Der interessante Fall 461
Kasuistik
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Ein 5-Jähriger wurde von seinem Vater mit einem febrilen Infekt der oberen Atemwege und Halsschmerzen, die vor 8 Tagen begonnen hätten, vorgestellt. Seit dem gestrigen Abend seien Gelenkbeschwerden hinzugekommen, welche v. a. die distalen Gelenke betrafen und Gehen aufgrund von Schmerzen nahezu unmöglich machten. Auch die Hand- sowie etwas weniger die Ellenbogengelenke hätten geschmerzt. Über Nacht kam es zunächst zu einer Beschwerdebesserung und das Kind war am Morgen wohlauf und spielte. Im Laufe des Tages stellten sich wieder zunehmend Gelenkschmerzen ein, zu denen nun auch für die Eltern beunruhigende Hauteinblutungen kamen.
krampfartige Bauchschmerzen und Blut im Stuhl zu achten. Zunächst kam es zu einer Verschlechterung gefolgt von einer von Tag zu Tag merklichen Besserung der Beschwerden. Die
Körperliche Befunde
Bei Erhebung des körperlichen Status zeigte sich eine eitrige Tonsillitis und eine massive druckschmerzhaft Schwellung der Gelenke von distal nach proximal abnehmend mit petechialen Einblutun gen, die ein ähnliches Verteilungsmuster mit streckseitiger Betonung aufwiesen ▶ Abb. 1 links). Die Petechien waren pal( ● pabel, leicht erhaben und mit einem Glasspatel nicht wegzudrücken. Die körperliche Untersuchung durch den pädia trischen Konsiliararzt ergab bis auf die genannten Symptome keine Auffälligkeit. Die Diagnostik ergab eine Körpertemperatur von 38,5 °C und eine leichte Erhöhung des C-reaktiven Proteins und der Leukozyten bei normwertigen Thrombozyten und normalem Gerinnungsstatus. Der Urinstatus zeigte keine Protein- oder Hämaturie. Eine Blutdruckmessung ergab normotone Werte. In Zusammenschau der Befunde und der Symptome wurde als klinische Diagnose der Verdacht auf eine Purpura Schönlein-Henoch (PSH) geäußert.
Therapie und Verlauf
Therapeutisch wurde zur Behandlung der eitrigen Tonsillitis eine orale Antibiose mit Cefuroxim kombiniert mit einer Analgesie mit Paracetamol initiiert. Die Eltern bekamen vor Entlassung die Auflage auf intestinale Symptome wie
Abb. 1 Palpable Purpura und Gelenkschwellung an den abhängigen Extremitäten von proximal nach distal zunehmend. Links: bei Diagnosenstellung. Rechts: Nach 4 Wochen. Detail: Palpable Purpura.
Antigenstimulus
Proliferation von B-Zellen und Sekretion von IgA
Ablagerung von IgA-Immunkomplexen in Wänden von prä- und postkapillären Gefäßen Verlauf: • uncharakteristische Schmerzzustände, leichtes Fieber • Auftreten der Purpura und weiterer Symptome • akute Phase etwa 12 Tage, Iänger möglich • Rückfälle: nach mehr als 4-wöchiger Symptomfreiheit • chronischer Verlauf: Selten, über Jahre möglich
Haut: Palpable Purpura (50%) durch Einblutung von Quaddeln; aus hydrostatischen Gründen und abhängigen Partien verstärkt
Alternative Komplementaktivierung und Anlockung von weiteren inflammatorischen Immunzellen (z.B. Granulozyten)
Vaskulitis der betroffenen Organe
Magen-Darmtrakt (30–75%): Kolikartige Bauchschmerzen, Blut im Stuhl und Erbrechen, selten Ulkus, Invagination, IIeus, Ischämie, Perforation und Schock nach Blutung
Gelenke: (40–85%) Entzündung, Schwellung und Einblutung der Extremitätengelenke von distal nach proximal abnehmend.
Therapie: • symptomatisch antiphlogistisch • Nieren: keine Evidenz f. Therapien; versuchsweise Steroide, ACE-Hemmer bei Proteinurie • Nephrotisches Syndrom: kombinierte Immunsuppression: Steroide u. Cyclophosphamid, Dialyse, Nierentransplantation • Bluthochdruck: Antihypertensive Therapie • Gehim: Steroidpulstherapie, ggf. Plasmapherese o. intravenöse Immunglobuline. • Darminvagination: Auseinanderstülpen mit sonographisch kontrollierten Einlauf, ggf. Operation
Niere (6–60%): Beteiligung bis mehrere Wochen nach der akuten Phase möglich und prognostisch bedeutsam. Glomerulonephritis mit Hämaturie, Proteinurie, nephrotischen Syndrom, verminderte Nierenfunktion bis hin zum terminalen Nierenversagen und Bluthochdruck sind möglich.
selten: • Hoden: schmerzhafte Schwellung, Torsion ausschließen • ZNS: variable Symptome: Kopfschmerzen, Krampfanfällen, Lähmung, Sehstörungen, mentalen Störungen, Hirnblutungen etc.
Abb. 2 Pathogenese, Verlauf, Symptome und Therapie der Purpura Schönlein-Henoch.
Jahreiß LM et al. Ungewöhnliche Komplikation eines gewöhnlichen … Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 461–463 ∙ DOI 10.1055/s-0034-1396856
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Ungewöhnliche Komplikation eines gewöhnlichen Infekts der oberen Atemwege
Gelenkschwellungen waren 1 Woche nach Krankheitsbeginn verschwunden und zu diesem Zeitpunkt waren auch die Einblutungen bereits resorbiert. Die Purpura ▶ Abb. 1 verschwanden nach 14 Tagen ( ● rechts). Zur Nachsorge wurden in regelmäßigen Abständen eine Kontrolle auf eine Hämat-/Proteinurie, der Nierenwerte sowie eine Blutdruckmessung, die bisher negativ waren bzw. altersgerechte Normwerte ergaben, geplant.
462 Der interessante Fall
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Bei der PSH handelt es sich um die häufigste Vaskulitis im Kindesalter mit einem mittleren Erkrankungsalter von 6–7 Jahren und einer Inzidenz von 10–25/100 000 Kindern und Jugendlichen. Sie tritt gehäuft in der kalten Jahreszeit nach einem Infekt der oberen Atemwege auf und verläuft häufig in mehreren Schüben, wobei die akute Phase der Erkrankung im Mittel 12 Tage dauert. Die Ätiologie der PSH ist noch unbekannt, jedoch wird eine vorangehende Infektion mit Streptokokken der Gruppe A bei ca. 50 % aller Patienten beobachtet und somit als Auslöser erwogen. Die PSH betrifft im Rahmen einer immunologisch vermittelten Entzündung
Antigen
von Kapillaren sowie prä- und postkapillären Gefäßen die Haut, Gelenke, Darm ▶ Abb. 2). und Nieren ( ● Histologisch findet sich eine nekrotisierende leukozytoklastische Vaskulitis kleiner Gefäße. Die immunologische Auseinandersetzung mit einem die PSH auslösenden Antigen führt zur Proliferation von B-Lymphozyten, die als Plasmazellen Immun ▶ Abb. 3). globulin A (IgA1) sezernieren ( ● Eine genetische Prädisposition für eine abnormale Glykosylierung von IgA1 ist beschrieben (Galactose-deficient (gd)-IgA1). Gd-IgA1-haltige Immunkomplexe setzen sich nach einem Infekt vermehrt in den kleinen Gefäßen der betroffenen Organe ab und führen dort über alternative und lectinvermittelte Komplementaktiverung durch Anlockung von inflammatorischen
B-Zell-Proliferation
Plasmazellen
Gd-IgA1
Zytokine
Legende: Antigen B-Zelle Plasmazellen Gd-IgA1: Galactose-deficient IgA1 Zytokine: TNF-α: aktivert Gefäßendothel und erhöht Gefäßpermeabilität IL-1ß: aktiviert Gefäßendothel und Lymphozyten IL-8: rekrutiert Neutrophile, Basophile und T-Zellen
Abb. 3 Schema B-Zell-Aktivierung und Antikörperproduktion.
Glomerulus Alternativer Weg der Komplementaktivierung
Anlockung von inflammatorischen Zellen
Lectinvermittelte Komplementaktivierung
Proliferation
Legende: Mesangiumzellen Antigylcan-IgA1 IgG Gd-IgA1: Galactose-deficient IgA1 Zytokine Granulozyt CD 71 - Rezeptor
Abb. 4 Pathogenese der Vaskulitis durch Antikörperkomplexe.
Entzündung
Zellen (z. B. Granulozyten) zu einer asepti▶ Abb. 4). schen Entzündung ( ●
Diagnosekriterien
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Um die klinische Diagnose einer PSH zu stellen, müssen unterschiedliche Kriterien erfüllt sein, die in der S1-Leitlinie Purpura Schönlein-Henoch der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Stand 2013 und den Leitlinien der Amerikanischen Rheumagesellschaft (ACR) ▶ Tab. 1). Zur zusammengefasst sind ( ● Stellung der Diagnose sollte zuerst eine Blutentnahme mit Bestimmung von Blutbild, CRP, Gerinnung, IgA, Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA) und Antinukleäre Antikörper (ANA) erfolgen. Bei der PSH sind ANCAs vom IgA-Typ in der akuten Phase erhöht und die o.g. Purpura muss an den abhängigen Partien bei normaler Thrombozytenzahl vorhanden sein. Ein Urinstatus zeigt eine mögliche renale Beteiligung. Ist dieser auffällig muss eine Mikroskopie des Urins (Erythrozyturie), ein 24-Stunden-Sammelurin und die Bestimmung von Kreatinin und Albumin im Serum erfolgen. Eine große Proteinurie, ein nephrotisches Syndrom, ein nephritisches Syndrom, ein nephrotisch-nephritisches Syndrom oder deren Kombination oder eine eingeschränkte glomerulärere Filtrationsrate stellen Indikationen für eine Nierenbio psie dar. Bei schweren Bauchschmerzen kann eine gastrointestinale Beteiligung mittels Hämocculttest und Abdomen- Sonografie eingeschätzt werden, um eine Invagination des Darmes zu erkennen. Ein prädiktiver Score zur Einschätzung des Risikos einer starken gastrointestinalen Blutung wurde kürzlich vorgeschlagen (Nagamori et al., SpringerPlus 2014; 3:171–178). Seltene neurologische Symptome weisen auf eine zerebrale Manifestation hin und die Durchführung einer MRT des Kopfes sollte erfolgen. Indikation zur stationären Aufnahme stellen Bauchschmerzen, Protein- und Makrohämaturie, Ödeme, erhöhtes Serum kreatinin, arterielle Hypertonie, Alter 0,3 g/24 h, > 30 mmol/mg der Albumin/creatinin- Ratio im spontanen Morgenurin. Hämaturie oder Erythrozytenzylinder mit > 5/Gesichtsfeld oder Erythrozyten > = 2 + im Urinteststreifen.)
2 der folgenden Kriterien sind erfüllt (Diagnosewahrscheinlichkeit von 87 %): – Alter