Nr. 29, 22. Juli 1977, 102. Jg.

Aktuelle Therapie

Sommer, Kasper: Therapie der Colitis ulcerosa

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Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 1067-1069

Therapie der Colitis ulcerosa

H. Sommer und H. Kasper Medizinische Universitátsklinik Würzburg (Direktor: Prof. Dr. H. A. Kühn)

Trotz einer Vielzahl von Teilergebnissen zur Frage der Colitis-ulcerosa-Entstehung ist die Ursache dieser chronisch entzündlichen Dickdarmerkrankung nach wie vor unbekannt. Wie bei allen ätiologisch unklaren Erkrankungen kann die Therapie somit nur auf empirisch gewonnenen Ergebnissen und auf Erkenntnissen von Behandlungsversuchen basieren, die sich von nicht oder nur teilweise bewiesenen pathogenetischen Vorstellungen ableiten. Mit konservativer Behandlung läßt sich in der Mehrzahl der Fälle der akute Schub einer Colitis ulcerosa kupieren und durch Langzeitbehandlung mit Salazosulfapyridin im Intervall das Fortschreiten der Erkrankung über den initial befallenen Darmabschnitt hinaus verhindern (3). Eine Heilung bringt bei der Colitis ulcerosa nur die totale Proktokolektomie, nicht hingegen bei der differentialdiagnostisch oft schwer abzutrennenden Colitis granulomatosa, dem Morbus Crohn des Kolons.

Indikationen zur Proktokolektomie

Zur Beurteilung des Schweregrades und damit der Notwendigkeit einer operativen Behandlung dienen insbesondere Stuhlfrequenz, maximale tägliche Körpertemperatur, Pulsfrequenz, Erniedrigung der Plasma-Albu-

minkonzentration, Ausmaß der Leukozytose und der Blutsenkungsbeschleunigung (11). Wenn bei toxischem Megakolon (röntgenologisch auf einer Leeraufnahme nachweisbare Dilatation des Kolons über 6 cm) oder bei fulminanter Colitis ulcerosa eine optimale konservative

Therapie innerhalb von 4-S Tagen keine wesentliche Besserung ergibt, kann die Letalität durch eine Frühoperation deutlich gesenkt werden (10). Turnbull und Mitarbeiter (13) berichteten von nur einem Todesfall bei 42

operativen Eingriffen wegen eines toxischen MegakoIons nach dem von ihnen vorgeschlagenen zweizeitigen Verfahren, bei dem primär eine doppelläufige Ileostomie und eine Kolostomie am Colon transversum ange-

legt wird und erst nach Überwindung der schweren Krankheitsphase die Proktokolektomie erfolgt. - Eine Indikation zur Operation ist weiterhin die fortschrei-

Absolute und relative Indikationen zur Proktokolekto-

tende Ausdehnung der Colitis und die Verkürzung der Remissionen, wodurch die Lebensqualität und Arbeits-

mie (Literatur: 10) sind schwere und nicht oder unzureichend auf die kon-

fähigkeit erheblich beeinträchtigt sind. Trotz relativ hoher Operationsletalität liegt die Letalität bei Lang-

servative Therapie ansprechende Verlaufsformen einschließlich der toxischen Kolondilatation,

Wachstums- und Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter,

das ab etwa dem zehnten Krankheitsjahr zunehmende Karzinomrisiko,

intensive Blutungen, Kolonperforationen, die bei der Colitis ulcerosa seltenen Fisteln, Strikturen und extraintestinale Begleiterscheinungen der Colitis ulcerosa.

zeitkontrolle nach totaler Kolektomie bei schweren Verlaufsformen der Colitis ulcerosa eindeutig niedriger als

bei konservativer Behandlung. Hierfür sprechen zum Beispiel die Ergebnisse einer Studie von Watts und Mitarbeitern (14) an 465 Colitis-ulcerosa-Kranken und 60 wegen einer Colitis ulcerosa total Kolektomierten, wo-

nach die Letalität bei Befall des gesamten Kolons ab dem dritten postoperativen Jahr in der operierten Gruppe eindeutig niedriger lag. Die Häufigkeit eines Kolonkarzinoms bei Colitis ulce-

rosa wird unterschiedlich hoch angegeben. Gefährdet

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Sommer, Kasper: Therapie der Colitis ulcerosa

sind besonders Kranke mit schweren, sich vorwiegend auf das gesamte Kolon erstreckenden Verlaufsformen bei einer mehr als 10 Jahre währenden Krankheitsdauer und einem Krankheitsbeginn vor dem 20. Lebensjahr (3). Die medikamentöse Langzeitbehandlung reduziert offenbar das Karzinomrisiko nicht (3).

Konservative Therapie Corticosteroide Eine signifikante Verringerung der Letalität durch Corticosteroide gilt bei der Colitis ulcerosa als gesichert. Nach einer Sammelstatistik konnte bei 441 schweren Verlaufsformen in 36-58% der Fälle durch Corticosteroide eine Remission erzielt und in 45% der Fällle eine Operation verhindert werden (7). Bei akuter fulminanter Colitis ulcerosa wird die Behandlung mit 100 mg Prednisolon täglich intravenös eingeleitet. Ob durch Dosiserhöhung eine Verbesserung der Prognose erzielt werden kann, ist fraglich (7). Beim akuten Schub der chronischen Colitis ulcerosa wird initial meist mit 60 mg PrednisoIon täglich behandelt und die Dosis je nach Riickbildung der Symptome reduziert. Gelingt keine vollständige Remission, so sollte die Weiterbehandlung mit einer Erhaltungsdosis von nicht mehr als 15 mg Prednisolon täglich erfolgen. Da das Auftreten akuter Schiibe der Colitis ulcerosa durch Langzeitapplikation von Corticosteroiden nicht verhindert und die Lange der Remissionen nicht vergrößert werden kann, sind Corticosteroide nach Erreichen einer Remission abzusetzen. Die Langzeitbehandlung mit Corticosteroiden soll die Zahl postoperativer Komplikationen vermehren. Beobachtungen, aufgrund deren eine Behandlung mit ACTH der mit Corticosteroiden iiberlegen ist, wurden durch Nachuntersuchungen nicht bestätigt. Kaplan und Mitarbeiter (5) konnten bei 22 Kranken mit akutem Schub einer Colitis ulcerosa oder granulomatosa keinen unterschiedlichen therapeutischen Effekt von parenteral zugefiihrtem ACTH und Hydrocortison feststellen; bei beiden Behandlungsformen kam es zu gleichen Plasma-Cortisolkonzentrationen bzw. 17-Hydroxycorticosteroidausscheidungen im Harn.

Die rektale Applikation von Corticosteroiden, im Doppelblindversuch erwiesenermaßen wirksam, hat sich bei der Behandlung der Proktitis und Proktosigmoiditis bewährt. Inwieweit der therapeutische Effekt der in den Enddarm instillierten Corticosteroide durch Resorption des Wirkstoffes iiber die Kolonschleimhaut und somit systemisch oder durch lokale Beeinflussung der erkrankten Schleimhaut zustande kommt, ist nicht sicher entschieden.

Salazosulfapyridin Salazosulfapyridin (Azulfidin®, Colo-Pleone), eine Azoverbindung von Sulfapyridin und 5-Aminosalicylsäure, wurde 1941 in die Therapie der Colitis ulcerosa eingefiihrt. Der therapeutische Effekt konnte im kontrollierten Langzeitversuch eindeutig gesichert werden (1). Der Anteil der Rezidive ließ sich bei Dauertherapie mit Salazosulfapyridin unabhängig davon, wie lange bereits mit der Substanz behandelt wurde, auf ein Viertel reduzieren. Während Corticosteroide in der akuten Krankheitsphase indiziert sind, ist Salazosulfapyridin das Mittel

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der Wahl zur Langzeitbehandlung im symptomarmen Intervall und zur Rezidivprophylaxe. Neuere Untersuchungen iiber die Konzentration wirksamer Metaboliten von Salazosulfapyridin im Serum sprechen dafiir, clag mit 2-3 g täglich ein maximaler therapeutischer Effekt erzielt wird, ohne claf3 ernsthafte Nebenwirkungen auftreten. Das Auftreten von Nebenwirkungen korreliert mit der Serumkonzentration des Spaltproduktes Sulfapyridin, einer Substanz, die in der Leber durch Acetylierung in Acetylsulfapyridin umgewandelt wird. Da die Acetylierungsgeschwindigkeit großen individuellen Schwankungen unterliegt, kann es bei Langsamacetylierern trotz niedriger Dosierung von Salazosulfapyridin bereits zu relativ hohen Konzentrationen an Sulfapyridin im Serum kommen, die eine Nebenwirkung auslösen.

Nebenwirkungen, die bei etwa 20% der Patienten in Form von Druckgefiihl im Oberbauch, übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Methämoglobinbildung, HeinzKörper-Anämie und vermehrter Hämolyse vorkommen, lassen sich meist durch Dosisreduzierung, Gabe magensäureresistenter Dragees oder zusätzliche Gabe eines Antacidums iiberwinden. Dosisunabhängig sind das relativ seltene allergische Exanthem, das Medikamentenfieber und wahrscheinlich die selten zu beobachtende Agranulozytose. Sehr selten sind Nebenwirkungen an der Lunge in Form einer fibrosierenden Alveolitis. Obwohl Hinweise auf eine teratogene Wirkung von Salazosulfapyridin fehlen, soil eine Behandlung mit dieser Substanz während der ersten Schwangerschaftsmonate vermieden werden. Beriicksichtigt werden muß bei der Langzeitbehandlung mit Salazosulfapyridin, daß gleichzeitige Eisensubstitution die Salazosulfapyridin-Konzentration im Serum infolge Chelatbildung senkt, daß Salazosulfapyridin die Resorption von Folsäure hemmt und dag möglicherweise eine Interaktion mit Antibiotika eintritt, da diese die bakterielle Spaltung der Azoverbindung von Salazosulfapyridin beeinträchtigen können. Immunsuppressiva Die Behandlung mit Antimetaboliten, insbesondere mit Azathioprin, beruht auf der Annahme, daß es sich bei der Colitis ulcerosa um eine Autoimmunerkrankung handelt. Es mug jedoch erwogen werden, dag ein positiver Therapieeffekt auch Folge der antiphlogistischen Wirkung von Antimetaboliten sein kann. In der Mehrzahl der unkontrollierten Studien konnte bei Nichtansprechen auf Corticosteroide und Salazosulfapyridin mit Azathioprin (in der Initialphase 1,5-4,0 mg/kg Körpergewicht, zur Dauerbehandlung 0,4-1,0 mg/kg Körpergewicht) eine Remission erzielt werden (8). Doppelblindstudien, in denen Azathioprin in Kombination mit Corticosteroiden gegeben wurde, verliefen negativ. Lediglich die Corticoiddosis konnte unter Azathioprin reduziert werden (Literatur: 9). Besonders dann, wenn bei Therapieversagern Kontraindikationen gegen eine Proktokolektomie bestehen, ist ein Behandlungsversuch mit Azathioprin gerechtfertigt. Bei einer Langzeittherapie miissen sowohl die Knochenmarksdepression als auch die höhere Inzidenz an

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Malignomen mitbestimmend sein fiir die Häufigkeit und Art der Therapiekontrollen. Weitere Therapiemöglichkeiten

In einer gekreuzten Doppelblindstudie an zwölf Patienten mit Proktokolitis konnten eine signifikante Verringerung der Stuhlfrequenz, der Rektalblutung und Besserung des sigmoidoskopischen und histologischen Befundes durch eine orale Behandlung mit dem Dinatrium-Salz der Cromoglicinsäure (Intal®) nachgewiesen werden. Es handelt sich um eine Substanz, welche die Freisetzung der akute allergische Reaktionen auslösenden Substanzen aus Mastzellen reduziert. Auch eine Reihe weiterer klinischer und morphologischer Befunde sprechen dafiir, dafg der Substanz eine Bedeutung im Rahmen der Colitistherapie zukommt (Literatur: 15). Das meist im Vordergrund stehende Symptom Diarrhoe kann, wie in einer Doppelblindstudie gezeigt wurde (2), durch Gabe einer Kombination von Diphenoxylat und Atropin (Reasec®) signifikant verringert werden. Das Präparat ist beim toxischen Megakolon kontraindiziert. Je nach Ausmaß des Wasser-, Elektrolyt-, Blut- und Plasmaproteinverlustes iiber den Darm ist insbesondere bei der fulminanten Colitis ulcerosa und dem toxischen Megakolon eine parenterale Substitution erforderlich. Breitbandantibiotika können die Intensität der Diarrhoen steigern. Nach Untersuchungen von Truelove und Jewell (12) hat sich bei schweren Verlaufsformen der Colitis ulcerosa die totale orale Nahrungskarenz bei ausreichender parenteraler Zufuhr von Fliissigkeit, Elektrolyten, Vitaminen, Blut, gegebenenfalls die parenterale Ernährung und die zusätzliche Gabe von viermal 250 mg Tetracyclin, 60 mg Prednisolon parenteral und 100 mg Hydrocortison rektal täglich bewährt.

Sommer, Kasper: Therapie der Colitis ulcerosa

den, daß die Rezidivquote und die mikroskopisch in der Kolonschleimhaut nachweisbaren entziindlichen Veränderungen bei milcheiweißfreier Ernährung signifikant geringer sind als bei Einnahme von Kuhmilch Bei der Beurteilung der Milchtoleranz mufg beriicksichtigt werden, dafg besonders in der akuten Phase der Colitis ulcerosa die Lactase-Aktivität in der Diinndarmschleimhaut in einem Ausmag verringert sein kann, daß eine Milchzuckerunverträglichkeit entsteht. Ähnlich wie beim Morbus Crohn lassen sich auch bei der Colitis ulcerosa in der Mehrzahl der Fälle bei ausschließlicher Ernährung mit einer vollresorbierbaren, ballastfreien Formuladiät (»Astronautenkost.) ein Riickgang der entziindlichen Veränderungen und eine Besserung des Allgemeinzustandes erzielen (Literatur: 6). Bei Colitis-ulcerosa-Kranken finden sich Infantilität und Depression häufig als psychische Eigentiimlichkeit. In jedem Falle sollte die Möglichkeit der psychosomatischen Behandlung in den Therapieplan einbezogen werden (4).

Der therapeutische Wert einer schlackearmen »Colitisdiät« wurde nie bewiesen. Die einzige Studie, die einen Vergleich zwischen Vollkost und Colitisdiät anstellte, ergab keine Unterschiede im Krankheitsverlauf. Eine gewisse Bedeutung kommt der milcheiweißfreien Diät zu. In Langzeitbeobachtungen konnte gezeigt wer-

Miiller-Wieland, K.: Zur Beeinfluflbarkeit des Verlaufs der Colitis ulcerosa durch Azathioprin. Med. Klin. 69

Literatur

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Kasper, H.: Krankenernährung.

Didt und psychosomatische Behandlung

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2. Aufl. (Urban & Schwarzenberg: München 1976). Kristensen, M., G. Koudahl, K.

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Dr. H. Sommer, Prof. Dr. H. Kasper Medizinische Klinik der Universität 8700 Wiirzburg, Josef-Schneider-Str. 2

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Nr. 29, 22. Juli 1977, 102. Jg.

[Therapy of ulcerative colitis].

Nr. 29, 22. Juli 1977, 102. Jg. Aktuelle Therapie Sommer, Kasper: Therapie der Colitis ulcerosa 1067 Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg P...
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