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Weiterbildung

Kompetenzbasierte Weiterbildung – Lerntheorie und -praxis

Georg Breuer

„Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein.“ (Marie von Ebner-Eschenbach). Lernen und Lehren bestimmen viele Bereiche des menschlichen Lebens und trotz unterschiedlicher Begabungen und Lernkurven des Menschen bringt das Sprichwort „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“ eine bestandhafte Wahrheit auf den Punkt. Dies gilt natürlich ebenso für die „Meisterhaftigkeit“ unseres Fachgebietes. Darum möchte dieser Artikel einen kurzen Abriss über Lerntheorien im Bereich der Erwachsenenbildung bieten und außerdem aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der anästhesiologischen Weiterbildung beleuchten. Dabei soll der Begriff der „Kompetenz“ eine besondere Rolle spielen und ein weiteres Augenmerk der Lehrpraxis gelten. Begriffsbestimmungen



Life long learning Eigentlich alle Bemühungen des „Lehrbetriebs“ zielen in irgendeiner Weise auf den Erwerb bestimmter Kompetenzen. In der Grundschule wird damit begonnen, den Schülern eine Lese-, Rechen- und Schreibkompetenz zu vermitteln. Im Laufe der Jahre und im Kanon eines vielschichtigen Schulsystems werden dann eine Vielzahl weiterer Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben, die schlussendlich diejenige Grundkompetenz aufbauen sollen, um einen Beruf zu erlernen bzw. ein Studium zu absolvieren. ▶ Kompetenzerwerb begleitet uns sozusagen ein Leben lang – unter dem geflügelten Begriff des „life long learning“ zusammengefasst. Was ist Kompetenz? Kompetenz von lat. competere (zusammentreffen, ausreichen, zu etwas fähig sein) bzw. competentia (Zusammentreffen, Symmetrie) beschreibt meist eine Vielzahl bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch Einstellungen und Wissensinhalte, die in ihrer Synthese dazu befähigen, bestimmte Probleme zu lösen.

Ärztliche Kompetenz beschreibt ein komplexes, mehrdimensionales Konstrukt aus Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen, das dazu befähigt, die ebenfalls sehr komplexen Alltagsanforderungen flexibel und verantwortungsvoll zu „meistern“.

Kompetenz wird meist als ein Produkt eines Lernprozesses angesehen und ist dabei möglichst intrinsisch, selbst motiviert und nicht genetisch angeboren oder Produkt eines biologischen Reifungsprozesses [1, 2]. Die Begriffe Fähigkeit und Fertigkeit verschwimmen manchmal etwas und müssen vom Kompetenzbegriff abgegrenzt werden. Unter Fertigkeit wird eher ein bestimmtes Geschick – durchaus manueller Natur – verstanden. Fähigkeit wird oft im Sinne einer angeborenen oder erworbenen Begabung oder eben als ein Bestandteil einer Kompetenz begriffen. Etwas plakativ auf den Punkt gebracht: ▶ Eine Kompetenz beschreibt eine Fähigkeit, in einem bestimmten professionellen, beruflichen Anforderungskontext alles „richtig zu machen“ und alle Probleme zu lösen.

Harden‘sches Modell Nach dem amerikanischen Harden‘schen Modell wird im ärztlichen Kontext Kompetenz ebenfalls mehrschichtiger beschrieben [3]: ▶ Es gilt nicht nur etwas richtig zu machen („doing the thing right“), sondern auch ▶ das Richtige im richtigen Moment zu tun („doing the right thing“) sowie ▶ in diesem Moment die richtigen Einstellungen und Werte zu haben („the right person doing it“). Dies unterstreicht, dass sich Kompetenz von der Persönlichkeit einer Person eigentlich nicht trennen lässt, wenngleich dies immer wieder versucht wird.

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Mehrdimensionalität Bezogen auf die Weiterbildung zum Anästhesiologen ist somit ein Anästhesist eine Arzt-Persönlichkeit, die „kompetent“ ist, die unterschiedlichsten Aufgaben und Anforderungen eines Facharztes für Anästhesiologie zu erfüllen. Dies beinhaltet ein weites und fundiertes Wissen, eine Vielzahl unterschiedlichster Fertigkeiten ebenso wie bestimmte Einstellungen und Fähigkeiten. Um dieser Mehrdimensionalität ärztlicher Kompetenz Ausdruck zu verleihen, wurde vor einigen Jahren vom Royal College of Physicians and Surgeons of Canada das sog. CanMEDS-Rollenmodell entworfen (CanMEDS = Canadian Medical Education Directions for Specialists) [4]. Dieses für die Facharztausbildung entworfene Kompetenzmodell findet mittlerweile weltweite Beachtung und hat in viele Curricula Einzug genommen. q Abb. 1 gibt dessen Kompetenzbereiche auch für die Facharztspezialisierung wieder. CanMEDS-Rollen In dem CanMEDS-Rollensystem können die unterschiedlichsten „Rollen“ und Kompetenzbereiche definiert werden [nach 3, 5̶7]: ▶ Ein medizinischer Experte ist eigenverantwortlich, selbstständig zur Berufsausübung fähig. Darüber hinaus hat er hinreichende praktische Erfahrungen gesammelt und alle medizinischen Fähigkeiten hierzu erworben. ▶ Besonders in unserem Fachgebiet muss er ein Team-Player mit besonderen Kommunikationsfähigkeiten im Team, mit Patienten und Angehörigen sein. ▶ Als Gesundheits-Anwalt soll er verschiedene gesellschaftliche Aspekte des Berufs vertreten sowie ▶ als Manager z. B. perioperative Prozesse organisieren und begleiten, gesundheitsökonomische Aspekte in seinem Handeln berücksichtigen und außerdem die Grundzüge des Qualitätsmanagements beherrschen. ▶ Er soll Lehrer sein, aber auch als „wissenschaftlich Handelnder“ auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz sein Tun immer kritisch hinterfragen. ▶ Als professionell Handelnder kann er allgemeine Regeln im Umgang mit seinen Patienten, seinen Kollegen und sich selbst in seinem Alltag umsetzen. Die Liste ließe sich sicher um viele weitere Seiten und Details fortführen.

Abb. 1 Modifikation des sog. CanMEDS-Rollensystems. Diese CanMEDS-Rollen als Kompetenzbereiche ärztlicher Weiterbildung sind mittlerweile weit über Canada hinaus bekannt. Daten aus [4, 21].

CanMEDS-Rollensystem

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Expertise-Erwerb: zentraler Bestandteil der Weiterbildungskompetenz



Entwicklung zum Experten Wie auch in den sog. CanMEDS-Rollen ist die zentrale Aufgabe der Weiterbildung, Expertise zu gewinnen und zum medizinischen Experten zu werden. Diese Entwicklung folgt einer gewissen Gesetzmäßigkeit und hat sogar als eigenes Forschungsfeld die sog. Expertiseforschung hervorgebracht.

Modell nach Dreyfus Das bekannteste Modell der Expertiseforschung geht auf Überlegungen der beiden Brüder Dreyfus [8, 9] zurück und wurde teilweise in die Medizin übertragen [10, 11]. Hierin werden 5 Stufen auf dem Weg zum Experten unterschieden, wobei jede Stufe besondere Charakteristika aufweist: ▶ Der Anfänger (Novize) ist v. a. auf die Anwendung von Regeln angewiesen und muss „Aufgaben“, also z. B. die Narkoseführung, in einzelne, kontextfreie Bausteine zerlegen. ▶ Über die Stufen des „fortgeschrittenen Anfängers“ und des „Kompetenten“ wird ein zunehmender Überblick über verschiedene Handlungsoptionen und deren Konsequenzen gewonnen. ▶ Der „Gewandte“ und schließlich der „Experte“ sind dann in zunehmendem Maße fähig, erfahrungsbasiert zu handeln, besitzen intuitive Entscheidungsfähigkeiten sowie ein hohes Transfervermögen, das sie auch befähigt, unbekannte Aufgaben sicher zu lösen. Doch wie finden nun alle diese eher „globalen“ Ausbildungsziele und Mechanismen Eingang in die konkrete Weiterbildungsrealität? Wie können Curricula als Richtschnur für die Alltagsarbeit aufgebaut werden?

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Kompetenz ist „mehrdimensional“



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Auch die Evaluation der Weiterbildung durch die Bundesärztekammer hat hier im Sinne einer Bedarfsanalyse einen wichtigen Beitrag geliefert. Visionen und Lernziele wurden in den vergangenen Monaten insbesondere durch die DGAI-Kommission „Fort- und Weiterbildung“ unter Leitung von Prof. Alwin Goetz entwickelt.

Kern-Zyklus 3UREOHPGHILQLWLRQXQGDOOJHPHLQH%HGDUIVDQDO\VH

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 $XVELOGXQJVVWUDWHJLHQ Bildnachweis: Georg Breuer

Abb. 2 Der in der medizinischen Didaktik vielzitierte KernZyklus beschreibt wichtige Schritte eines curricularen Prozesses. Daten aus [12].

Abb. 3 Die 5 Kompetenzstufen für den Facharzt für Anästhesiologie der DGAI-Kommission „Fort- und Weiterbildung“.

Aktuelle Entwicklungen im Lichte eines „curricularen Prozesses“

Basis einer kompetenzbasierten Didaktik



Lernziel definieren „Es gibt keinen guten Wind für den, der nicht weiß, wo er hin will.“ Dieser vielzitierte Ausspruch (vermutlich von Wilhelm von Oranien) bringt auch lernzielorientierte Didaktik auf den Punkt: So bestimmt das Lernziel – also der „Erfolg“ eines Lernprozesses – die gesamte Unterrichtsplanung, die Methodik der Unterrichtsgestaltung und die Überprüfung der erworbenen Fertigkeit. Diesen dynamischen Prozess der Curriculumsgestaltung fasst Kern in seinem sog. „Kern-Zyklus“ zusammen, der einzelne Schritte eines Ausbildungsprozesses näher definiert (q Abb. 2) [12]. Übertragung auf anästhesiologische Weiterbildung Projiziert auf den anästhesiologischen Weiterbildungsprozess zeichnet sich so folgendes Bild ab: Es ist klar geworden, dass die Weiterbildung eines neuen curricularen Rahmens bedarf.

Kompetenzstufen der DGAI-Kommission „Fort- und Weiterbildung“

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Bildnachweis: Georg Breuer / DGAI-Kommission „Fort- und Weiterbildung“

Neue Musterweiterbildungsordnung Die Bundesärztekammer hatte 2012 eine Initiative gestartet, um eine neue Musterweiterbildungsordnung (MWBO) zu schaffen. Diese versucht, sich auf Grundlage eines kompetenzbasierten Lernzielkatalogs von alten Fallzahlen zu lösen. Daneben hatte die Kommission für „Fort- und Weiterbildung“ der DGAI bereits zu einem früheren Zeitpunkt diesen Prozess für den Fachbereich Anästhesiologie vorgedacht (siehe hierzu Artikel von Zöllner ab q S. 722). Ein zentraler Gedanke dieser Kommission wird auch von der Bundesärztekammer aufgegriffen: Fallzahlen alleine machen noch keine Kompetenz aus. Man braucht immer ein curriculares Rahmenwerk.

Ergebnisse der DGAI-Kommission Aus dem oben genannten Grund wurden von der DGAIKommission nach einem intensiven KonsensusProzess für den Facharzt für Anästhesiologie nicht nur ein umfassender Lernzielkatalog auf europäischer Grundlage [13, 14] geschaffen, sondern auch 5 Kompetenzstufen (q Abb. 3) definiert. Diese tragen insbesondere derjenigen Realität Rechnung, dass man nicht an allen Einrichtungen alle Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer klinischen Routine erlernen kann. Viele Lernzielkataloge scheitern in der praktischen Umsetzung aufgrund eines unrealistischen und lebensfremden Anspruchs. Solche Kataloge müssen gelebt werden und bedürfen einer steten Re-Evaluation [15]. ▶ Wenn Lernziele formuliert werden, dann sollten sie auch „smart“ konstruiert werden (q Tab. 1). Anspruch an Lernziele Lernziele müssen also eindeutig, spezifisch beschreiben, was erreicht werden soll. „Der Weiterbildungsassistent soll ein guter Anästhesist werden“ ist beispielsweise in keiner Weise eindeutig. Lernziele sollten überprüfbar und wenn möglich messbar sein. Dies ist auf kognitiver Ebene einfach, wird bei einer Fertigkeit aber schon schwieriger: „Der Weiterbildungsassistent soll eine Intubation sicher durchführen können.“: Wie würde man in diesem Fall „sicher“ prüfen und definieren? Ein Lernziel muss realistisch in einer vorgegebenen Zeit erreichbar sein und v. a. relevant für die

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Übertragung von Aspekten des Assessments auf die Kompetenzstufen

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Praxis-Tipp Sicher stehen Sie in irgendeinem „Lehr-Verhältnis“: Versuchen sie einmal, bestimmte Lerninhalte vorab als ein „smartes“ Lernziel q Tab. 1 zu formulieren und tauschen Sie sich im Kollegenkreis darüber aus. Nach eigener Erfahrung hat dies häufig verblüffende Auswirkungen: Man ist sich vielleicht gar nicht mehr so sicher, ob das, was man dachte, unterrichten zu müssen, tatsächlich relevant und realistisch ist. Vielleicht merkt man auch, dass eine andere Lehrmethode eine „gefühlt“ bessere Nachhaltigkeit besitzt als z. B. eine reine Frontalvorlesung.

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Virtuelle Lernumgebung Nicht alle Lernziele und Kompetenzen lassen sich nur im Rahmen einer innerklinischen Facharztausbildung erwerben. So bieten z. B. moderne „Full-Scale“-Patientensimulatoren und Part-Task-Modelle eine realitätsnahe virtuelle Lernumgebung mit einem geschützten Rahmen, in dem Fehler gemacht und bestimmte Ereignisse trainiert werden können [16]. Für einen solchen alternativen Kompetenzerwerb außerhalb des klinischen Routinebetriebs sind insbesondere Lerninhalte geeignet, die (entsprechend der Präambel der DGAI-Musterweiterbildungsordnung) ▶ selten in der klinischen Alltagsroutine vorkommen und somit häufig nicht in einer Weiterbildungszeit erlebbar sind (z. B. Zwischenfälle), ▶ Handlungsabläufe unter hohem Zeitdruck beinhalten und ein geregeltes Lehren am Patienten hierdurch nicht möglich ist (z. B. schwieriger Atemweg), ▶ Metaebenen des Handels tangieren und somit systematisch nur schwer im klinischen Alltagsumfeld zu vermitteln sind (z. B. Crisis Resource Management, Kommunikation), ▶ bereits spezielle Curricula vorhalten und somit eine nachhaltigere und systematischere Kompetenzvermittlung ermöglichen (z. B. Sonografie, transösophageale Echokardiografie) und ▶ ausgesprochen interdisziplinäre und nicht medizinische Inhalte berühren (z. B. Qualitätsmanagement). Bestimmte Fertigkeiten wie z. B. die Reanimation, insbesondere die von Kindern, sind im klinischen Alltagsbetrieb auf einer hohen Kompetenzstufe nicht routiniert erlernbar und erfordern deshalb

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Bildnachweis: Georg Breuer / DGAI-Kommission „Fort- und Weiterbildung“

eine virtuelle Lern-Propädeutik. Hierfür wird eine Vielzahl von Kursen angeboten.

Alternativer Kompetenzerwerb außerhalb des klinischen Routinebetriebes

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Abb. 4 Aspekte des Assessments übertragen auf die 5 Kompetenzstufen des DGAICurriculums (aus der Präambel der DGAI-Musterweiterbildungsordnung). Daten aus [23].

Überprüfung von Kompetenzen



Abgestuftes Prüfungssystem Wir alle wissen von uns selbst, dass Prüfungen einen starken Einfluss auf das Lernverhalten haben. Spricht man über Kompetenzerwerb, so muss man auch über deren Prüfung sprechen. Es sollte also nachdenklich stimmen, dass ein flächendeckendes „Assessment“ von Facharztkompetenz ausschließlich durch eine institutionalisierte mündliche Prüfung erfolgt, wodurch ja hauptsächlich kognitive Inhalte und keinerlei Fertigkeiten und schon gar keine Handlungsebenen erfasst werden. In Anlehnung an die mehrstufige Überprüfung von Kompetenzen entsprechend der sog. Miller-Pyramide [17] müsste also ein abgestuftes Prüfungssystem greifen (q Abb. 4). Aufgrund der Notwendigkeit einer vielschichtigen Überprüfung der klinischen Weiterbildungskompetenz kommt hier dem Weiterbildungsbefugten eine besondere Verantwortung zu. Entsprechende Qualifizierungen für Weiterbildungsbefugte sollten hierfür wahrgenommen werden

Tab. 1 Daten aus [5, 6, 22].

SMART-Konzept S

pecific

das Ziel muss eindeutig erkennbar sein

M

esurable

Prüf- und Messbarkeit des Lernziels

A

ttainable

realistisch erreichbar

R

elevant

relevant beispielsweise im Kontext der Weiterbildung

T

ime bound

klare zeitliche curriculare Verankerung

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zukünftige eigenverantwortliche Tätigkeit. Ist dies nicht der Fall, sind Frustrationen auf Seiten der Lehrer und Schüler vorprogrammiert. Hilfreich ist außerdem immer, wenn das Lernziel zeitlich klar verankert ist: Eine sichere Intubation sollte z. B. zu Beginn der Weiterbildung erlernt werden.

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Infobox: Wegweiser für Exzellenz im Bildungsbereich [18] 1. Lehrpersonen gehören zu den wirkungsvollsten Einflüssen beim Lernen. 2. Lehrpersonen müssen direktiv, einflussreich, fürsorglich und aktiv in der Leidenschaft des Lehrens und Lernens engagiert sein. 3. Lehrpersonen müssen wahrnehmen, was Lernende denken und wissen [...] Zudem müssen sie ein kompetentes Wissen und Verständnis vom Stoff ihres Faches besitzen, um sinnvolles und angemessenes Feedback geben zu können. Nur so können die Lernenden über die Stufen des Curriculums voranschreiten. 4. Lehrpersonen müssen die Lerninterventionen und Erfolgskriterien ihrer Lehrsequenzen kennen […] Sie müssen Erfolgskriterien kennen im Lichte eines „Wohin gehst du?“, „Wie kommst du voran?“ und „Wohin geht es danach?“ 5. Lehrpersonen müssen von der einzelnen Idee zu vielfältigen Ideen schreiten und diese Ideen so miteinander verknüpfen und erweitern, dass die Lernenden Wissen und Ideen konstruieren und rekonstruieren. Nicht das Wissen oder die Ideen, sondern die Konstruktion dieses Wissens durch die Lernenden ist entscheidend. 6. Schulleitende müssen Schulen, Lehrerzimmer und Klassenzimmer schaffen, in denen Fehler als Lerngelegenheiten willkommen sind, in denen das Verwerfen von fehlerhaftem Wissen und Erkenntnissen begrüßt wird und in denen sich die Teilnehmenden sicher fühlen können, um zu lernen, neu zu lernen und Wissen und Erkenntnisse zu erkunden.

Verantwortung des „Lehrers“ für den Lernprozess



Hattie-Studie In einer der wohl größten Metaanalysen im Bildungsbereich wird aktuell die sog. Hattie-Studie intensiv diskutiert [18]. John Hattie hat über 15 Jahre hinweg über 50 000 quantitative Studien und Metaanalysen aus dem schulischen Bereich ausgewertet und versucht, eine Art „Wirksamkeit“ bestimmter Einflussgrößen oder Maßnahmen für den Lernprozess zu definieren. Als Schlussfolgerung werden von Hattie 6 Wegweiser für Exzellenz im Bildungsbereich zusammengefasst. Diese lassen sich nach meiner persönlichen Überzeugung auch auf die Erwachsenenbildung in einem Weiterbildungsprozess projizieren (q Infobox). Qualität der Lehrenden entscheidend Wie dieser Metaanalyse von Hattie zu entnehmen ist und sicher viele auch aus eigener schulischer Erfahrung unterstreichen können, hängt also vieles vom Lehrer ab. Für die ärztliche Weiterbildung sollte dies bedeuten, hier eine sinnvolle „Selektion“ und Schulung der Lehrenden vorzunehmen, die Motivation, pädagogische Eignung und Rahmenbedingungen berücksichtigt. Die Fähigkeit, konstruktives Feedback zu geben, ist dabei beispielsweise genauso eine zentrale Eigenschaft wie eine konstruktive Lernatmosphäre ohne wirtschaftlich geprägten Ökonomisierungzwang. ▶ Weiterbildende sind Vorbilder, deren professionelles Expertentum nachgeahmt wird. Da sich Fehler jedoch als „Lernwerkzeug“ des Novizen in unserem professionellen Bereich aus ethischen Gesichtspunkten verbieten, bedarf es auch des oben beschriebenen geschützten LernRaumes, z. B. der Simulation [19].

Verantwortung des „Schülers“ für den Lernprozess



Eigeninitiative gefragt – aber bitte in guter Lernumgebung Lernen ist und bleibt trotz aller curricularer Vorgaben und standardisierter Rahmenbedingungen ein individueller Prozess. Kompetenzerwerb ist weder passiv noch rein rezeptiv [20]. Lernen muss ein Weiterzubildender immer noch selbst, und er trägt in diesem Prozess auch eine hohe Mitverantwortung. Trotzdem sollte es ein wichtiges Ziel bleiben, Kompetenzerwerb in der Anästhesiologie weiterhin durch bessere Rahmenbedingungen zu erleichtern und im gegenseitigen Feedback eine immer bessere Lernumgebung zu gestalten. Ein Kompetenzportfolio könnte dem Weiterbildungsteilnehmer als Richtschnur und Orientierungshilfe dienen, in dem er in allen Belangen von seinen „klinischen Lehrern“ unterstützt wird.

Fazit Kompetenzbasierte Weiterbildung ist ein mehrdimensionales Gebilde, in dem der Weiterbildungsbefugte als Lehrer und Vorbild eine wichtige Rolle wahrnimmt. Es sollte im Bemühen unterschiedlichster Institutionen stehen, die Rahmenbedingungen für diesen wichtigen Prozess der Expertiseentwicklung – auch im Sinne der Patientensicherheit und Qualität – stetig zu verbessern. ◀

Dr. med. Georg Breuer, MME, ist Oberarzt an der Anästhesiologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Curriculumsentwicklung, Simulation sowie Lehrund Lernforschung. E-Mail: georg. [email protected]

Interessenkonflikt Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0033-1361978

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Kernaussagen ▶ Eine Kompetenz beschreibt eine Fähigkeit, in einem bestimmten professionellen, beruflichen Anforderungskontext alles „richtig zu machen“ und alle Probleme zu lösen. ▶ Auch für den „Anästhesiologen“ können verschiedene Arztrollen definiert werden. ▶ Ein wichtiger Baustein der Curriculumsentwicklung ist die Definition und Festlegung konkreter und realistischer Lern- und Ausbildungsziele.

▶ Verschiedene Kompetenzebenen erfordern eigentlich ein abgestuftes Assessment. ▶ Der Weiterbildungsbeauftragte hat als Lehrer und Vorbild eine Schlüsselrolle im gesamten Weiterbildungsprozess. ▶ Das Lernen auch außerhalb des klinischen Routinebetriebes (z. B. durch Simulation) wird in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnen.

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▶ Die DGAI-Kommission „Fort- und Weiterbildung“ hat wichtige Punkte in der Definition eines kompetenzbasierten Weiterbildungscurriculums vorausgedacht und in die aktuelle Vorlage der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer eingebracht.

[Training -- competency-based education -- learning theory and practice].

A lifelong learning process is necessarily the basis for the specialization and expertise in the field of anesthesiology. Thus competency as a physici...
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