196 Der interessante Fall

Ringfingertransposition nach schwerem Handtrauma Transposition of the Ring Finger after Severe Hand Injury

Autoren

R. L. Stocker1, 2, A. Macheiner1

Institute

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Schlüsselwörter ▶ Fingertransposition ● ▶ Defektbruch der Mittelhand ● ▶ schwere Handverletzung ● ▶ Musiker ●

Zusammenfassung

Abstract

Es wird von einer schweren Handverletzung be­ richtet, mit Defektbruch des dritten Mittelhand­ knochens, Zerstörung des Metakarpophalangeal­ gelenkes des vierten Fingers und einer Amputa­ tion des Kleinfingers rechts sowie zahlreichen Strecksehnenverletzungen bei einem aktiven Musiker. Der vierte Mittelhandknochen wurde basisnah abgesetzt, eine Handverschmälerung vorgenommen und der Ringfinger auf die Basis des Kleinfingers transponiert. Es wurde ein sehr gutes Ergebnis erzielt.

We report a severe hand injury with a fracture of the third metacarpal bone, destruction of the metacarpophalangeal joint of the fourth finger, amputation of the little finger of the right hand and several tendon injuries, in an active ­musician. The fourth metacarpal bone was offset close to the base, the hand narrowed, and the ring finger transferred to the base of the little finger. The outcome was very favourable.

eingereicht 17.5.2014 akzeptiert 14.12.2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1398526 Online-Publikation: 26.1.2015 Handchir Mikrochir Plast Chir 2015; 47: 196–198 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0722-1819 Korrespondenzadresse Dr. Roland Ludwig Stocker Ordination für Unfall- und Handchirurgie Cottagestraße 13 1140 Wien Österreich [email protected]

 Unfallchirurgie, LKH Wiener Neustadt, Wien, Österreich  Ordination für Unfall- und Handchirurgie, Baden/Wien, Österreich



Ein 70-jähriger, unter gerinnungshemmender Medikation (Phenprocoumon) stehender Mann, zog sich bei der Arbeit an einer Kreissäge eine schwere Verletzung der rechten, dominanten ▶  Abb. 1). Es kam neben den Defekten Hand zu ( ● der Strecksehnen und eines Defektbruches des dritten Mittelhandknochens zur Zerstörung des Metakarpalekopf IV mitsamt dem Grundgelenk bei intakten Strukturen der palmaren Seite, und zur Amputation des Kleinfingers im Grundglied ▶  Abb. 2). ( ● Nach einem gründlichen Débridement wurde der dritte Mittelhandknochen mittels Bohrdräh­ ten stabilisiert und der Defekt mit Spongiosa aus dem Amputat aufgefüllt. Der vierte Mittelhand­ knochen wurde basisnah abgesetzt, der Abstand zwischen den Metakarpaleköpfen 3 und 5 wurde etwas verschmälert. Der bis auf die Basis des Grundgliedes intakte Ringfinger wurde auf den Rest des Grundgliedes des fünften Strahles ▶  Abb. 3). ­gesetzt und entsprechend stabilisiert ( ● Sämtliche Strecksehnen wurden genäht, die Haut des Handrückens konnte über einen Verschiebe­ lappen verschlossen werden. Die Hand wurde für 6 Wochen auf einer palmaren Schiene ruhig ­gestellt, ab der dritten Woche wurde mit Ergothe­ rapie begonnen. Nach 9 Wochen wurden die Bohrdrähte aus dem dritten Mittelhandknochen



entfernt und die Verklebungen der Streckerhau­ be gelöst. Eine intensive Handtherapie wurde an­ geschlossen. 7 Monate nach dem Unfall wurde auch das restliche Osteosynthesematerial ent­ fernt. Bei der klinischen Kontrolle nach 1½ Jahren fand sich eine freie Beweglichkeit des dritten Fingers. Am rekonstruierten Strahl wurde im Grund­ gelenk eine Beweglichkeit von 0-15-85, im Mit­ telgelenk von 15-0-85 und im Endgelenk von 0-0-35 erreicht. Die Fingerspreizung, die Sensibi­ lität und die Durchblutung waren normal, die Kraftentfaltung gut. Die Kraftmessung mit dem Jamar®-Dynamometer ergab rechts/links 28/30 kg ▶  Abb. 4,  5). im Mittel ( ● In der radiologischen Kontrolle zeigte sich das transponierte Grundglied knöchern geheilt, die Anschlussstelle kaum mehr sichtbar, eine Exostose subkapital am dritten Mittelhandkno­ ▶  Abb. 6). chen ( ●

Diskussion



Fingertranspositionen sind in der Literatur vor allem nach Daumenverlust bekannt und be­ schrieben [1, 2]. Indikationen für eine „Finger­ auswechslung“ wie es Pannike [3] so treffend

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Key words ▶ finger transposition ● ▶ metacarpal fracture ● ▶ severe hand trauma ● ▶ musician ●

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Abb. 1 Unfallbild mit tiefer Wunde im Mittelhandbereich mit Sehnen- Knochen- und Hautdefekten.

Abb. 3  a. p.-Röntgenaufnahme nach Versorgung: der dritte Mittelhandknochen wurde mit Kirschnerdrähten stabilisiert, der subkapitale Defekt mit Spongiosa aufgefüllt. Der vierte, distal zerstörte Mittelhandknochen wurde basisnah abgesetzt und der Ringfinger auf die Basis des amputierten Kleinfingergrundgliedes transponiert und stabilisiert.

Abb. 2  Die Röntgen­ aufnahme zeigt das Fehlen des Metakarpalekopfes IV und das dadurch verursachte Zurücksinken des Grundgliedes.

Abb. 4 Klinisches ­Ergebnis in der ­Aufsicht.

formuliert hat, gibt es wenige. Im vorliegenden Fall lag eine Am­ putation des Kleinfingers kombiniert mit einer Zerstörung des distalen Anteils des vierten Mittelhandknochens und des vier­ ten Metakarpophalangealgelenkes, bei einem aktiven Musiker (Knopfakkordeon) mit überdurchschnittlicher Anforderung an seine rechte Hand, vor. Ein Replantationsversuch des Kleinfingers mit Substanzdefekten sowohl im knöchernen Anteil des Grundgliedes, als auch der Sehnen schied von vornherein aus. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre keine zufriedenstellende Funktion des Fingerstrahls trotz mehrfachen chirurgischen Eingriffen und langer Behandlungsdauer zu erzielen gewesen. Ziel war es daher, zumindest den vierten Fingerstrahl zu retten bzw. wieder voll funktionsfähig zu bekommen.

Der Substanzdefekt wäre mit einem autologen Knochentrans­ plantat aus dem Beckenkamm durchaus behandelbar gewesen. In der Literatur sind einfache freie Transplantate aus dem Be­ ckenkamm bis hin zu längeren Transplantaten aus Fibula und Tibia, aber auch aus dem Metatarsus beschrieben [4, 5]. Unbe­ friedigend aber wäre nach wie vor die Gelenkssituation: über Endoprothesen in diesem Bereich gibt es noch keine wirklichen Langzeitergebnisse, Silikonspacer erlauben zwar eine gewisse Beweglichkeit, jedoch keine wirkliche Belastbarkeit [6]. Daher entschied sich der Operateur in Absprache mit dem Pa­ tienten zu einer Transposition des Ringfingers auf die erhaltene Basis des Grundgliedes des amputierten Kleinfingers. Die Resek­ tion des Metakarpale IV wurde basisnahe durchgeführt. Alter­

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Abb. 5  Klinisches Bild seitlich: nahezu freier Faustschluss.

Mitfixierung der Streckerhaube und der notwendigen Entfer­ nung der Bohrdrähte vor der Freigabe der Beweglichkeit erkauft. Die Alternative dazu wäre eine Verplattung gewesen. Der Patient erzielte eine fast freie und kraftvolle Funktion seiner rechten Hand bei Verlust eines Fingerstrahles.

Danksagung



Abb. 6 Radiologisches Bild nach Ausheilung und Entfernung des Osteosynthesematerials.

Roland Ludwig Stocker geb. in Aldein/Südtirol. Studium der Me­ dizin in Wien, Promotion 1986 (Dr. med. univ.). Nostrifikation und Approbation 1987 an der Università degli Studii di Bologna (Dott. medico chirurgo). Aus­ ­ bildung zum Allgemeinmediziner, Aus­ bildung zum Notarzt, Ausbildung zum Facharzt für Unfallchirurgie an der Uni­ versitätsklinik für Unfallchirurgie Wien (Prof. Vécsei). Spezi­ alisierung Handchirurgie. Oberarzt an der Universitätsklinik Wien bis 1999. 1999–2013 Oberarzt am Landesklinikum Baden (Leit. Arzt Maier/Prof. Klestil), Aufbau und ständiger Leiter der Hand­ambulanz. Derzeit Oberarzt am Landesklini­ kum Wiener Neustadt (Prim. Ortner). Seit 2000 eigene Praxis für Unfall- und Handchirurgie. Zahlreiche Hospitationen un­ ter anderem an der Klinik für Handchirurgie, Bad Neustadt (Prof. Lanz), Handchirurgie der TU rechts der Isar, München (OA Werber), Handchirurgie Lubinus Klinik, Kiel (Chefarzt Dr. Ranft), Handchirurgie Schulthess Klinik, Zürich (Prof. Simmen/Leit. Arzt Herren), Handchirurgie Ravensburg (Prof. Krimmer).

Interessenkonflikt: Nein Literatur

nativ hätte auch das gesamte Metakarpale IV entfernt und das Metakarpale V etwas nach radial versetzt werden können. Die Stabilisierung des dritten Mittelhandknochens wurde aus Zeitgründen mit 2 Kirschnerdrähten durchgeführt. Der Vorteil der kurzen Dauer des Eingriffes wurde durch eine minimale Schädigung des Gelenkknorpels des Metakarpalekopfes, der

1 Buck-Gramcko D. Daumenrekonstruktion nach Amputationsverlet­ zungen. Handchirurgie 1981; 13: 14–27 2 Manninger J. Daumenersatz durch Fingerauswechslung und osteoplas­ tische Methode mit Insellappenplastik nach Verletzungen. Handchi­ rurgie 1981; 13: 3–9 3 Pannike A. Fingertransposition und operativer Daumenersatz.In: Os­ teosynthese in der Handchirurgie.Springer-Verlag, Berlin: 1972; 5 und 98–106 4 Braatz F, Popken F, Bertram C et al. Aneurysmatische Knochenzyste des Os metacarpale IV – Ein Fallbericht. Handchir Mikrochir Plast Chir 2002; 34: 128–132 5 Pardo-Montaner J, Pina-Medina A, Barcelo-Alcaniz M. Recurrent meta­ carpal giant cell tumour treated by en bloc resection and metatarsal transfer. J Hand Surg [Br] 1998; 23: 275–278 6 Sauerbier M, Arsalan-Werner A. Zur Endoprothetik am Handgelenk, am distalen Radioulnargelenk und an der Hand. Handchir Mikrochir Plast Chir 2012; 44: 280–292

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Die Behandlung des Patienten erfolgte an unserer früheren Ar­ beitsstelle im Landeskrankenhaus Thermenregion Baden-Möd­ ling sowie in meiner Ordination für Unfall- und Handchirurgie.

[Transposition of the Ring Finger after Severe Hand Injury].

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