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Meyer-Rienecker u. a.: Makrophagen-Elektrophorese-Mobilitätstest zur Diagnostik von Hirntumoren

Deutsche Medizinische Wochenschrjft

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 538-543 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

des Zentralnervensystems H. Meyer-Rienecker, H. L. Jenssen, H. Köhler und J. K. Günther Neurologische Abteilung der Nervenklinik (Direktor: Prof. Dr. J. Sayk) und Forschungsabteilung Immunologie des Instituts fur Physiologische Chemie (Direktor: Prof. Dr. D. Mücke) des Bereiches Medizin der Universität Rostock

Mit dem Makrophagen-Elektrophorese-Mobilitäts-(MEM-)Test nach Field und Caspary ist der von spezifisch sensibilisierten Blutlymphozyten nach Inkubation mit dem homologen Antigen produzierte »macrophageslowing factor« (MSF) nachweisbar. Neben anderen Erkrankungen mit einer zellulären Immunreaktion, wie der multiplen Sklerose, zeigen maligne Neoplasmen eine Reduktion der Makrophagenmobilität in der Zellelektrophorese. Von 33 Tumoren im Bereich des Zentralnervensystems ergab sich bei 30 eine signifikante Hemmung im MEM-Test. Dabei erbrachten die Glioblastome, Astrozytome, Spongioblastome, Ependymome, Neurinome und die Meningeome sowie das Myxofibrom einen positiven Befund (>100/o Hemmung), different waren die Ergebnisse bei den ektodermalen Geschwülsten (Hypophysenadenom, Kraniopharyngeom); die deutlichsten Abweichungen wiesen die sekundären Hirntumoren auf. Das Verfahren bietet Vorteile hinsichtlich der Frühdiagnostik der Hirngeschwülste; bezüglich des Nachteils - der Spezifität - bestehen weitere (auch antigene) Differenzierungsmöglichkeiten. Vielfältig sind die Verfahren auf der Grundlage einer humoralen oder zellulären Immunreaktion, die für immunologische und andere Erkrankungen diagnostische Bedeutung erlangten. So erbrachten auch Methoden zum Nachweis tumorassoziierter Antigene (a1-Fetoprotein, karzinoembryonales Antigen, fetales Sulfoglykoproteid) erste Fortschritte in der Diagnostik einiger Malignome (6, 23, 30, 46). Weitere Untersuchungen zur tumorspezifischen Immunität ergaben vor allem im zellulären Bereich wesentliche Ergebnisse (25, 31, 38, 44). Als eine der diagnostisch bedeutsamen Methoden erscheint dabei der von Field und Caspary (3, 4, 10, 11) entwickelte Makrophagen-Elektrophorese-Mobilitäts- (MEM- ) Test. Durch den MEM-Test können die auf der Basis einer zellulären Immunantwort spezifisch sensibilisierten Lymphozyten nachgewiesen werden. Diese Lymphozyten produzieren nach stimulierender Inkubation mit dem homologen Antigen, dem enzephalitogenen basischen Myelinprotein (BP) oder anderen basischen Proteinen (Histone, gereinigtes Proteinderivat des Mycobacterium tuberculosis, basische Proteinextrakte aus Malignomen) einen speziellen Faktor. Er wird als «macrophage-slowing faktor« (MSF) bezeichnet und könnte dem »macrophage-inhibition factor« (MIF) oder einer ähnlichen Komponente entsprechen (26). Der MSF verändert die *

Forschungsverband Immunologie und Infektionsschutz der DDR

Use of the macrophage-electrophoretic-mobility test in the

diagnosis of tumours of the central nervous system The macrophage-electrophoreticmobility (MEM) test of Field and Caspary demonstrates the macrophage-slowing factor (MSF) produced by specifically sensitised blood lymphocytes after incubation with the homo!ogous antigen. Besides other diseases with a cellular immune reaction like multiple sclerosis malignant tumours show a reduction of the macrophage mobility in the cell electrophoresis. A significant inhibition in the MEM-test was found in 30 out of 33 tumours of the CNS. Glioblastomas, astrocytomas, spongioblastomas, ependymomas, neurinomas, meningiomas, and a myxofibroma showed a positive result (more than 10°/o inhibition). The results in ectodermal tumours (pituitary adenoma, craniopharyngioma) differed; secondary brain tumours showed the greatest inhibition.

meßbare Beweglichkeit der als Indikator verwendeten Makrophagen in der Zellelektrophorese auf Grund einer Reduktion der negativen elektrischen Ladung der Makrophagenmembran.

Abweichungen der Mobilität der Makrophagen im elektrischen Feld durch den MSF sensibilisierter Lymphozyten infolge Stimulierung mit dem BP und anderen basischen Proteinen zeigten sich bei einer Reihe von Krankheiten. Eine spezifische Hemmung der Makrophagenmobilität fand die Arbeitsgruppe um Field und Caspary (3, 12, 13, 17-20) und vor kurzem Pritchard und Mitarbeiter (40, 41), Müller und Irmscher (37) sowie Goldstone und Mitarbeiter (22) bei verschiedenen Malignomen, Lymphogranulomatose, Sarkoidose, aktiver Tuberkulose, einigen Viruserkrankungen (Influenza, slow virus), dem Lupus erythematodes und anderen Autoimmunerkrankungen mit einer zellulären Immunität (Spätreaktion) wie auch der multiplen Sklerose. In Anbetracht der positiven Ergebnisse des MEMTests bei bösartigen Geschwülsten unterschiedlicher Organsysteme und hinsichtlich des angewandten basischen Myelinproteins sind die Befunde bei den Neoplasmen des Zentralnervensystems von besonderem Interesse. Die Ermittlung des Stellenwertes des Untersuchungs-

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Zur Bedeutung des Makrophagen-ElektrophoreseMobilitätstests für die Diagnostik der Geschwülste

Meyer-ltienecker u. a.: Makrophagen-Elektrophorese-Mobilïtätstest zur Diagnostik von Hirntumoren

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verfahrens ist vor allem wegen der häufig schwierigen differentialdiagnostischen Probleme beim Verdacht auf einen intrakraniellen raumverdrängenden Prozeß bedeutsam.

Vergleichsuntersuchungen die Bestimmung der Wanderungsgeschwindigkeit auf der Basis von jeweils SO Einzelmessungen. Die Veränderung der elektrophoretisch festgestellten Makrophagenmobilität wurde in Prozent, bezogen auf die nachgewiesenen Werte nicht gehemmter Makrophagen, ermittelt. Die Messungen erfolgten ohne Kenntnis der jeweiligen diagnostischen Fragestellung.

Methode und Material

Die Untersuchung der Lymphozyten erstreckte sich auf über 200 Patienten mit neurologischen, ophthalmologischen, orthopädischchirurgischen und gynäkologischen Krankheitsbildern. Von den 85 neurologischen Erkrankungen entfielen 33 auf primäre oder sekundäre Geschwülste des Hirns oder Rückenmarks. Die Durchführung des MEM-Tests geschah in diesen Krankheitsfällen bei oder nach dem klinisch ausgeprägten Erkrankungsbild, dessen Symptomatik gemäß Tumorart und -wachstum sowie vor allem der Lokalisation die entsprechenden Unterschiede aufwies.

Der Makrophagen-Elektrophorese-Mobilitätstest wurde nach dem von Caspary und Field (3, 5, 12) ausgearbeiteten Verfahren und jüngst in der Modifikation von Pritchard und Mitarbeitern (42) als indirekte Methode durchgeführt. Zum Ablauf des modifizierten (indirekten) MEM-Tests gibt die schematische Darstellung in der Abbildung 1 eine Übersicht.

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Unter den insgesamt 33 untersuchten Erkrankungsfällen mit einem zerebralen oder spinalen Tumor lag bei 26 eine primäre und bei 7 eine sekundäre Geschwulst vor. Das Ergebnis des MEM-Tests dieser Patienten, die prozentuale Hemmung der Wanderungsgeschwindigkeit der Makrophagen im elektrischen Feld, ist in der Ta-» belle 1 zusammengestellt. Aus dieser tabellarischen Aufstellung sind auch die Einzelheiten, die histologisch bestätigte morphologische Klassifikation der verschiedenen Tumoren, ihre vorwiegende Lokalisation, der Zeitraum zwischen den ersten Symptomen der Erkrankung und Kantrolonsatzl) der Ausführung des Tests sowie Alter und Geschlecht der Patienten ersichtlich. Makrophagen

3,106

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Ergebnisse

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Makrophagen - ZeUelektrophorese

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Abb. 1. Schematische Übersicht zur Durchführung des Makrophagen-Elektrophorese-Mobilitätstests nach Field und Caspary (3, 12) in der Modifikation (indirekte Methode) von Pritchard und» Mitarbei-

tern (42). Die Lymphozyten wurden aus 10IS ml defibriniertem Venenbiut der Patienten gewonnen. Mit der Eisenpulver-(Carbonyl-Eisen)-Methylzellulose-Technik erfolgte die Beseitigung der polynukleären Granulozyten und Erythrozyten. Die erhaltenen Lymphozyten wurden nach mehrmaligem Waschen resuspendiert in Eagle-Medium (pH 7,3). Die Makrophagenisolierung fand aus dem Peritonealexsudat von Meerschweinchen nach lokaler Paraffinstimulierung statt. Als Antigen wurde basisches, enzephalitogenes Myelinprotein (BP) aus menschlichem Hirn (wenige Stunden post mortem) nach den Angaben von Caspary und Field (2) extrahiert und lyophilisiert für die Ansätze aufbewahrt. Als Kontrollantigen verwandten wir - in Anbetracht der verbreiteten Sensibilisierung gegen Tuberkulin gemäß Field und Mitarbeitern (12, 13) das PPD (npurified protein derivative of tuberculinen). Zur Durchführung des modifizierten MEM-Tests wurden die Lymphozyten des Patienten (0,3 X 106 Zellen/mi) in der ersten Stufe der Inkubation zum Testansatz mit dem BP in einer Konzentration von 33 tg/ml versetzt. Für den Kontrollansatz I fand die Inkubation der Patienten-Lymphozyten gleichfalls über 90 Minuten bei 23 °C mit dem Kontroll-Antigen, dem PPD (33 .g/ml), statt. Der jeweilige abzentrifugierte Überstand, der im positiven Falle den MSF enthält, wurde mit den Makrophagen (3 X 106 Zellen/ml) einem zweiten lnkubationsschritt unterzogen. Dabei erfolgte ein Kontrollansatz II zum Ausschluß toxischer Effekte des BP auf die Wanderungsgeschwindigkeit der Makrophagen. Die Makrophagenmobilität im elektrischen Feld wurde mit einer Mikrozellelektrophorese-Apparatur (Cytopherometer) der Fa. Zeiss, Oberkochen, gemäß dem Prinzip von Fuhrmann und RuhenstrothBauer (21) gemessen. Die angelegte Stromstärke lag bei 12 mA, die Feldstärke betrug 10 V/cm. Als optimal erwies sich auf Grund der

-

Die Untersuchungsbefunde mit dem MEM-Test wurden als prozentuale Hemmung der Makrophagenmobilirät angegeben, wobei im Vergleich mit dem direkten Verfahren bei der indirekten Methode nach Pritchard und Mitarbeitern (42) etwas höhere Werte auftreten. Die Ergebnisse erwiesen sich bei einer ausreichenden Zahl von Einzelmessungen, die auf Grund unserer Vergleichsbestimmung zur Gaussschen Verteilungskurve bei 50 liegen (29), als gut reproduzierbar und zeigten mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von P < 0,0005 eine hohe Signifikanz (lediglich im Fall 12 beträgt P = 0,4300). Zweifelhafte Befunde oder Grenzwerte um oder knapp unter 10%

Hemmung der Makrophagenwanderung waren mit der angewandten Methodik nicht zu verzeichnen: Das Ergebnis bot entweder einen eindeutig positiven oder negativen Nachweis des n macrophage-slowing factor

[Use of the macrophage-electrophoretic-mobility test in the diagnosis of tumours of the central nervous system (author's transl)].

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