Kramer: Salnioneilen-Obertragung von der Mutter auf das Neugeborene

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Dtsch. rued. Wschr. 102 (1977), 84-86 © Georg Thicme Verlag, Stuttgart

Salmonellen-tJbertragung von der Mutter auf das Neugeborene

Transferral of Salmonella from mother to newborn infant

J. Krämer Institut für Medizinische Mikrohiologie und Immunologie der Universitiit Bonn (Direktor: Prof. Dr.

I-I.

Brandis)

Zwei Neugeborene wurden mit Salmonellen der Mutter infiziert. Nach der Übertragung von Salmonella typhi von einer seit langem als Dauerausscheiderin bekannten Mutter blieb das Neugeborene klinisch unauffällig; die Typhuserreger konnten jedoch noch drei Jahre später regelmäßig im Stuhl des Kindes nachgewiesen werden. Die Infektion des zweiten Neugeborenen mit Salm onellen aus der Gruppe der Enteritiserreger (S. panama) durch die erst post partum als Keimträgerin erkannte Mutter führte zu einer Enteritis mit foudroyantem septischem Verlauf, die letal endete. Die Möglichkeit, daß eine Schwangere noch kurz vor der Geburt mit Salmonellen der Enteritisgruppe verunreinigte Nahrungsmittel zu sich genommen hat, muß heute auf Grund der starken Ausbreitung dieser Erreger in den letzten Jahren immer in Betracht gezogen werden. Während bereits Mengen von 10-10 Keimen zu einer Typhus- oder Paratyphus-Erkrankung führen können, ist beim erwachsenen Menschen für eine durch Salmoneuen aus der Gruppe der Enteritiserreger verursachte Erkrankung meist die Aufnahme höherer Infektionsdosen, etwa 10-10 Erreger, notwendig (18, 20, 23). Bei Erwachsenen, die durch schwere Grundkrankheiten oder andere Ursachen in ihrer Resistenz geschwächt sind, vor allem aber bei Kleinkindern und Säuglingen können schon sehr viel niedrigere Keimzahlen von EnteritisSalmonellen zu Krankheitserscheinungen führen (12). Der Anteil an Salmonellosefällen dieses Personenkreises ist deshalb deutlich höher als der Anteil an der Wohnbevölkerung (13, 26), und Ketten von direkten Kontaktinfektionen mit Enteritis-Salmonellen und Infektionen über Gebrauchsgegenstände kommen besonders häufig

Two newborn infants were infected with Salmonella originating from their mothers. After infection of a newborn infant with Salmonella typhi from a mother, known for a long time to be a cironic carrier, no pathological findings were observed but the child continued to secrete typhoid bacilli for three years. The infection of the second child with S. panama, from a mother recognized as a carrier posr-partum, caused a fulminating diarrhoea accompanied by sepricacmia which had a fatal ourcome.

auf Säuglingsstationen vor (11, 21, 27, 30). Das vielgestaltige Bild der durch Enteritis-Salmonellen verursachten Erkrankungen, das von harmlosen Enteritiden bis zu septisch-typhösen Krankheitsbildern führen kann, unterscheidet sich bei Säuglingen kaum von Infektionen mit S. paratyphi A, B, C oder S. typhi (4, 19). Schwere septische Verlaufsformen und Meningitiden, unter Umständen mit letalem Ausgang, kommen um so häufiger vor, je jünger die Kinder sind (6, 7, 14, 17, 19, 25). Ist die Mutter Trägerin von Salmonellen, so kann die Infektion des Neugeborenen bereits prä- oder subpartal eintreten, besonders nach einem vorzeitigen Blasensprung (1, 2, 14, 16, 29). Im folgenden werden die mit groí?er Wahrscheinlichkeit während der Geburt erfolgte Übertragung von Typhuserregern einer bekannten Dauerausscheiderin und die Übertragung von Enteritis-

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Krämer Salmonellen-Uberiragung von der Mutter auf das Neugeborene

Salmonellen einer erst post partum erkannten Keimträgerm auf das Neugeborene geschildert.

Kasuistik Fall 1: Seit 1948 ist die Patientin nach einem Typhus abdominalis Typhusdauerausscheiderin. Die Lysotypie ergab einen Xylose-positiven, nicht bestimmbaren Vi-Stamm von Salmonella typhi. Die jährlichen Kontrollen waren immer positiv. Wiederholte Versuche, die Patientin durch Antibtotikabehandlung (Chloramphenicol, Ampicillin) zu sanie?en, gelangen nicht. Nach normalem Schwangerschaftsverlauf wurde die Patientin 1969 nach vorzeitigem Wehenbeginn von Drillingen entbunden. Der erstgeborene Drilling war bei der Geburt bereits abgestorben und mazeriert. Bei der bakteriologischen Untersuchung der unauffälligen Plazenta wurde S. typhi (nicht bestimmbarer Vi-Stamm, Xy[osespaltung positiv) nachgewiesen. Aus dem Stuhl der beiden lebenden Drillinge konnten keine Salmonellen isoliert werden. 1972 wurde die Patientin von einem Mädchen entbunden, das sich in einem guten Allgemeinzustand befand. Nach dem Mekonium wurde am dritten Tag fester Stuhl ausgeschieden, in dem Typhuserreger (nicht bestimmbarer Vi-Stamm, Xylosespaltung positiv) nachgewiesen werden konnten. Die weitere Beobachtung des Kindes in den nächsten Jahren zeigte ein unauffälliges Verhalten, doch wurden bei allen Untersuchungen Typhuserreger aus dem Stuhl isoliert, während der Urin keinen pathologischen Befund zeigte. Das Kind blieb his heute als Dauerausscheider in der Überwachung des Gesundheitsamtes. Fall 2: Nach normal verlaufener Schwangerschaft wurde ein Mädchen mit allen Zeichen der Reife als erstes Kind gesunder Eltern zum errechneten Termin im August 1975 geboren. Bei der klinischen Untersuchung konnten keine krankhaften Organbefunde festgestellt werden. Die MiIz war nicht vergrößert tastbar. Im Blut fanden sich ein Hämoglobingehalt von 150 g/l, eine Erythrozytenzahl von 4,46 X 10i2/l eine Leukozytenzahl von 5,1 X 10°il (36°/o Stabkernige) und eine deutlich respiratorisch-teilkompensierte metabolische Acidose. Am zweïten Lebenstag wurden große Mengen iibelriechenden dünnen Mekoniums ausgeschieden, später spritzende durchfällige Stühle mit Schleimbeimengungen. Unter Infusionsbehandlung verschlechterte sich das Befinden zunächst nicht. Das Neugeborene trank gut, die Temperatur lag um 38 °C. Am Morgen des dritten Lebenstages kam es zu einer foudroyanten Verschlechterung des Ailgemeinbefindens mit einem Thrombozytensturz auf 74 X 10/l, einem Abfall des Hämoglobins auf 99 g/i, der Erythrozyten auf 2,9 X 10°/I und der Leukozyten auf 2,1 X 10°/I. Außerdem wurde eine schwere dekompensierte respiratorisch-metabolische Acidose festgestellt. Trotz sofort eingeleiteter Korrektur der Acidose, Digiralisbehandlung, der Gabe von Gamma-Globulin und der Injektion von Antibiotika (Gentamicin, Carbenicillin + Oxacillin) intravenos kam es nach wenigen Stunden im Anschluß an mehrere kurzdauernde Krampfanfälle zum Tod durch Herzstillstand. Bakteriologisch fand sich post mortem Salmonella panama in der Blutkultur und im Stuhl. Pathologisch-histologisch zeigten sich typhöse Entzündungsbefunde am Kolon mit einer diffusen, fibrinösen Durchwanderungsperitonitis und Darmparalyse sowie einer beiderseitigen tertiären fibrinósen Basalpleuritis. Auffällig waren weiterhin eine ausgedehnte desquamative Pneumonie in beiden Lungenlappen, eine eitrige (örtlich pseudomembranöse) Tracheobronchitis und Bronchiolitis und eine fleckig-livide Hautmarmorietung. Ausgedehnte Umgebungsuntersuchungen von Personen aus der geburtshilflichen Abteilung, der Kinderabreilung Lind des privaten Bereiches der Mutter zeigten, daß nur bei der Mutter S. panama im Stuhl nachgewiesen werden konnte.

Diskussion Bakterielle Infektionen von Neugeborenen sind trotz der Möglichkeiten, die die Antibiotikatherapie bietet, auch heute noch eine wesentliche Ursache der hohen neona-

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talen Mortalitäts- und Morbidmtätsrate (22, 24). AIs Erreger schwerer Allgemeinmnfektionen finden sich vorwiegend Keime aus der Gruppe der fakultativ pathogenen Enterobakterien, die zur normalen Darmflora des erwachsenen Menschen gehören (3) und mit großer Regelmäßigkeit in Vaginalabstrichen auch gesunder Frauen nachweisbar sind (24, 28). Der massive Kontakt des Neugeborenen mit diesen Bakterienstämmen bei der Passage durch die Geburtswege führt im allgemeinen zu einer natiirlichen hakteriellen Besiedlung des kindlichen Darmtraktès (9) und nur in Ausnahmefällen zu einer Erkrankung. Die oben geschilderten Vorgänge haben gezeigt, dal? auch die Infektion mit obligat pathogerien Enterobakterien sowohl zu einem symptomlosen Ausscheidertum als auch zu einer letal endenden septischen Allgemeininfektion des Kindes führen kann, wobei für das Angehen oder Nichtentstehen der Infektion die Intensität des Keimbefalls, der Allgemeinzustand des Neugeborenen und vor allem die Übertragung mütterlicher Antikörper, besonders bei Typhusdauerausscheiderinnen, von Bedeutung sein mögen (7, 8, 22). Das Risiko, daß sich Neugeborene prä- oder perinatal mit Salmonellen der Typhus-Paratyphus-Gruppe infizieren, ist auf Grund der stetigen Abnahme der Erkrankungsfälle in den letzten Jahren als äu,ßerst gering einzuschätzen (26, 31). Der beschriebene Verlauf des ersten Falles zeigt jedoch, daß eine besondere Gefährdung des Kindes besteht, wenn die Mutter Dauerausscheiderin ist. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der geschilderten Totgeburt und einer möglichen pränatalen Typhusinfektion konnte trotz des Nachweises der Salmonellen in der Plazenta auf Grund des pathologisch-histologischen Befundes nicht nachgewiesen werden. Dagegen ist die Übertragung der Erreger von der Mutter auf das 3 Jahre später geborene Kind eindeutig. Sowohl bei der Mutter als auch bei dem Kind handelt es sich um einen nicht bestimmbaren Vi-Stamm von S. typhi. Die Kenntnis von der Salmonella-Ausscheidung der Mutter führte zu einer besonderen Sorgfalt hinsichtlich des Verlaufs der komplikationslosen Geburt und der Versorgung des Neugeborenen. Die Tatsache, daß trotzdem die Typhuserreger bereits im ersten Stuhl nachweisbar waren, spricht für eine perinatale Übertragung der Erreger. Tm zweiten geschilderten Fall ist eine Übertragung der Salmonellen der Enteritisgruppe von der Mutter, die erst post partum als Keimträgerin erkannt wurde, auf das Neugeborene ebenfalls sehr wahrscheinlich, denn der Infektionserreger S. panama konnte außer bei dem Kind nur bei der Mutter, nicht aber beim Krankenhauspersonal oder hei Personen aus der privaten Umgebung der Mutter nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu den Typhus- und Paratyphus-Erregern werden Salmonellen der Enteritisgruppe in den letzten Jahren immer häufiger aus tierischem und menschlichem Untersuchungsmaterial isoliert (26). Seit 1968 hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle verdreifacht (15). Die Möglichkeit, daß eine Schwangere noch kurz vor der Geburt mit Salmonellen der Enteritisgruppe verunreinigte Nahrungsmittel zu sich genommen hat, auch ohne zu erkranken, muß deshalb heute immer in Betracht gezogen werden. Kurz vor oder nach der Ge-

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Nr. 3, 21. Januar 1977, 102. Jg.

Kr:imcr: Salmonellen-Obertragung von der Mutter auf das Neugeborene

burt durchgeführte bakteriologische Untersuchungen des Vaginalabstriches und des Stuhis sollten aus den genannten Gründen immer eine Prüfung auf Salmonellen einschließen. Wie das erwähnte Beispiel gezeigt hat, kann die Kenntnis von der Salmonella-Infektion der Mutter eine Ubertragung der Erreger nicht immer verhindern, doch könnte entweder prophylaktisch oder bei den ersten Zeichen einer Erkrankung sofort mit der wirkungsvollsten Therapie begonnen werden, eine Maßnahme, die auf Grund des oft foudroyanten Verlaufes von neonatalen Salmonella-Infektionen und der schlechten Abwehrsituation der Kinder von entscheidender Bedeutung ist.

Die antibiotische Therapie von Infektionen mit Typhus- oder Paratyphuserregern besteht in der Gabe von Chloramphenicol oder alternativ von Ampicillin (4), das geringere Nebenwirkungen hat und durch die Konzentrierung in der Galle die Ansiedlung der Erreger in der Gallenblase und den Gallengängen erschwert. Die Behandlung mit diesen Antibiotika, deren Wirksamkeit sich gegenüber S. typhi und S. paratyphi in den letzten Jahren nicht verändert hat (10), sollte stets mit niedrigen und langsam steigenden Dosen beginnen, um eine plötzliche massive Endotoxinüberschwemmung des Körpers zu vermeiden. Unkomplizierte Erkrankungen durch Salmonellen der Enteritisgruppe sollten nur symptomatisch behandelt werden, um die Selektion mehrfach resistenter (R-Faktor-tragender) Stämme und eine verlängerte Ausscheidung der Salmonellen, wie sie nach einer antibiotischen Behandlung auftreten kann (S), zu verhindern. Wenn eine antibiotische Therapie von Salmonellosen durch Salmonellen der Enteritis-Gruppe klinisch erforderlich ist, sollte zunächst eine Resistenzbestimmung der isolierten Erreger erfolgen. Bei Ampicillin-Empfindlichkeit ist dieses Antibiotikum einzusetzen, gegebenenfalls Sulfamethoxazol-Trimethoprim (Co-Trimoxazol). Ich danke dem Institut f Or Kinderpathologie der Universität Bonn (Direktor: Prof. Dr. H. J. Födisch), der Medizinischen Klinik der Universität Bonn (Direktor: Prof. Dr. H. J. Dengier), der Klinik

und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde der Universität Bonn (Direktor: Prof. Dr. E. J. Plotz) und Dr. Hack, Chefarzt am Krankenhaus uStiftshospital z. hi. Nikolaus:

[Transferral of Salmonella from mother to newborn infant (author's transl)].

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