Beiträge zum Themenschwerpunkt Z Gerontol Geriat 2014 · 47:194–201 DOI 10.1007/s00391-014-0624-y Eingegangen: 16. Dezember 2013 Überarbeitet: 24. Januar 2014 Angenommen: 28. Januar 2014 Online publiziert: 1. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

H. Glaesmer Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Leipzig

Traumatische Erfahrungen in der älteren deutschen Bevölkerung Bedeutung für die psychische und körperliche Gesundheit auf Bevölkerungsebene

Der Zweite Weltkrieg war mit einer Vielzahl von traumatischen Erfahrungen und Belastungen für die betroffenen Generationen verbunden. Erst Jahrzehnte später begann die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Folgen des Zweiten Weltkrieges in Deutschland. Auch Jahrzehnte nach dem Krieg sind die traumatischen Erfahrungen mit erhöhten Raten psychischer und körperlicher Erkrankungen verbunden. Die hier dargestellten Befunde aus bevölkerungsrepräsentativen Studien machen deutlich, wie langfristig und vielfältig die Folgen der traumatischen Erfahrungen für die heutige ältere Bevölkerung sind. Es steht heute außer Frage, dass traumatische Erfahrungen schwerwiegende und langfristige Folgen für die betroffenen Personen haben können. Diese sind in den letzten Jahren zunehmend Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses geworden, was sich auch in der deutlich wachsenden Zahl von entsprechenden Publikationen widerspiegelt. Die meisten Arbeiten beschäftigen sich mit Traumafolgen bei jüngeren Menschen. Die Forschungslandschaft für Ältere ist dagegen noch sehr lückenhaft [42], auch wenn hier in den letzten Jahren ein wachsendes Interesse zu verzeichnen ist. Die wenigen bisher verfügbaren Studien deuten darauf hin, dass altersspezifische Entwicklungs-

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aufgaben und Stressoren, aber auch kollektive und generationentypische Traumatisierungen zu einer spezifischen Ausprägung und Verarbeitung von Traumafolgestörungen im höheren Lebensalter beitragen. Der Zweite Weltkrieg war das wohl erschütterndste und schwerwiegendste zeitgeschichtliche Ereignis des letzten Jahrhunderts, welches gemeinsam mit weiteren Verbrechen des Dritten Reiches, z. B. dem Holocaust, 55 Mio. Opfer forderte. Er ging mit einem erheblichen Ausmaß traumatischer Erfahrungen einher und stellt eine wesentliche generationentypische Entwicklungsbedingung der heutigen älteren Bevölkerung in Deutschland, aber auch in anderen Ländern dar, die an diesem Krieg beteiligt waren. Die gesellschaftliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den psychosozialen Folgen des Krieges war in Deutschland lange Zeit tabuisiert. Die wenigen Studien aus der Nachkriegszeit vermittelten der Öffentlichkeit, dass sich die sog. Kriegskinder weitgehend unauffällig weiterentwickelten [5]. Die häufig sehr ausgeprägte Identifizierung mit der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen trug dazu bei, die eigenen Beeinträchtigungen und Belastungen zu verdrängen oder zu bagatellisieren. Jahrzehntelang wurde ein Bild anormaler Normalität aufrechterhalten. In Deutschland hat vermutlich das anhaltende kollektive Schweigen über den Krieg und die Fra-

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gen von Schuld, Scham und Verantwortung eine Auseinandersetzung mit den Belastungen der Kriegsgeneration lange verhindert. Zudem standen die unvorstellbare Dimension des an den Juden begangenen Massenmordes und die Folgen für die Überlebenden im Mittelpunkt der Betrachtung. Erst seit einigen Jahren scheint es möglich, sich unter Anerkennung der Unvergleichlichkeit des Holocausts den Folgen für andere Gruppen von Traumatisierten zu widmen, ohne in den Verdacht der Bagatellisierung des Holocausts zu geraten. Mit der Gründung der Forschergruppe Weltkrieg2Kindheiten im Jahr 2002 wurde die Erforschung der Folgen des Zweiten Weltkrieges deutlich vorangetrieben. Die ersten Arbeiten bezogen sich auf verschiedene Betroffenengruppen, wie F Opfer von Flucht und Vertreibung [1, 12, 38, 66], F Kindersoldaten [14, 40], F Kriegskinder [32, 41], F Frontkrankenschwestern [65], F Opfer von Vergewaltigungen während des Krieges [39, 43], F Opfer von Bombenangriffen und Ausbombung [31, 45, 51] oder F vaterlos Aufgewachsene [8, 15, 16]. Inzwischen liegen empirische Befunde aus Bevölkerungsstudien vor und spezifische Behandlungsansätze wurden entwickelt und erprobt [34, 35]. Der Artikel gibt einen Überblick über die Befun-

de aus bevölkerungsrepräsentativen Studien zu traumatischen Erfahrungen und deren gesundheitlichen Folgen in der älteren Bevölkerung Deutschlands und diskutiert die klinische Bedeutung sowie offene Forschungsfragen. Die im Weiteren aufgeführten Studien aus unserer Arbeitsgruppe stammen aus den letzten Jahren und schlossen zwischen 1500 und 2500 Personen ein. Die Befragungen erfolgten durch geschulte Interviewer mittels Fragebogen. Weitere methodische Informationen finden sich in den zitierten Originalquellen. Zur Einführung in die Thematik sei auch auf die Übersichtsarbeit von Hucklenbroich, Burgmer und Heuft in diesem Heft verwiesen.

von 36,3% in der gleichen Altersgruppe deutlich weniger belastet sind [49]. Dies unterstreicht die Bedeutung des Zweiten Weltkrieges als generationstypische Erfahrung. Interessanterweise finden sich kaum Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der berichteten Kriegstraumata. Nur für Gefangenschaft sind die Prävalenzen bei den Männern höher, was sich aus dem historischen Kontext gut erklären lässt. Eine Ausnahme dürften hier die Kriegsvergewaltigungen darstellen. Die Zahlen aus Bevölkerungsbefragungen sind dafür nicht besonders aussagekräftig, denn es ist davon auszugehen, dass die Betroffenen diese Erfahrungen in einer Fragebogenerhebung nicht immer berichten.

Traumatische Erfahrungen bei Älteren

Psychische Belastungen

In bevölkerungsbasierten Studien berichten 40–50% der älteren Deutschen von mindestens einem traumatischen Ereignis [21, 28, 50]. In der Study of Health in Pomerania (SHIP-Studie) in Mecklenburg-Vorpommern berichten sogar 76,5% der ab 65-Jährigen von mindestens einem traumatischen Ereignis [62]. Die Kriegsgeneration ist damit deutlich stärker traumatisch belastet als die nachfolgenden Generationen in Deutschland. Kriegsbezogene Traumatisierungen machen dabei den weitaus größten Teil aus [21, 50]. In einer Studie aus dem Jahr 2005 gaben in der Gruppe der ab 60-Jährigen an [50], F direkt Kriegshandlungen erlebt zu haben (23,7%), F Ausbombung erlebt zu haben (20,6%), F vertrieben worden zu sein (17,9%), F in Gefangenschaft gewesen zu sein (4,4%). Innerhalb der Kriegsgeneration nehmen die Prävalenzen kriegsbezogener traumatischer Erfahrungen deutlich zu: Während in der jüngsten Altersgruppe 19,2% mindestens von einem kriegsbezogenen Trauma berichten, steigt dieser Anteil auf fast 60% in der höchsten Altersgruppe an [21]. Werden diese Befunde mit einer Studie an Älteren in der Schweiz verglichen, einem Land, welches nicht direkt am Zweiten Weltkrieg beteiligt war, wird deutlich, dass diese mit einer Lebenszeitprävalenz

Posttraumatische Belastungsstörungen Je nach Studie erfüllen zum heutigen Zeitpunkt zwischen 3 und 4% der Älteren die Kriterien einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Werden partielle/ subsyndromale PTBS einbezogen, sind je nach Studie weitere 10–15% von posttraumatischen Symptomen unterhalb der diagnostischen Schwelle betroffen [22, 50, 62]. Insbesondere der konsistente Befund, dass die Weltkrieg-II-Generation höhere PTBS-Prävalenzen zeigt als alle nachfolgenden Generationen in Deutschland, unterstreicht die Bedeutung der kriegsassoziierten traumatischen Erfahrungen auch über so lange Zeiträume hinweg [28, 50]. Die PTBS-Prävalenzen sind deutlich höher als in einer vergleichbaren Studie an älteren Schweizern, in der 0,7% die Kriterien einer PTBS erfüllen [49]. Innerhalb der Gruppe der älteren Deutschen findet sich ein Anstieg der posttraumatischen Symptomatik mit steigendem Lebensalter, jedoch kein Anstieg der Vollbild-PTBS [22]. Da die Forschung zu den Kriegsfolgen erst Jahrzehnte später begonnen hat, liegen praktisch keine Studien zu den Langzeitverläufen der posttraumatischen Symptomatik vor. Dies ist auch damit zu begründen, dass die PTBS als Diagnose erst seit 1980 Eingang in die diagnostischen Systeme gefunden hat. In einigen retrospektiven Untersuchungen konnte gezeigt

werden, dass die Symptome im Rahmen des Alternsprozesses vermehrt auftraten [36, 61]. Das Konzept der Traumareaktivierung [30] spricht ebenfalls für eine Verschlechterung des psychischen Befindens im Alter. Eine amerikanische Arbeitsgruppe hat ein breiter angelegtes Konzept für einen derartigen Langzeitverlauf vorgestellt, in dem normative Faktoren des Alterns sowie individuelle Risiko- und Schutzfaktoren die Symptomatik lang zurückliegender Traumatisierungen modulieren („late onset stress symptomatology“, LOSS) [7]. Mit Blick auf die Befunde zu den Langzeitverläufen in anderen Altersgruppen kann angenommen werden, dass es sowohl chronisch-persistierende beziehungsweise fluktuierende Verläufe, aber ebenso Ältere gibt, die in früheren Lebensphasen eine posttraumatische Symptomatik hatten, aktuell aber nicht mehr betroffen sind. Wie groß die einzelnen Untergruppen sind, lässt sich nicht präzise sagen, weil eine Erfassung vorangegangener Verläufe nur noch retrospektiv möglich wäre und damit zwangsläufig mit Validitätsproblemen einhergehen würden. Wird eine vermehrte Traumareaktivierung im Alter in Betracht gezogen, leitet sich ein relevanter Behandlungs- und Hilfsbedarf ab, dem derzeit nicht ausreichend begegnet wird.

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Follow-up-Zeiträume betragen Monate oder Jahre Auch wenn es inzwischen Längsschnittstudien zu Langzeitverläufen von Traumafolgestörungen und PTBS gibt und insbesondere auch das Konzept der verzögert auftretenden PTBS („delayed onset PTSD“) diskutiert wird [60], lassen sich die verfügbaren Befunde nur schwer auf Langzeitverläufe über Jahrzehnte übertragen. Diese Studien haben die Personen über wenige Monate oder Jahre verfolgt, jedoch nicht über Jahrzehnte. Über diese relativ kurzen Follow-up-Zeiträume und in anderen Zielgruppen finden sich etwa 25% der PTBS-Fälle mit verzögert auftretendem Beginn [52, 56, 60]. Dies könnte zumindest ein Anhaltspunkt für eine Abschätzung sein. Empirische Studien zu den Langzeitverläufen und insbesondere zu den Faktoren, die das verzögerte Auf-

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Zusammenfassung · Abstract treten, das Wiederauftreten und die Persistenz von posttraumatischen Symptomen fördern oder hemmen, fehlen bislang. Es ist aber inzwischen relativ sicher davon auszugehen, dass auch vor dem verzögerten Beginn sog. Brückensymptome bestehen [60]. Neben posttraumatischen Symptomen gibt es eine Vielzahl weiterer psychischer Beschwerden, die als Folge traumatischer Erfahrungen und/oder als komorbide Störung der PTBS auftreten können. Auf einige soll im Weiteren näher eingegangen werden.

Depressive Störungen und Suizidgedanken Die Wahrscheinlichkeit eine depressive Störung zu entwickeln, war in einer bevölkerungsrepräsentativen Studie bei den Älteren erhöht, die aktuell eine partielle oder Vollbild-PTBS hatten. Unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht lagen die Odds Ratios für Major Depression bei 4,0 und für andere depressive Störungen bei 4,9 [22]. Das alleinige Vorliegen eines traumatischen Ereignisses war noch kein Prädiktor für das Auftreten depressiver Störungen in den Regressionsmodellen. In diesem Sinne sind depressive Beschwerden eher als Komorbidität der PTBS zu sehen. Prävalenzen für die Älteren ohne traumatische Erfahrungen bzw. mit traumatischen Erfahrungen und mit PTBS sind in . Abb. 1 dargestellt. Im Kontext depressiver Störungen ist Suizidalität von großer Bedeutung. In einer Bevölkerungsstichprobe wurde deshalb das Auftreten von Suizidgedanken genauer untersucht. Suizidgedanken sind ein relativ häufiges Phänomen, da 5–10% der Allgemeinbevölkerung in verschiedenen Studien davon berichten [13, 44]. In der hier untersuchten Stichprobe berichteten 7,3% der Älteren von Suizidgedanken innerhalb der letzten zwei Wochen. Das Auftreten von Suizidgedanken war mit einer größeren Zahl traumatischer Ereignisse und kriegsbezogener traumatischer Ereignisse, aber auch mit mehr depressiver und posttraumatischer Symptomatik assoziiert. Unklar war jedoch zunächst, ob Suizidgedanken in einem eigenständigen Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen und/oder PTBS

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Z Gerontol Geriat 2014 · 47:194–201  DOI 10.1007/s00391-014-0624-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 H. Glaesmer

Traumatische Erfahrungen in der älteren deutschen Bevölkerung. Bedeutung für die psychische und körperliche Gesundheit auf Bevölkerungsebene Zusammenfassung Hintergrund.  Der Zweite Weltkrieg ist das wohl erschütterndste und schwerwiegendste historische Ereignis der jüngeren Vergangenheit. Die Erforschung der gesundheitlichen Folgen der traumatischen Erfahrungen hat erst in den letzten Jahren begonnen. Ziel der Arbeit.  Es wird ein Überblick über die Befunde aus bevölkerungsbasierten Studien zu den psychischen und körperlichen Folgen traumatischer Erfahrungen der heutigen älteren Bevölkerung (vor 1946 geboren), insbesondere aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges gegeben. Material und Methoden.  Die präsentierten Daten stammen aus mehreren großen bevölkerungsrepräsentativen Studien zu verschiedenen Aspekten körperlicher und psychischer Beschwerden sowie traumatischen Ereignissen. Ergebnisse.  Von mindestens einem traumatischen Ereignis berichten 40–50% der Älteren, wobei kriegsbezogene traumatische Ereignisse eine zentrale Rolle spielen. Die traumatischen Erfahrungen gehen mit erhöhten

Raten depressiver und somatoformer Störungen, posttraumatischer Belastungsstörungen, aber auch körperlicher Erkrankungen einher. Sie sind zudem mit erhöhter medizinischer Inanspruchnahme assoziiert. Schlussfolgerungen.  Die Befunde unterstreichen wie langfristig und vielfältig die Folgen traumatischer Erfahrungen sind. Einige der Älteren benötigen psychotherapeutische Betreuung. Ein spezieller Behandlungsansatz, die internetbasierte Schreibtherapie (integrative Testimonial-Therapie, ITT) wird deshalb kurz vorgestellt. Die Mehrheit der Älteren ist jedoch in anderen Bereichen der medizinischen Versorgung zu finden. Es ist deshalb wünschenswert, den historisch-biographischen Hintergründen mehr Beachtung zu schenken und aktuelle Beschwerden auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Schlüsselwörter Zweiter Weltkrieg · Ältere · Posttraumatische Belastungsstörungen · Psychische Störungen · Somatoforme Störungen

Traumatic experiences in elderly Germans. Importance for mental and physical health at a population level Abstract Background.  World War II (WWII) is probably the most distressing and fatal historical event in Europe’s recent past. Research on mental and physical health sequelae of these traumatic experiences from WWII has only started recently. Objectives.  An overview on the findings from several population-based studies investigating the mental and physical health outcomes of traumatic experiences in the German elderly (born prior to 1946), especially from WWII, is given. Material and methods.  The results presented here are based on several populationbased representative studies regarding several aspects of mental and physical health in the elderly. Results.  About 40–50% of the elderly German population report at least one traumatic event, mostly from WWII. Traumatic experiences are related to higher rates of depressive and somatoform disorders, posttrau-

matic stress disorder, and physical morbidity, which are associated with increased health care utilization. Conclusion.  The findings underline that the negative effects on health are long-term, manifold, and serious. Some of the elderly need psychotherapeutic interventions. Thus, a specific internet-based psychotherapeutic approach (ITT) is briefly presented. However, the majority of the elderly generally use other kinds of medical care, such as primary care, inpatient care, and geriatric care. It seems useful and necessary to pay more attention to the historical and biographical backgrounds of the patients to see and understand the current symptoms from this aspect. Keywords World war II · Elderly · Stress disorders, posttraumatic · Mental disorders · Somatoform disorders

25,00 Depressive Syndrome

Prävalenz (%)

20,00

21,40

Somatoformes Syndrom

14,60

15,00 10,00 7,30 5,00

3,70

5,50

1,80 0,00

kein Trauma

Trauma

stehen oder ob diese sich durch die häufig auftretende komorbide depressive Symptomatik erklären lassen. In schrittweisen Regressionen wurden mögliche Zusammenhänge geprüft und es zeigte sich, dass die posttraumatische Symptomatik den Zusammenhang von traumatischen Erfahrungen und Suizidgedanken vollständig erklärt und dass die komorbide depressive Symptomatik den Zusammenhang zwischen PTBS und Suizidgedanken vollständig erklärt [23]. Suizidgedanken sind damit letztendlich beim Vorliegen von traumatischen Erfahrungen und PTBS eher als Teil einer komorbiden depressiven Symptomatik zu sehen und zu behandeln. Die hier kurz geschilderten Befunde beziehen sich ausschließlich auf Suizidgedanken und damit auf eher passive Suizidalität. Mit Blick auf die interpersonale Theorie suizidalen Verhaltens [68, 69] wird diskutiert, ob aktive Suizidalität (Suizidhandlungen und -versuche) im Zusammenhang mit PTBS steht. Eine empirische Untersuchung dazu steht noch aus [23].

Somatoforme Störungen und Schmerzen Neben depressiven Beschwerden spielen somatoforme Beschwerden und Schmerzstörungen eine wesentliche Rolle als mögliche Folgen traumatischer Erfahrungen [55]. Die Prävalenzen des somatoformen Syndroms in Abhängigkeit von traumatischen Erfahrungen und PTBS in einer bevölkerungsrepräsentativen Studie sind in . Abb. 1 dargestellt. In Regressionsanalysen unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht zeigte sich, dass bei den

PTBS/partielle PTBS

Abb. 1 9 Prävalenz depressiver und somatoformer Syndrome in Abhängigkeit von traumatischen Erfahrungen und PTBS in einer Bevölkerungsstichprobe Älterer (n=1659). (Nach [22])

untersuchten Älteren sowohl traumatische Erfahrungen in der Lebensgeschichte (OR =3,8) als auch die PTBS (OR =8,2) die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ein somatoformes Syndrom zu entwickeln [22]. Da traumatische Erfahrungen als Risikofaktoren für die Entwicklung somatoformer Beschwerden gelten, ist dieser Befund im Einklang mit der verfügbaren Literatur [59]. Es ist aber auch hervorzuheben, dass insbesondere der Zusammenhang mit der PTBS sehr hoch ist und somatoforme Beschwerden damit eine wichtige komorbide Störung der PTBS darstellen [22].

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Traumatische Erfahrungen und PTBS sind Risikofaktoren für die Entwicklung somatoformer Störungen Vergleichbar mit den berichteten Befunden zu somatoformen Beschwerden sind die Ergebnisse aus einer bevölkerungsrepräsentativen Untersuchung Älterer zu Schmerzen in mehreren Körperregionen („chronic widespread pain“, CWP), dem Kernsymptom der Fibromyalgie. Auch dort zeigte sich, dass die Personen mit CWP häufiger die Kriterien einer depressiven Störung (13,7% vs. 6,6%) oder einer PTBS (10,9% vs. 2,2%) erfüllten als Personen ohne CWP [29]. In beiden hier kurz referierten Querschnittsuntersuchungen war es jedoch nicht möglich, die zeitliche Aufeinanderfolge von traumatischen Erfahrungen, PTBS und somatoformen Beschwerden bzw. Schmerzen zu untersuchen. Um sich der Frage nach den zeitlichen Zusammenhängen etwas zu nähern, wurden deshalb 529 CWP-Patienten mit

einem alters- und geschlechts-gematchten Vergleichssample aus einer Bevölkerungsstudie verglichen. Erwartungsgemäß berichteten die CWP-Patienten deutlich häufiger von traumatischen Erfahrungen, PTBS und depressiven Störungen als das gematchte Bevölkerungssample [27]. Die CWP-Patienten mit PTBS wurden zudem zum zeitlichen Aufeinanderfolgen bzw. dem Erstauftreten der verschiedenen Störungen befragt. Bei zwei Drittel der Personen (66,5%) gingen traumatische Erfahrungen und PTBS der CWP voraus, bei 29,5% folgten traumatische Erfahrungen und PTBS nachdem die CWP bereits bestand und bei 4% traten CWP und PTBS innerhalb eines Jahres auf [27]. Auch wenn es sich hier um eine retrospektive Studie handelt, liefert diese einen ersten Hinweis zum zeitlichen Zusammenhang der verschiedenen Störungen. CWP und PTBS treten häufig gemeinsam auf und sind mit traumatischen Erfahrungen assoziiert. Bei einem deutlich größeren Teil der untersuchten Patienten folgte die CWP der PTBS und ist somit eher als weitere Folgestörung zu verstehen, die die Komplexität der psychischen Symptomatik erhöht und die klinischen Outcomes verschlechtert [27]. Prospektive Studien sind erforderlich, um diese Befunde weiter abzusichern. Eine besondere Rolle unter den traumatischen Erfahrungen spielt die Vertreibung am Ende des Krieges. Viele der Betroffenen waren unter oft lebensbedrohlichen Bedingungen (z. B. Fliegerangriffe, Hunger, Gewalt, Kälte, Erleben des Todes naher Angehöriger) längere Zeit auf der Flucht, oft auch mit ungewissem Ziel. Verschiedene Studien zeigen, dass Vertreibung ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen, auch somatoforme Störungen, ist [4, 17, 38, 54]. In einer genaueren Analyse der Zusammenhänge von Vertreibung und somatoformen Beschwerden unter Berücksichtigung weiterer traumatischer Ereignisse wurde deutlich, dass nicht die Vertreibung als solches der Risikofaktor für somatoforme Beschwerden ist, sondern die Kumulation traumatischer Ereignisse das Auftreten somatoformer Beschwerden erklärt. Die Vertriebenen berichteten im Mittel von 1,7 traumatischen Ereignissen, v. a. von Kriegshandlungen, Ausbombung, Traumazeu-

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(%)

Beiträge zum Themenschwerpunkt 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

kein Trauma Trauma PTBS/partielle PTBS

KHK/Angina pectoris

Hypertonie

PAVK

genschaft und körperlicher Gewalt, während die Nichtvertriebenen der gleichen Altersgruppe im Mittel von 0,5 traumatischen Ereignissen berichteten [37].

Depersonalisation Neben psychischen Störungen ist es auch von Interesse, sich mit klinisch relevanten Phänomenen zu befassen, die nicht zwangsläufig eine eigenständige Störungskategorie darstellen, sondern im Rahmen psychischer Störungen auftreten können. Im Kontext traumatischer Erfahrungen kommt dissoziativen Symptomen eine besondere Bedeutung zu. Im DSM-V ist deshalb ein dissoziativer Subtyp der PTBS vorgesehen [47, 64], der v. a. durch starke Depersonalisation und Derealisation gekennzeichnet ist. In einer ebenfalls bevölkerungsrepräsentativen Studie wurde deshalb der Zusammenhang zwischen Depersonalisationserleben, kriegsbezogenen traumatischen Erfahrungen und Angstund Depressionssymptomatik untersucht.

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Kriegshandlungen und Vertreibung sind mit Depersonalisation assoziiert Depersonalisation trat häufiger bei den älteren Studienteilnehmern auf, die Vertreibung oder Kriegshandlungen erlebt hatten. Kein Zusammenhang fand sich mit dem Erleben von Ausbombung. In den logistischen Regressionsmodellen (unter Berücksichtigung von Geschlecht und Alter) waren Kriegshandlungen und Vertreibung mit Depersonalisation assoziiert. Wurde jedoch die Angst- bzw. Depressionssymptomatik in die Modelle einbezogen, verschwanden diese Effekte, was auf eine vollständige Mediation hinweist.

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Schlaganfall

Abb. 2 9 Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen und Risikofaktoren in Abhängigkeit von traumatischen Erfahrungen und PTBS in einer Bevölkerungsstichprobe Älterer (n=1659). (Nach [18, 19, 20])

Zumindest über diese sehr langen Zeiträume zwischen traumatischem Ereignis und der heutigen Untersuchung, ist die Depersonalisation damit eher als Teil einer komplexen psychischen Symptomatik zu verstehen und nicht als eigene Störungsentität [24].

Körperliche Erkrankungen Während die psychischen Folgen traumatischer Erfahrungen inzwischen vergleichsweise gut untersucht sind, wurde erst in den letzten Jahren dem Zusammenhang traumatischer Erfahrungen und/oder PTBS mit körperlichen Erkrankungen Aufmerksamkeit geschenkt. Die ersten Befunde dazu stammen aus der Forschung zu den körperlichen Folgen von Missbrauch und Vernachlässigung in Kindheit und Jugend. Es konnte dort gezeigt werden, dass diese aversiven Kindheitserfahrungen auch zum vermehrten Auftreten verschiedener körperlicher Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen oder kardiovaskulären Erkrankungen führten [9, 10, 11, 26]. In der Folge wurde dieser Ansatz dann auf körperliche Folgen von traumatischen Erfahrungen im Erwachsenenalter übertragen und kam zu ähnlichen Ergebnissen [63]. In einer bevölkerungsrepräsentativen Studie älterer Deutscher wurde dieser Zusammenhang für die Weltkrieg-IIGeneration untersucht [18]. Es zeigte sich, dass das Vorliegen mindestens einer traumatischen Erfahrung mit erhöhten Raten verschiedenster körperlicher Erkrankungen und Beschwerden assoziiert war. Darüber hinaus war das Vorliegen einer aktuellen PTBS mit dem Auftreten einiger Erkrankungen assoziiert. Die Prävalenzen verschiedener kardiovaskulärer Erkrankungen und Risikofaktoren in Ab-

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hängigkeit von traumatischen Erfahrungen und PTBS aus dieser Untersuchung sind in . Abb. 2 dargestellt. Um die inzwischen recht gut belegten Zusammenhänge zwischen traumatischen Erfahrungen, PTBS und körperlichen Erkrankungen zu erklären, lassen sich verschiedene Ansätze verwenden. Es werden sowohl lebensstilassoziierte Risiken wie Rauchen, übermäßiger Alkoholgenuss und Übergewicht, aber auch die chronische Dysregulation der Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und damit eine chronisch veränderte Stressantwort des Körpers als ursächliche Faktoren diskutiert [18, 53, 63]. Das Allostatic Load Model eignet sich hier als theoretischer Rahmen [25, 33, 53].

Medizinische Inanspruchnahme Es wurde dargestellt, dass traumatische Erfahrungen und PTBS mit erhöhten Raten verschiedener psychischer und körperlicher Erkrankungen assoziiert sind. Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass sich damit auch Konsequenzen für die medizinische Inanspruchnahme ableiten. In einer bevölkerungsrepräsentativen Untersuchung Älterer war das Vorliegen traumatischer Erfahrungen mit erhöhten Wahrscheinlichkeiten für die Inanspruchnahme von Fachärzten, Psychiatern/Psychotherapeuten und Krankenhausaufenthalten im letzten Jahr assoziiert [20]. Das Vorliegen einer PTBS erhöhte die Wahrscheinlichkeit beim Psychiater/Psychotherapeuten und im Krankenhaus gewesen zu sein und erhöhte die Zahl der Haus- und Facharztbesuche sowie der Besuche bei Psychiatern/Psychotherapeuten. Die Befunde machen deutlich, dass traumatische Erfahrungen und PTBS auch zu einer erhöhten medizinischen Inanspruchnahme über das psychiatrisch-psychotherapeutische Setting hinaus führen und damit auch gesundheitsökonomische Bedeutung besitzen.

Zusammenfassung und Diskussion Traumatische Erfahrungen und insbesondere kriegsassoziierte traumatische Erfahrungen sind in der deutschen älteren Bevölkerung sehr häufig. Die verschiedenen

hier dargestellten Untersuchungen zeigen, dass diese Erfahrungen sowohl mit dem Auftreten verschiedener körperlicher als auch psychischer Erkrankungen assoziiert sind. Die Befunde unterstreichen wie vielfältig und langfristig die Folgen traumatischer Erfahrungen sind und stehen in Einklang mit den Ergebnissen verschiedener Studien an spezifischen Stichproben von Kriegsüberlebenden in Deutschland. Diese weisen immer wieder auf die hohe psychische Belastung durch die Kriegserfahrungen hin. Verschiedene Fragen sind trotz der inzwischen guten empirischen Basis weiter ungeklärt. So wissen wir immer noch sehr wenig über F die Langzeitverläufe der Folgen traumatischer Erfahrungen, F das Zusammenspiel und das zeitliche Aufeinanderfolgen verschiedenster Störungen in einem solchen Langzeitverlauf sowie F Schutz- und Risikofaktoren. Wenn wir heute, mehr als 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, psychische und körperliche Beschwerden von Menschen mit den traumatischen Ereignissen des Krieges in Beziehung setzen, dann untersuchen wir v. a. Überlebende oder Resiliente. Die Personen mit den schwersten Folgen für ihre psychische und körperliche Gesundheit dürften heute oft nicht mehr leben oder sie befinden sich in einem gesundheitlichen Zustand, der eine Studienteilnahme verhindert. In Anbetracht dessen, dürften die Folgen der traumatischen Erfahrungen eher unterschätzt werden, da alle hier referierten Studien in Privathaushalten und mit Personen, die noch selbst Angaben machen konnten, durchgeführt wurden. Es ist davon auszugehen, dass sehr viele schwer gesundheitlich beeinträchtigte Personen dieser Generation heute in Pflegeeinrichtungen zu finden sind und deshalb nicht in die Studien eingeschlossen wurden. Inzwischen gibt es empirische Belege, dass traumatische Erfahrungen mit der Inzidenz und Prävalenz demenzieller Erkrankungen zusammenhängen [6, 57, 71]. Es ist davon auszugehen, dass viele der heutigen Pflegeheimbewohner auch mit traumatischen Erfahrungen und deren Folgen zu kämpfen haben. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass trau-

matische Erfahrungen und deren Folgen im Pflegealltag von Bedeutung sind, ist die Forschung dazu noch am Anfang. Ein erstes Projekt der Universität Köln widmet sich dieser Frage [70].

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Historisch-biographische Hintergründe der Patienten sind stärker in der medizinischen Versorgung zu berücksichtigen Die Mehrheit der älteren Menschen befindet sich in ärztlicher Behandlung, v. a. in hausärztlicher Betreuung. Auch wenn einzelne Betroffene psychotherapeutische Hilfe benötigen, ist dies für die meisten nicht erforderlich, nicht zu leisten und oft von den Betroffenen auch nicht gewünscht. Aus diesem Grund spielen Ärzte der somatischen Fachdisziplinen, Pflegefachkräfte, aber auch andere Unterstützungs- und Hilfssysteme eine große Rolle. Es ist deshalb wünschenswert, dass die Bedeutung des historisch-biographischen Hintergrunds der Patienten, wie hier am Beispiel des Zweiten Weltkrieges, mehr Berücksichtigung in der medizinischen Versorgung erhält, auch wenn der Zeitdruck im Praxisalltag enorm ist. Manche Eigenarten oder Symptome älterer Patienten ließen sich leichter verstehen und behandeln vor diesem Hintergrund, wie von Böwing et al. sehr gut am Beispiel der Wahnsymptomatik gerontopsychiatrischer Patienten beschrieben wurde [2, 3]. Auch wenn es verschiedene psychotherapeutische Behandlungsansätze für ältere Patienten gibt [48], finden sich insgesamt sehr wenige spezifische Angebote für die Behandlung der psychischen Folgen lange zurückliegender traumatischer Erfahrungen. Eine Ausnahme bildet ein internetbasiertes Behandlungsprogramm (http://www.lebenstagebuch.de), hinter dem sich eine speziell für die Behandlung kriegstraumatisierter Älterer entwickelte integrative Testimonial-Therapie (ITT) verbirgt [34]. Damit liegt ein erster spezifischer Behandlungsansatz für die Zielgruppe vor. Es handelt sich bei der ITT um eine internetgestützte Schreibtherapie, die biographische Ansätze mit der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung traumabezogener dysfunktionaler Kognitionen kombiniert. Ziel der ITT ist

es, die traumatischen Erinnerungen in das autobiographische Gedächtnis einzuordnen, Interpretationen und Bewertungen zu den traumatischen Erfahrungen zu modifizieren und die Lebensqualität zu verbessern. Die Patienten schreiben über 6 Wochen 10 Texte in Schreibsitzungen von jeweils 45 Minuten. Sie erhalten innerhalb von 24 Stunden eine Rückmeldung von ihrem Therapeuten und Instruktionen für den nächsten Text. Die Behandlung gliedert sich in drei Phasen [34]: F ressourcenorientierte biographische Rekonstruktion, F Konfrontation und F kognitive Neubewertung. Das therapeutische Vorgehen wird anhand eines Fallbeispiels bei Knaevelsrud et al. [34] genauer erklärt. Inzwischen liegen erste Evaluationsergebnisse zur ITT von 30 Patienten aus einem Prä-PostVergleich vor. Es zeigen sich zwischen Behandlungsbeginn und -abschluss sowie 3 Monate nach Ende der Behandlung signifikante Verbesserungen in der F posttraumatischen Symptomatik, F Lebensqualität und F Selbstwirksamkeit. Darüber hinaus zeigten sich F eine sehr gute therapeutische Beziehung, F eine hohe Behandlungszufriedenheit und F eine niedrige Abbruchrate. Diese ersten Ergebnisse weisen darauf hin, dass mit der ITT ein effektiver und gut akzeptierter Behandlungsansatz für kriegstraumatisierte Ältere entwickelt wurde [35]. Da dieses Behandlungsangebot bisher nur als Onlinetherapie angeboten wurde, bleibt es all jenen Älteren verschlossen, die nicht ausreichend mit dem Internet vertraut sind. In den letzten Jahren wird sehr intensiv über die transgenerationale Übertragung traumatischer Erfahrungen diskutiert. Auf Bevölkerungsebene fehlt es bisher an empirischen Studien in Deutschland. Verschiedene Studien an HolocaustÜberlebenden zeigen, dass es keine sicheren Hinweise für erhöhte Raten psychischer Störungen in der zweiten Generation gibt, aber von einer erhöhten Vulne-

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Beiträge zum Themenschwerpunkt rabilität für psychische Störungen ausgegangen werden kann, die unter Belastung eher zur Entwicklung einer Störung führt [19, 67]. Dennoch spielt das Thema gerade in der psychotherapeutischen Versorgung eine große Rolle und hat dort auch eine wichtige Bedeutung. Auch wenn es insgesamt keine erhöhten Raten psychischer Störungen auf Bevölkerungsebene gibt, sind transgenerationale Aspekte für einzelne Betroffene von großer Bedeutung. Hier sei auf die umfangreichen Arbeiten aus dem Projekt „Zeitzeugen des Hamburger Feuersturms 1943“ [46] und die Arbeiten von Radebold u. Bohleber [58] verwiesen.

Fazit für die Praxis F Fast die Hälfte der heutigen Älteren berichtet von traumatischen Erfahrungen, häufig aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Diese sind auch heute noch mit erhöhten Raten psychischer und körperlicher Erkrankungen und mit erhöhter medizinischer Inanspruchnahme assoziiert. F Die Älteren stellen einen großen Teil der Patientenschaft in den unterschiedlichsten ambulanten und stationären Versorgungsbereichen und in der Altenpflege dar. Während ein kleinerer Teil psychotherapeutische Versorgung benötigt, ist es v. a. zu wünschen, dass der historisch-biographische Hintergrund dieser Generation und die generationstypischen traumatischen Erfahrungen mehr Berücksichtigung in der gesamten Spannbreite der medizinischen und pflegerischen Versorgung finden. So könnten zum Teil Jahrzehnte zurückliegende Ursachen aktueller Beschwerden erkannt und die Beschwerden diagnostisch richtig eingeordnet, besser verstanden und behandelt werden.

Korrespondenzadresse PD Dr. H. Glaesmer Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Leipzig Philipp-Rosenthal-Str. 55, 04103 Leipzig [email protected]

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Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  H. Glaesmer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Falle von nicht mündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigen oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.

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Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 3 · 2014

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[Traumatic experiences in elderly Germans. Importance for mental and physical health at a population level].

World War II (WWII) is probably the most distressing and fatal historical event in Europe's recent past. Research on mental and physical health sequel...
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