Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 560—565

Online verfügbar unter www.sciencedirect.com

journal homepage: http://journals.elsevier.de/zefq

IM BLICKPUNKT

Übertragbarkeit krankenhausbezogener Patientensicherheitsindikatoren für Deutschland: Ergebnis einer Delphi-Befragung Transferability of patient safety indicators to the German hospital setting: results of a Delphi survey Vera Weingärtner ∗, Christina Maass, Silke Kuske, Constanze Lessing, Matthias Schrappe Institut für Patientensicherheit der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn, Bonn Eingegangen/submitted 23. Dezember 2012; überarbeitet/revised 4. Mai 2013; akzeptiert/accepted 6. Mai 2013

SCHLÜSSELWÖRTER Delphi-Befragung; Patientensicherheitsindikator; Qualitätsindikator; QUALIFY-Instrument; Übertragbarkeit

KEYWORDS Delphi survey; patient safety indicator; quality indicator; QUALIFY instrument; transferability



Zusammenfassung Ziel: Ziel war die Bewertung von 14 international veröffentlichten, krankenhausbezogenen Patientensicherheitsindikatoren (PSI) hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitswesen. Methoden: Es wurde ein zweistufiges, modifiziertes Delphi-Verfahren unter Verwendung der QUALIFY-Gütekriterien mit einer multidisziplinären Expertengruppe durchgeführt. Ergebnisse: Elf der 14 PSI wurden als übertragbar und praktikabel für das deutsche Krankenhauswesen beurteilt. Schlussfolgerungen: Es steht eine Auswahl an elf formal konsentierten PSI zur Verfügung, die sich potenziell für die Qualitätssicherung im stationären Sektor eignen. Eine weitere Operationalisierung und empirische Validierung wird vor der Verwendung empfohlen. Summary Aim: To assess the transferability of 14 evidence-based patient safety indicators (PSI) to the German hospital system. Methods: A two-staged modified multidisciplinary Delphi process was used, applying the scientific criteria of the QUALIFY instrument. Results: Eleven of the 14 PSI were judged to be transferable to and feasible in the German hospital setting. Conclusions: The consented PSI are potentially suitable for German quality assurance measurement. Prior to implementation, further operationalisation and empirical validation is recommended.

Korrespondenzadresse: Vera Weingärtner, Uniklinik Köln, Zentrum für Palliativmedizin, Kerpener Straße 62, 50924 Köln. E-Mail: [email protected] (V. Weingärtner).

1865-9217/$ – see front matter http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.05.004

Übertragbarkeit von Patientensicherheitsindikatoren

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Hintergrund

Praktikabilität in deutschen Krankenhäusern zu untersuchen.

Seit Einführung der gesetzlichen Verpflichtung zur externen Qualitätssicherung nach § 135a, SGB V und zur Veröffentlichung von Qualitätsindikatoren (QI) in den Krankenhausqualitätsberichten nach § 108, SGB V haben sich QI als Instrumente zur Bewertung der Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität medizinisch stationärer Versorgung in Deutschland etabliert. Weniger Erfahrung gibt es mit speziellen Patientensicherheitsindikatoren (PSI). PSI sind Kennzahlen, die auf behandlungsbedingte, (vermeidbare) unerwünschte Ereignisse ((V)UE) valide hinweisen sollen [1,2]. Sie adressieren insbesondere schwere und relevante Ereignisse mit hoher Dringlichkeit zur Prävention und Analyse, daher hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) bereits 2007 die Entwicklung und Verwendung geeigneter PSI empfohlen [3]. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Projekts geht das Institut für Patientensicherheit (IfPS) der Frage nach, welche PSI für das deutsche Gesundheitswesen empfohlen werden können und welcher Anpassungen und kontinuierlichen Fortentwicklungen es bedarf. Im Rahmen eines systematischen Literaturreviews wurden in Vorarbeiten 2973 international veröffentlichte PSI identifiziert und in einer Datenbank detailliert nach Setting, Funktion, Dimension u.a. Kriterien klassifiziert (Details siehe Kuske et al., 2012 [4]). Mit dem Ziel, PSI mit höchstmöglicher Evidenz, aktueller Relevanz und konkretem Handlungsbedarf für das deutsche Krankenhauswesen zu priorisieren, wurden alle PSI im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens anhand definierter Kriterien (Relevanz, Evidenzlage, Klarheit der Indikatordefinition, publizierte Aussagen zur Validität und weiteren wissenschaftlichen Qualitätskriterien) bewertet (s. Kuske et al., 2012 [4]). Als Ergebnis dieses Filterverfahrens resultierten 60 international veröffentlichte PSI. Das Ziel der im Folgenden vorgestellten Delphi-Befragung war es, 14 selektierte Prozess-PSI auf Übertragbarkeit und

Tabelle 1

Methoden Bei unsicherer Evidenzlage stellen formale Konsensusmethoden den anerkannten Standard zur Entwicklung und inhaltlichen Validierung von Indikatoren dar [5,6]. In Deutschland zählt das QUALIFY-Instrument, das 20 Gütekriterien in den Kategorien Relevanz, Wissenschaftlichkeit und Praktikabilität beinhaltet, als ,,gegenwärtig beste verfügbare Praxis der Indikatorenbewertung‘‘ [7,8]. Zur Bewertung von 14 selektierten PSI wurde daher eine zweistufige, modifizierte Delphi-Befragung mit Einsatz der QUALIFYGütekriterien durchgeführt. Die Modifikation des klassischen Delphi-Designs bestand in einem moderierten Workshop zur Ergebnisdiskussion zwischen den Runden. Durch den strukturierten Informationsaustausch unterschiedlicher Expertisen war eine höhere Qualität der Bewertung zu erwarten [9,10].

Die Indikatoren Aus den 60 in Vorarbeiten ermittelten PSI wurden ausschließlich prozessbezogene PSI selektiert und darunter inhaltsgleiche PSI anhand der erhaltenen Punktebewertung priorisiert [4]. Ein PSI aus dem Bereich Notfallversorgung wurde durch Handsuche nachträglich ergänzt (ID 14). In die Expertenbewertung gingen schließlich 14 PSI aus drei Ländern ein (Tab. 1). Die PSI adressieren krankenhausbezogene Versorgungsprozesse, können aber zusätzlich auch für Schnittstellen oder ambulante Settings zutreffen.

Teilnehmer Es wurden Gesundheitswissenschaftler, Ärzte und Pflegende mit klinischer oder wissenschaftlicher Expertise in den adressierten Fachgebieten und der stationären

Die 14 PSI.

Land, Quelle

PSI Bezeichnung

PSI ID

Deutschland, BQS [18] Deutschland, DGU [19] USA, RAND Corporation (ACOVE-3 Projekt) [20—22]

E-E-Zeit bei Notfallkaiserschnitt Dauer bis zur Durchführung eines Ganzkörper CT Aspiration Precautions Prevention of Ventilator-Associated Pneumonia Time to Antibiotic Therapy Preoperative Diabetes Evaluation Perioperative Beta Blockade Diabetes Control Stability at Discharge Cholesterol-Lowering Medication Treatment of Proteinuria HF-3: ACEI or ARB for LVSD ACE Inhibitor or Angiotensin Receptor Blocker (ARB) Therapy Diabetes, antiplatelet agent

7 14 1 2 3 4 5 6 8 9 12 10 13 11

USA, CMS / Joint Commission [23] USA, Renal PhysicianConsortium [24] Australien, Basger et al., 2008 [25]

ACE(I) = angiotensin-converting enzyme (inhibitor); ACOVE = Assessing Care of Vulnerable Elders, AMA = American Medical Association, ARB = CMS = Centers for Medicare&Medicaid Services, CT = Computertomografie, DGU = Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, LVSD = left ventricular systolic dysfunction, VE = vulnerable elders (multimorbide oder funktionell eingeschränkte Patienten über 65 Jahre).

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V. Weingärtner et al.

Qualitätssicherung rekrutiert. Folgende Bereiche waren vertreten: Chirurgie, Kardiologie, Diabetologie, Nephrologie, Onkologie, Public Health, Hygiene/Umweltmedizin, Pflegewissenschaft.

die Hälfte der Teilnehmer eine gültige Stimme abgab (keine Enthaltung).

Instrumente und Ablauf der Befragung

1. Delphi-Runde

Mit der Zielstellung, jeden PSI zunächst differenziert nach methodischen Stärken und Schwächen und hieran gänzlich nach der Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitswesen zu bewerten, wurden zwei Instrumente eingesetzt: a) ein Bewertungsbogen auf dem die 20 QUALIFY-Gütekriterien abgefragt wurden (Antwortkategorien: trifft zu, trifft eher zu, trifft eher nicht zu, trifft nicht zu und Enthaltung) [7] und b) ein Stimmzettel auf dem die Übertragbarkeit/Praktikabilität der PSI übergeordnet bewertet wurde (Antwortkategorien: ja, eher ja, eher nein, nein und Enthaltung). Anmerkungen im Freitext waren möglich. Als Bewertungsgrundlage der PSI dienten den Experten eine systematisch aufbereitete Beschreibung jedes PSI sowie die dafür verwendete Literatur im Volltext. Die Beschreibung umfasste sämtliche Informationen zu den 20 Gütekriterien des QUALIFY-Instruments exzerpiert aus den Referenzen der Primärliteratur zum PSI. Zusätzliche Informationen zur Darstellung des konkreten Handlungsbedarfs in Deutschland wurden aus aktuellen S3-Leitlinien der AWMF, Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes sowie Gutachten des SVR ergänzt. Die erste Delphi-Runde erfolgte postalisch mit Einsatz beider Instrumente. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des Workshops präsentiert. PSI, für die bezüglich der Übertragbarkeit ein Dissens vorlag, wurden unter Gebrauch der QUALIFY-Gütekriterien diskutiert. Anschließend erfolgte die zweite schriftliche DelphiRunde mit Einsatz der Stimmzettel.

An der ersten Delphi-Runde beteiligten sich fünf der acht Experten (62,5%). Auf Basis der Stimmzettel wurden 12 PSI gänzlich positiv bewertet, darunter die vier PSI ID 6, 7, 11 und 12 mit je vier Stimmen aus der höchsten Bewertungsstufe ,,ja‘‘ insgesamt am besten (Tab. 3). Zum PSI ID 10 lag eine Enthaltung vor und PSI ID 1 erhielt zwei ablehnende Bewertungen in der Stufe eher nein. An der QUALIFY-Bewertung beteiligten sich vier Experten. Diese Bewertung ergab bei allen PSI Stärken in der Kategorie Relevanz und den Gütekriterien Indikatorevidenz, Klarheit der Definitionen, Verständlichkeit und Interpretierbarkeit für Patienten/Öffentlichkeit sowie Ärzte/Pflegende und Beeinflussbarkeit des erfassten Versorgungsaspekts. Die meisten positiven Bewertungen insgesamt erhielten die drei PSI ID 3, 5 und 6 bei je 12 Gütekriterien mit ≥75% Zustimmungen. Bei allen PSI lagen bei den meisten Gütekriterien der Kategorie Wissenschaftlichkeit überwiegend Enthaltungen und in der Kategorie Praktikabilität Bewertungsdifferenzen vor (Ausnahmen: Indikatorevidenz, Klarheit der Definitionen).

Auswertung und Ergebnisdarstellung Die Auswertung erfolgte deskriptiv. Aus den QUALIFYBewertungsbögen wurde für jeden PSI der Anteil zustimmender (trifft zu, trifft eher zu bzw. ja, eher ja) und ablehnender Voten (trifft eher nicht zu, trifft nicht zu bzw. eher nein, nein) sowie der Enthaltungen berechnet. Für die Stimmzettelbewertung wurden Konsensstärken in Anlehnung an das Delphi-Verfahren des QUALIFY-Instruments berechnet (Tab. 2). Ein PSI galt als übertragbar, wenn die Konsensstärke K1, K2 oder K3 resultierte und mindestens

Tabelle 2

Verwendete Konsensstärken.

Konsensstärken (K) im PSI-Projekt K1 K2 K3 K4

Konsens zur Zustimmung, Anteil Zustimmungen =100% Anteil Zustimmungen ≥75% Anteil Zustimmungen >50% und

[Transferability of patient safety indicators to the German hospital setting: results of a Delphi survey].

To assess the transferability of 14 evidence-based patient safety indicators (PSI) to the German hospital system...
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