Unklare Raumforderung der Stirnhöhle mit aggressivem Verlauf Einleitung



Kopfschmerzen können durch verschiedene Ursachen im HNO-Bereich ausgelöst werden. Erkrankungen der Stirnhöhle wie Entzündungen und raumfordernde Prozesse sind hierbei häufige Auslöser.

Kasuistik



Bei einem 55-jährigen männlichen Patienten traten erstmalig epileptische Grand Mal-Anfälle auf, die mit intermittierenden Sehstörungen und Cephalgien assoziiert waren. Über spezifische HNOSymptome wurde nicht berichtet. In der daraufhin durchgeführten Magnetresonanztomografie (MRT) des Schädels war eine lobulierte Raumforderung mit Kontrastmittelenhancement im Sinus frontalis rechts mit intrakraniellem Einbruch und frontobasalem perifokalen ▶ Abb. 1). Im ComputerÖdem auffällig (● tomogramm konnte eine Infiltration bzw. Destruktion der knöchernen Stirnhöhlen▶ Abb. 2). wände nachgewiesen werden (● Die Nasenendoskopie sowie der neurologische Status erbrachten keine Auffälligkeiten. Zur weiteren Abklärung führten wir eine endonasale Eröffnung der Stirnhöhle mit Probeentnahme durch, die zunächst keinen Anhalt für ein tumoröses Geschehen, jedoch nekrotische Formationen und

pilzverdächtige Strukturen erbrachte. Daher erfolgte die 2-zeitige Eröffnung der ▶ Abb. 3). Es Stirnhöhle via Bügelschnitt (● zeigte sich ein invasiver Prozess mit Infiltration der Dura, der Arachnoidea und des Frontalhirns. Nach histologischer Sicherung eines malignen infiltrativen Tumors per Schnellschnitt erfolgte in gleicher Sitzung eine radikale Tumorresek▶ Abb. 4) gemeintion mit Duraplastik (● sam mit der Neurochirurgie. Die endgültige Histologie ergab ein Aesthesioneuroblastom in der Variante eines niedrigdifferenzierten neuroendokrinen high-grade-Tumors nach Hyams. Aufgrund der Ausdehnung nach endokraniell erfolgte die Einordnung in das Stadium C nach Kadish. Postoperativ zeigte sich ein problemloser Heilungsverlauf ohne Hinweis für eine Liquorrhoe. Nach Komplettierung des Stagings und interdisziplinärer Absprache erhielt der Patient eine adjuvante Radiochemotherapie mit Cisplatin (Tag 1 mit 80 mg/m2) und Etoposid (Tag 3–4 mit 150 mg2) und 3 Serien Radiotherapie bis 58,6 Gy, die gut vertragen wurde. Die epi-

leptischen Anfälle traten nicht mehr auf, die Cephalgien waren rückläufig, ebenso die Sehstörungen. 5 Monate posttherapeutisch trat zunächst ein Lokalrezidiv frontal auf, welches wieder über einen koronaren Zugang entfernt wurde. Im Restaging konnte durch ein Positronen-Emissions-Tomografie-Computertomogramm (PET-CT) eine generalisierte mediastinale, pleurale und pulmonale Metastasierung, Metastasen in der Leber und dissiminierte ossäre Metasta▶ Abb. 5). sen festgestellt werden (● Der Patient erhielt daraufhin eine Chemotherapie nach dem IVA-Protokoll (Ifosfamid, Actinomycin, Vincristin) sowie eine palliative Radiotherapie. 10 Monate nach Diagnosestellung verstarb der Patient trotz aggressiver Multimodaltherapie aufgrund einer progredienten Tumorerkrankung mit einer hohen Querschnittslähmung bei Skelettmetastasen.

Abb. 4 Intraoperativer Situs nach Tumorentfernung und Duraplastik mit bovinem Perikard (Tutopatch®).

Abb. 2 Computertomogramm in axialer Schnittführung präoperativ: Verschattung der Stirnhöhle rechts mit Knochenarrosion.

Abb. 1 Präoperatives MRT des Schädels axial in T2-Wichtung. Raumforderung der rechten Stirnhöhle mit nicht abgrenzbarer Dura. Verdacht auf endokranielle Infiltration und perifokales Ödem frontobasal bei unscharfem Kontrastmittelenhancement.

Abb. 3 Intraoperativer Situs mit Raumforderung im Sinus frontalis rechts.

Abb. 5 PET mit generalisierter ossärer, pulmonaler, hepatischer und lymphogener Metastasierung durch das Aesthesioneuroblastom.

Knipping S et al. Unklare Raumforderung der Stirnhöhle … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 117–118 ∙ DOI 10.1055/s-0033-1361167

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Der interessante Fall 117

118 Der interessante Fall



Das Aesthesioneuroblastom, auch als Olfaktoriusneuroblastom bekannt, zählt mit einem Auftreten von 3 % aller maligner Neubildungen der inneren Nase bzw. der Schädelbasis zu den sehr seltenen Tumoren [Jiang GY et al., Otolaryngol Head Neck Surg 2011; 145: 951–955]. Es ist den neuroektodermalen Tumoren zuzuordnen und entstammt dem sensorischen olfaktorischen Epithel [Unger F et al., Acta Neurochir (Wien) 2005; 147: 595–601]. Die Ätiologie ist unbekannt. Meist sind Patienten beiderlei Geschlechts im Alter zwischen dem 40– 70sten Lebensjahr betroffen. Zu den typischen Symptomen gehören eine Nasenatmungsbehinderung und Epistaxis, bei endokraniellem Wachstum auch neurologische Defizite. Die Klassifikation erfolgt nach Kadish: Kadish A-Tumore betreffen die Nasenhaupthöhle, Kadish B bedeutet eine Infiltration der Nasennebenhöhlen und die fortgeschrittenen Kadish C-Tumore haben benachbarte Strukturen wie die Orbita, die Schädelbasis oder das Gehirn befallen. Bei Metastasierung in die lokoregionalen Lymphknoten oder andere Körperregionen liegt Stadium Kadish D vor. Aufgrund der unspezifischen Symptome werden viele Aesthesioneuroblastome erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt. Histologisch kann häufig ein lobuliertes Wachstum eines malignen klein-, rundund blauzelligen Tumors beobachtet werden. Das Auftreten von Pseudorosetten Homer-Wright legt eine neuroendokrine Differenzierung nahe, welche immunhistochemisch untermauert werden muss. Differenzialdiagnostisch sollten kleinzellige maligne Melanome, Rhabdomyosarkome, primitive neuroektodermale Tumoren (PNET), eine invasive Mykose und ein Lymphom ausgeschlossen werden. Als histologisches Gradingsystem kann die Hyams-Klassifikation verwendet werden. Hierbei wird zwischen low-grade Tumoren (Grad 1–2) und high-grade Tumoren (Grad 3–4) unterschieden. Die Einteilung in die entsprechenden Grade erfolgt anhand spezifischer histologischer Kriterien wie lobuläre Architektur, Nachweis von Neurofibrillen, Rosetten, Nekrosen und Kernpolymorphismen. In der Literatur finden sich Hinweise, dass die undifferenzierten high-grade Tumoren mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet sind.

Eine Schädelbasisbeteiligung, ein Stadium Kadish C und high-grade Tumoren nach Hyams sind mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet [Gruber G et al., Intern J Rad Oncol Biol Phys 2002; 54: 486–491]. In 30–70 % der Fälle ist mit einem Rezidiv zu rechnen. Faktoren wie weibliches Geschlecht, Alter > 50, Rezidivtumor und Metastasen gehören zu den negativen prognostischen Faktoren. Nachdem der Tumor über einen endonasalen Zugang nicht erreicht werden konnte, erfolgte ein offener Zugang über eine koronare Schnittführung zur histologischen Abklärung. Als Therapie der Wahl wird eine radikale kraniofaziale Resektion kombiniert mit einer Radiotherapie empfohlen. Von der Arbeitsgruppe Unger et al. aus Graz (siehe oben) wurde der Einsatz eines endoskopischen Operationsverfahrens in Kombination mit Radiosurgery (Radiochirurgie) vorgeschlagen. Dieses Verfahren wird als Alternative einer einmaligen Bestrahlung mit Schonung der Hirnnervenfunktionen verstanden. Ein endonasaler-endoskopischer Eingriff ist bei einer endokraniellen Tumorausdehnung und Infiltration der anterior-fazialen Knochenstrukturen, wie in unserem Fall, als ungeeignet zu bezeichnen. Wir behandelten aufgrund des fortgeschrittenen high-grade Tumors zusätzlich mit einer cisplatinbasierten Chemotherapie. Aufgrund des sehr unterschiedlichen biologischen Verhaltens und Ansprechens auf die Therapie gibt es für das Aesthesioneuroblastom kein standardisiertes Behandlungsprotokoll [Koch M et al., Laryngo-Rhino-Otol 2006; 85: 723–730]. Zum Effekt einer Chemotherapie bzw. kombinierten Radiochemotherapie gibt es keine eindeutigen Aussagen [Dulguerov P et al., Lancet Oncol 2001; 2: 683–690]. Es kommen verschiedene Therapieregime wie die neoadjuvante als auch die primär kurative Chemotherapie zum Einsatz. Bei fortgeschrittenen Aesthesioneuroblastomen, die in der Hyamsklassifizierung als high-grade Tumoren diagnostiziert werden, ist eine adjuvante cisplatinbasierte Chemotherapie zu empfehlen. Die alleinige Radiotherapie hat bei diesen Tumoren nur palliative Effekte. Bei einem fortgeschrittenen Tumorstadium mit Beteiligung der vorderen Schädelbasis ist wegen der hohen Mortalitäts- und Rezidivrate ein aggressives Therapieregime erforderlich. Trotz seiner Seltenheit sollte bei sinunasalen Beschwerden in Kombination mit

neurologischen Symptomen an ein Aesthesioneuroblastom gedacht werden. Nach erfolgreicher Therapie sind auch über einen langen Zeitraum Nachkontrollen notwendig. Bei high grade- Tumoren und fortgeschrittenen Stadien ist wegen der hohen Rezidivrate die Nachuntersuchung mittels PET-CT zu empfehlen. Diese Fallbeschreibung soll belegen, dass in Einzelfällen mit einem hohen Malignitätspotenzial von Aesthesioneuroblastomen zu rechnen ist.

Schlussfolgerung



Frontale Kopfschmerzen können durch maligne Tumore der Stirnhöhle bzw. der Rhinobasis hervorgerufen werden. Aesthesioneuroblastome gehören zu den eher seltenen Tumoren neuroektodermalen Ursprungs, die sich meistens durch eine Nasenatmungsbehinderung und Epistaxis, bei endokraniellem Wachstum auch durch neurologische Defizite bemerkbar machen. Bei fortgeschrittenen Tumoren ist mit einer hohen Rezidiv- und Mortalitätsrate zu rechnen. Die Therapie der Wahl besteht in einer endonasalen bzw. kraniofazialen Resektion. In Abhängigkeit vom Stadium und der Histologie ist eine adjuvante Radio- und ggf. Chemotherapie anzuschließen.

Fazit



▶ Aesthesioneuroblastome sind seltene maligne Tumore der inneren Nase/ Schädelbasis neuroektodermalen Ursprungs. ▶ Fortgeschrittene Aesthesioneuroblastome mit Beteiligung der vorderen Schädelbasis sind mit hoher Rezidivrate und Mortalität vergesellschaftet. ▶ Ein potentiell aggressives Wachstumsverhalten trotz multimodaler Therapie ist möglich. Dieser Beitrag wurde auf der 83. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopfund Halschirurgie in Mainz (16.–20. Mai 2012) präsentiert.

Interessenkonflikt: Kein Interessenkonflikt angegeben. S. Knipping, J. Knolle, R. Schön; Dessau-Roßlau

Knipping S et al. Unklare Raumforderung der Stirnhöhle … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 117–118 ∙ DOI 10.1055/s-0033-1361167

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Diskussion

[Unexpected progress of a tumour of frontal sinus].

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