungen wurde in der Regel zuerst das nor­ male, dann das amblyope Auge untersucht, zur Analyse wurden 100 Einzelsignale addiert. Untersuchte Patienten. Aus unserer Sehschule wurde eine Gruppe von 5 amblyopen Kindern im Alter zwischen 5-15 Jahren ausgcwählt. Alle zeigten einen klcinwinkligen Strabismus mit parafoveolärer Fixation, die Binokularfunktionen waren rudimentär vorhanden. Die Sehschärfe der amblyopen Augen variierte von 0,1 bis 0,6. Die Untersuchungen wurden mehrmals wiederholt, um die abgeleiteten Potentiale besser vergleichen zu können. Die individuelle Streuung, in bezug auf Amplituden und Latenzzeit, ergab nicht mehr als 10%.

Die beschriebene Stimulations- und Ableitungsmethode ergibt eine charakteristische Kurvenform. Die fundamentalen Komponente der Kurve bei normalsichtigen Augen besteht aus einer ersten positiven, nach oben gerichteten Welle, die ein- oder zweigipflig sein kann, welche nach 80-110 msec auftritt. Die zweite ist eine nach unten gerichtete negative

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Resultate

Bornstein

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XY-Schreiber

CAT

Zahler

Amp. II

Amp. I

Abb. 1. Schematische Darstellung der Anordnung zur Ableitung von VERSignalen.

Welle, die nach 220-250 msec erscheint. Da die Messung der Amplitu­ den bei verschiedenen Individuen eine grosse Streuung aufweist, haben wir die relative Amplitudendifferenz zwischen dem normalen und dem amblyopen Auge beim gleichen Individuum als Massstab für die Reduk­ tion der Signale verwendet. Wir dürfen annehmen, dass die Reduktion der Amplituden um 40% einen signifikanten Wert darstellt. Die Ab-

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Abb. 2

«Visual evoked response» bei der Schieiamblyopie

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50 msec

Abb.3. Monokulare VER-Ableitung. Frequenz der alternierenden Musterwech­ sel 2 Hz.

50 msec

Schwächung der Amplituden wird deutlicher bei den amblyopen Augen, wenn man kleinere Rechtecke (kleiner als 52') verwendet, oder je schlech­ ter die Sehschärfe desto deutlicher die Abschwächung der VER-Komponente bei der Darbietung grösserer Rechtecke. Alle untersuchten am­ blyopen Patienten zeigten deutliche Amplitudenreduktionen schon bei der Anwendung der Rechtecke von 52'.

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Abb.4. Monokulare VER-Ableitung. Frequenz der alternierenden Musterwech­ sel 2 Hz.

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Bornstein Mustergrösse 26’

Abb.5. Monokulare VER-Ableitung. Frequenz der alternierenden Musterwech­ sel 24 Hz.

Die Latenzzeiten ergaben bei der Messung der positiven wie der ne­ gativen Deflektion keine nennenswerten Unterschiede bei normalsichti­ gen und amblyopen Augen. Die mittleren Stimulationsfrequenzen, be­ sonders jene zwischen 12 und 24 Hz, zeigten einen sehr deutlichen Un­ terschied. Während bei den normalsichtigen Augen noch deutliche korti­ kale Antworten registriert werden, zeigen die amblyopen Augen ein «Verschmelzungsphänomen».

B urian [1969] kommt zum Schlüsse, dass die funktionelle Amblyopie den Verlust einer physiologischen Dominanz der Foveola über die parafoveolären Funktionen unter photopischen Bedingungen darstellt. Diese Auffassung wird durch unsere Resultate bestätigt. Die gezeigten Befunde stimmen mit der kürzlich veröffentlichten Arbeit von A rden et al. [1974] sowie Speckreijse et al. [1972] überein: 1. Signifikante Ampli­ tudenreduktion bei amblyopen Augen gegenüber den normalsichtigen Augen. 2. Zeitliche Übereinstimmung der Latenzen der normalen und der amblyopen Augen. 3. Eine direkte Relation zwischen dem dargebo­ tenen Muster und der Sehschärfe, welche durch die Zunahme oder den Abfall der Amplituden erkennbar wird.

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Diskussion

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Für die klinische Routine scheint die Anwendung von strukturierten Lichtreizen in Form alternierender Schachbrettmusterdarbietungen sinn­ voller als diffuse Lichtreize zu sein, zumal das Formsehen bei der Am­ blyopie gestört ist. A rden et al. [1974] empfehlen, während der pleioptischen Therapie VER-Kontrollen durchzuführen, um Erfolge oder Miss­ erfolge der Therapie zu objektivieren. Das dürfte mit unserer Methodik einfach durchzuführen sein. Im übrigen muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass man bei therapierefraktären Amblyopien häufiger vom VER Gebrauch machen sollte, da mit dieser Methode unter Umständen vorliegende Schäden der Sehbahn erfasst werden. Literatur B. B.; B a r n a r d , W. M., and M u s h in , A. S.: Visually evoked responses in amblyopia. Br. J. Ophthal. 58: 183-192 (1974). B a l l en , . va n and H en c k es , E. M.: Attention and amblyopia. Br. J. Ophthal. 46: 12 20(1960). B u r ia n , H. M.: Pathophysiologie basis of amblyopia and of its treatment. Am. J. Ophthal. 67: 1 (1969). S pe c k r eijs e , H.: K o h e , L. H., and T w e l l , V. D.: A case of amblyopia, electrophysiology and psycophysics of luminance and contrast. The visual system. Neurophysiology and biophysics and their clinical application, p. 141 (Plenum Press, New York 1972). T s u t s u i , J. and N a k a m u r a , J.: VER in amblyopia. Jap. J. Ophthal. 17: 83-93 (1973).

Dr. Y.

Bo r n sto in ,

Universitäts-Augenklinik, Mittlere Strasse 91, CH-4056 Basel (Schweiz)

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A rden,

["Visual evoked response" in strabismus amblyopia].

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