Arzneimitteltherapie Internist 2015 · 56:838–846 DOI 10.1007/s00108-015-3734-8 Online publiziert: 11. Juni 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Redaktion:

M. Wehling, Mannheim

Akute Infektionen des Respirationstrakts zählen zu den häufigsten Erkrankungen weltweit. Zur Reduktion der Krankheitslast ist daher die Primärprophylaxe gegen impfpräventable bakterielle und virale Infektionskrankheiten indiziert, nicht nur im Kindes-, sondern auch im Erwachsenenalter. Aus pneumologischer Sicht haben insbesondere die Impfungen gegen Pneumokokken, Influenza-A- und Influenza-B-Viren sowie Bordetella pertussis klinische Relevanz [19, 25]. Sie werden von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut als Standardimpfungen im Erwachsenenalter empfohlen [37]. Im Folgenden wird daher auf die Krankheitslast der genannten Erkrankungen und auf die Wertigkeit der entsprechenden Impfungen eingegangen.

Pneumokokken Erreger und Krankheitslast Streptococcus pneumoniae ist ein grampositiver Diplokokkus, der von einer Polysaccharidkapsel umhüllt ist. Sie ist der Hauptvirulenzfaktor, da sie die Bakterien vor der Phagozytose schützt und von den meisten T-Zellen nicht erkannt wird. Derzeit sind 94 verschiedene Kapseltypen bekannt, die auch als Serotypen bezeichnet werden. Hauptreservoir der Pneumokokken ist der Nasen-Rachen-Raum gesunder Träger, bis zu 50% der Kinder sind besiedelt [3]. Pneumokokkenerkrankungen zählen weltweit zu den häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten, gefährdet sind insbesondere [13, 14] F Kleinkinder,

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Der Internist 7 · 2015

C. Forstner1, 2 · M.W. Pletz1 1 Zentrum für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena, Jena 2 Universitätsklinik für Innere Medizin I, Klinische Abteilung für Infektionen

und Tropenmedizin, Medizinische Universität Wien, Wien

Impfungen aus pneumologischer Sicht F Immunkompromittierte (einschließlich Patienten mit funktioneller oder anatomischer Asplenie), F Ältere und F Patienten mit chronischen Grunderkrankungen. Wie in . Abb. 1 dargestellt, wird zwischen invasiven und nichtinvasiven Pneumokokkenerkrankungen unterschieden. Als häufigster Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie verursacht S. pneumoniae in der Mehrzahl der Fälle eine nichtinvasive Erkrankung. Allerdings verläuft bis zu jede vierte Pneumokokkenpneumonie bakteriämisch und somit invasiv, was mit einer erhöhten Mortalität von durchschnittlich 12% assoziiert ist [13]. Laut aktuellen Daten des Nationalen Referenzzentrums wurden in Deutschland im letzten Jahr 1367 Fälle von invasiven Pneumokokkenerkrankungen mit Nachweis in Blut, Liquor, Pleuraempyem oder Gelenkpunktat gemeldet, wobei die Altersgruppe der über 60-Jährigen mit 911 Fällen den Hauptanteil ausmachte.

Impfstoffe Derzeit sind bei Erwachsenen zwei Impfstofftypen gegen Pneumokokken zugelassen: F eine 23-valente Pneumokokkenpolysaccharidvakzine (PPV23) zur Impfung aller Erwachsenen ab dem 60. Lebensjahr (Standardimpfung) sowie von Patienten mit Begleiterkrankungen (Indikationsimpfung) ab dem zweiten Lebensjahr und

F eine 13-valente Pneumokokkenkonjugatvakzine (PCV13) zur Impfung aller Altersklassen ab 6 Wochen.

Polysaccharidvakzine

PPV23 ist bereits seit 1989 im klinischen Einsatz. Der Impfstoff enthält reine unkonjugierte Kapselpolysaccharide von 23 verschiedenen Pneumokokkenserotypen (1, 2, 3, 4, 5, 6B, 7F, 8, 9N, 9V, 10A, 11A, 12F, 14, 15B, 17F, 18C, 19A, 19F, 20, 22F, 23F und 33F). Somit erfasst PPV23 zwar mehr Serotypen als PCV13, hat aber immunologische Nachteile: Die Stimulation der B-Zellen ohne Induktion einer T-ZellAntwort führt zur Aktivierung und Plasmazellreifung pneumokokkenspezifischer naiver B-Zellen, aber auch bereits existierender Gedächtniszellen, die als Folge einer durchlaufenen Infektion, z. B. einer Otitis media, oder Kolonisation gebildet wurden [7]. Diese Plasmazellen sterben im Verlauf ab, ohne dass neue Gedächtniszellen gebildet werden. Dies führt zu einer spezifischen Depletion des B-Zell-Pools. Vor allem bei älteren Menschen dauert es länger, bis spezifische naive B-Zellen nachgebildet werden. Entsprechend beobachtete man in mehreren Studien nach vorheriger PPV23-Impfung eine deutlich reduzierte Antikörperbildung bei einer Folgeimpfung mit PCV oder PPV23 [9, 17]. Dieses Phänomen wird auch als „hyporesponsiveness“ bezeichnet.

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PPV23 hat immunologische Nachteile Die „hyporesponsiveness“ ist eine der Ursachen für die Rücknahme der STIKO-

Inzidenz

nicht invasiv

invasiv

Schweregrad der Erkrankung Meningitis Bakteriämie

Pneumonie

Empfehlung, die Impfung mit PPV23 generell alle 5 Jahre zu wiederholen. Insgesamt ist die Datenlage zur Effektivität der PPV23-Impfung kontrovers: Zahlreiche Studien sehen den Nutzen von PPV23 auf invasive Krankheitsverläufe begrenzt und bewerten ihn für die Gruppe der chronisch Kranken und Älteren als eingeschränkt [1, 21]. Trotzdem empfiehlt die STIKO für 60-Jährige und Ältere nach wie vor die 1-malige Standardimpfung mit PPV23 mit dem Ziel, invasive Pneumokokkenerkrankungen zu verhindern [38].

Konjugatvakzinen

Abb. 1 9 Spektrum der Pneumokokkeninfektionen. (Adaptiert nach [27])

Otitis media, Sinusitis

PCV wurden deutlich später entwickelt als die Polysaccharidvakzine. Zunächst fanden sie in der Pneumokokkenimpfung bei Kindern Verwendung. Die Impfantwort von Kleinkindern auf reine Polysaccharidvakzinen ist u. a. aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Reifung follikulärer dendritischer Zellen unzureichend [36]. Die aktuelle Vakzine PCV13 ist seit 2010 zugelassen. Sie enthält als Wirkstoffe Kapselpolysaccharide von 13 Pneumokokkenserotypen (1, 3, 4, 5, 6A, 6B, 7F, 9V, 14, 18C, 19A, 19F und 23F), konjugiert mit dem CRM197-Trägerprotein, einem Diphtherietoxoid, und adsorbiert an Aluminiumphosphat. Im Gegensatz zur Polysaccharidvakzine induziert die Impfung mit PCV Gedächtniszellen [7] und eine mukosale Immunität: Bei asymptomatischen Trägern führt die Impfung zu einer Eradikation der Vakzinserotypen im Nasopharynx. In den USA und Kanada konnten die Infektionen durch Impfserotypen in der Gesamtbevölkerung um 94% reduziert

werden, nachdem die Impfung bei Kleinkindern, dem Hauptreservoir für Pneumokokken, eingeführt worden war und damit die Infektionskette von Kleinkindern zu Erwachsenen unterbrochen wurde [18, 24]. Diese Herdenprotektionseffekte führten zu einer deutlichen Verminderung der Gesamtinzidenz invasiver Pneumokokkeninfektionen. Allerdings werden die noch auftretenden Infektionen nahezu ausschließlich durch Serotypen hervorgerufen, die nicht in PCV13 enthalten sind. In Deutschland werden derzeit weniger als 40% der invasiven Pneumokokkeninfektionen bei Erwachsenen durch PCV13-Serotypen hervorgerufen (Stand 18.12.2014; [33]). Der Anteil der PCV13Serotypen bei Kindern und Erwachsenen ist in . Abb. 2 dargestellt.

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PCV13 ist nun auch für die Prävention der Pneumokokkenpneumonie bei Erwachsenen zugelassen Aktuelle Daten bietet der Community-Acquired Pneumonia Immunization Trial in Adults (CAPiTA), in dem bei nahezu 85.000 niederländischen Erwachsenen in einem Alter über 65 Jahre PCV13 mit Placebo verglichen wurde. Die Ergebnisse belegen eine Schutzwirkung der Konjugatvakzine nicht nur gegen die erste Episode einer impfstoffserotypbedingten Pneumokokkenpneumonie (45,6% weniger Episoden, p

[Vaccinations from the pulmonologist's point of view].

The best strategy for prevention of acute respiratory tract infections is primary prophylaxis against diseases preventable by vaccination. From the pu...
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