Berufspolitisches Forum Unfallchirurg 2014 · 117:83–85 DOI 10.1007/s00113-013-2552-5 Online publiziert: 24. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion

H. Siebert, Berlin

C. Wölfl1 · J. Kotter2 · T. Trupkovic2 · P.A. Grützner1 · M. Münzberg1 1 Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, BG-Klinik Ludwigshafen 2 Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, BG-Klinik Ludwigshafen

„Trauma room time out“ (TRTO) Neues Sicherheitstool zur Verbesserung der Patientensicherheit und Mitarbeiter­ zufriedenheit im Schockraum

Hintergrund „Descent 2400 feet…“ Eine Anweisung eines „Air Traffic Controller“ an eine Cockpitbesatzung. Was würden Sie tun wenn sie dies hören? „Sinken auf 2400 Fuß…?“ Die Cockpitbesatzung verstand damals „decent to 400 feet…“! Dies hört sich genau so an, aber bei der Differenz von 2000 Fuß endete diese Steuereingabe mit einem „controlled flight into terrain“. Die Maschine kollidierte im Landeanflug mit einem Berg, alle Insassen verloren das Leben. Die Konsequenz war die Verbesserung der Kommunikationsstruktur bei diesen Verfahren, durch Einführung des Wortes „flightlevel“ vor der Höhenangabe. „Decent to flightlevel 2400“ macht diese Anweisung wasserdicht. Die Kommunikation an einem Hochsicherheitsarbeitsplatz ist der ­wichtigste Faktor neben technischer Kompetenz, Verfahrenskompetenz und Regulation der Arbeitsbelastung. Die Deutsche ­Lufthansa nennt dies in der Summe „basic competence for optimum performance“. In der Rettungskette der „Schwerverletztenversorgung“ befinden sich die Akteure um den Patienten an einem Hochsicherheitsarbeitsplatz. Bis zu 140 Personen sind an der Versorgung eines schwerverletzten Patienten beteiligt: 140 Personen mit unterschiedlicher technischer Kompetenz, unterschiedlicher Verfahrenskompetenz und v. a. unterschiedlichen

„soft skills“ und damit interpersoneller und interprofessioneller Kompetenz. Die Folge ist, dass trotz guter Medizin und guten Ablaufkenntnissen, sowohl in der Präklinik als auch in der Klinik und dort im Schockraum, eine für den Patienten ggf. letale oder schädigende Situation entsteht und für die Handelnden eine frustrierende und erschreckende Erfahrung zurückbleibt. Unsere Fachgesellschaft hat dies früh erkannt und macht sich wegweisend für Patientensicherheit in der Medizin stark. Offener Umgang mit Fehlern, CIRS („critical incident reporting system“), Fehlermanagement und die Schulung strukturierter Verfahrenskompetenz, wie z. B. seit 10 Jahren mit dem ATLS©-Kursformat, sind wichtige Bausteine einer Fehlerreduktion. Auch existieren diverse Formate der Teamschulung.

Analyse Die BG-Klinik Ludwigshafen hat aktuell eine ATLS-Schulungsrate von 95% in der Unfallchirurgie und von 60% in der Anästhesie. In der Pflege haben wir zunehmend ATCN-geschulte Mitarbeiter („advanced trauma care for nurses“) im Schockraum. Dennoch ergeben sich ­Schockraumabläufe, die nicht nach den festgelegten Kriterien ablaufen.

Warum? Eine Umfrage unter allen Mitarbeitern, die im Schockraum tätig sind, ergab folgende „Störfaktoren“: 1. „Es ist viel zu laut.“ 2. „Es sind zu viele Leute im Schockraum.“ 3. „Manchmal wissen wir gar nicht, was genau los ist und der Patient rauscht an einem vorbei.“ 4. „Was hat der Patient genau und warum wird wie entschieden?“ 5. „Als Pflegekraft habe ich den Eindruck, nur die Ärzte wissen letztendlich, wie es weitergeht – das frustriert.“ 6. „Wer ist wer? – Plötzlich sind neue Mitarbeiter dabei, die keiner kennt.“ Diese Aussagen repräsentieren klassische Verstärker eines möglichen Handlungsabbruchs innerhalb eines Teams: laute Umgebung – viele Personen – keine Kommunikationsstruktur. Analysiert man solche Situationen in der Luftfahrt, sind dies Ausgangssituationen für viele Unfälle. Um dies zu vermeiden, ist die sog. „Awareness“ der maßgebliche Faktor. Im Team muss eine Grundaufmerksamkeit vorhanden sein, welche das Team „am“ Geschehen hält. Trifft sich beispielsweise das Schockraumteam wie vorgesehen nach Alarmierung innerhalb von 10 min, besteht eine durchschnittliche Wartezeit auf den Patienten von 5–10 min. Diese 10 min „überDer Unfallchirurg 1 · 2014 

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„Trauma room time out“

Abb. 1 8 Flowchart TRTO im Schockraum der BG-Klinik Ludwigshafen

lebt“ die Awareness. Wenn es zu einer Verzögerung kommt, beginnt zunächst eine Konversation im Team, ausgehend von der Frage nach dem Eintreffen hin zu persönlichen oft auch privaten Gesprächen, und die Awareness für die Situation „Schockraum“ lässt rapide nach. Die Anspannung schlägt in Gelassenheit um. Die Ausgangsituation für das Team und den Patienten wird schlechter. Wie kann die Kommunikation und Awareness verbessert werden und damit eine Fehlerreduktion in der kritischen Situation Schockraumversorgung erreicht werden? Zur Vermeidung von „kontrollierten Fehlern“ bei zu operierenden Patienten (keine Aufklärung, falsche Seite, nicht vollständiges Operationszubehör) wurde sehr erfolgreich die „WHO-­Checkliste“ und das „OP time out“ in Deutschland eingeführt. Viele Fehler konnten hierdurch vermieden werden. Auch im eigenen Operationszentrum wird dieses Tool zur Fehlervermeidung gelebt. Aber die elektive Operation ist ein vergleichsweise einfaches Szenario. Die Kontrollinstanzen beginnen bereits mit der Aufnahme des Patienten auf die Station und nach Abarbeiten der Checklisten dort, im Rahmen der Narkoseeinleitung und vor Operationsbeginn entsteht eine hohe Sicherheit. Aber auch hier ist die Frage nach dem aktiven Leben wichtig. Weiß jeder im

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Team wirklich immer, wer gerade Narkose macht und wie der Saalspringer heißt – auch wenn das Team meist den Tag zusammen im Saal verbringt? Im „kritischen“ Szenario der Schockraumversorgung herrschen Zeitdruck und ein hoher Workload, es trifft immer ein neues Team zusammen mit unterschiedlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie „soft skills“. Viel mehr als im normalen Operationsablauf sind hier Fehler und Kommunikationsdefizite vorprogrammiert, welche es zu verhindern gilt. In Ludwigshafen wurde als Baseline mit allen beteiligten Disziplinen ein 2-tägiges Coachingseminar durchgeführt. Trotz hervorragender Infrastruktur und hohem Ausbildungsstand wurden Schwachpunkte identifiziert. Nahund Fernziele für die Optimierung der interdisziplinären Schockraumversorgung wurden definiert. Die wichtigsten Punkte waren die Optimierung der Kommunikation. Das „team time out“ im Operationssaal ermöglicht zu Beginn der Operation einen nochmaligen Abgleich des gemeinsamen Wissenstands über den Patienten und evtl. zu erwartender Probleme. Die Etablierung einer ebensolchen Sicherheitskultur im Schockraum wurde als Ziel definiert.

In Anlehnung an das „team time out“ wurde der sog. „trauma room time out“ (TRTO) entwickelt. Im Folgenden wird der Ludwigshafener Schockraumablauf mit den integrierten „time outs“, die an jedem wichtigen Entscheidungszeitpunkt eingebaut wurden, vorgestellt (. Abb. 1). 1. Alarmierung „Schockraumalarm“ durch den 1. Chirurgischen Dienst (Traumahandy). Ohne Rückfragen begeben sich die jeweiligen Mitarbeiter innerhalb von 10 min in den Schockraum. 2. Der 1. Chirurgische Dienst leitet die Vorstellung ein und führt ein Briefing des Teams über den angemeldeten Schockraum durch, die Leitung wird an den Traumaleader (OA Unfallchirurgie) übergeben. 3. Mit dem Eintreffen des Patienten wird eine digitale Uhr aktiviert. Der 1. Chirurgische Dienst stellt sich vor und bittet um Übergabe des Patienten durch den Notarzt. Der Patient verbleibt auf der Rettungsdiensttrage. Ein vorheriges Umlagern würde die Aufmerksamkeit einzelner Teammitglieder, die dann z. B. die Beatmung wechseln etc., ablenken. 4. Nach der Übergabe nach ABCDEKriterien wiederholt der 1. Chirurgische Dienst die Übergabe laut (Readback). Der Traumaleader notiert die Ausgangswerte auf einem Whiteboard. Somit haben alle einen ersten gemeinsamen Wissenstand. Der „primary survey“ beginnt. Der Rettungsdienst verlässt den Schockraum. 5. Sobald der „primary survey“ beendet und der Patient initial stabilisiert ist, erfolgt durch den Traumaleader ein 1. TRTO. Nach ABCDE-Kriterien wird der aktuelle Stand laut abgefragt und festgelegt, ob akut im Schockraum noch Maßnahmen nötig sind oder der Patient in das „Multislice-CT“ (MSCT), den Operationssaal (OP) oder auf die Intensivstation gebracht werden kann bzw. muss. Sollte der „primary survey“ länger als 12 min dauern, wird der Traumaleader durch einen Signalton der Digitaluhr 12 min nach Beginn der Versorgung (2 min Übergabe, 10 min „primary survey“)

Fachnachrichten Infobox 1:  Weiterführende Literatur­ 1. Rydenfällt C, Ek A, Larsson PA (2013) Safety checklist compliance and false sense of safety: new directions for research. BMJ Qual Saf (Epub ahead of print) 2. Böhmer AB, Wappler F, Tinschmann T et al (2012) The implementation of a perioperative checklist increases patients‘ perioperative safety and staff satisfaction. Acta Anaesthesiol Scand 56:332–338 3. Treadwell JR, Lucas S, Tsou AY (2013) Surgical checklists: a systematic review of impacts and implementation. BMJ Qual Saf (Epub ahead of print) 4. Nance J (2008) Why hospitals should fly: the ultimative flight plan to patient saftey and quality care, 1st edn. Second River Healthcare Press, Bozeman

auf die Durchführung des TRTO aufmerksam gemacht. 6. Der 2. TRTO erfolgt nach Durchführung des MSCT. 7. Der 3. TRTO bei Übergabe an das Notfalloperationsteam oder auf der Intensivstation. Durchgeführt wird der TRTO in Ludwigshafen seit September 2012 mit einer Modifikation im Februar 2013. Folgende positive Ergebnisse konnten dadurch erreicht werden: 1. deutliche Zunahme der Zufriedenheit (Wissenstand sowie Kommunikation) aller Beteiligten interdisziplinär wie auch interprofessionell, 2. Lärmreduktion, 3. Reduktion der Primary-Survey-Zeiten auf durchschnittlich

[Trauma room time out (TRTO). New safety checklist to improve patient safety and employee satisfaction in the emergency room].

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