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Thrombosierung der Vena jugularis interna bei Therapie mit hämatopoetischen Wachstumsfaktoren* Em Fallbericht P. Waldecker-Herrmann', I. A. Born2, I-I. Maier'

Virchow hatte drei Voraussetzungen der Zusammenfassung Die Vena jugularis interna ist ais Lokahsationsort einer Thrombose im Vergleich zu den Bein- und Beckenvenen seiten. Hier berichten wir Pathogenese, Diagnostik und kiinisches Erscheinungsbild einer Jugularvenenthrombose bei einem 39jãhrigen Mann. Ais begunstigende Faktoren werden em zentraler Venenkatheter und die gleichzeitige Applikation von Granulozy-

ten-Makrophagen-stimulierendem Faktor (GM-CSF) diskutiert. Die B-mode-Sonographie erwies sich dabei als das bildgebende Verfahren der Wahi zur Diagnosesicherung einer Thrombosierung im Bereich der Vena juguiaris interna.

Interna Jugular Vein Thrombosis

Thrombosis of the internal jugular and subclavian vein is often caused by central venous catheters. We report on a 39-year-old patient suffering from clinically suspected thrombosis of the internal jugular

and subciavian veins. Thrombosis was confirmed by B-rnode-sonography. The development of thrombosis in this case as a consequence of a central venous catheter and of an additional continuous i. v. treatment with human granulocyte/macrophage colony-stimulating factor (GM-CSF) is discussed.

Thromboscentstehung in den Vordergrund gesteilt, die im Prinzip heute noch gültig sind: Veränderungen der Blutströmung, der GefäI?wand und der Zusammensetzung des Blutes.

Im foigenden werden Pathogenese, Diagnostik und ldinisches Erscheinungsbild einer Jugularvenen-

thrombose unter der Therapie mit hàmatopoetischen

Wachstumsfaktoren dargestelit. Dabei soil zum einen die Diagnosesicherung mittels der B-mode-Sonographie hervorgehoben, zum anderen eine ungewohnliche Ursache für die Entstehung einer Thrombophlebitis im Bereich der V. jugularis interna diskutiert werden. Fallbeschreibung

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Em 39jahriger Mann wurde wegen I-lalsschmerzcn und linksscitigen Sch!uckbeschwerden zur Abklarung eines Peritonsillarabszesses in der Univ.-HNO-Klinik Heidelberg vorgestelit.

Tm Januar 1989 war bei ihm die Diagnose cines hochmaligncn B-Zell-Lymphoms gesteilt worden. Nach Resektion dieses mediastinal lokalisierten Tumors mit Lungenkeil- und partiellet Perikardresektion wurde der Patient mit 4 Chemotherapiezyklen und konsolidierender Radiotherapie behandelt. Unter dieser Therapie kam der Patient in eine komplette Remission. Tm Februar 1990 wurden mittels Thorakotomie erneut Lymphome im rechten Lungenunterlappcn diagnostiziert. Vom 18. bis 20. April 1990 wurde der Patient ijber cinen zentralen Venenkatheter nach I-lAM-Schema (Ale-

xan, Methoxantron) chemotherapiert. Zusätzlich erhielt er vom 21.April bis 5.Mai 1990 das in klinischer Prufung befindliche Präpa-

rat GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-stimulierender Faktor,

Einleitung

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Em Thrombus ist definitionsgema1 em intra vitam entstandenes Blutgerinnsei im Gefag. Pathologisch-anatomisch unterscheidet man den weifen Abscheidungsthrombus, der vorwiegend aus Blutplattchenaggregaten zusammengesetzt ist, den roten Gerinnungsthrombus, der aus einem feinen Fibrinnetz mit eingeschlossenen Erythrozyten besteht, und den gemischten Thrombus, einer

Kombination aus Fibrin- und Piattchenaggregaten (10). Die

haufigste Lokalisation einer tiefen Thrombose ist in den Bein- und Beckenvenen, vor allem im Plexus der V. iliaca interna oder der V. iliaca communis sinistra (12).

Laiyngo-Rhino-OtoI. 70 (1991) 224—226

Georg Thiemc Verlag Stuttgart New York

Behring Werke AG, Marburg). Am 2. Mai 1990 wurde wegen einem phlebographisch gesicherten Verschiull der linken Vv. axillaris und subclavia der Venenkatheter entfcrnt.

Bei der HNO-arzthchen Untersuchung fiel cine anämische Schleimhaut im gesamten Oro-, Hypopharynx- und Larynxbereich auf. Die Tonsillen waren atrophisch und zeigtcn keine EntzOndungszeichcn. Es land sich eine Vorwölbung der linken Hypopharynxwand. Oberhaib des Sternokiavikulargelenkes wurde em Druckschmerz angegeben, der sich bei Kopfdrehung verstiirkte. Der Patient befand sich in einem reduzierten Allgemeinzustand, seine Körpertemperatur betrug 39,5 C. Die Leukozytenzahl lag bci 8/li!, die Erythrozytenzah! bei 2,96 Ii!, die Thrombozytenzahl bei 328/iil.

Der Hb-Wert betrug 8,5 mg/dl, die BKS 65/135. Die Blutgerinnungswerte Quick und PTT lagen im Normbereich.

Herrn Prof. Dr. H.-G. Boenninghaus zum 70 Geburtstag gewidmet.

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UniversirãtsHNO-Klinik (Dircktor: Prof. Dr. H. Wcidauer) Pathologischcs Instiwt dcr Univcrsitat Heidelberg (Direktor Prof. Dr. H. F. Orto)

Thrombosierung der Vena jugularis interna

Laryngo-Rhino-Otol. 70 (1991) 225

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Abb.1 B-mode-Sonographie, Querschnitt: Dilatation der Vena jugularis interna (VJI), normaler Durchmesser der Arteria carotis communis (ACC).

Abb.2 B-mode-Sonographie, Longitudinalschnitt: volIstndiger VerschluB des Venenlumens durch echoreiches thrombotisches Material.

Urn cinc aufsteigende Infektion iiber das Foramen ugulare zu vcrhindern, wurde einige Stunden spater die V. jugularis interna freigelcgt, unterbunden und reseziert. Der die Vene vollstãndig obliterierende Thrombus reichte bis oberhaib des zervikofazialen Venenwinkels (Abb. 3). Histologisch wurde em korallenartig aufgebauter Thrombus, bestehend aus Erythrozyten mit dazwischen liegenden granulozytenhaltigen Fibrinelementen, beschrieben. Daraufhin wurdc sofort eine hochdosierte Heparintherapie (3 x 10000 IE/ Tag) cingeleitct.

Diskussion

Die Ursachen einer Venenthrombose sind vielfaltig. Veranderungen des Gefälendothels entstehen meist mechanisch durch direkte Manipulationen, wie Punktionen, Legen von Jugularis-interna-Kathetern bzw. von pe-

ripher vorgeschobenen Kathetern oder durch Schrittma-

Abb. 3 Operationssitus: Blick aut die GefäBscheide mit thrombosierter Vena jugularis interna links.

Der Verdacht auf das Vorliegen eincr 3hrombophlebitis der V. jugularis interna wurde durch das il-mode-Sono-

gramm (Fa. Picker, L. S. 5000, hochauflösender Schallkopf von 5 MHZ) bestätigt: Tm Qucrschnitt fiel zunichst cine Dilatation dcr V. jugularis interna bis auf 27 mm auf (Abb. 1). Tm Valsalva-Pregver-

such ndertc sich der Venenqucrschnitr nicht, zudem war die Vene nicht kompressibel. Das GefdIlumen wurde unterhaib der Karotisbifurkation mit einem cchorcichen inhomogencn Inhalt ausgefullt (Abb. 2).

cherimplantationen (5, 8). AuI.erdem spielen chemisch induzierte Reizungen durch hyperosmolare, nicht pH-neutrale Infusionslosungen eine Rolle (3, 11). Mogliche Ursachen sind ferner lokal fortgeleitete, oropharyngeale Infektionen, wie z. B. beim Lemirre-Syndrom (14). Derartige Infektionen waren vor allem vor der antibiotischen Araals Ursache für Thrombophiebitiden der V. jugularis interna von Bedeutung (1, 6, 14). Als Erreger wurden den gramnegativen Anaerobiern, vor allem dem Fusobacterium necrophorum, die gröIte Bedeutung beigcmessen. Die Phlebektasie als thrombusbegunstigende Ursache der Jugularisvene zählt zu den rnedizinischen Raritäten (20). Veranderungen der Blutzusammensetzung resultieren, sobald das Gleichgewicht von Produktion bzw. Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und Hemmung der Gcrinnung gestört ist. Die Strömungsverlangsamung ist der dominierende Faktor für die hohe Thromboserate bei bettlagrigen Patienten.

Bei dem oben beschriebenen Fall sind alle drei von Virchow genannten ätiologischen Faktoren zur

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P. Waldeck.er-I-Jerrmann und Mitarb.: Thrombosierung der Vena jugularis interna

Entstehung der Jugularisthrombose zu diskutieren. Die Apeinen zenplikation der Chemotherapeutika erfolgte tralen Venenkatheter, der insgesamt 16 Tage im GefäI verweilte. Der Patient wurde, urn eine chemotherapieinduzerte Myelosuppression zu verhindern, nach Zytostatiinsgesamt 16 Tage mit GM-CSF bekaapplikationen handelt. Die Blutbildung im Knochenmark wird von delinierten Glykoproteinen reguliert. Diese Hormone werden unter dem Begriff koloniestimulierende Faktoren (CSF) zusammengefaIt. Bisher liegen vier dieser Wachstumsfakto-

V. jugularis interna uberlegen scm soil, konnte die Jugularisthrombose in dem bier beschriebenen Fall dopplersonographisch nicht nachgewiesen werden.

Die vorliegende Kasuistik unterstreicht zum einen die Wertigkeit der B-rnode-Sonographie bei der Diagnostik von Jugularvenenthrombosen, zum anderen weist sie auf eine schwerwiegende Komplikation bei der Applikanon von GB-CSF und gieichzeitiger Lage eines zentralen Venenkatheters hin.

Literatur

ren in rekombinanter Form vor (9, 16). GM-CSF fördert die Entwicklung von myeloischen Zellen irn Knochenmark. Klinische Beobachtungen zeigen, da1 diese Vorläuferzellen innerhaib weniger Tage im Knochenmark vermehrt proliferieren und ins periphere Blut ausgeschwernrnt werden. In dem vorliegenden Beispiel konnte eine Stimulation der Hi-

matopoese erreicht werden. Unter der Applikation von GM-CSF (500 mg subkutan tãglich) stieg die Zahi der Leu-

kozyten auf 194% (von 5,1/j.ii aul 9,9/ui), die Zahi der Thrombozyten auf 195 % (von 168/pA auf 328/pA). Diese Beobachtung unterstreicht die Vorstellung, daI GM-CSF hereits früh Starnmzellen, die noch multipotente Fähigkeiten haben, stirnulieren können (11, 13, 14). Als Zeichen einer aktivierten Blutgerinnung ist der hohe Fibrinspiegel des Patienten zu deuten, der eine Woche nach Absetzen der GM-CSF-Appiikation Werte von 982 mg/100 ml erreichte (Normalbereich 170—450 mg/ 100 ml). Die hohe Thrombozytenzahl unter GM-CSF-Therapie könnte unter anderem die erhöhte Neigung zur tiefen Venenthrombose erklãren.

Bei dem hier beschriebenen Fall war es moglicherweise durch den Venenkatheter zundchst zu einer Alteration des GefäRendothels gekommen. Die zusätzliche Gabe von GM-CSF könnte die Bildung von Thrombozyten angeregt und die Entstehung eines Appositionsthrombus in den Vv. axiliaris, subclavia und jugularis interna begunstigt haben.

Die Diagnose bei diesem Patienten wurde durch Anamnese und die Real-time-B-mode-Sonographie gesichert. Sonographische Zeichen einer Jugularisthrombose sind vermehrte intraluminale Binnenechos, fehiende Erweiterung der Vene beim Valsalva-PreIversuch und sniffTest sowie fehiende Komprimierbarkeit der Vene (7, 4). In manchen Fallen stelit die retrograde Stromung von eingedicktem Blut kranial des Thrombus em weiteres Kriterium dar (7, 18, 19). Bei diesem Patienten konnte die Diagnose mittels der B-mode-Sonographie gestelit und auf invasive, belastende und zeitintensive Untersuchungsmethoden, wie

die Computertomographie, Kernspintomographie und Phiebographie, verzichtet werden.

Aufer der Real-time-Sonographie steht zur Beurteiiung von Gefã1veranderungen die Duplex-Sonographie zur Verfugung (7, 15). Dabei zeigt die V. jugularis interna typische Flu1signaIe, wobei die Strömungsgeschwindigkeit von der Atmung und Herztätigkeit beeinflugt wird. Entgegen der Aussage von Steinke (15), wonach die hochaufldsende Duplex-Sonographie der B-rnode-Sonographie in der Beurteilung von GefäIveranderungen im Bereich der

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Universitäts-HNO-Klinik im Neuenheimer Feld 400 D-6900 Heidelberg I

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[Thrombosis of the internal jugular vein in therapy with hematopoietic growth factors. A case report].

Thrombosis of the internal jugular and subclavian vein is often caused by central venous catheters. We report on a 39-year-old patient suffering from ...
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