Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2015) 109, 262—269

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IM BLICKPUNKT: CAM

Zur Diskussion: Die Argumentationsstrukturen von Anhängern paramedizinischer Verfahren Johannes Köbberling ∗, Julia Seifert

Zusammenfassung Ein Hauptgrund für die leider sehr verbreitete und oft kritiklose Hinnahme der Paramedizin seitens der wissenschaftlichen Medizin liegt in der Schwierigkeit der Argumentation mit ihren Vertretern. In Anlehnung an eine Arbeit von Jürgen Windeler sollen die Argumentationsstrukturen, die von den Vertretern der Paramedizin verwandt werden, anhand von Leserbriefen empirisch untermauert werden, die bei der Redaktion der ,,Zeit‘‘ eingegangen sind, nachdem dort die Eröffnungsrede zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im April 1997 zum Thema ‘‘Der Wissenschaft verpflichtet’’ nachgedruckt wurde. Aus den 107 Leserbriefen wurden die häufigsten Argumente aufgegriffen und nach dem Inhalt der Argumente in Gruppen aufgeteilt. Die Ergebnisse lassen deutlich eine Stereotypie erkennen, wie dies an zahlreichen Beispielen dargestellt wird. Auffallend häufig werden die Argumente emotional gefärbt oder polemisch vorgetragen. Sehr häufig oszillieren die Verfasser der Briefe dabei über verschiedene Argumentationsebenen. Um die Position der wissenschaftlichen Medizin in der öffentlichen Diskussion zu stärken und den ständigen Versuchen der Diskriminierung gegenüber der wissenschaftlichen Medizin entgegen zu wirken, müssen die Emotionalität und die oszillierende Argumentationsstruktur paramedizinischer Vertreter erkannt und entlarvt werden. Es wird sonst leicht übersehen, dass die passive Hinnahme und Gewöhnung an die Nicht-Wissenschaft auch für die wissenschaftliche Betrachtungsweise innerhalb der Medizin schädlich ist.

Einleitung Die Akzeptanz der sog. complementär-alternativen Medizin (CAM) ist trotz aller Aufklärungsbemühungen nicht rückläufig sondern weiter zunehmend. Besonders bedauerlich ist, dass auch innerhalb des Medizinsystems eine verbreitete Akzeptanz einer nicht wissenschaftlichen Medizin, hier als Paramedizin zusammengefasst, herrscht. Derartige Verfahren wurden sogar in den Prüfungsordnungen der medizinischen Ausbildung an Universitäten aufgenommen.



Korrespondenzadresse: Professor Dr. med. J. Köbberling, Am Freudenberg 85, 42119 Wuppertal. Tel.: +0202 436680 E-Mail: [email protected] (J. Köbberling).

http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2015.05.003 1865-9217/

An einigen Universitäten wurden in den letzten Jahren zusätzlich Lehrstühle für Naturheilverfahren und alternative Therapierichtungen eingerichtet. Von Seiten der wissenschaftlichen Medizin und ihrer Vertreter wird zugelassen, dass die sog. Alternativmedizin einen immer größeren Stellenwert neben der wissenschaftsorientierten Medizin erlangt. Es stellt sich die Frage, warum von Seiten der wissenschaftlichen Medizin nur eine so geringe Gegenwehr erfolgt, warum es nicht mehr Proteste und Aufklärung hinsichtlich der unzureichend untersuchten und belegten Wirksamkeit und Erfolge gibt. Einer der Hauptgründe für die weitgehend kampflose Hinnahme der Paramedizin ist die Schwierigkeit der Argumentation mit ihren Vertretern. Jürgen Windeler hat sich schon vor mehr als 20 Jahren mit den Argumentationsstrukturen im Verlauf von Diskussionen zwischen Anhängern

Zur Diskussion: Die Argumentationsstrukturen von Anhängern paramedizinischer Verfahren und Gegnern der Paramedizin auseinander gesetzt [1]. Er beschreibt ausführlich die Schwierigkeiten einer sachbezogenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf diesem Themengebiet. Nach seiner Beobachtung sind zwar die Struktur und das Schema der Diskussionen und die hervorgebrachten Argumente seit langer Zeit dieselben, aber die Variabilität der zur Verteidigung unkonventioneller Methoden verwendeten Argumente ist größer geworden. Er stellt eine Reihe typischer und häufig wiederkehrender Argumente anhand von Beispielen dar. Um in Diskussionen zu dem Thema Paramedizin nicht scheinbar hilflos und unvorbereitet dazustehen, ist es nach Meinung Windelers unerlässlich, die Argumente, ihren Realitätsbezug und ihre oft nur unterschwellige Zielrichtung zu kennen und zu erkennen. Das Erkennen und das dadurch mögliche angemessene Reagieren in Auseinandersetzungen mit Vertretern der Paramedizin ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Position der wissenschaftlichen Medizin in der Öffentlichkeit. Mit der vorliegenden Analyse und systematischen Auswertung von Leserbriefen zur Frage der Paramedizin soll geprüft werden, ob sich die Aussagen Windelers bezüglich der wiederkehrenden Inhalte und Stereotypien empirisch bestätigen lassen.

Material und Methode Grundlage für diese Analyse sind die Leserbriefe, die als Reaktion auf einen in der Wochenzeitung ,,DIE ZEIT‘‘ am 25. April 1997 erschienen Artikel ,,Trug der Sanften Medizin‘‘ bei der Redaktion oder beim Autor eingegangen sind. Dieser Artikel stellte eine leicht gekürzte Fassung der Präsidentenrede von Johannes Köbberling bei der Eröffnungsveranstaltung des 103. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin dar [2]. Der Titel des Vortrages, ,,Der Wissenschaft verpflichtet‘‘, war für die Zeitschriftenfassung leider in populistischer Richtung verändert worden. Die wenigen Zuschriften (n=14), in denen eine Zustimmung zu den in dem Vortrag geäußerten Thesen signalisiert wird, werden für die vorliegende Analyse nicht berücksichtigt. Es verbleiben 107 Briefe, die dieser Analyse zugrunde liegen. Die Briefe wurden fortlaufend durchnummeriert. Die zu jedem Zitat angegebene Ziffer bezieht sich auf diese Nummern. Um die inhaltliche Auswertung der Leserbriefe strukturieren zu können, wurde eine Gliederung von immer wiederkehrenden Argumenten vorgenommen. Aus den Briefen wurden dabei über 400 Einzelaussagen entnommen, die in inhaltlich zusammenhängende Begriffsgruppen eingeteilt wurden. Dabei wurden Argumente, die sich innerhalb einer Zuschrift mehrfach in abgewandelter Form wiederfinden, nur einmal in die Auflistung übernommen. Die Systematik der aufgeführten Argumente und Begriffe lehnt sich zum Teil an die Arbeit von Windeler [1] an. Nicht in allen Fällen konnte eine eindeutige Zuordnung zu einem der Argumente vorgenommen werden. Die Grenze zwischen den verschiedenen Argumenten ist deshalb unscharf. Durch das Auftreten mehrerer Argumente in einem Leserbrief kommen Mehrfachnennungen zustande. Die insgesamt 20 unterschiedlichen Argumente wurden in fünf Gruppen zusammengefasst: I. Herabsetzung der wissen-

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schaftlichen Medizin, II. Falsche tendenziöse Begriffswahl, III. Erklärungsversuche zur Wirksamkeit, IV: weitere Pseudobegründungen, V. Dialektische Argumentationsversuche. Eine gesonderte Betrachtung erfolgt bezüglich von Reaktionen auf die im Vortrag erwähnte Analogie zur ,,Deutschen Medizin‘‘ in der Nazizeit. Ebenfalls getrennt betrachtet werden die konstruktiv klingenden Vorschläge zu einem friedlichen Miteinander der verschiedenen ,,Säulen der Medizin‘‘, zusammengefasst unter der Überschrift ,,Brückenbauer‘‘.

Ergebnisse Herabsetzung der wissenschaftlichen Medizin Schulmedizin (33 Zuschriften) Nur in wenigen Zuschriften wird der Begriff Schulmedizin zur formellen Abgrenzung gegenüber den paramedizinischen Methoden verwandt. In den meisten Fällen wird mit dem Begriff, ähnlich wie schon bei Hahnemann, die etablierte Medizin als starres, unflexibles System abqualifiziert, das in dogmatischem Denken verhaftet ist. Die zum Dogma erhobene Anschauung der ,,Schulmedizin‘‘. (33) Naturwissenschaft ohne Patientenorientierung (19 Zuschriften) Obwohl eine Kernaussage des Vortrages auf dem Internistenkongress dahin ging, dass der Begriff Wissenschaft im Zusammenhang mit der Medizin nicht mit Naturwissenschaft gleichzusetzen ist, wird immer wieder eine solche Gleichsetzung vorgenommen. Damit wird die wissenschaftliche Medizin mit einer rein technischen und reduktionistischen Medizin assoziiert, die in Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse versagt. Es genügt eben nicht, den Menschen nur als einen Organismus zu betrachten, den man repariert wie ein Auto (104). Immer wieder wird unterstellt, dass eine wissenschaftlich orientierte Medizin nicht dem Ziel einer patientenorientierten Gesundheitsförderung dient. Die . . . so gepriesene Wissenschaftlichkeit hat in vielen Fällen Behandlungsmethoden etabliert, die zwar bestimmte Untersuchungs- oder Laborbefunde verbessern, den Patienten jedoch keinen Zuwachs an Gesundheit, in manchen Fällen sogar einen früheren Tod bringen (75). Nebenwirkungen (9 Zuschriften) Der provozierte negative Beigeschmack der wissenschaftlichen Medizin wird noch verstärkt, wenn von Nebenwirkungen die Rede ist. Einerseits geschieht dies durch Hervorheben schlimmer Folgen durch die ,,chemische Medizin‘‘, andererseits werden Nebenwirkungen in der Paramedizin kategorisch verneint. Stereotyp wird behauptet, die Schulmedizin verwende Medikamente mit erheblichen Nebenwirkungen, die lediglich eine Symptomverschiebung erreichen, die Lebensqualität verschlechtern, ja sogar zum Tode führen.

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J. Köbberling, J. Seifert

Wozu aber ist es nötig einem Kranken hohe Dosen chemischer Gifte zu verabreichen, wenn diese schrecklichen Nebenwirkungen vermieden werden können? (3)

Die Paramedizin wird, ausschließlich positiv konnotiert, als ganzheitliche, individuelle Medizin dargestellt, häufig ohne diese Aussagen in irgendeiner Form zu begründen.

Ich kann mich dann allenfalls mit den Lebensqualität verschlechternden Nebenwirkungen herumärgern, aber mir wird nicht geholfen! (24)

Er polemisiert gegen ganzheitliche und individuelle Behandlung (80)

Phytotherapie, Shiatsu, Ayur-Veda, um nur einige nebenwirkungsfreie Methoden zu nennen (53)

Naturheilkunde, sanfte Medizin (13 Zuschriften) Die Bezeichnung ,,Naturheilkunde‘‘ wird unabhängig von einem bestehenden oder nicht bestehenden Zusammenhang mit natürlichen Vorgängen für fast alle paramedizinischen Verfahren angewandt. Bewusst soll eine Assoziation mit dem positiv besetzten Begriff Natur hervorgerufen werden.

Ökonomische Interessen (35 Zuschriften) Der in dem Vortrag geäußerte Vorschlag, paramedizinische Verfahren nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen, wird dem Autor von der Vielzahl der Leser als persönliches ökonomisches Interesse angekreidet. In Zeiten des sozialen Abbaus ist das Anliegen verständlich, die ohnehin knappen Pfründe der Sozialkassen nicht mit Angehörigen anderen Glaubens teilen zu wollen (14) Die Forderung nach der Ausgrenzung paramedizinischer Diagnostik und Behandlungsmethoden aus der gesetzlichen Krankenversicherung entfacht eine politisch und ökonomisch angehauchte Gegendiskussion. Im speziellen geht es dabei um den Vorwurf, der Autor sei durch persönliches finanzielles Interesse zu seiner Aussage gekommen, er fürchte um seine Existenz, wenn bei gesundheitspolitischen Entscheidungen auch die die Paramedizin als Kassenleistung einbezogen würde. Dabei wird eine moralisierende Ebene erreicht, wenn ihm das Wohl der Bevölkerung zugunsten seines Profits abgesprochen wird. Allzu deutlich zeigen sich die Hüter der menschlichen Gesundheit mehr ihren eigenen finanziellen Interessen verbunden, als dem Wohl der Bevölkerung. (56)

Falsche tendenziöse Begriffswahl Ganzheitsmedizin (16 Zuschriften) Mit der im Zusammenhang mit paramedizinischen Methoden häufigen Verwendung des Begriffes Ganzheitsmedizin soll ausgedrückt werden, dass im Gegensatz zur wissenschaftlichen Medizin der ganze Mensch betrachtet wird. Die besonderen Therapieeinrichtungen zeichnen sich dadurch aus, daß der kranke Mensch, im Gegensatz zur symptomorientierten Schulmedizin, als Ganzes behandelt wird (82). Psychische und soziale Komponenten des Einzelnen werden nach Meinung vieler Leserbriefautoren unter der Faszination der technischen Machbarkeit vernachlässigt. Immer wieder wird von Vertretern der Paramedizin die notwendige Einbeziehung von Geist und Seele betont. Die Unterstellung, dass diese Faktoren in der wissenschaftlich orientierten Medizin vernachlässigt werden, durchzieht eine Vielzahl von Briefen. .. denn sie haben keine ganzheitliche Sicht des Menschen, der mehr als jedes andere Lebewesen eine Einheit aus Körper, Seele und Geist bildet, die bei der Beratung Berücksichtigung finden muß. (93).

...über die von Ihnen als Paramedizin bezeichnete Naturheilkunde (51) Weitere positiv konnotierte Begriffe wie ,,sanfte Medizin‘‘, ,,humanistische Medizin‘‘ und ,,biologische Medizin‘‘ werden ebenfalls verwandt, ohne dass dies sachlich begründet wird. Hier wird mit sanften Methoden z.B. Shiatsu wirksame Gesundheitsvorsorge betrieben (13)

Erklärungsversuche zur Wirksamkeit Kein Placeboeffekt (23 Zuschriften) Auf vehementen Protest stößt die Behauptung, die Erfolge in der Paramedizin beruhten zum Teil auf dem Placeboeffekt. Aus beobachteten Wirkungen meint man, einen Placeboeffekt sicher ausschließen zu können. Wer als Arzt in seiner täglichen Praxisarbeit erlebt hat, wie schnell und durchgreifend homöopathische Arzneimittel bei ernsten chronischen Krankheiten wirken, der ist davon überzeugt, daß es sich nicht um einen Placeboeffekt handelt (16) Mehrfach wird unterstellt, dass ein Placeboeffekt nur angenommen werde, weil keine plausiblen Erklärungen für die Wirksamkeit vorliegen. Da er sich die Wirkung anderer Methoden nicht erklären kann, greift er zur Erklärung durch den Placebo-Effekt. (132) Heilung (22 Zuschriften) Vertreter der Paramedizin betonen immer wieder, dass es, im Gegensatz zur Schulmedizin, mit alternativen Methoden zu einer echten Heilung von Krankheiten kommt. Dabei wird besonderer Wert auf die Stärkung von Selbstheilungskräften gelegt. Der Patient erfährt Heilung, seine Selbstheilungskräfte werden aktiviert. (53) Bei den Problemen der heutigen Zeit,... hat die Schulmedizin überhaupt keine Möglichkeiten, die zu einer Heilung führen können, bestenfalls Symptombekämpfung mit vielen Nebenwirkungen (94) Die Betonung der Heilung spiegelt sich auch in der Wortwahl wider, wobei sehr gern Begriffe wie Heilung, Heilmethoden, Selbstheilung, Heilprinzip und Heilkunde verwandt werden.

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Naturheiler sind im allgemeinen Querdenker,...die Erforschung alternativer Heilverfahren. (50)

Der Heilpraktiker hat das Schauen gelernt: Das Antlitz, die Zunge, die Augen, die Irriden verraten ihm viel. (53)

Die Homöopathie beobachtet hingegen ihr Heilprinzip. . .(74)

Wenn man in diesen Frühsommertagen durch eine Wald und Wiesenlandschaft wandert und sie in ihrem vollen Glanze in sich aufnimmt, dann wird einem unwillkürlich, wenn man kein Stumpfling ist, bewußt, welche ungeheuren u. unerschöpflichen Heilsubstanzen in der Natur zu finden sind. (3)

Methodische Unfassbarkeit (10 Zuschriften) Die Behauptung, dass die Diagnose- und Therapieverfahren der Paramedizin sich den wissenschaftlichen Methoden entziehen und sich nicht statistisch oder kontrolliert experimentell überprüfen lassen, steht häufig unvermittelt der Behauptung gegenüber, dass auch die Paramedizin wissenschaftlich überprüft sei. Selbst wenn die Wirkung paramedizinischer Heilverfahren mit wissenschaftlichen Methoden nicht nachweisbar ist, so ist sie dennoch evident. (79) Für die wissenschaftliche Überprüfung alternativer Methoden, müssen mit Sicherheit einige völlig andere Instrumentarien des wissenschaftlichen Zugriffes entwickelt werden als die bisher vorhandenen. (73) Der Anspruch der Medizin auf Wissenschaftlichkeit wird in vielen Zuschriften abgelehnt, sogar als ,,Hochmut‘‘ bezeichnet. Der Autor urteilt nach dem Motto: Was ich nicht nachweisen kann, ist nicht da. Er zieht nicht einmal in Betracht, daß es auch Dinge gibt, die man (noch) nicht wissenschaftlich nachweisen kann bzw. die nicht nachvollziehbar sind. (90) Kasuistische Erfahrungen (9 Zuschriften) Die Darstellung von Kasuistiken mit Heilerfolgen dient regelmäßig dem Beleg der Wirksamkeit. Der Betroffene berichtet auch von seinen eigenen Erfahrungen, die ihn letztlich von der gewählten Methode überzeugt haben. Für den Laien wie mich zählen die persönlichen Erfahrungen — die eigenen, und die, die mir von Freunden und Verwandten mitgeteilt werden. (10) Kritiken an der einmal gewonnenen Überzeugung durch kasuistisch untermauerte Wirkbehauptungen werden nicht akzeptiert, sogar eher als persönlicher Angriff empfunden. Unwissenschaftlich ist es also, persönliche Erfahrung als Grundlage empirischen Forschens auch dann nicht ernst zu nehmen, wenn sie ,,unwiderlegbar‘‘ ist. (77) Es wird sogar der Eindruck vermittelt, eine derart hohe Qualität der Wirksamkeitsbelege sei in der wissenschaftlichen Medizin nicht zu erreichen. Ich bin nunmal von der ,,Schulmedizin‘‘ längere Zeit wegen einer Hautkrankheit erfolglos therapiert worden. . .. Eine Behandlung bei einem Heilpraktiker hat sehr schnell gute Erfolge gebracht. (59)

Weitere Pseudobegründungen Idealisierung, Mystifizierung (6 Zuschriften) Häufig wird anhand unkontrolliert subjektiver Einschätzung die paramedizinische Methode idealisiert oder mystifiziert.

Die Idealisierung der Paramedizin kann sich dabei bis in philosophische und soziologische Ebenen erstrecken, wenn ihr eine Bedeutung weit über die Gesundheit hinaus zugesprochen wird. Hinter alternativen Heilangeboten stehen Konzepte, die weit über die Bedeutung von Gesundheit im engeren Sinne hinausgehen; sie betreffen auch die Stellung des Menschen in der Welt und der Gesellschaft. (128). Große Fallzahlen, Verbreitung (10 Zuschriften) Daseinsberechtigung reklamiert die Paramedizin auch durch die Angabe großer Fallzahlen, vieler Erfolge und breiter Akzeptanz. Dabei werden entweder die Massen der Menschen erwähnt, die sich von der wissenschaftlichen Medizin abgewandt haben, oder es werden die unzähligen Therapieerfolge durch die Paramedizin hervorgehoben ...und Scharen von Patienten in dem Maße, wie sie das Vertrauen in die Schulmedizin verlieren, dieses in die alternativen Heilmethoden gewinnen,...(20) . . .ebenso wurden unzählige Menschen erfolgreich behandelt. (22) . . .weil sie sich überzeugend bewährt hat, wie Tausende von geheilten Patienten bestätigen. (56) Alter der Methode (13 Zuschriften) Durch das Hervorheben des Alters einer Methode wird ohne inhaltliche Begründung häufig eine Stabilität suggeriert, die sich durch ihr langes Fortbestehen gar nicht Irren kann. Es soll der Eindruck zeitlos gültiger Prinzipien geweckt werden, die ohne inhaltliche Begründung allein durch ihre zeitliche Konstanz Richtigkeit beweisen. Die Homöopathie behauptet sich seit 200 Jahren, das ist stark! (53) Es ist nicht hinnehmbar, wenn dem Artikel nun ein Bild der Akkupunktur beigefügt wird, und dieses seit 2000 Jahren in China angewandte Verfahren als Glaubensmedizin bezeichnet wird. (34) Zum einen übersieht der Autor, daß das, was heute in der wissenschaftlich begründeten Schulmedizin offizieller Standpunkt ist, sich oft in 10 Jahren als falsch herausstellt....Die Homöopathie beobachtet ihr Heilprinzip hingegen seit über 100 Jahren und die Akupunktur gar seit Jahrtausenden. (74) Dabei wird regelmäßig außer Acht gelassen, dass festgefahrene, immer gültige Methoden sich der nötigen kritischen Hinterfragung und damit dem wissenschaftlichen Fortschritt entziehen.

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Große Namen (5 Zuschriften) In einigen Fällen findet die Rechtfertigung über die Nennung von bekannten statt.

die Argumentation jeder logisch strukturierten Form und die Gedankenflucht des Autors scheint in keiner Weise nachvollziehbar.

...viele der verunglimpften Methoden der Naturheilkunde...sind wissenschaftlich und sehr ausführlich in dem fünfbändigen Werk ,,Dokumentation der besonderen Therapieeinrichtungen und natürlichen Heilverfahren in Europa‘‘ beschrieben worden. Der Herausgeber ist das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr. (57)

Die Voraussetzungen der Wissenschaftlichkeit lassen sich selbst nicht wiederum wissenschaftlich begründen. Somit läßt sich die Homöopathie wissenschaftlich eben nicht widerlegen. Der Beitrag von K. ist demnach ein solcher zum Erkenntnisoptimismus oder zur Wissenschaftsgläubigkeit, jedenfalls aber eine erkenntnistheoretische Leichtfertigkeit. (64)

Eine weitere Strategie ist das Nennen von Namen mit vermeintlich hohem Bekanntheitsgrad, um einer Methode Glaubhaftigkeit zu verleihen..

Dieser Aspekt im Umgang mit Alternativ- bzw. Komplementärmedizin darf aber niemals zu einer Allgemeingültigkeit vorspiegelnden unhaltbaren Kausalkette in der Art avancieren, wie sie sich im Text der Rede im Sinne der folgenden Matrix aufdrängen soll:...(102)

.., daß dieser Weg weder wissenschaftlich ist noch zu Heilerfolgen führen kann, wird langsam auch dem entmündigsten Patienten klar und von Prof. Hartmut Heine, Hochschule Herdecke, immer wieder betont. (93) Zu meinem Hinweis auf die Hydro-Skelett-Theorie /Kritische Evolutionstheorie teile ich Ihnen ergänzend mit: Diese ist mit den Namen der Biologen W.F. Gutmann, K. Bonik, M. Graßhoff verbunden. (9) Klassische Zitate (7 Zuschriften) Mit dem Zitieren von bekannten Persönlichkeiten aus der Literatur wird eine Seriosität vorgetäuscht. Die Zitate sind dabei oft aus ihrem eigentlichen Zusammenhang gerissen worden und scheinen in ihrem neuen Kontext eine neue Bedeutung zu bekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich mir erlauben, ein Wort von Goethe zu erwähnen, der bereits vor 200 Jahren sagte:‘‘ Wir gestehen lieber unsere moralischen Irrtümer, Fehler und Gebrechen ein als unsere wissenschaftlichen‘‘, (51) Philosophie ist für den Menschen Bestrebung zur Weisheit, die jederzeit unvollendet ist (Immanuel Kant). (27) Besonders beliebt und häufig zitiert ist das berühmte Hamlet-Zitat Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt. (3) und der Spruch aus Goethes Faust Und ich sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. (109)

Dialektische Argumentationsversuche Gedankliche Inkohärenzen (7 Zuschriften) Viele Leserbeiträge lassen sich nur schwer verstehen und interpretieren, weil die verwendete Sprache einen wissenschaftstheoretischen Anspruch vortäuscht. Häufig entbehrt

Mit dem medizinischen Wissen wurden auch ganze Einstellungsbündel zu Schichten und spezifisch historischen und sozialen Verhältnissen mittransportiert...(107) Manche Autoren verbinden mehrere zusammenhanglose Äußerungen in einem Satz und versuchen so völlig inhaltsleere Phrasen zu formulieren. Die Physik hat uns die Nuklearmedizin geschenkt, toll! Von Ferne hört man Hiroshima aufschreien und vor der Haustür parkt der Castor- Transporter, schaurig. (85) Umkehr von Argumenten (11 Zuschriften) Der ,,Angriff‘‘ auf die eigene Methode wird teilweise abgewehrt durch die bloße Umkehr eines im Text genannten Arguments und Projizierung auf die wissenschaftliche Medizin. Dem ist ebenfalls zuzustimmen bei seiner Kritik des Hantierens mit falschen Begriffen, unsachgemäßen Gleichsetzungen usw.. Aber erliegt er nicht selber immer wieder demjenigen, was er mit Recht so vehement kritisiert? (5) Ihr verächtlicher und zuweilen fast zynischer Unterton ist insofern unwissenschaftlich, weil in ihm schon von vornherein eine Aburteilung dieser Methoden liegt, ohne daß diese von schulmedizinischer Seite aus wirklich gründlich genug erforscht und lange genug geprüft wurden! Es ist also genau das, was Sie für so verdammenswert halten! (3) Wissenschaft ist: Hypothesen bilden und kritisch überprüfen‘‘ Wunderbar! Genau das tut ein Homöopath bei der Erarbeitung seiner Arzneimittelbilder. (15) Bewusste Missinterpretation (6 Zuschriften) Mehr oder weniger bewusst unterliegen bestimmte Textpassagen einer klaren Missinterpretation, obwohl die Inhalte sehr ausführlich dargestellt wurden. K. verweist auf die Nicht-Gleichsetzung von Medizin und Wissenschaft. Leider bleibt er jegliche Erläuterung schuldig, was Medizin sonst wohl noch sei, wenn nicht Naturwissenschaft! (15)

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K. tut so, als ob exakt-naturwissenschaftliche Erkenntnisse die einzige Quelle für Wissenschaft überhaupt seien. (89)

der Nationalsozialisten zu rücken. Mit wissenschaftlicher Auseinandersetzung hat diese Polemik wohl wenig gemeinsam. (82)

Wie ist denn bei K. der Begriff der Wissenschaft definiert oder Charakterisiert? Das verschweigt er, man kann es nur ahnen! (66)

Andere fühlen sich aufgrund dieser provokanten Aussage dazu aufgerufen, den Zusammenhang mehr oder weniger ausführlich zu widerlegen.

Diffamierung (47 Zuschriften) Auffallend häufig wird die sachliche Diskussion zugunsten von emotionalen Äußerungen und persönlichen Beleidigungen und Diffamierungen verlassen. ...ein sehr typischer Vertreter schulmedizinischer Interessenarroganz...(8) ...haben...einen Wutund Angstschrei gegen alle...möglichen so genannten alternativen Heilmethoden ausgestoßen, die meiner Meinung nach an Halbwissen, Falschwissen und Unwissen, ein schönes Konglomerat, nicht zu überbieten sind...(17) Als Heilpraktiker weiß ich nicht, ob ich mich über die Unwissenheit, Ignoranz und Überheblichkeit der Verfasser dieser Artikel ärgern oder ob ich lachen soll.‘‘ (58) Ein grandioser Parforce-Ritt auf dem Gaul des Pauschalurteils durch Sümpfe der Verallgemeinerung und Unwissenheit, der ihn als das entlarvt, was er bekämpft: Ein Dogmatiker. (15) Vorwurf der Inkompetenz (25 Zuschriften) Das Aberkennen der Kompetenz äußert sich auch in dem Vorwurf einer einseitigen und unwissenden Darstellung bzw. Kritik der Paramedizin. Kritik ist frühestens dann berechtigt, wenn man um die Forschungsergebnisse der eigenen Domäne Bescheid weiß. (25) . . .da er es offensichtlich nicht für nötig erachtet hat, sich ein differenziertes Bild von den von ihm kritisierten Richtungen therapeutischen Denkens und Handelns zu verschaffen (37) Mit Entsetzen über die unvergleichliche Arroganz und fehlende Sachkenntnis ihrer Autoren..(56)

Nazivergleiche In dem Vortrag auf dem Internistenkongress und in dem ZEIT-Artikel wurde im Zusammenhang mit dem 1939 erlassenen Heilpraktikergesetz darauf hingewiesen, dass gerade in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland die Paramedizin ,,hoffähig‘‘ gemacht wurde. Dabei wurde ausgeführt, dass der ,,Geist der Unwissenschaftlichkeit‘‘, der schon vor 1933 in Deutschland herrschte, durch Nationalsozialistische Ideologien staatlich gefördert wurde. Dieser erwähnte Zusammenhang zwischen Unwissenschaftlichkeit und der Nationalsozialistischen Epoche in Deutschland hat zu besonders heftigen emotionalen Reaktionen geführt. In diesem Bemühen schreckt er nicht davor zurück, diese naturheilkundliche Richtung der Medizin in die Nähe

Tatsache ist, daß die Nationalsozialisten die Heilpraktiker gerade aussterben lassen wollten. (50) Andere verteidigen die Paramedizin mit dem zeitlichen Argument, es habe diese Methoden schließlich schon vor den Nationalsozialisten gegeben. Das Totschlagargument, daß die Verbreitung der ,,Paramedizin‘‘ mit der ,,Neuen Deutschen Heilkunde‘‘... der Nazis zu tun hat, ist nachweislich falsch. Schon lange vor den Nazis gab es die große Volksgesundheitsbewegung und homöopathische Laienbewegung. (94) Der Autor wird sogar beschuldigt, über die moralische Grenze hinauszugehen und das Thema Nationalsozialismus nur als ein verwerfliches Stilmittel zur Abwertung der Paramedizin gegenüber der breiten Masse zu verwenden. Homöopathie und Nationalsozialismus in einem Atemzug zu nennen, riecht danach, dass K. jedes Mittel recht ist, die Homöopathie abzuqualifizieren. (16) Die Ausführungen fordern Intoleranz und zeugen nicht nur von beklemmender Einseitigkeit, sondern auch von existentieller Angst vor Konkurrenz durch Anerkennung anderer Therapien. Diese Angst ist offensichtlich so groß, daß der Autor nicht einmal vor dem absurden Versuch zurückschreckt, die z.T. jahrhundertealte Naturheilkunde in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken. (104)

,,Brückenbauer‘‘ Mehrere Kritiker fordern als Schlussplädoyer ihrer Ausführung ein friedliches Miteinander der verschiedenen ,,Säulen der Medizin‘‘, also von wissenschaftlicher Medizin und Paramedizin. Warum kann man sich nicht gegenseitig gelten lassen? (3) ..und es gehört sich an einen Tisch gesetzt, das Klammern an althergebrachten Modellen über Bord geworfen und geklärt, wie sich diese Fragen zum Wohle des Patienten, um den es ja schließlich geht, lösen lassen. (20) Oft ist diese Forderung verbunden mit dem Wunsch, den Patienten anstelle der kontraproduktiven Diskussion in den Vordergrund zu rücken. Zu seinem Wohl soll er frei unter allen Möglichkeiten wählen können, ohne sich zwischen zwei Fronten stellen zu müssen. Dennoch ist es wünschenswert, dem Patienten, dessen Wohl doch im Mittelpunkt dieser Debatte stehen sollte, eine autonome Wahl der Methode, von der er sich Hilfe verspricht, zu ermöglichen. (14)

268 In diesem Zusammenhang wird mehrfach der populistische aber grundlegend falsche Spruch ,,wer heilt hat Recht‘‘ zitiert.

Diskussion Die Zuschriften spiegeln die Argumentationsstruktur der Vertreter der Paramedizin in der öffentlichen Diskussion und bei der Durchsetzung ihrer Interessen wider. Dabei werden immer wieder typische Argumente deutlich, wie dies auch schon Windeler [1] herausgestellt hat. Die Stereotypie der Argumente lässt sich anhand der Leserzuschriften belegen und empirisch untermauern. Da es sich nur um die Auswertung einseitiger Meinungsäußerungen handelt, ist dies nur bedingt mit einem echten Diskurs vergleichbar. Die besonderen Schwierigkeiten, die sich aus einem Dialog mit Anhängern der Paramedizin ergeben, lassen sich aber trotzdem aus der Art der Argumentation ablesen. Bemerkenswert ist, wie stark diese einseitigen Meinungsäußerungen oder Repliken emotional geprägt sind. Dies gilt auch für Briefe, die erkennbar von Akademikern oder anderen Intellektuellen stammen. Auffallend ist, dass rund ein Drittel der kritischen bzw. ablehnenden Zuschriften von Autoren stammen, die eindeutig der Berufsgruppe der Mediziner angehören. Einige der widergegebenen Beispiele emotionaler Äußerungen stammen aus solchen Briefen. Besonders heftig waren die emotionalen Äußerungen im Zusammenhang mit der Erwähnung der besonderen Akzeptanz der nicht wissenschaftlichen Medizin in der Nazizeit. Natürlich war nicht beabsichtigt, paramedizinische Verfahren als Ausdruck einer rechten Gesinnung darzustellen. Viele Briefschreiber haben aber eine solche Absicht unterstellt, um sich mit sehr scharfen Worten davon zu distanzieren. Infam finde ich, wie der Versuch gemacht wird, den Bogen von Akupunktur zum Hakenkreuz zu spannen und die Anhänger von Naturheilkunde in die braune Ecke zu stellen. (10). Es ist nicht schwer, heutzutage eine subtil vernichtende Breitenwirkung zu erreichen, wenn es gelingt, Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie in die Nähe der Nazi-Machenschaften zu rücken. Dann ist eine seriöse Auseinandersetzung überflüssig (37). Auch in anderem Zusammenhang wird die Tendenz deutlich, falsche Behauptungen anzustellen oder Unterstellungen zu formulieren, um sich dann heftig davon distanzieren zu können. Dies gilt z.B. für Plakatierung der wissenschaftlichen Medizin als reine Naturwissenschaft, obwohl in dem Vortrag ausführlich dargelegt worden ist, dass wissenschaftliche Medizin eben nicht nur Naturwissenschaft ist. Die Crux der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin besteht darin, dass mit den Methoden der Naturwissenschaft ausschließlich die physische Seite des Menschen erfahrbar wird (33). Obwohl sehr deutlich gemacht wurde, dass der Wissenschaftsbegriff universell ist und nicht an eine bestimmte Schule oder Denkkategorie gebunden ist, wird dies fehlgedeutet, um sich hiervon distanzieren zu können.

J. Köbberling, J. Seifert Da die Schulmedizin Wissenschaftlichkeit an eigener Werteskala misst, haben alternative Heilmethoden selbstverständlich keinen Bestand (80). Sehr deutlich wird die Weigerung, sachlich vorgetragene Begründungen oder Erklärungen zu ignorieren, im Zusammenhang mit dem Placebobegriff. In dem Vortrag wurde ausgeführt, dass Vertreter der wissenschaftlichen Medizin den Placebo-Effekt nicht nur kennen sondern auch nicht selten gezielt einsetzen. Die Vertreter alternativmedizinischer Verfahren, deren ,,Wissenschaft‘‘ ganz überwiegend auf Placebo-Effekten, besser kontextabhängigen Wirkungen, beruhen, bestreiten dagegen häufig die Existenz oder die Bedeutung dieses Phänomens und wehren sich heftig gegen derartige ,,Unterstellungen‘‘. Wer die ,,Erfolge paramedizinischer Therapieverfahren‘‘ mit dem viel zitierten Wort ,,Placebo-Effekt‘‘ erklärt, täuscht mäßig elegant über sein Nichtwissen hinweg. (85) Mit viel Emotionalität wird in den Leserbriefen immer wieder der ökonomische Aspekt erwähnt, und es wird der wissenschaftlichen Medizin häufig eigennütziges Konkurrenzdenken vorgeworfen. Das folgende Zitat stammt bemerkenswerter Weise von einem Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmedizin. . . .. damit wird der Kuchen für die Schulmedizin kleiner, und das kann Herr K. natürlich nicht wollen. Das es noch um etwas anderes gehen könnte, als um Macht und Geldverteilung, darauf kommt der Autor nicht. (75) Leider hatte ,,Die Zeit‘‘, die den kritischen Vortrag vom Internistenkongress übernommen und nachgedruckt hat, statt des positiven Statements im Titel ,,Der Wissenschaft verpflichtet‘‘ eine negativ formulierte Überschrift gewählt: ,,Trug der sanften Medizin‘‘. Insbesondere mit dem Titelzusatz ,,Die Alternativmedizin ist meist Glaubenssache. Dennoch wollen Patienten, Richter und Politiker sie kassenfähig machen‘‘ wurde dem Leser ein nicht beabsichtigtes ökonomisches Motiv suggeriert. Dies könnte bei vielen Briefschreibern der Anlass gewesen sein, sehr heftige aber völlig am Thema vorbei gehende Äußerungen zur Ökonomie zu machen. Der Artikel . . . zeigt, wie angesichts der immer leerer werdenden Kassen im Gesundheitswesen mit zunehmend härteren Bandagen gekämpft wird, um unliebsame Konkurrenten zu verdrängen (72) Windeler [1] hat insbesondere die verbreitete Oszillation der Argumentationsebenen in Diskussionen mit Anhängern der Paramedizin herausgestellt, die bei vielen Vertretern der Wissenschaft zu einer gewissen Hilflosigkeit führt. Diese Neigung zu Wechseln auf unterschiedliche Ebenen lässt sich auch in den analysierten Leserbriefen erkennen. Sehr häufig ist ein Wechsel zwischen emotional vorwurfsvollen oder beleidigenden Aussagen auf der einen Seite und wissenschaftlich anmutenden Aussagen auf der anderen Seite zu erkennen. Ein typisches Beispiel stellt ein Brief eines Arztes für Kinderheilkunde (15) dar, der hier kurz zusammengefasst wird. Der Brief beginnt unter Verwendung verschiedener Metaphern auf der emotional beleidigenden Ebene:

Zur Diskussion: Die Argumentationsstrukturen von Anhängern paramedizinischer Verfahren Dem Autor kann zu seiner Synopsis der Paramedizin nur gratuliert werden: Ein grandioser Parforce-Ritt auf dem Gaul des Pauschalurteils durch Sümpfe der Verallgemeinerung und Unwissenheit, der ihn als das entlarvt, was er bekämpft: Ein Dogmatiker!‘‘. Nach einer provokant vereinfachten Wiedergabe des Wissenschaftsbegriffs, wechselt der Autor auf eine vermeintlich wissenschaftliche Ebene. Zunächst wird der Anschein der begrifflichen Erörterung von Medizin und Wissenschaft erweckt: Herr K. verweist auf die Nicht-Gleichsetzung von Medizin und Naturwissenschaft‘‘. Dieser Satz gilt jedoch lediglich als Überleitung, um den Autor mit kompetent klingender, aber nachweislich falscher Aussage zu diffamieren und inkompetent erscheinen zu lassen: Leider bleibt er jegliche Erläuterung schuldig, was Medizin sonst wohl sei, wenn nicht Naturwissenschaft‘‘. Es folgen einige Fragestellungen, die die Zusammenhänge des Vortrages falsch zusammenfügen. Somit ist der Wechsel auf die emotionale Ebene erneut vollzogen. Zurück zur methodischen Auseinandersetzung geht es über die Erklärung der vermeintlichen Arbeitsweise eines Homöopathen: Wissenschaft ist: Hypothesen bilden und kritisch überprüfen. Wunderbar! Genau das tut ein Homöopath bei der Erarbeitung seiner Arzneimittelbilder!

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Dies wäre in einem Dialog mit dem Briefschreiber ein guter Ansatz, um das Thema einer kritischen Überprüfung zu diskutieren. Vermutlich würde er im Dialog aber genauso reagieren, wie in dem Brief, denn er hat bereits einen erneuten Wechsel auf eine andere Ebene vorgenommen, die in einer allgemeinen Wertediskussion endet und sogar zu dem Vorwurf einer Lüge führt: Und für‘s Publikum haben sie noch etwas von Naturheilkunde zusammengelogen, so wie der Autor dieses Artikels‘‘. Das Ziel solcher Oszillationen ist es, sich einer vertiefenden Erörterung jederzeit entziehen zu können, indem die wissenschaftlich-sachliche Diskussion zu verlassen und auf eine andere Ebene ausgewichen wird. Dies geschieht möglichst in für den Diskussionsgegner überraschenden Wechseln. Eine daraus resultierende Hilflosigkeit wird dem Adressaten dieser Argumente in der Öffentlichkeit als Schwäche ausgelegt.

Literatur [1] Windeler Jürgen. Argumentationsstrukturen bei der Verteidigung nicht wissenschaftlich begründeter Verfahren in der Medizin. In: Köbberling Johannes, editor. Die Wissenschaft in der Medizin, Selbstverständnis und Stellenwert in der Gesellschaft. Stuttgart, New York: Schattauer Verlag; 1992. p. 83—114. [2] Köbberling Johannes. Der Wissenschaft verpflichtet. Medizinische Klinik 1997;92:181—9.

[Under discussion: Argument structure of supporters of paramedical procedures].

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