Bild und Fall Ophthalmologe 2015 · 112:67–69 DOI 10.1007/s00347-014-3144-7 Online publiziert: 29. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Metz1 · S. Schliemann1 · P. Elsner1 · U. Voigt2 1 Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena 2 Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Jena

Tumor am Augenoberlid Anamnese

Befund

Vorstellig wurde ein 77-jähriger männlicher Patient, der über einen seit ca. 2 bis 3 Monate bestehenden, schnell wachsenden Knoten am linken Augenoberlid klagte. Es bestanden keine subjektiven Beschwerden, auch keine Einschränkungen der Sehfunktion. Zudem bestanden anamnestisch Nebenerkrankungen vom metabolischen Formenkreis, die unter Medikation gut eingestellt waren.

Es zeigte sich am Augenoberlid links ein ca. 1 cm durchmessender, breitbasig aufsitzender, gut umschriebener, palpatorisch weicher, glasiger erythematöser Tumor mit makroskopisch und dermatoskopisch auffälligen oberflächlichen Teleangiektasien ohne wesentlichen Zilienverlust (. Abb. 1a). Das übrige Integument war außer einigen erythematös schuppenden Plaques in lichtexponierten Arealen, die aktinischen Keratosen entsprachen, unauffällig.

Diagnostik und weiteres Prozedere Es erfolgten eine Vorstellung des Patienten und anschließend die Exzision des malignitätsverdächtigen Tumors in der Augenklinik des Universitätsklinikums Jena mit nachfolgender histologischer Aufarbeitung im dermatohistologischen Labor der Klinik für Hautkrankheiten mittels mikrographisch kontrollierter Chirurgie (MKC) in zweizeitiger operativer Sitzung [1].

Abb. 1 8 a Etwa 1 cm großer, erythematöser, zystisch glasiger Tumor mit Teleangiektasien. b 4. postoperativer Tag. Passagerer Lidverschluss links nach Primärexzision, minimaler Reizzustand mit Rötung und Schwellung der Periorbitalregion. c 6 Wochen nach Ersteingriff. Rekonstruktionsplastik nach „Cutler Beard“. Pfeil: primärer Sitz des Tumors

D Wie lautet Ihre Diagnose?

Histologischer Befund In der konventionellen Färbung (Hämatoxylin-Eosin) zeigte sich eine polypoid vorgewölbte, ulzerierte Epidermis. Angrenzend fand sich ein zellreicher Tumor aus diffusen, teils gruppierten, monomorphen basophilen Zellen mit großen, runden bis ovalen blassen Kernen mit teils mehreren Nukleoli und schmalem Zytoplasmasaum. Es zeigte sich ein feingranuläres Zyto- und Nukleoplasma. Sichtbar waren zudem zahlreiche Einzelzellnekrosen und atypische Mitosen sowie Zellverbände mit überwiegend kohärentem Wachstum,

in Randbereichen zu einzelnen Strängen aufgelöst (. Abb. 2a,b). Immunhistologisch waren die Tumorzellen positiv gegenüber CK20 (. Abb. 2c) sowie den neuroendokrinen Markern neuronenspezifische Enolase (NSE), Chromogranin A, jedoch negativ gegenüber melanozytären Markern [S100, Melan A und HMB45 (Antikörper von Ventana medical systems, Tucson, Arizona, USA)].

Therapie und Verlauf Nach Primärexzision und an die Lokalisation angepasster zweizeitiger, schnittrand-

kontrollierter Nachresektion erfolgte ein passagerer Lidverschluss des Auges links (. Abb. 1b) mit einer Lidrekonstruktion nach „Cutler Beard“ [2] sowie die sog. Brückendurchtrennung zu einem späteren Zeitpunkt (. Abb. 1c) mit gutem kosmetischem Ergebnis und funktionellem Organerhalt. Bei dieser selten angewandten Methode handelt es sich um eine Rekonstruktionsplastik bei großen Oberliddefekten. Dabei wird unter schichtweiser Präparation des Unterlidgewebes (Bindehaut, Muskel und Haut) – ca. 4 mm von der unteren Lidkante entfernt – Gewebe zur entsprechenden Deckung des OberDer Ophthalmologe 1 · 2015 

| 67

Bild und Fall

Abb. 2 8 a Partiell ulzerierter Tumor mit basophilen, kohäsiven Zellaggregaten (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Originalvergrößerung 1,25×0,63). b Mitosen und Apoptosen, hohe Kern-Plasma-Relation (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Originalvergrößerung 20×0,63). c Immunhistologisch deutlich positive Reaktion der Tumorzellen gegenüber dem Marker CK20 (Originalvergrößerung 20×0,63)

liddefektes im Sinne eines sog. Transpositionslappens genutzt. In interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgte eine dermatologische Vorstellung zur Festlegung des postoperativen Prozedere. In Anlehnung an die aktuelle Leitlinie zum Merkel-ZellKarzinom [1] erfolgten neben einer klinischen Untersuchung eine Lymphknotensonographie und eine Positronenemissionstomographie, die jeweils unauffällig ausfielen (aktuelles Tumorstadium cT1N0M0, Stadium IB, nach Lemos [1]).

»

Merkel-Zell-Karzinom am Augenoberlid Auf eine adjuvante Radiatio wurde in unserem Fall im interdisziplinären Tumorboard unter Risiko-Nutzen-Abwägung verzichtet, obwohl diese grundsätzlich auch in Augennähe möglich ist. Es wurde ein engmaschiges leitlinienorientiertes Nachsorgeregime als bevorzugt angesehen und eingeleitet. Bis zum aktuellen Zeitpunkt, ca. 7 Monate nach Erstdiagnose, ist der Patient rezidivfrei.

Diskussion Das Merkel-Zell-Karzinom (MCK) ist ein seltener, maligner neuroendokriner Tumor, der bevorzugt bei Erwachsenen auftritt und – wie im vorgestellten Fall – ein sehr rasches Wachstum aufweist [7]. Eine frühe Diagnose ist wichtig, denn das aggressive biologische Verhalten des Tumors birgt eine hohe lokale Rezidivrate und ein hohes Metastasierungsrisiko [7].

68 | 

Der Ophthalmologe 1 · 2015

Prädilektionsstellen sind vor allem die Kopf-Hals-Region sowie die obere Extremität. Nur 10% der Fälle betreffen die Periorbitalregion, bevorzugt das Oberlid [4, 5]. Der typischerweise rötlich livide, hier glasige Tumor zeigt im Vergleich zu anderen Lidtumoren ein schnelles Wachstum [5]. Oft bestehen differenzialdiagnostische Schwierigkeiten in der klinischen Abgrenzung gegenüber einem Basalzellkarzinom (teleangiektatische Blutgefäße), Plattenepithelkarzinom (PEK), amelanotischen Melanom, gutartigen Schweißdrüsentumoren und einem Chalazion, die eine ähnliche klinische Morphologie zeigen können, aber bis auf das maligne Melanom wesentlich langsamer wachsen [5]. Die Abgrenzung eines MCK von diesen Tumoren gelingt histologisch, wobei sich konventionell-histologisch ein wenig differenzierter Tumor aus soliden Arrangements neoplastischer Zellen mit zahlreichen Mitosen darstellt (. Abb. 2a–c). Aufgrund der hohen Kern-Plasma-Relation bei großen, runden Zellen mit meist monomorphem Zellbild erinnert der Tumor an Zellen eines Lymphoms [3]. Histomorphologisch existieren 3 Typen (intermediärer, trabekulärer, kleinzelliger Typ), die sich prognostisch unterscheiden. Die ungünstigste Prognose weist der kleinzellige Typ auf [8]. In unserem Fall lag ein intermediärer Tumortyp vor. Seltenere histologische Differenzialdiagnosen, klinisch allerdings in anderer Lokalisation, umfassen ein Ewing-Sarkom, einen kleinzelligen Lungentumor und dessen Metastase oder das Neuroblastom [6]. Zur Abgrenzung dienen die

Immunhistochemie und Elektronenmikroskopie [8]. Die wichtigsten immunhistochemischen Marker sind die neuroendokrinen Marker NSE, Chromogranin A, Synaptophysin sowie auch der MerkelZell-spezifische Antikörper CK20, die in unserem Falle positiv waren [8]. Ein Melanom konnte bei Negativität gegenüber den melanozytären Antikörpern S100, Melan A und HMB45 ausgeschlossen werden, ebenso ausgeschlossen wurden durch entsprechende Marker ein Lymphom (Negativität gegenüber B-Zell-Marker CD20, T-Zell-Markern CD3–4, CD8) oder ein PEK (bei Positivität gegenüber CK20). Die vollständige Exzision mit erweitertem Sicherheitsabstand von 3 cm als auch die Radiatio sind nach der aktuellen Leitlinie vorgesehen [1]. In unserem Fall wurde, wie bereits erwähnt, nach ausführlicher interdisziplinärer Diskussion auf eine Radiatio verzichtet. Wichtig ist ein engmaschiges postoperatives Nachsorgeregime. Oft überschneiden sich die Fachgebiete, sodass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von größter Bedeutung ist.

Fazit für die Praxis F Das differenzialdiagnostische Spektrum der Tumoren des Oberlides ist klinisch als auch histologisch breit und umfasst neben dem häufigen Basalzellkarzinom auch seltene Tumoren wie das Merkel-Zell-Karzinom. Diagnostisch wegweisend ist letztendlich die Immunhistochemie mit speziellem Markerprofil.

Für Autoren F Die Periorbitalregion ist eine spezielle Lokalisation, die das in der Leitlinie vorgegebene chirurgische und postoperative Management nur eingeschränkt zulässt. Die mikrographisch kontrollierte Chirurgie erlaubt ein zunächst gewebesparendes Eingreifen bis zur histologischen Diagnosesicherung. Ein strenges Nachsorgeregime bei hoher Rezidivfreudigkeit und Metastasierungstendenz ist unerlässlich. F Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist notwendig.

Korrespondenzadresse Dr. S. Metz Klinik für Hautkrankheiten,   Universitätsklinikum Jena Erfurter Str. 35, 07743 Jena [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  S. Metz, S. Schliemann, P. Elsner und U. Voigt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Falle von nicht mündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.

Literatur 1. Becker JC et al (2013) Brief S2k ­guidelines-Merkel cell carcinoma. J Dtsch Dermatol Ges 11(Suppl 3): 29–36, 31–38 2. Coskuncan N et al (1994) Merkel cell tumour of the eyelid and reconstruction with the Cutler-Beard technique: a clinicopathologic case report. Eur J Surg Oncol 20(5):587–592 3. Gackle HC et al (2000) Merkel cell tumor of the eyelids: review of the literature and report of 2 patients. Klin Monatsbl Augenheilkd 216(1):10–16 4. Kivela T, Tarkkanen A (1990) The Merkel cell and associated neoplasms in the eyelids and periocular region. Surv Ophthalmol 35(3):171–187 5. Rawlings NG et al (2007) Merkel cell carcinoma masquerading as a chalazion. Can J Ophthalmol 42(3):469–470 6. Santos Gorjon P et al (2011) Merkel cell carcinoma: a presentation of 5 cases and a review of the literature. Acta Otorrinolaringol Esp 62(4):306–310 7. Singh AD et al (1993) Merkel cell carcinoma of the eyelids. Int Ophthalmol Clin 33(3):11–17 8. Terada T (2013) Primary cutaneous small cell car­ cinoma; a case report with differential diagnosis. Int J Clin Exp Pathol 6(6):1164–1168

Rubrik „Bild und Fall“: Hier kann auch Ihr Fall dargestellt werden! Darstellung von eindrucksvollen Fallbeispielen   mit Quiz-Charakter

Sehr geehrte Autorin, sehr geehrter Autor, wir freuen uns, dass Sie die Zeitschrift Der Ophthalmologe mitgestalten möchten. Die Rubrik „Bild und Fall“ zeigt anhand von kurzen Fallbeispielen der klinischen Praxis Fallstricke der Diagnostik und ungewöhnliche Krankheits- und Behandlungsverläufe. Die Besonderheit ist die zweiteilige Gliederung in eine kurze Falldarstellung mit Anamnese und klinischem Befund und einen zweiten Teil, in der die Diagnose gestellt und erläutert wird. Erst hier werden Therapie und Verlauf des speziellen Falls dargestellt. Diese besondere Form des Beitrages ermöglicht dem Leser, sich in der Diagnosestellung zu üben. Außerdem erhält er ganz im Stil der klassischen Kasuistik durch die Vorstellung und Diskussion konkreter Fälle umsetzbare Hinweise zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen. Mit der folgenden Checkliste möchten wir Ihnen gerne bei der Manuskripterstellung behilflich sein. o Text bitte immer als Datei schicken (.doc oder .rtf) o Komplette Anschrift des Korrespondenzautors mit Tel.-Nr., Fax und E-Mail o Gesamtumfang max. 10 000 Zeichen inkl. Leerzeichen o Kurzer, prägnanter Beitragstitel (ca. 50 Zeichen) o Gliederung in z Teil 1: Anamnese und Diagnostik und z Teil 2: Diagnosestellung mit Verlauf, Therapie und Diskussion o Fazit für die Praxis (max. 500 Zeichen) o Maximal 3 Abbildungen mit kurzen Legenden o Abbildungen und Tabellen im Text chronologisch erwähnen o Maximal 5 Literaturzitate Bitte reichen Sie Ihren fertigen Beitrag über das Online System „ Editorial Manager“ ein: https://www.editorialmanager.com/deop/

Unsere ausführlichen Autorenleitfäden finden Sie unter

www.DerOphthalmologe.de

Der Ophthalmologe 1 · 2015 

| 69

[Tumor on the upper eyelid].

[Tumor on the upper eyelid]. - PDF Download Free
376KB Sizes 0 Downloads 11 Views