Bode u. a.: Lävulose-Infusionen bei akuter Virushepatitis?

Nr. 2, 9. Januar 1976, 101. Jg.

43

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 43-47 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

J. Ch. Bode, G. Bungartz und W. Dölle Medizinische Universitäts-Klinik Marburg/Lahn (Direktor: Prof. Dr. G. A. Martini) und Medizinische Universitätsklinik Tübingen, Abteilung I (Direktor: Prof. Dr. W. Doue)

In den Jahren bis 1962 wurden an der Medizinischen Universitätsklinik Marburg alle Patienten mit akuter Virushepatitis mit LävuloseInfusionen behandelt. Seit 1963 wurde diese Behandlung nicht mehr durchgeführt. Bei einer Nachuntersuchung zur Häufigkeit von Folgeerscheinungen einer akuten Hepatitis wurde katamnestisch die Wirkung dieser Infusionstherapie auf den Krankheitsverlauf verfolgt. Zur Auswertung gelangten die Krankheitsgeschichten von 109 Patienten, die Lävulose-Infusionen erhalten hatten, und von 91 Patienten mit akuter Hepatitis, die ohne Lävulose-Infusionen behandelt wurden. Nach Alter und Geschlecht sowie der mittleren Schwere der Erkrankung waren beide Gruppen gut vergleichbar. Der Abfall der Transaminasewerte während der ersten 7 Wochen nach Ikterusbeginn zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen. Auch die Serum-Bilirubinkonzentration zeigte für beide Gruppen im Mittelwert ein gleiches Verhalten. Lediglich der für den Spontanverlauf der Erkrankung typische steile Abfall der Serum-Bilirubinkonzentration in der zweiten bis dritten Krankheitswoche erfolgte bei den mit Lävulose-Infusionen behandelten Patienten im Durchschnitt um eine Woche später. Die Krankheitsdauer bis zur weitgehenden Normalisierung der Transaminasen und der Serum-Bilirubinkonzentration wurde durch die Lävulose-Gabe ebenfalls nicht in positivem Sinne beeinflußt. Die Befunde zeigen, daß Lävulose-Infusionen keine günstige Wirkung auf den Verlauf einer akuten Virushepatitis haben. Seit den grundlegenden Arbeiten zum Stoffwechsel der Fructose von Leuthard und seinem Arbeitskreis (Obersicht: 22) rückte diese Ketohexose zunehmend in das Interesse der klinischen Medizin. Ursache der Bevorzugung von Fructose waren einige Besonderheiten des Stoffwechsels dieser Substanz. Im Tierexperiment (22) und bei nachfolgenden Untersuchungen am Menschen (20, 25, 26, 32) fand sich bei oraler und besonders bei intravenöser Zufuhr eine schnellere Aufnahme von Fructose im Vergleich zu Glucose in die Leber. Aus einem gleichzeitig beobachteten schnelleren und ausgeprägteren Abfall der Phosphatkonzentration im Serum nach intravenöser Fructosegabe (26, 32, 33) wurde auf eine höhere Phosphorylierungsrate geschlossen und eine bessere

Energieversorgung der Leber durch Fructose vermutet (18). Der Nachweis, daß der Fructoseabbau auch bei Stoffwechselstörungen, bei denen die Glucoseutilisation

Treatment of acute viral hepatitis with laevulose infusions Until 1962 all patients with acute viral hepatitis admitted to the Medical University Clinic at Marburg were treated with laevulose infusions. This treatment was discontinued in 1963. Follow-up examination of 109 patients with acute hepatitis who had been given laevulose infusions and 91 who had not (both groups being similar as to age and sex and average severity of the disease) revealed that there was no significant difference between the two groups with regard t the fall in transaminase levels during the first seven weeks after the onset of jaundice. Serum-bilirubin concentration was also similar. On the other hand, the abrupt fall in serum-bilirubin concentration in the second to third week of illness, so typical of the spontaneous course, occurred a week later in those who had been given laevulose infusions. Duration of the disease until normalization of transaminase and serumbilirubin concentration was not favourably influenced by laevulose infusions. It is concluded that such infusions do not have a favourable effect on the course of acute viral hepatitis.

herabgesetzt ist, wie beim Diabetes mellitus (31-33) und im Hunger (25), nicht oder nur wenig vermindert ist, bestärkte diese Vermutung. Aufgrund dieser biochemischen Befunde wurde die bevorzugte Infusion von Fructose anstelle von Glucose nicht nur beim Diabetes mellitus in die Klinik eingeführt, sondern es wurde auch auf eine günstige Wirkung bei Lebererkrankungen geschlossen (26, 28, 29, 32, 33). Die Fructose wurde als »Leberschutzstoff« breit in die Behandlung akuter und chronischer Lebererkrankungen eingeführt und bald zur bewährten »Basistherapie« bei diesen Erkrankungen gezählt (10, 18, 21, 27). Der Beweis einer therapeutisch günstigen Wirkung steht nach Anwendung über 2 Jahrzehnte noch aus (8, 14, 24). In den Jahren bis 1962 wurden an der Medizinischen Universitätsklinik Marburg alle Patienten mit akuter Hepatitis mit Fructose-Infusionen behandelt. Seit 1963

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Zur Behandlung der akuten Virushepatitis mit Lävulose-Infusionen

wurde diese Behandlung nicht mehr durchgeführt. Da mit bot sich bei der Auswertung von Krankenblättern im Rahmen einer Nachuntersuchung von Folgeerscheinungen der akuten Hepatitis (6) bei Patienten, die zwischen 1959 und 1966 wegen einer Hepatitis in der Klinik lagen, die Möglichkeit, den Effekt dieser Therapie auf die Laboratoriumsbefunde und den klinischen Verlauf auszuwerten. % der Fälle A

akuten Hepatitis mit Fructose-Infusionen behandelt. Ab 1963 (Gruppe B) erfolgte diese Behandlung nicht mehr. Zur Auswertung gelangten die Krankheitsgeschichten von 109 Patienten der Gruppe A und von 91 Patienten der Gruppe B (6). Daten zur Alters- und Geschlechtsverteilung der beiden Gruppen sind in Abbildung 1 und Tabelle 1 zusammengestellt. Der Prozentsatz der Patienten, bei denen wahrscheinlich eine Hepatitis Typ B vorlag (Kriterien: Bluttransfusionen, Operationen, Injektionen bis ein Jahr vor Krankheitsbeginn), und der Anteil der Patienten, die wegen eines anhaltenden Ikterus mit Glucocorticoiden behandelt wurden, ist in beiden Gruppen annähernd gleich groß (Tabelle 2). Die »Basistherapie« (Bettruhe und leichte, kalorienreiche Kost) war bei beiden Gruppen gleich. Patienten der Gruppe A erhielten durchschnittlich 900 ml (zwischen 500 und 2000 ml) einer S°/oigen

Gruppe A (mit Fructose)

30-

D

Gruppe B(ohneFructose)

20-

Tab. 1. Geschlechtsverteilung der beiden Patientengruppen. A Hepatitisfalle 1959 - 1962, B = Hepatitisfälle 1963-1966

Männer

Gruppe

10-

um

70 Jahre Abb. 1. Altersverteilung der beiden untersuchten Patientengruppen. 3

2

30

L

L.0

5

50

60

6 70

(°Io)

n

(°Io)

A

67

(61)

42

(39)

B

43

(48)

48

(52)

Tab. 2. Anteil der Patienten mit Serumhepatitis und der mit Glucocorticoiden behandelten Patienten an der Grundgesamtheit der in Tabelle 1 angegebenen Gruppen Serumhepatitis (wahrscheinlich)

Gruppe

25 -

mg/din n.

20-

en.

(°/o)

n

(°/o)

A

25

(23)

18

(17)

B

22

(24)

18

(20)

BILIRUBI

.n.

25-

e

oh ne s

Fructose

e

20-

e

s

s.

s

.

s 15-

e

e

.

. 10-

mg/dl:.

Fructose

e

15-

N

mit

.

Glucocorticoidtherapie

n

Patienten und Methodik Es wurden katamnestisch Krankenblätter der Medizinischen Universitätsklinik Marburg aus den Jahren 1959-1966 ausgewertet. In der Zeit von 1959 bis 1962 (Gruppe A) wurden alle Patienten mit einer

Frauen

n

...

.. 10-

5-

Tage noch Ikterusbeginn

Abb. 2. Verhalten der Gesamtbilirubinkonzentration im Serum (1 mg/dl = 17,104 .smol/l) bis zum vierzigsten Tag nach Ikterusbegirin. Die Werte von fünf Tagen sind jeweils zusammengefaßt. Die durchgezogenen Striche verbinden die Mittelwerte der einzelnen Zeitabschnitte.

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Deutsche Medizinische Wochensehrift

Bode u. a.: Lävulose-Infusionen bei akuter Virushepatitis?

44

197e, 101.

Bode u. a.: Lävulase-Infusionen bei akuter Virushepatitis?

Jg.

Fructose-Lösung pro Tag mindestens während der ersten 3 Wochen nach Klinikaufnahme intravenös infundiert. Im allgemeinen wurde den Infusionsiösungen ein Vitamin-B-Mischpräparat (BVK-Roche®) zugesetzt. Die Patienten der Gruppe A erhielten in wechselnder Dosis zusätzlich folgende Medikamente, die die Patienten der Gruppe B nicht bekamen: Essentiale®, Hepsan®, Laevohepan®, Prohepar®, Purinor®, Reducdyn®. Zur Beurteilung des Krankheitsverlaufes wurden von beiden Gruppen alle Transaminase- und Bilirubinwerte im Serum über einen Zeitraum von 40 Tagen nach Krankenhauseinweisung notiert. Die Werte wurden für Perioden von je S Tagen, ausgehend vom Tag des Beginns der Gelbsucht, zusammengestellt. Zusätzlich wurde die Erkrankungsdauer (Beginn der Gelbsucht bis zur Entlassung aus der stationären Behandlung) ermittelt. Die Kriterien zur Entlassung von Patienten mit akuter Hepatitis waren in beiden Zeitabschnitten gleich (Bilirubin im Serum möglichst unter 34,2 tmol/l, entsprechend 20 mg/I, Transaminasewerte unter 30 U/I). Die statistische Auswertung nach dem t-Test nach Student erfolgte mit einem Tisch-Computer der Firma Olivetti (programma 2000).

Ergebnisse In Abbildung 2 sind die Werte der Bilirubin-Konzentration der beiden Patientengruppen über einen Zeitraum von 40 Tagen gegenübergestellt. Entsprechend dem unterschiedlichen Krankheitsverlauf ist die Streuung der Einzeiwerte in jedem Untersuchungsabschnitt groß. Der Vergleich der Kurven der Mittelwerte (Linien und offene Kreise) ergibt für beide Gruppen innerhalb der ersten 15 Tage nach Ikterusbeginn keine wesentlichen Differenzen. Von der Frühphase der Erkrankung (erste Woche nach Beginn der Gelbsucht) stehen wegen später Krankenhauseinweisung von beiden Gruppen nur in einem Teil der Fälle Bilirubinwerte zur Verfügung. In der ikterischen Phase sind die Verteilung der Einzeiwerte und die Mittelwerte in beiden Gruppen annähernd gleich. Lediglich nach 20 Tagen findet sich in

Die Kurven der Mittelwerte der Alanirf-Aminotransferase (GPT) im Serum sind in Abbildung 3 in halblogarithmischem Maßstab wiedergegeben (für jede zweite S-Tagesperiode zusätzlich ± Standardabweichung). Bei der Aufnahme sind die Werte im Mittel bei den Patienten der Gruppe A etwas höher. Bei der großen Streuung der Einzeiwerte ist die Differenz statistisch nicht signifikant (P> 0,2). Im weiteren Verlauf decken sich die Kurven der Mittelwerte weitgehend. Die Differenz der Werte in der 35-Tage-Periode mit höheren Werten bei A im Vergleich zu B ist bei Berücksichtigung der Streuung unbedeutend (P> 0,2). Tab. 3. Hepatitisverlauf mit (A) und ohne (B) Fructose-Infusionstherapie. Durchschnittliche Krankheitsdauer für beide Therapiegruppen in Tagen, in Abhängigkeit vom Alter Alter (Jahre)

0-20 21-30 31-40 4 1-50 Si-60 6 1-70

Gruppe A +

33,8

35,2

37,3

45,2

47,8

42,3

15,4

14,8

13,5

11,9

17,4

11,9

Gruppe B +

30,0

29,8

41,8

33,7

16,7

17,5

38,6 11,2

42,3

11,04

100-

ohne Fructose

Tage

7,1

15,3

Diskussion

I

lO

>70

Die durchschnittliche Krankheitsdauer für beide Patientengruppen ist in Abhängigkeit vom Alter in Tabelle 3 wiedergegeben. Übereinstimmend ist in beiden Gruppen die mittlere Krankheitsdauer bei jüngeren Patienten kürzer als bei älteren. Die Krankheitsdauer ist bei den Patienten in Gruppe B bei vier der sechs Altersgruppen etwas kürzer als in Gruppe A. Die Differenzen sind statistisch nicht signifikant.

mit Fructose

10

der Gruppe der mit Lävulose-Infusionen behandelten (A) im Mittel eine deutlich höhere Bilirubinkonzentration verglichen mit der Gruppe der unbehandelten Patienten (P

[Treatment of acute viral hepatitis with laevulose infusions (author's transl)].

Until 1962 all patients with acute viral hepatitis admitted to the Medical University Clinic at Marburg were treated with laevulose infusions. This tr...
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