Kasuistik 45

Thrombophilie und HELLP-Syndrom in der Schwangerschaft – Fallbericht und Literaturübersicht

Autor

S. Findeklee, S. D. Costa, S. N. Tchaikovski

Institut

Gynecology und Obstetrics, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg

Schlüsselwörter ▶ HELLP-Syndrom ● ▶ Schwangerschaft ● ▶ interdisziplinäres Vorgehen ●

Zusammenfassung

Abstract

Thrombophilie oder Thromboseneigung kann durch genetisch bedingte Defekte wie die Faktor-V-Leiden- und die ProthrombingenMutation oder erworbene Störungen, z. B. östrogeninduzierte APC-Resistenz, sowie das Antiphospholipidsyndrom verursacht werden. Die Schwangerschaft greift in erheblichem Maße in das Gerinnungssystem ein, was zu einem weiteren Anstieg des bereits erhöhten Thromboserisikos von Frauen mit einer Thrombophilie in der Schwangerschaft führt. Außerdem wird auch ein Zusammenhang zwischen Thrombophilien und Schwangerschaftskomplikationen wie rezidivierenden Aborten, intrauterinem Fruchttod, Präeklampsie und HELLP-Syndrom in Erwägung gezogen [1, 2]. Als Ursachen für die plazentaassoziierten Schwangerschaftserkrankungen werden dabei eine gestörte Differenzierung des Trophoblasten im 1. Trimenon und eine unzureichende Dilatation der utero-plazentaren Gefäße diskutiert, die infolge einer lokalen Hämostasestörung mit gesteigerter Thrombinbildung durch einen direkten Einfluss von Thrombin auf das Trophoblastzellwachstum entstehen. Ferner können Makro- und Mikrothrombosierungen der fetalen Stammzottengefäße und Spiralarterien zur multiplen Infarktbildung mit Freisetzung von nekrotischen Trophoblastfragmenten und Produktion inflammatorischer Zytokine führen, welche in der Pathogenese von gehäuften Aborten und intrauterinem Fruchttod eine sehr wichtige Rolle spielen [2]. Bei bekannter Thrombophilie wird nach individueller Risikostratifizierung entweder eine postpartale oder eine kombinierte ante- und postpartale Thromboseprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen (NMH) empfohlen. Der Nutzen der NMH zur Vermeidung von Schwangerschafts komplikationen wird kontrovers diskutiert. Bei bestimmten Krankheitsentitäten, etwa beim Antiphospholipidsyndrom,

Thrombophilia is a prothrombotic state that can be caused by genetic disorders, such as the factor-V-Leiden or prothrombin mutation, as well as by acquired changes like oestrogen-induced APC resistance and the antiphospholipid syndrome. Pregnancy induces multiple procoagulant changes in the haemostatic system, increasing the risk of venous thromboembolism in women with a thrombophilia even further. Additionally, thrombophilias are suggested to be associated with a number of pregnancy complications such as recurrent miscarriage, stillbirth, preeclampsia and HELLP syndrome [5, 6]. Increased local activation of coagulation may directly influence trophoblast expansion and invasion, causing thereby an impaired trophoblast development and insufficient widening of spiral arteries in the first trimenon, which results in placenta-mediated pregnancy complications like preeclampsia or HELLP syndrome. Besides, macro- and microthrombosis in the vessels of placental stemm villi and spiral arteries may lead to multiple infarctions with release of necrotic trophoblast fragments and inflammatory cytokines playing an important role in the pathogenesis of recurrent pregnancy loss and stillbirth [6]. For women with a known thrombophilia it is recommended to carry out either only postpartal or combined ante- and postpartal thrombosis prophylaxis with low-molecular weight heparins (LMWH) depending on the individual risk stratification. The effectiveness of the LMWH administration for prevention of thrombophilia-induced pregnancy complications and improvement of the pregnancy outcome is currently a matter of debate. Furthermore, an additional application of acetyIsalicylic acid (ASA) should be considered in the management of women with the antiphospholipid antibody syndrome [3, 4]. In the current article we present the case of a 28-yearold woman with the heterozygous prothrombin

Key words ▶ HELLP syndrome ● ▶ pregnancy ● ▶ interdisciplinary procedure ●

eingereicht 13.03.2014 angenommen 06.07.2014 nach Überarbeitung Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1385856 Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0948-2393 Korrespondenzadresse Dr. Svetlana N. Tchaikovski Universitätsfrauenklinik Magdeburg Gerhart-Hauptmann-Str. 35 39108 Magdeburg Tel.: 0391/6717403 Fax: 0391/6717311 Svetlana.Tchaikovski@med. ovgu.de





Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

Thrombophilia and HELLP Syndrome in Pregnancy – Case Report and Overview of the Literature

kann eine zusätzliche Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) das Schwangerschaftsoutcome verbessern [3, 4]. In diesem Fallbericht werden die Schwangerschaftsverläufe bei einer 28-jährigen Frau mit heterozygoter Prothrombingenmutation und HELLP-Syndrom geschildert, die nach Spätabort und Totgeburt unter einer prophylaktischen antenatalen Antikoagulation mit NMH, kombiniert mit einer engmaschigen interdisziplinären Schwangerschaftsbetreuung, 3 gesunde Kinder zur Welt brachte.

mutation, HELLP syndrome, a late miscarriage and a stillbirth in the anamnesis, who delivered 3 healthy babies under antenatal LMWH prophylaxis combined with intensive interdisciplinary prenatal care.

Fallbericht

genspiegel von 5,14 g/l. Chronische Erkrankungen bestanden bei ihr nicht. Insbesondere ein Diabetes mellitus und Lupus erythematodes konnten ausgeschlossen werden. Allerdings war anamnestisch ein Nikotinabusus von zugegebenen 10 Zigaretten täglich – auch während der Schwangerschaft – eruierbar. Während der beiden Schwangerschaften erfolgte kein Screening auf Gestationsdiabetes. Die Schwangere wies bei einer Körperlänge von 168 cm ein Gewicht von 72 kg (BMI 25,5) auf. Die erneute Vorstellung der Patientin an unserer Klinik erfolgte 2006 in der 15. SSW nach erneut spontan eingetretener Schwangerschaft. Vor dem Hintergrund des zurückliegenden Spätaborts und der Totgeburt bei bekannter Thrombophilie wurde die Schwangerschaftsbetreuung intensiviert. Neben einer engmaschigen 14-tägigen Vorstellung an unserer Kliniksambulanz mit regelmäßigen Ultraschall- und CTG-Kontrollen erfolgte die Einleitung einer prophylaktischen Behandlung mit dem NMH Enoxaparin, das einmal täglich in einer Dosierung von 40 mg appliziert wurde. In der 24.SSW wurde die Frau aufgrund eines sonografisch festgestellten Oligohydramnions zur Überwachung auf die präpartale Station unseres Hauses aufgenommen. Ein vorzeitiger Blasensprung konnte bei der Aufnahmeuntersuchung ausgeschlossen werden. Bei den Ultraschalluntersuchungen fand sich kein Anhalt für eine Organfehlbildung des Feten. Im Rahmen des stationären Aufenthalts wurde in der 25.SSW ein Gestationsdiabetes diagnostiziert, welcher sich diätetisch einstellen ließ. Das Oligohydramnion zeigte sich im Verlauf unverändert bei regelrechter Wachstumstendenz des Feten und unauffälligem fetalem Doppler. In der 28.SSW konnte die Patientin bei Wohlbefinden und zeitgerecht entwickeltem Feten entlassen werden. In der vollendeten 36. SSW kam es zur erneuten Klinikeinweisung bei Verdacht auf ein beginnendes HELLP-Syndrom. Laborchemisch bestätigte sich dieser Verdacht bei mehr als 5-fach erhöhter ASAT und ALAT. Zudem trat ein therapieresistenter arterieller Hypertonus mit Blutdruckwerten bis 210/120 mmHg trotz Infusion von 25 mg Dihydralazin auf. Ein vorbestehender Bluthochdruck war nicht bekannt. Daraufhin wurde noch am Aufnahmetag im September 2006 in der vollendeten 36. SSW die Indikation zur primären Sectio caesarea gestellt und ein 2 325 g schwerer gesunder Junge (entsprechend der 10. Perzentile) geboren. Die antikoagulatorische Therapie mit 40 mg Enoxaparin wurde bis zur Entlassung am 14. Wochenbettstag fortgesetzt. Im März 2008 wurde bei der Patientin ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Zervixvorbereitung mit Gemeprost unter einer perioperativen Thromboseprophylaxe mit Enoxaparin durchgeführt. Der Eingriff erfolgte in der 8.SSW nach der Beratungsregelung und wurde aufgrund der Thrombophilie der Patientin stationär durchgeführt. Nach dem 2-tägigen stationären Aufenthalt kam es jedoch ambulant zu einer Lungenembolie im Bereich des rechten Lungenunterlappens am 3. postoperativen Tag unter einer prophylaktischen perioperativen antithrombotischen Therapie mit Enoxaparin 40 mg s.c. 1 × täglich. Diese wurde im



Wir berichten über eine 28-jährige VI.-Gravida, IV.-Para, die sich erstmals im Januar 2004 an unserer Klinik in der 26. Schwangerschaftswoche (SSW) nach spontan eingetretener Schwangerschaft mit den Zeichen eines intrauterinen Fruchttods vorstellte. Nach Abortunterstützung mit Gemeprost wurde ein lebloser männlicher Fetus mit einem Gewicht von 480 g entwickelt. Die pathologisch-anatomische Aufarbeitung ergab als Todesursache eine intrauterine Asphyxie bei Chorioamnionitis. Es handelte sich um einen hypotrophen Feten (entsprechend der 3. Perzentile) mit dem Gestationsalter entsprechender Reife des Äußeren sowie altersentsprechendem Entwicklungsstand der inneren Organe. Auffällig waren lediglich eine Mikrostomie und ein verringerter äußerer Augenwinkelabstand. Aufgrund dieser Befunde boten wir der Patientin eine zytogenetische Untersuchung des Feten an, die von ihr jedoch nicht gewünscht wurde. Histopathologisch zeigte sich eine massive Durchsetzung der Plazenta mit frischen und älteren Infarkten. Im November des gleichen Jahres kam es bei der Patientin zur Spontantotgeburt eines 520 g schweren Mädchens in der 27. SSW nach spontanem Schwangerschaftseintritt. Hier ergab die pathologisch-anatomische Untersuchung als Todesursache ebenfalls eine intrauterine Asphyxie bei hochgradiger Plazentainsuffizienz. Histologisch wurden eine schwere dissoziierte Zottenreifungsstörung, eine fortgeschrittene Zottenstromafibrose und ausgedehnte, subtotal das Plazentaparenchym einnehmende intervillöse Thromben und Infarkte unterschiedlichen Alters nachgewiesen. Wegen Autolyse des Feten war eine zytogenetische Analyse nicht möglich. Innere oder äußere fetale Fehlbildungen konnten jedoch ausgeschlossen werden. Beide Schwangerschaften verliefen bis zur Feststellung des intrauterinen Fruchttods unauffällig. Die Patientin gab bei der Krankenhausaufnahme jeweils an, bis zur 26. SSW Kindsbewegungen verspürt zu haben. Unmittelbar vor der stationären Aufnahme habe sie Frieren und Unwohlsein bemerkt. Die Frage nach Flüssigkeitsabgang wurde von der Patientin verneint. Ein vorzeitiger Blasensprung ließ sich bei der Aufnahmeuntersuchung nicht verifizieren. Bei weiterhin bestehendem Kinderwunsch der Patientin wurde eine humangenetische Beratung sowie eine Gerinnungs- und Immundiagnostik eingeleitet, die mittels DNA-Analyse den Nachweis der heterozygoten Prothrombin G20210A-Mutation erbrachte. Da diese autosomal-dominant vererbt wird, wurde nach thrombophilen Erkrankungen in der Familie der betroffenen Frau gefahndet. Die Familienanamnese ergab lediglich einen über lange Zeit unerfüllten Kinderwunsch sowie eine gestörte Glukosetoleranz in der Schwangerschaft bei der Mutter der Patientin. Eine Prothrombinmutation ließ sich bei ihr allerdings nicht nachweisen. Eine umfassende Laboruntersuchung zeigte bei der Patientin als einzigen auffälligen Parameter einen leicht erhöhten Fibrino-

Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

46 Kasuistik

Kasuistik 47

Thrombophilie

Prävalenz

FA für VT

VT-Risiko in der SSW + p.p.

Antithrombin-Mangel (n = 33) (n = 11) Protein S-Mangel (n = 76) (n = 28) Protein C-Mangel (n = 60) (n = 32) FVL, homozygote (n = 57) (n = 91) FVL, heterozygote (n = 828) (n = 226) G20201A, heterozygote (n = 228) (n = 61) G20201A, homozygote (n = 2) G20201 + FVL (n = 135) MTHFR, homozygote (n = 128) gesunde Population (n = 465)

0,02–0,05 %

+ − + − + − + − + − + − + + − − +

3,0 % 0,7 % 6,6 % 0,5 % 1,7 % 0,7 % 14,0 % 4,8 % 3,1 % 1,2 % 2,6 % 1,0 % 3,7 % 1,8 % 0,1 % 0,14 % 0,43 %

0,2 % 0,2–0,5 % 0,02 % 5% 2% 0,014 % 0,1 % 9%

Tab. 1 Prävalenz von Thrombophilien in der Allgemeinbevölkerung und Wahrscheinlichkeit einer schwangerschaftsassoziierten Thrombose bei Frauen mit einer Thrombophilie mit und ohne positive familiäre Thromboseanamnese.

Die Daten über die Wahrscheinlichkeit von schwangerschaftsassoziierter venöser Thrombose (VT) bei positiver Familienanamnese sind anamnese wurde mit Odds Ratios (Robertson et al., 2006) unter der Annahme der allgemeinen VT-Inzidenz (in der Schwangerschaft und im Wochenbett) von 1,4:1 000 Frauen zwischen 25 und 34 Jahren berechnet und auf eine Stelle nach dem Komma gerundet [21]. FVL: Faktor V Leiden-Mutation; G20201A: G20210A-Prothrombingenmutation; MTHFR: Methylentetrahydrofolat- Reduktasegen-Mutation (gekennzeichnet durch eine Hyperhomozysteinämie); n = die zusammengefasste Anzahl der beobachteten Schwangerschaften

Rahmen eines 10-tägigen stationären Aufenthalts an der Klinik für Angiologie zunächst 7 Tage mit 30 000 IE Heparin i. v. täglich, 3 Tage überlappend mit Heparin und Phenprocoumon sowie anschließend 6 Monate mit Phenprocoumon behandelt. Ein Fokus der Lungenembolie ließ sich nicht feststellen. Insbesondere bestand paraklinisch kein Anhalt für ein infektiöses oder entzündliches Geschehen. Im Herbst 2010 wurde die Patientin erneut schwanger. Diese Schwangerschaft entstand im Vergleich zu den Schwangerschaften 2004; 2006 und 2007 spontan in einer anderen Partnerschaft und wurde wieder in unserer Intensivschwangerenberatung engmaschig betreut. Ab der Feststellung der Schwangerschaft erhielt die Patientin die prophylaktische NMH-Gabe (1 × 40 mg Enoxaparin). Die Schwangerschaft verlief insgesamt unauffällig. Der in der 24. SSW durchgeführte orale Glukosetoleranztest zeigte keinen pathologischen Befund. In der 36. SSW fanden sich jedoch erneut bei den Laborkontrollen Hinweise auf ein beginnendes HELLP-Syndrom. Der Blutdruck schwankte in der 24 h-Messung zwischen 140 und 160 sowie 80 und 90 mmHg diastolisch. Somit wurde sich im April 2011 in der vollendeten 36. SSW für eine Geburtseinleitung mit Oxytocin entschieden, ohne eine medikamentöse Therapie durchzuführen. Im weiteren Verlauf machte sich eine sekundäre Re-Sectio bei protrahierter Eröffnungsperiode erforderlich. Hierbei konnte ein gesundes männliches Frühgeborenes mit einem Geburtsgewicht von 2 770 g (entsprechend der 40. Perzentile) entwickelt werden. Die im Jahr 2012 erneut ohne reproduktionsmedizinische Maßnahmen eingetretene Schwangerschaft wurde unter abermaliger Behandlung mit Enoxaparin in der prophylaktischen Dosierung und intensiver Überwachung geführt. Nach einem komplikationslosen Schwangerschaftsverlauf erfolgte eine elektive Re-Re-Sectio im Februar 2013 in der 39. SSW mit Geburt eines gesunden Mädchens (25. Perzentile).

Diskussion



Zunehmend oft stehen wir in unserem klinischen Alltag vor einer schwierigen Entscheidung über die Behandlung einer Schwangeren mit bekannter Thrombophilie. Die geringe Zahl von randomisierten Studien mit hoher Qualität, teilweise kontroverse Studienergebnisse sowie die Verfügbarkeit von relativ komplikationsarmen Antikoagulanzien (NMH) führen dazu, dass mehrere Schwangere mit einer Thrombophilie möglicherweise unnötig mit NMH behandelt werden. Die relativ schnelle Entscheidung zugunsten einer Antikoagulation in der Schwangerschaft ist nachvollziehbar. Einerseits stellen thromboembolische Ereignisse eine wichtige Ursache der Morbidität bzw. der Müttersterblichkeit in den Industrieländern dar. Andererseits legen einige Studien einen Zusammenhang von Thrombophilien mit plazentaassoziierten Schwangerschaftskomplikationen nahe und weisen auf eine mögliche Verbesserung des Schwangerschaftsoutcomes durch eine prophylaktische Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten hin. Bei etwa der Hälfte aller Frauen mit schwangerschaftsassoziierter Thrombose kann eine genetische Thrombophilie nachgewiesen werden. Wie hoch ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass die einzelne ratsuchende Schwangere mit einer Thrombophilie, die in unserer Sprechstunde vor uns sitzt, eine Thrombose in der Schwangerschaft entwickelt? Bei der Aufklärung über das individuelle Thromboserisiko in der Schwangerschaft helfen uns die in der wissenschaftlichen Literatur weit verbreiteten „Odds Ra▶ Tab. 1 fassten wir die Daten zur Prätios“ nicht weiter. In der ● valenz in der Allgemeinbevölkerung und Wahrscheinlichkeit eines schwangerschaftsassoziierten thrombotischen Ereignisses bei Frauen mit den bekanntesten thrombophilen Defekten zusammen. Das genetisch bedingte Thromboserisiko wird in der Schwangerschaft auch durch unterschiedliche transiente und fortdauernde erworbene Faktoren modifiziert. Dazu gehören eine positive eigene bzw. familiäre Thromboseanamnese (× 3–4bzw. × 2–4-fache Risikoerhöhung), Immobilisierung (× 7,7), assistierte Reproduktionsverfahren (× 4,3), Geminigravidität

Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

aus den Familienstudien zusammengefasst. Das absolute VT-Risiko von Frauen mit einer Thrombophilie und einer negativen Familien-

48 Kasuistik

Zielgruppen VT in eigener Anamnese, indiziert durch transitorische Risikofaktoren VT in eigener Anamnese, schwangerschaft-/östrogeninduziert bzw. idiopathisch Heterozygote G20201A bzw. FVL mit positiver Familienanamnese Antithrombin-, Protein C- bzw. Protein S-Mangel mit positiver Familienanamnese Homozygote G20201A bzw. FVL mit negativer Familienanamnese Homozygote G20201A bzw. FVL mit positiver Familienanamnese

Risiko ohne

Risiko mit

Prophylaxe

Prophylaxe

2% 8% 1,5 % 2% 2% 7%

0,7 % 2,9 % 0,5 % 0,7 % 0,7 % 2,3 %

Tab. 2 Reduktion des schwangerschaftsassoziierten Thromboserisikos durch NMH-Thromboseprophylaxe.

Abgeleitet nach Bates et al. Die Effizienz der NMH-Thromboseprophylaxe wurde mangels Daten über den Therapierfolg/die Versagerquote in der Schwangerschaft und im Wochenbett auf der Grundlage von Studienergebnissen aus dem orthopädischen Bereich berechnet [8]

VT in FA ohne Thrombophilie VT in EA ohne Thrombophilie Thrombophilie ohne VT in EA/FA Thrombophilie ohne VT in EA, mit wiederholten Spontanaborten, schwerer Präeklampsie/HELLP homozygote FVL ohne VT in EA/FA homozygote FVL/G20201A mit VT in FA andere Thrombophilien mit VT in FA wiederholte VT in EA ohne Thrombophilie APS

AWMF 2009 1

ACCP 2012

a.p.

p.p.

a.p.

p.p.

n.s. ±2 n.s. ++

+ ± + ++

n.s. ±2 − −

n.s. ++ − −

++ n.s. n.s. ++ NMH + A 3

++ n.s. n.s. ++ −

− ++ − ++ NMH + A

+ +3 ++ ++ ++ −

1

AWMF-Leitlinien 2009 „Prophylaxe der venösen Thromboembolie“ (abgeleitet nach American College Chest Physicians [ACCP] 2004,

2

Es kann (AWMF 2009)/soll (ACCP 2012) bei einmaliger Thrombose außerhalb der Schwangerschaft im Zusammenhang mit temporä-

3

Das gleiche Vorgehen auch bei G20210A-Prothrombingenmutation-Homozygoten ohne venöse Thrombose in der eigenen und

Tab. 3 Empfehlungen zur medikamentösen NMH-Prophylaxe in der Schwangerschaft und im Wochenbett.

2008) und AWMF-Leitlinie „Spontanabort, Diagnostik und Therapie beim wiederholten Spontanabort“, 2008 [8, 9, 21] ren Risikofaktoren ohne zusätzliche Risiken (z. B. Thrombophilie) auf die sekundäre Thromboseprophylaxe verzichtet werden [8, 9] Familienanamnese FVL: Faktor-V-Leiden-Mutation; VT: venöse Thrombose; EA: Eigenanamnese; FA: Familienanamnese; G20201A: G20210A-Prothrombingenmutation; APS: Antiphospholipidsyndrom; a.p.: antepartal; p.p.: postpartal; n.s.: nicht spezifiziert; -: nicht empfohlen; ± : kann; + : sollte; + + :soll; NMH + A: niedermolekulare Heparine kombiniert mit ASS

(× 2,6), Rauchen (× 2,1), Adipositas (× 1,8) und das Alter der Patientin [7, 8]. Außerdem können Schwangerschaftskomplikationen wie HELLP-Syndrom oder Präeklampsie durch eine disseminierte Gerinnungsaktivierung (× 3–4), eine operative Entbindung (× 2,7), vermehrter Blutverlust (× 4,1) und eine postpartale Infektion (× 20) das Thromboserisiko im Wochenbett weiter erhöhen [7]. Infektionen erhöhen das Thromboserisiko sowohl durch eine häufig mit ihnen einhergehende Immobilisation als auch über die Akute-Phase-Reaktion mit daraus resultierender Hyperfibrinogenämie. Sie treten in Form von Endometritis und Mastitis vor allem in Wochenbett und Stillzeit auf. Die zur Verfügung stehenden medikamentösen prophylaktischen Maßnahmen beschränken sich in der Schwangerschaft auf die parenteralen Arzneimittel, wobei NMH aktuell als Methode der Wahl für die Thromboseprophylaxe und Thrombosetherapie gelten. Da die Daten über die optimale NMH-Dosierung in der Schwangerschaft fehlen, basieren die aktuellen Empfehlungen auf den Untersuchungen bei nicht schwangeren Frauen. Die NMH-Behandlung bietet jedoch keinen absoluten Schutz gegen thromboembolische Ereignisse, sondern reduziert das Thromboserisiko. Die Schätzung der Thromboserisikoreduktion unter NMH-Prophylaxe in unterschiedlichen Zielkollektiven ist in ▶ Tab. 2 zusammengefasst. Mit den in der ● ▶ Tab. 2 abgebilder ● deten Daten kann man die Anzahl der Frauen berechnen, die mit NMH behandelt werden müssen, um eine schwangerschaftsassoziierte Thrombose zu verhindern. So hat z. B. eine Frau mit der homozygoten Faktor V Leiden-Mutation und einer positiven familiären Thromboseanamnese ein Risiko von ca. 7 %, an einer

Thrombose in der Schwangerschaft oder im Wochenbett zu erkranken. Die NMH-Prophylaxe senkt das Thromboserisiko auf 2,4 %, was bedeutet, dass, um eine Thrombose verhindern zu können, 22 Frauen mit NMH behandelt werden müssen (Number-needed-to-treat: NNT). Bei der heterozygoten Faktor V Leiden-Mutation und einer positiven Familienanamnese reduziert die NMH-Thromboseprophylaxe das Thromboserisiko von ca. 1,5 % auf 0,5 %, was in der NNT von 100 resultiert. Insofern ist die NNT je höher, desto geringer das Thromboserisiko in dem Zielkollektiv ist. Außerdem treten venöse Thromboembolien etwa 3-mal häufiger im Wochenbett als in der Schwangerschaft auf, was zur erheblichen Unterschätzung der NNT antepartal und zur Überschätzung der NNT postpartum führt. Die internationalen und nationalen Leitlinien weisen explizit daraufhin, dass die meisten Empfehlungen zur medikamentösen Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft auf Beobachtungsstudien und Extrapolation der Studienergebnisse aus anderen Populationen basieren, was in einem niedrigen Evidenzgrad resultiert. Die Empfehlungen zur ante- und postpartalen medikamentösen antikoagulatorischen Prophylaxe von AWMF 2009, die weitgehend auf den Leitlinien des American College of Chest Physicians (ACCP) 2004 und 2008 beruhen sowie die aktu▶ Tab. 3 kurz zusamellsten ACCP-Leitlinien 2012 sind in der ● mengefasst. In den jüngsten ACCP-Leitlinien kommt der eigenen und familiären Thromboseanamnese eine bedeutende Rolle zu. Es wird generell bei jeder Thrombophilie mit einer positiven eigenen bzw. familiären Thromboseanamnese sowie bei Hochri-

Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

Risikokonstellation

sikothrombophilien (homozygote Faktor V Leiden- und G20210A-Prothrombingenmutation) ohne jegliche Thromboseanamnese eine postpartale Thromboseprophylaxe empfohlen ▶ Tab. 3), die allerdings auch mit Vitamin K-Antagonisten (Ziel(● INR 2-3) durchgeführt werden kann. Dagegen ist die derzeitige Tendenz in den Empfehlungen zur antepartalen Thromboseprophylaxe eher zurückhaltend. NMH werden in der Schwangerschaft nur bei einer positiven eigenen Thromboseanamnese mit zusätzlichen Risikofaktoren (Thrombophilie, idiopathische, schwangerschafts- bzw. östrogenassoziierte oder rezidivierende Thrombose) sowie bei Hochrisikothrombophilien (homozygote Faktor V Leiden- und G20210A-Prothrombingenmutation) mit einer positiven familiären Thromboseanamnese empfohlen ▶ Tab. 3). Bei Frauen mit anderen Thrombophilien ohne Throm(● boseanamnese wird vom ACCP keine medikamentöse Thromboseprophylaxe, sondern „klinische Vigilanz“, angeraten. Die physikalische Thromboseprophylaxe mit angepassten elastischen Kompressionsstrümpfen scheint uns jedoch auch in dem Niedrigrisikoschwangerenkollektiv (Thrombophilie ohne Thromboseanamnese bzw. Zustand nach einer durch einen transienten Faktor induzierten Thrombose) sinnvoll [8, 9]. Insgesamt ist die Behandlung mit NMH in der Schwangerschaft mit einem geringen Risiko von Nebenwirkungen verbunden. Es werden nur sehr selten ante- und/oder postpartale Blutungen (0,43 % bzw. 0,94 %), Hämatome (0,61 %), allergische Hautreaktionen (1,8–29 %), Osteoporose (keine eindeutigen Daten) oder die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) beobachtet [8]. Eine praktische Konsequenz hat die prophylaktische NMH-Therapie bei der Anwendung rückenmarksnaher Schmerztherapieverfahren unter der Geburt. So sollte vor einer Periduralanästhesie bei prophylaktischer Heparin-Therapie eine Latenz von 12 h und bei therapeutischer Heparin-Gabe eine Latenz von 24 h zur letzten NMH-Applikation bestehen. Im Gegensatz zu den oben genannten Komplikationen der NMH-Therapie werden die „Medikalisierung“ der zuvor gesunden Patientin sowie ihre Belastung durch leichte Blutergussbildung und Schmerzen an den Injektionsstellen kaum untersucht und diskutiert. Bei der Entscheidung über die Thromboseprophylaxe müssen nicht nur die An- bzw. Abwesenheit eines Risikofaktors, sondern ein individuelles Thromboserisiko sowie die persönlichen Präferenzen der Patientin berücksichtigt werden [8]. Man darf letztlich nicht vergessen, dass die meisten Frauen ihre Schwangerschaft als einen natürlichen Zustand und nicht als eine Krankheit erleben wollen. Da es sich um eine relativ langfristige (ca. 9 Monate) parenterale Behandlung handelt, müssen sowohl der Nutzen als auch die Nachteile der medikamentösen Prophylaxe sorgfältig abgewogen und ausführlich mit der Patientin besprochen werden. Die Rolle von Thrombophilien in der Entwicklung von Schwangerschaftskomplikationen sowie eine potenzielle positive Wirkung von antikoagulatorischen Therapien zu deren Vorbeugung bleiben auch weiterhin umstritten. Eine Metaanalyse von 25 Studien konnte signifikante Assoziationen zwischen Thrombophilien (Faktor V Leiden-, G20210A-Prothrombingenmutation, usw.) und Fehlgeburten, intrauterinem Fruchttod, Präeklampsie sowie vorzeitiger Plazentalösung nachweisen [10]. Wenn die Analyse sich jedoch nur auf Studien mit einem prospektiven Design (n = 10) beschränkte, konnte lediglich eine geringe Fehlgeburtsrisiko-Erhöhung bei Faktor V Leiden-Mutations-Trägerinnen (odds ratio: 1,52 mit 95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,06 und 2,19) bestätigt werden [11]. Alle anderen Schwangerschaftskomplikationen zeigten keine signifikante Assoziation – weder

mit der Faktor V Leiden – noch mit der G20210A-Prothrombingenmutation [11]. Die positive Wirkung von Heparinen und ASS auf den Schwangerschaftsverlauf bei Antiphospholipidsyndrom führte zur Entwicklung einer Hypothese, dass Schwangere mit anderen Thrombophilien auch von einer gerinnungshemmenden Therapie profitieren könnten. Der Nutzen einer antikoagulatorischen Behandlung zur Vorbeugung von plazentaassoziierten Schwangerschaftskomplikationen bei erblichen Thrombophilien wurde jedoch bis dato nur in Beobachtungsstudien bzw. kleinen, nicht kontrollierten Studien untersucht, die wegen mehrerer methodologischer Einschränkungen kritisiert wurden. Die Heterogenität der Studienkollektive (Frauen mit und ohne Thrombophilie, mit und ohne Schwangerschaftskomplikationen in der Anamnese) erlaubt noch keine eindeutigen evidenzbasierten Empfehlungen zur Prophylaxe der plazentaassoziierten Schwangerschaftskomplikationen. Insofern werden die Ergebnisse der laufenden internationalen, multizentrischen, randomisierten, kontrollierten Studien (TIPPS: Thrombophilia in Pregnancy Prophylaxis Study [Rekrutierung abgeschlossen] und ALIFE2: Anticoagulants for living fetuses in women with recurrent miscarriage and inherited thrombophilia [Rekrutierung läuft]) mit Spannung erwartet. Da die Ergebnisse von mehreren kleinen Studien darauf hindeuten, dass die NMH-Therapie in der Schwangerschaft die Komplikationsrate senken kann, wird sie zunehmend in der Praxis bei Patientinnen mit und ohne Thrombophilie zur Prophylaxe der Rezidive von Schwangerschaftskomplikationen eingesetzt. In einer prospektiven Studie konnten Gris et al. eine Erhöhung der Lebendgeburtenrate unter Enoxaparin-Prophylaxe (86 %) im Vergleich zur ASS-Therapie (29 %) bei Frauen mit heterozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation, G20210A Prothrombingen-Mutation bzw. Protein S-Mangel und einem unklaren Schwangerschaftsverlust nach der 10. SSW in der Anamnese zeigen [12]. Eine weitere Studie von Brenner et al. demonstrierte eine Verbesserung der Lebendgeburtenrate von 20 % in den früheren Schwangerschaften auf 75 % in der Index-Schwangerschaft unter Enoxaparin-Therapie bei Frauen mit rezidivierenden Aborten in der Anamnese und einer entweder erblichen oder erworbenen Thrombophilie [13]. Diese Studien wurden jedoch später aufgrund ihrer methodologischen Mängel und Analyse-Defizite heftig kritisiert [8, 11, 14]. Die positive Auswirkung von NMH auf den Schwangerschaftsverlauf wird sowohl dem gerinnungshemmenden Effekt als auch entzündungshemmenden sowie proliferations- und differenzierungsstimulierenden Eigenschaften der Heparine zugeschrieben [15]. In vitro-Studien zeigten, dass Heparine zur Expression von Wachstumsfaktoren beitragen sowie zytoprotektiv wirken und dadurch Implantation, Proliferation und Invasivität des Trophoblasten fördern [16, 17]. Demzufolge wurde eine antenatale NMH-Therapie zur Prophylaxe von plazentaassoziierten Komplikationen (bzw. deren Rezidiv) auch unabhängig vom Thrombophilie-Status erprobt. So zeigte eine monozentrische, randomisierte und kontrollierte Pilot-Studie von Gris et al., dass die zusätzliche Gabe von Enoxaparin zur Standardprophylaxe mit ASS bei Frauen, die eine schwere Präeklampsie in einer früheren Schwangerschaft erlitten, die Schwangerschaftskomplikationsrate von 25 % (unter alleiniger ASS-Therapie) auf 8,9 % senken kann [18]. Dagegen konnten Kalk et al. diese vielversprechenden Ergebnisse in einem Studienkollektiv von Frauen mit einer Thrombophilie nicht bestätigen [19]. So bleibt die Studienlage auch hier widersprüchlich, sodass eine generelle Empfehlung zur Prophylaxe von (rezidivierenden) Schwangerschaftskomplikationen mit NMH weder in der Thrombophilie-Popula-

Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

Kasuistik 49

50 Kasuistik Fazit



Thrombophilien erhöhen das Risiko für Thromboembolien in der Schwangerschaft und werden mit rezidivierenden Aborten, intrauterinem Fruchttod (IUFT) und hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen assoziiert. In unserem Fallbericht beschreiben wir eine Patientin mit Spätabort und Totgeburt in der Anamnese, die nach dem genetischen Nachweis der heterozygoten G20210A-Prothrombingenmutation in ihrer 3. Schwangerschaft 2006 mit prophylaktischer Dosierung von NMH erfolgreich behandelt wurde. Nach stattgehabter schwangerschaftsassoziierter Thromboembolie im Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs 2008 sowie auch durch unsere guten Erfahrungen mit diesem Behandlungskonzept stand die NMH-Prophylaxe während der nachfolgenden Schwangerschaften 2011 und 2012/2013 außer Frage. Alle 3 Schwangerschaften 2006; 2011 und 2012/2013 führten unter einer antikoagulatorischen Therapie und engmaschiger Überwachung zu Geburten gesunder Kinder. Aufgrund der heute noch unsicheren Studienlage zum Nutzen von NMH bei der Prophylaxe der plazentaassoziierten Schwangerschaftskomplikationen ist der Erfahrungsaustausch für die Optimierung der Behandlung von Schwangeren mit Thrombophilien und ungünstiger geburtshilflicher Vorgeschichte essenziell. In diesem Fall zeigen wir, dass die Gerinnungsdiagnostik und eine individualisierte Entscheidung über die prophylaktische NMH-Therapie sowie eine engmaschige Schwangerschaftsbetreuung auch nach wiederholten Schwangerschaftskomplikationen insgesamt unkomplizierte Schwangerschaftsverläufe, gefolgt von Geburten gesunder Kinder, ermöglichen können.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Mierla D, Szmal C, Neagos D et al. Association of Prothrombin (A20210G) and Factor V Leiden (A506G) with Recurrent Pregnancy Loss. Maedica 2012; 7: 222–226 2 Rath W, Thaler CJ. Hereditary thrombophilias and placental-mediated pregnancy complications in the II./III. Trimester. Hämostaseologie 2013; 33: 21–36 3 Espinoza LR. Antiphospholipid antibody syndrome: treatment. Lupus 1996; 5: 456–457 4 American Society for Reproductive Medicine. Evaluation and treatment of recurrent pregnancy loss: a committee opinion. Fertil Steril 2012; 98: 1103–1111 5 Meeks SL, Abshire TC. Abnormalities of prothrombin: a review of the pathophysiology, diagnosis and treatment. Haemophilia 2008; 14: 1159–1163 6 Coughlin SR. Thrombin signalling and protease-activated receptors. Nature 2000; 407: 258–264 7 Jacobsen AF, Sandset PM. Venous thromboembolism associated with pregnancy and hormonal therapy. 2012 8 Bates SM, Greer IA, Middeldorp S et al. VTE, thrombophilia, antithrombotic therapy, and pregnancy. Antithrombotic therapy and prevention of thrombosis. 9th ed. American College of Chest Physicians, evidencebased clinical practice guidelines; 2012 9 AWMF-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE), Stand 2009 10 Zacho J, Yazdanyar S, Bojesen SE et al. Hyperhomocysteinemia, methylenetetrahydrofolate reductase c.677C > T polymorphism and risk of cancer: cross-sectional and prospective studies and meta-analyses of 75,000 cases and 93,000 controls. Int J Cancer 2011; 128: 644–652 11 Rodger MA, Betancourt MT, Clark P et al. The association of factor V leiden and prothrombin gene mutation and placenta-mediated pregnancy complications: a systematic review and meta-analysis of prospective cohort studies. PLoS Med 2010; 15: 7 12 Gris JC, Mercier E, Quéré I et al. Low-molecular-weight-heparin versus low-dose aspirin in women with one fetal loss and a constitutional thrombophilic disorder. Blood 2004; 103: 3695–3699

Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

tion noch bei Frauen ohne Thrombophilie gegeben werden kann. Im aktuellen Fallbericht zeigen wir ein Beispiel, wie eine individualisierte Therapie und eine intensive Betreuung einer Patientin mit einer komplizierten geburtshilflichen und hämostaseologischen Anamnese gestaltet werden können. Nach 2 frustranen Schwangerschaftsausgängen empfahlen wir unserer Patientin eine umfangreiche Diagnostik, die bis auf eine heterozygote G20210A-Prothrombingenmutation jedoch unauffällig war. Die G20210A-Prothrombingenmutation führt in ihrer heterozygoten Form zu einer rund 130 %igen und in homozygoter Ausprägung zu einer ca. 166 %igen Erhöhung der Konzentration des Prothrombins im Blut, was eine Hyperkoagulabilität bei ihr begründet. In der Schwangerschaft kommt es physiologischerweise zu einem deutlichen Anstieg von Prothrombin [20], wodurch eine weitere Verschiebung des Gerinnungsgleichgewichts zugunsten einer exzessiven Thrombinbildung verursacht wird. Die erhöhte lokale Thrombinproduktion kann durch eine Vernetzung des Gerinnungssystems mit Entzündungsprozessen eine gestörte Regulation von Zytokinproduktion, Angiogenese, Gefäßtonus sowie von Proliferation und Differenzierung der Throphoblastzellen bewirken [6]. Demzufolge kann die Prothrombinmutation möglicherweise plazentainduzierte Schwangerschaftskomplikationen wie Fehlgeburten, IUFT und Präeklampsie begünstigen. Trotz noch unsicherer Datenlage entschieden wir uns bei unserer Patientin in der 3. Schwangerschaft 2006 und bei dem Zustand nach Spätabort und Totgeburt ohne erkennbare Ursachen außer der Prothrombinmutation für eine prophylaktische NMHGabe. Unterstützt bei dieser Entscheidung haben uns die ermutigenden Ergebnisse der Studien von Gris et al. (2004) [12] und Brenner et al. (2000) [13] sowie die AWMF-Leitlinien von 2008 und 2009 [9, 22]. Die AWMF-Leitlinie von 2009 kategorisiert die Patientin bei nachgewiesener heterozygoter Prothrombinmutation und nach 2 vorangegangenen Aborten in die Gruppe „mittleres Risiko“. Unter der NMH-Prophylaxe und intensiver Überwachung verlief diese Schwangerschaft bis auf das HELLP-Syndrom in der 36. SSW insgesamt unauffällig. Die prophylaktische NMHGabe konnte in diesem Fall die Entwicklung des HELLP-Syndroms nicht verhindern, die Auswirkung von NMH auf die Schwere bzw. die Zeit des Auftretens des HELLP-Syndroms lässt sich jedoch aufgrund eines Fallberichts nicht beurteilen. Interessanterweise entwickelte die Patientin mit der heterozygoten G20210A-Prothrombingenmutation und einem weiteren Risikofaktor (Rauchen) ein thromboembolisches Ereignis erst nach dem Abbruch ihrer 4. Schwangerschaft 2008 trotz einer kurzfristigen perioperativen Thromboseprophylaxe. Nach stattgehabter schwangerschaftsassoziierter Thromboembolie bei bekannter Thrombophilie war die Indikation zur ante- und postpartalen medikamentösen und physikalischen Thromboseprophylaxe zweifellos in allen weiteren Schwangerschaften der Patientin gegeben. 2 nachfolgende Schwangerschaften verliefen unter der prophylaktischen Enoxaparin-Gabe außer eines HELLP-Syndrom-Rezidivs in der 5. Schwangerschaft komplikationslos. Es wurden auch keinerlei Nebenwirkungen von Enoxaparin bei der Patientin beobachtet. Schlussendlich muss man bedenken, dass bei Totgeburten und Aborten auch andere Ursachen wie z. B. immunologische Faktoren eine Rolle spielen könnten. Bei unserer Patientin schienen jedoch immunologische Faktoren nicht im Vordergrund gestanden zu haben, da sowohl aus der ersten (2006) als auch aus der zweiten (2011 und 2013) Partnerschaft 3 gesunde Kinder unter der antikoagulatorischen Therapie hervorgingen.

Kasuistik 51

19 Kalk JJ, Huisjes AJ, de Groot CJ et al. Recurrence rate of pre-eclampsia in women with thrombophilia influenced by low-molecular-weight heparin treatment? Neth J Med 2004; 62: 83–87 20 Tchaikovski SN, Thomassen MC, Costa SD et al. Role of protein S and tissue factor pathway inhibitor in the development of activated protein C resistance early in pregnancy in women with a history of preeclampsia. Thromb Haemost 2011; 106: 914–921 21 Robertson L, Wu O, Langhorne P et al. Thrombosis: Risk and Economic Assessment of Thrombophilia Screening (TREATS) Study. Thrombophilia in pregnancy: a systematic review. Br J Haematol 2006; 132: 171–196 22 AWMF-Leitlinie Spontanabort. Diagnostik und Therapie beim wiederholten Spontanabort. Stand 2008

Heruntergeladen von: Karolinska Institutet. Urheberrechtlich geschützt.

13 Brenner B, Hoffman R, Blumenfeld Z et al. Gestational outcome in thrombophilic women with recurrent pregnancy loss treated by enoxaparin. Thromb Haemost 2000; 83: 693–697 14 Lindqvist PG, Merlo J. Low molecular weight heparin for repeated pregnancy loss: is it based on solid evidence? J Thromb Haemost 2005; 3: 221–223 15 Schleußner E. Mütterliche Gerinnungsstörungen. Der Gynäkologe 2011; 44: 515–520 16 Tersigni C, Marana R, Santamaria A. In vitro evidences of heparin’s effects on embryo implantation and trophoblast development. Reprod Sci 2012; 19: 454–462 17 Kingdom JCP, Drewlo S. Is heparin a placental anticoagulant in highrisk pregnancies? Blood 2011; 118: 4780–4788 18 Gris JC, Chauleur C, Molinari N et al. Addition of enoxaparin to aspirin for the secondary prevention of placental vascular complications in women with severe pre-eclampsia. The pilot randomised controlled NOH-PE trial. Thromb Haemost 2011; 106: 1053–1061

Findeklee S et al. Thrombophilie und HELLP-Syndrom in … Z Geburtsh Neonatol 2015; 219: 45–51

[Thrombophilia and HELLP syndrome in pregnancy - case report and overview of the literature].

Thrombophilia is a prothrombotic state that can be caused by genetic disorders, such as the factor-V-Leiden or prothrombin mutation, as well as by acq...
204KB Sizes 1 Downloads 8 Views