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Fachwissen

Kasuistik interaktiv

Hämoglobin-Abfall und akutes Nierenversagen nach elektiver laparoskopischer Cholezystektomie

Heiko Baumann • Wilfried Nagel• Jürgen Biscoping

Eine 81-jährige Patientin wird nach erfolgreich sanierter Choledocholithiasis elektiv laparoskopisch cholezystektomiert. Bei vorerst regelrechtem postoperativem Verlauf kommt es am 2. postoperativen Tag zu einem transfusionspflichtigen Hämoglobin-Abfall und einem akuten Nierenversagen. Lesen Sie im folgenden Beitrag, welche u. U. auch seltenen Ursachen der akuten Anämie mit Nierenversagen bei der Differenzialdiagnostik zu berücksichtigen sind. Im Einzelfall sind diese für die therapeutischen Konsequenzen und das Outcome entscheidend. Der Fall

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Anamnese  Aufgrund einer Choledocholithiasis bei Cholezystolithiasis wird die Patientin zunächst internistisch vorstellig. Mittels endoskopisch ­re­trograder Cholangiopankreatikografie (ERCP) erfolgt eine komplikationslose Gangsanierung des Ductus hepaticocholedochus (DHC). Im Fol­ genden zeigen sich die Cholestaseparameter zwar rückläufig, doch eine Normalisierung bleibt aus. Deshalb entschließt man sich 10 Tage später zu ­einer wiederholten ERCP mit Erweiterungspapil­ lotomie und zu einer zeitnahen laparoskopischen Cholezystektomie. Vor der Operation wird die ­Patientin bei jetzt fallenden Cholestaseparame­ tern über das Wochenende nach Hause entlassen. Bei Wiederaufnahme in die Klinik für Allgemein­ chirurgie ist die Patientin beschwerdefrei. Eine orale Antibiotikatherapie mit Sultamicillin (Una­ cid®) wird noch fortgeführt. Als Dauermedikation nimmt die Patientin in seit Jahren unveränderter Dosierung Präparate gegen eine arterielle Hyper­ tonie und einen benignen paroxysmalen Lage­ rungsschwindel ein. Eine diabetische Stoffwech­ sellage ist diätetisch eingestellt (q Tab. 1).

Tab. 1

Dauermedikation bei Aufnahme Wirkstoff

Dosierung

Intervall

Sulpirid

50 mg

1–1–1

Bisoprolol

2,5 mg

1–0–0

Kaliumjodid

200 µg

1–0–0

Die Patientin hat folgende Vorerkrankungen: ▶▶ Diabetes mellitus Typ 2 ▶▶arterielle Hypertonie ▶▶euthyreote Struma nodosa ▶▶ benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel ▶▶Z. n. Appendektomie in der Jugend Bezüglich pathologischer Laborparameter finden sich nur noch leicht erhöhte Transaminasen und ein marginal erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) (q Tab. 2).

Operation (Freitag)  Die Allgemeinanästhesie der Patientin (ASA-2 nach der Klassifikation der American Society of Anesthesiologists) zur lapa­ roskopischen Cholezystektomie wird mit Thio­ pental, Atracurium und Fentanyl eingeleitet. Die Intubationsnarkose wird als balancierte Anästhe­ sie mit Distickstoffmonoxid (N2O) und Sevofluran aufrechterhalten. Bei intraoperativer, passagerer Bradykardie ist die Einmalgabe von 0,5 mg Atro­ pin nötig. Die OP dauert 1 h, der Blutverlust ist minimal. Im Aufwachraum erhält die kreislauf­ stabile und respiratorisch kompensierte Patientin zur Analgesie 100 mg Diclofenac als Supposito­ rium sowie 1 g Metamizol als Kurzinfusion und 7,5 mg Piritramid i. v. Der Hämoglobin-Wert bei Verlegung auf die Normalstation beträgt 10,7 g/dl.

Klinischer Verlauf

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1. postoperativer Tag (Samstag)  Die Patientin ist schmerzarm und bei subjektivem Wohlbefin­ den bereits auf Stationsebene mobilisiert. Den ­Befund des Routinelabors am 1. postoperativen Tag zeigt q Tab. 3. 2. postoperativer Tag (Sonntag)  Die Patientin kollabiert beim morgendlichen Toilettengang. Sie wirkt schläfrig und psychomotorisch verlang­ samt. Der hinzugerufene Assistenzarzt der Chi­ rurgie bemerkt einen neu aufgetretenen Ikterus. Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich ein unauffälliger kardiopulmonaler Befund. Die Bauchdecken sind weich. Abdomineller Druck­

Baumann H, Nagel W, Biscoping J. Kasuistik interaktiv – Hämoglobin-Abfall und akutes Nierenversagen nach ... Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50: 20–25

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q  Welche Differenzialdiagnosen halten Sie für wahrscheinlich? A (Nach-)Blutung B Verschluss des Choledochus C gallige Peritonitis D Sepsis (unklarer Fokus) E alle oben genannten q  Was wäre Ihr nächster Schritt? A Sonografie des Abdomens B Laborkontrolle in 2 h C CT des Abdomens D sofortige operative Revision E ERCP-Endosonografie Zum jetzigen Zeitpunkt wären alle Differenzial­ diagnosen denkbar. Zur weiteren Abklärung wird unmittelbar bettseitig eine Abdomen-Sonografie durchgeführt.

Sonografischer Befund  Es findet sich keine freie Flüssigkeit. Bei deutlich eingeschränkten Schallbedingungen durch residuale intraabdomi­ nelle Luft nach Pneumoperitoneum sind die Gal­ lengänge nicht ausreichend beurteilbar. Entschluss zur operativen Revision Aufgrund des drastischen Hämoglobin-Abfalls auf 6,6 g/dl stellt der diensthabende chirurgische Oberarzt die Indikation zur sofortigen operativen Revision. Der diensthabende Anästhesist wird ­informiert. Parallel dazu wird zur Blutgruppenbestimmung und zum Antikörpersuchtest Blut entnommen. Bei der klinikeigenen Blutbank werden 6 homo­ loge Erythro­zytenkonzentrate (HEK) angefordert. Aufgrund des positiven Antikörpersuchtests wird unmittelbar zur weiteren Differenzierung Patien­ tenblut in das 42 km entfernte Institut für Transfusions­medizin und Immun­hämatologie des DRK-Blutspendedienstes übersendet. Anästhesie und Notfall-Laparotomie  Der dienst­ habende Oberarzt leitet die Allgemeinanästhesie als „Rapid Sequence Induction“ mit Thiopental, Succinylcholin, Atracurium und Fentanyl ein. Es schließt sich eine balancierte Anästhesie mit ­Sevofluran in einem Luft-Sauerstoff-Gemisch und Bolusgaben von Fentanyl an. Der kreislauf­ stabilen Patientin werden intraoperativ 1500 ml balancierte Vollelektrolyt-Lösung infundiert. Zur Antibiotikaprophylaxe bekommt die Patientin eine Kurzinfusion mit 3 g Unacid (1 g Sulbactam und 2 g Ampicillin). Die kurz nach Narkoseein­ leitung durchgeführte arterielle Blutgasanalyse ­(patientennahe Labordiagnostik) ergibt einen Hämoglobin-Wert von 5,1 g/dl, sodass sich der betreuende Anästhesist zur Transfusion von 2 blutgruppengleichen, aber ungekreuzten HEK

I Labor bei Aufnahme Parameter

Wert

Referenzbereich

Leukozyten

4,4/nl

4–10/nl

Hb

12,7 g/dl

12–16 g/dl

Hämatokrit

38,3 %

Thr

215/nl

Kalium

4,1 mmol/l

Kreatinin

0,53 mg/dl

 60 ml/min

> 60 ml/min

Bilirubin ges.

1,2 mg/dl

0,2–1,3 mg/dl

CRP

2 mg/dl

[Unexpected drop in hemoglobin value and acute renal failure after a routine laparoscopic cholecystectomy--an interactive case report].

An unexpected drop in hemoglobin value requiring immediate transfusion and an acute renal failure were noticed after a routine laparoscopic cholecyste...
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