I PRAXIS

M in i-R e v ie w

Praxis 2014; 103 (2 0 ): 1181-11 89

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Departement Chirurgie, Klinik für Urologie, Kantonsspital Winterthur Isab elle Sonja Keller, Jan Frederic B rachlow , C h ristian P ad evit, M ic h a e l Kurz, H u b e rt John

H arn in ko n tin en z - was kann der Grundversorger m achen und w an n braucht es den Urologen? U rin a ry In c o n tin e n c e - w h a t can be D o n e by th e F am ily D o cto r an d w h e n is th e U ro lo g is t N eeded?

Z u sam m enfassung Etwa 15% der Frauen und 10% der Männer im Alter von über 65 Jah­ ren leiden an einer Harninkontinenz. Die Unterscheidung zwischen einer Drang-, einer Belastungs- und ei­ ner Überlaufmkontinenz kann meist durch eine genaue Anamnese erfolgen und ist für die Therapie entscheidend. Die ersten Abklärungsschritte können in der Hausarztpraxis erfolgen, insbe­ sondere der Ausschluss eines Harn­ wegsinfektes oder einer Überlaufbla­ se. Die Beratung von Patienten über Änderungen der Trinkgewohnheiten und des Miktionsverhaltens sowie die Beratung bezüglich geeigneter Inkon­ tinenzprodukte sind wichtige erste Schritte bei den Therapiemassnahmen. Ebenso können medikamentöse The­ rapiemassnahmen bereits durch den Grundversorger ergriffen werden. Die therapierefraktäre Harninkontinenz, insbesondere die auf Anticholinergi­ ka nicht ansprechende Dranginkonti­ nenz, gehört urologisch abgeklärt, da ein Blasentumor oder andere Erkran­ kungen der Blase als Ursache vorliegen können. Schlüsselwörter: Harn - Urin - In­ kontinenz - Blase - Anticholinergika

E inleitu ng Von der «International Continence So­ ciety» wird die Harninkontinenz als Krankheit definiert, wenn ein unwill­ © 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

kürlicher Harnabgang ein soziales und hygienisches Problem für die Patientin darstellt [1]. In der Schweiz leiden ca. 400000 Men­ schen an einer Harninkontinenz. Trotz der hohen Prävalenz ist sie weiterhin häufig ein Tabuthema und wird von den betroffenen Personen und oftmals auch von ärztlicher Seite nicht thematisiert. Die Häufigkeit der Inkontinenz korre­ liert mit dem Alter, dem demenziellen Status, der Immobilität und der Adipo­ sitas.

A n a to m ie des u n teren H a rn tra k te s Die anatomische Integrität des unteren Harntrakts, bestehend aus der Harnbla­ se und der Harnröhre, sowie dessen nervale Steuerung sind für die Speicherung und die willkürliche, situationsgerechte Entleerung des Urins essenziell. Der muskuläre Verschlussmechanismus der Blase besteht aus zwei Schliessmuskeln, dem unwillkürlichen M. Sphink­ ter urethrae internus (Blasenhals) und dem willkürlichen M. Sphinkter urethrae externus (integriert in den Beckenbo­ den). Für die funktionell korrekte Lage und einen vollständigen Verschluss der Harnröhre sorgen das Bindegewebe, der Bandappart und der submuköse Gefässplexus. Innerviert wird der untere Harntrakt ve­ getativ und somatisch (Tab. 1). Die Spei­ cherphase unterliegt dem Sympathikus (Thl0-L2 via Plexus hypogastricus). Über ß2- und ß3-Rezeptoren wird der

M. detrusor vesicae relaxiert und über al-Rezeptoren der M. Sphinkter inter­ nus aktiviert. Die Entleerungsphase wird durch den Parasympathikus (S2-S4 via Plexus pelvicus) gesteuert. Durch Stimu­ lation von cholinergen M3-Rezeptoren kontrahiert der M. detrusor vesicae. Die willkürliche Kontraktion des M. Sphink­ ter urethrae externus und des Becken­ bodens wird über den Nervus pudendus (S2-S4) somatisch gesteuert. Kontrolliert werden die drei Systeme über den Hirnstamm, die Grosshirnrin­ de und das Kleinhirn. Ein spinaler Re­ flex, der bei voller Blase durch Dehnung der Harnblasenwand zu einer Kontrakti­ on des M. detrusor vesicae und so zur un­ willkürlichen Blasenentleerung führen würde, wird ständig zentral gehemmt, insofern das Rückenmark oberhalb S2 intakt ist.

In k o n tin e n zfo rm e n Die vier Hauptinkontinenzformen, de­ ren Symptome und wichtigsten Ursa­ chen sind in Tabelle 2 aufgelistet. Neben diesen vier Formen existieren auch häu­ fig Mischformen und seltenere Inkonti­ nenzformen wie z.B. die extraurethrale Inkontinenz bei vesikovaginaler Fistel­ bildung oder die Enuresis bei Kindern. Eine Einteilung des Schweregrades einer Inkontinenz erfolgt nach Anzahl benö­ tigter Einlagen pro Tag. Von einer leich­ ten Inkontinenz spricht man, wenn eine Vorlage pro Tag verwendet wird. Bei ei­ ner mittleren Inkontinenz sind zwei bis drei Einlagen, bei einer starken Inkon­ tinenz über vier Einlagen pro Tag notDOI 10.1024/1661-8157/a001789

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Mini-Review

Tab. 1 : Innervation

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des unteren Harntraktes Rückenmark­

Nerv

Transm itter

Rezeptor

Plexus pelvicus

Acetylcholin

M3

W irkung

Funktion

Kontraktion des

U rinentleerung

segm ente

Parasympa­

S2-S4

M. detrusor vesicae

thikus Sympathikus

Th10-L2

Plexus hypogastricus

Noradrenalin

ß2 und ß3

Relaxation des

Urinspeicherung

M. detrusor vesicae Sympathikus

Th10-L2

Plexus hypogastricus

Noradrenalin

a1

Kontraktion des

Urinspeicherung

M. sphinkter urethrae internus Somatisches

S2-S4

Nervus pudendus

Acetylcholin

Nervensystem

wendig. Eine totale Inkontinenz besteht, wenn keine Urinportionen mehr ge­ löst werden. Die Kostenbeteiligung der Krankenkassen an den Inkontinenzprodukten ist von dieser Einteilung abhän­ gig und liegt aktuell bei lediglich Fr. 624 (mittlere Inkontinenz) bis maximal Fr. 1884 pro Jahr (totale Inkontinenz).

Abklärung der Harninkontinenz Anamnese

Die Anamnese ist eine wichtige Säule der Abklärung und sollte akribisch durchge­ Tab. 2: Hauptform en

Tonus des äusseren Schliess-

neuro­

Kontraktion des

muskuläre

M. sphinkter

muskels und w illkü rlich e An­

Endplatte

urethrae externus

spannung (additive Kontinenz)

führt werden. Hier lohnt sich der Einsatz eines validierten Fragebogens (ICIQ [2], ICSmaleSF [3], SUIQQ [4]). Die wich­ tigsten Anamnesepunkte sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Der physische und psychische Zustand des Patienten ist zur Evaluation der In­ kontinenz ebenso wichtig. Eine Inkon­ tinenz kann zum Teil nur schon durch eine vorhandene Immobilität begründet sein, bei demenziellen Patienten ist häu­ fig die Desorientierung mitursächlich für die Inkontinenz. Das Führen eines Trink- und Miktions­ protokolls hilft, die Miktionssituation genauer beurteilen zu können, da Aus­ sagen von Patienten zu den Miktionsin­

tervallen und -mengen sowie den Trink­ gewohnheiten meist sehr ungenau sind. Die Abbildung 1 zeigt ein einfaches Mik­ tionsprotokoll, das über mindestens drei Tage ausgefüllt werden sollte, inklusive der nächtlichen Urinportionen.

Körperliche Untersuchung

Zur körperlichen Untersuchung ge­ hört immer die Inspektion des äusse­ ren Genitales, bei Männern eine digital rektale Untersuchung und bei Frauen eine Kolposkopie zur Detektion eines Deszensus oder einer Zystozele. Gleich­ zeitig soll eine kurze neurourologische Untersuchung der sakralen Segmente

der Inkontinenz

Form der Inkontinenz

Symptom

Ursachen

Belastungsinkontinenz

Unwillkürlicher, meist kleinvolum iger Urinverlust

Unzureichender Harnröhrenverschluss bei Becken­

(Synonym: Stressinkontinenz)

bei körperlicher Betätigung auch ohne Harndrang Grad 1: Urinverlust beim Lachen, Husten, Niesen, Hüpfen

bodenschwäche, defekter Halteapparat/Lageveränderung der Harnröhre

oder Springen Grad 2: Urinverlust beim Treppensteigen, Aufstehen oder Hinsitzen Grad 3: Urinverlust im Liegen Urge-Inkontinenz

Unwillkürlicher, m eist grossvolumiger Urinverlust durch

Hyperaktivität der Blase durch unw illkürliche Kontraktion

(Synonym:

plötzlichen, unkontrollierbaren Harndrang

des M. detrusor vesicae (v.a. bei neurologischen Erkrankun­ gen wie M. Parkinson, M u ltip le Sklerose) oder Hypersensi­

Dranginkontinenz)

b ilitä t der Blase m it A uftreten von Harndrang bei geringer Blasenfüllung (z.B bei Blasenentzündung, Blasenkarzinom, Prostatasyndrom, Fremdkörper, idiopathisch) Ü berlaufinkontinenz

U nw illkürlicher kleinvolum iger Urinverlust

(Synonym: paradoxe

(z.T. nurTropfenweise) bei voller Blase

Infravesikale O bstruktion (bei Prostatasyndrom, Harnröhrenstriktur, Harnröhrenabknickung durch Zystozele) oder hypo-/akontraktiler Blasenmuskel (neurogen oder

Inkontinenz)

muskulär) Reflexinkontinenz

U nw illkürliche Biasenentleerung bei voller Blase

Rückenmarksschädigung zwischen Pons und S2 (fehlende zentrale Hem m ung des spinalen Reflexes)

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M in i-R eview

Tab. 3: Die w ic h tig s te n

A n a m n e s e p u n k te

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Harnwegsinfektes. Bei Männern ist ein Mittelstrahlurin (nach Rückzug des Prä­ putiums und Reinigung der Glans penis mit Wasser) genügend, bei Frauen lohnt es sich, zum sicheren Infektausschluss oder auch zum sicheren Infektnachweis eine Einmal-Katheterisierung durchzu­ führen. Der Mittelstrahlurin bei Frauen ist oftmals genital kontaminiert, so dass zu off vermeintliche Harnwegsinfekte fälschlicherweise antibiotisch therapiert werden oder andererseits Harnwegsin­ fekte verpasst werden [5]. Diagnostisch wertvoll ist auch die sonographische Bestimmung des Resturins, sollte kein Ultraschall zur Verfügung stehen, kann alternativ mittels Einmal-Katheterisie­ rung nach der Miktion die Restharnbe­ stimmung erfolgen. Durch die Anamnese und die körper­ lichen Untersuchung kann die Inkon­ tinenzform meistens bestimmt werden und eine Abschätzung der Ursache er­ folgen. Erste therapeutische Schritte können zu diesem Zeitpunkt eingeleitet werden.

Miktionsanamnese M ik tio n s fre q u e n z ta g s ü b e r und nachts H a rn s tra h lq u a litä t, H a rn s tra h la b b ru c h (S to tte rn ), W a rte z e it bis M ik tio n s b e g in n , Bauchpresse n ö tig R e sth arn gefü hl, N a c h trö p fe ln Urge-Episoden m it/o h n e U rin v e rlu s t, s tä n d ig e r H a rn d ra ng B e m e rkte r o d e r u n b e m e rk te r U rin v e rlu s t, M en ge und S itu a tio n des U rinverlustes, A nzahl Einlagen, Leidensdruck Schm erzen bei de r M ik tio n , H ä m a tu rie T rinkm e ng e

Urologische Vorerkrankungen U ro g e n ita le In fe k te ,O p e ra tio n e n , Steine, K arzinom e

Internistische Vorerkrankungen D iabetes m e llitu s N euro log ische E rkrankungen, D em enz Ü b e rg e w ic h t H e rzin su ffiz ie n z , Ö dem e S tu h lg e w o h n h e ite n

Weiteres B e h in deru ng en , M o b ilitä t, F o rtb e w e g u n g V o ro p e ra tio n e n a b d o m in a l, v.a. R e k tu m /A o rta S chw an gersch aften, S p o n ta n g e b u rte n B eginn d e r W echseljahre M e d ika m e n te n a n a m n e s e , Noxen

durchgeführt werden. Dazu gehören die «Reithosen»-Sensibilität, der Anal­ sphinktertonus und die Fähigkeit einer willkürlichen Anspannung und Relaxati­ on des Analsphinkters. Einen Überblick über die körperlichen Untersuchungen,

die in der Hausarztpraxis durchgeführt werden können und sollen, bietet Tabel­ le 4. Obligat bei jeder Inkontinenzabklärung ist die Urinuntersuchung mittels Urin­ status und -kultur zum Ausschluss eines

Datum:

Uhrzeit

Flüssigkeit saufnahme Wie viel?

Was?

06>:45 O J-.1S

H arndran g

Miktion Menge

stark

3 s o Kd l s o nd

leicht Tropfen Strahl

X

K flf f a

08:15 0250

mittel

u rinverlu

" x H' QjOO

C $ :0 0

Abb. i: Beispiel

Kd

Wasser

Q 50

wd

X

eines T rink- und M ik tio n s p ro to k o lls .

X

st

Bemerkung alles

U rologische Fachuntersuchungen

Die weiteren urologischen Abklärun­ gen der Harninkontinenz umfassen eine Uroflowmetrie (Abb. 2), eine Rest­ harnsonographie sowie eine Urethrozystoskopie zur Beurteilung der Ana­ tomie des unteren Harntraktes. Dabei wird die Harnröhre auf Strikturen untersucht, der Tonus und willkürliche Verschluss des M. Sphinkter urethrae externus beurteilt und die Prostata auf Konfiguration und Hinweise auf eine Obstruktion inspiziert. Die Harnblase wird hinsichtlich Tumoren, Kapazität, Blutungsquellen und einer auffälligen Gefässzeichnung angeschaut sowie deren Stabilität (keine unwillkürliche Kontraktion des M. detrusor vesicae während der Füllung) geprüft. Des Weiteren können sich in der Blase Zei­ chen einer Obstruktion zeigen, dazu gehören verdickte Muskelstränge des M. detrusor vesicae (sog. Trabekel) und eine Divertikelbildung.

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Mini-Review

Tab. 4: K örperliche U n te rs u c h u n g Äusseres Genitale M ä n n e r: In s p e k tio n M ea tu s ure th rae externus, Penis und S kro tu m , P alpation de r Hoden und N e be nhoden Frauen: In s p e k tio n de r S c h le im h a u ttro p h ik , M eatus ure th rae externus, K olposkopie (B e c k e n b o d e n s ta b ilitä t in Ruhe und u n te r Valsalva)

Neurourologisch S e n s ib ilitä t p e ria nal (S2-S4) A n a ls p h in k te rto n u s und w illk ü rlic h e A n a ls p h in k te rk o n tra k tio n und -re la x a tio n

Digital rektale Untersuchung bei Männern Prostatagrösse, -kon sisten z, -a b g re n z b a rk e it, e rh a lte n e r Sulcus, D ruckdolenz de r Prostata, R e ktu m s c h le im h a u t

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i

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die Einnahme von Diuretika am Mor­ gen anstatt abends, der Verzicht auf Alkohol- und Kaffeekonsum sowie das Einnehmen einer genügend grossen Trinkmenge sind einfache und meist hilfreiche erste Schritte zur erfolgreichen Inkontinenzbehandlung. Des Weiteren sollte eine allfällige Obstipation mit Stuhlregulanzien therapiert und eine Gewichtsreduktion bei Adipositas ange­ strebt werden. Bei einer Urge-Symptomatik gehört das Blasentraining dazu, bei dem nicht je­ dem Blasendruck nachgegeben werden soll, sondern die Miktion möglichst lan­ ge hinausgezögert und Urinportionen jeweils über 300 ml erreicht werden soll­ ten.

Belastungsinkontinenz

H -

C '

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ZS

z>

-normal

■Prostatahyperplasie

•Striktur

Abb. 2: U ro flo w m e trie (M essung des U rinflusse s pro Z e it z u r B e u rte ilu n g d e r H a rn stra h lstä rke ).

Zur genauen Evaluation der Druck­ verhältnisse in der Blase bei der Bla­ senfüllung und der Miktion sowie des urethralen Verschlussdruckes durch den M. Sphinkter urethrae externus und der Aktivität des Beckenbodens wird als nächster Schritt eine Urodynamik durchgeführt. Sie gibt Aufschluss über die Blasensensorik und über die Com­ pliance der Blasenwand, detektiert einen autonomen überaktiven Blasenmuskel oder eine obstruktive Miktion und gibt Hinweise auf mögliche neurologische Erkrankungen. Der grosse apparative und zeitliche Auf­ wand (ca. zwei Stunden) für die Urody­ namik lohnt sich, sofern die Compliance des Patienten für die Untersuchung und für die folgende Therapie gewährleistet

sind und allfällige Operationen nicht a priori ausgeschlossen werden.

K onservative Therapie Anpassen der G ew ohnheiten

Grundsätzlich richtet sich die Therapie einer Harninkontinenz nach dem Lei­ densdruck des Patienten, sie wird indivi­ duell auf dessen Bedürfnisse eingestellt und erfolgt immer zuerst konservativ. Jede Inkontinenztherapie sollte mit ei­ ner Beratung beginnen. Das mag banal klingen, oft kommt es jedoch bereits durch das Einhalten von Verhaltensre­ geln und Änderung von Gewohnheiten zu einer Linderung der Inkontinenz. Eine Flüssigkeitsrestriktion am Abend,

Die Belastungsinkontinenz kann sowohl bei Frauen als auch bei Männern (hier tritt die Belastungsinkontinenz vor al­ lem nach der radikalen Prostatektomie auf) mit einem Beckenbodentraining therapiert werden. Eine Instruktion durch eine/n versierte/n Physiotherapeutin/en ist empfehlenswert. Mithilfe eines Biofeedbacks kann die Beckenbo­ denmuskulatur visualisiert werden, was für viele Patienten hilfreich ist. Als wei­ tere Hilfsmittel stehen der Einsatz eines Elektrostimulators oder bei Frauen das Verwenden von Vaginalkonen zur Verfü­ gung. Das Beckenbodentraining basiert auf einem Drei-Stufen-Konzept: 1. Be­ ckenbodenmuskulatur bewusstmachen, erleben und anspannen. 2. Gezieltes Aufbautraining, Kräftigung. 3. Integra­ tion in den Alltag, situative reflexartige Muskelaktivierung. Bei Männern können zum Erreichen ei­ ner Kontinenz kurzfristig Penisklemmen angewendet werden. Als pflegerischer Behelf ist die Verwendung von Urinalkondomen möglich, diese bedürfen je­ doch einer guten Anpassung und halten fast nur an einem zirkumzidierten Penis. Die Urinableitung mittels transurethra­ lem oder suprapubischem Katheter sollte nur so kurzzeitig wie möglich erfolgen.

PRAXIS

M in i-R e v ie w

Tab. 5: A n tic h o lin e rg ik a (S ynonym : A n tim u s k a rin ik a ) W irk s to ff

M a rk e n n a m e

D o s ieru n g

D a rifen acin

Emselex® ret.

1x7,5 m g od er 1x15 m g pro Tag

Fesoterodin

Toviaz® ret.

1x4 m g od er 1x8 m g pro Tag

O x y b u tin in ER

Lyrinel®

1x5 m g, 1x10 m g, 1x15 m g

O x y b u tin in ER

Kentera®

M a trix p fla s te r 3,9 m g /2 4 h, W echsel 2x pro W oche

O x y b u tin in IR

D itropan®

3x5 m g pro Tag

S olifenacin

Vesicare®

1x5 m g o d e r 1x10 m g pro Tag

T o lte ro d in ER

D e tru sitol®

2x2 m g od er 1x4 m g pro Tag

T ro sp iu m ch lo rid

Spasmex®, Spasmo

2x20 m g pro Tag

u rg e n in Neo®

Medikamentös lohnt sich bei postmenopausalen Frauen die lokale Östrogenisierung der Genitalschleimhaut zur Verbes­ serung der Inkontinenz. Kontraindiziert ist diese bei einem Mamma- oder Endo­ metriumkarzinom in der Anamnese. Weitere medikamentöse Therapiemög­ lichkeiten beinhalten die sphinktertonisierenden a-Agonisten (Midodrin, Gutron®) oder - off-label - die Noradrenalin-Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (Duloxetin, Cymbalta®). Kontraindika­ tion ist das Vorliegen einer (unkontrol­ lierten) arteriellen Hypertonie. Stören­ de Nebenwirkung bei Duloxetin ist die Nausea. Leider sind die therapeutischen Effekte auf die Inkontinenz meist gering, so dass aufgrund der Nebenwirkungen die medikamentöse Therapie von den Patienten oftmals abgebrochen wird. Zu beachten ist die drohende depressi­ ve Verstimmung bei raschem Absetzen des Noradrenalin-Serotonin-ReuptakeInhibitors, weshalb dieser langsam aus­ geschlichen werden sollte.

U r g e -In k o n tin e n z

Die Ursachen einer Urge-Inkontinenz sind vielfältig (Tab. 2), dementspre­ chend gibt es ein breites Spektrum an Therapiemöglichkeiten. Wichtig ist die kausale Therapie zugrundeliegender Erkrankungen (Antibiotika bei Harnwegsinfekt, Entfernung eines Blasen­ steines, Resektion eines Blasentumors, Therapie eines Prostatasyndroms mit Alphablocker oder operativ).

Bei der Urge-Inkontinenz ist das Meiden von reizenden Substanzen wie Kaffee, Alkohol (v.a. Rotwein), scharfen Ge­ würzen und insbesondere des Rauchens empfehlenswert. Eine ausreichende Trinkmenge (>1500 ml pro Tag) scheint im klinischen Alltag die Drangbeschwer­ den zu verbessern. Pathophysiologisch wird bei geringer Trinkmenge eine Rei­ zung des Urothels durch die hohe Osmolarität angenommen, was zur einer weiteren Verschlechterung der Urge-Beschwerden (circulus vitiosus) führt. Als einfaches Hilfsmittel zur Selbstkontrol­ le einer genügenden Trinkmenge dient die Urinfarbe - der Urin sollte tagsüber möglichst wasserklar sein. Die Symptombekämpfung der Drang­ beschwerden mit anticholinergen (=antimuskarinen) Medikamenten (Tab. 5) nimmt die zentrale Rolle in der medika­ mentösen Behandlung der Urge-Inkon­ tinenz ein. Bei allen Anticholinergika, auch solchen der neuesten Generation, treten in unterschiedlichem Ausmass die bekannten unerwünschten Neben­ wirkungen wie Mundtrockenheit und Obstipation, seltener Akkommodati­ onsstörungen und Kopfschmerzen so­ wie Verwirrtheit auf. Bei älteren Patien­ ten empfiehlt sich die Verwendung von Trospiumchlorid, da dieses als einziges Anticholinergikum nicht ZNS-gängig ist und so zu weniger zentralen Nebenwir­ kungen führt [6]. In der Praxis empfiehlt sich der Be­ ginn einer anticholinergen Therapie bei vorliegenden Urge-Symptomen nach

Praxis 2014; 103 (20 ): 1181-11 89

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Ausschluss eines Harnwegsinfektes oder einer relevanten Restharnmenge (>100 ml) mit der geringsten Dosis eines Produktes. Eine erste Besserung der Be­ schwerden ist nach ein bis drei Wochen zu erwarten, die vollständige Wirksam­ keit wird nach zwei bis drei Monaten er­ reicht. Bei ungenügendem Ansprechen kann eine Steigerung der Dosis oder ein Präparatwechsel diskutiert werden. Bei fehlendem Ansprechen ist eine urologische Abklärung zum Ausschluss eines Blasentumors oder eines Blasensteines indiziert. Neu ist auch in der Schweiz Mirabegron, ein ß3-Agonist, zur Behandlung der Ur­ ge-Inkontinenz zugelassen. Eine breitere klinische Erfahrung zu diesem Präparat fehlt in der Schweiz noch. Klinische Stu­ dien zeigen eine ähnliche Wirksamkeit wie Anticholinergika bei jedoch geringe­ ren Nebenwirkungen [18].

Ü b e r la u fin k o n tin e n z

Die Inkontinenz bei einer Retentionsbla­ se, auch paradoxe Inkontinenz genannt, muss initial mit einem transurethralen oder suprapubischen Katheter entlastet werden. Gelegentlich kann es nach Ein­ lage des Katheters zu einer Entlastungs­ blutung der Schleimhautgefässe bis zur Blasentamponade kommen. Besteht die Retentionsblase aufgrund ei­ ner infravesikalen Obstruktion, muss im weiteren Verlauf meist eine chirurgische Therapie der Ursache erfolgen. Bei hypokontraktilem Detrusor kann die Restkontraktilität mittels intravesikaler Blasenstimulation und medika­ mentös mit Cholinergika (z.B. Bethanechol bzw. Myocholine® oder Distigmin bzw. Ubretid®) unterstützt werden, ge­ gebenenfalls in Kombination mit einem a-Blocker zur Reduktion des Blasenaus­ lasswiderstands. Bei einer hyposensiblen Blase ist zu­ dem die regelmässige Blasenentleerung alle zwei bis drei Stunden auch ohne Harndrang nötig, um eine wiederholte Blasenüberdehnung zu vermeiden (Ziel sind Miktionsvolumina

[Urinary incontinence - what can be done by the family doctor and when is the urologist needed?].

Environ 15% des femmes et 10% des hommes âgée de plus de de 65 ans souffrent d'incontinence urinaire. Dans le plupart des cas, une anamnèse soigneuse ...
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