Nr. 24, 11. Juni 1976, 101. Jg.

Aktuelle Therapie

Reisniann: Behandlung der Osophagusachalasie

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Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 935-937 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

B.

Reismann

il. Ordinariat für Chirurgie der Universität Köln, Chirurgische Klinik des Städtischen Krankenhauses Köln.Merheim (Direktor: Prof. Dr. W. Schink)

Die Ursache der im deutschsprachigen Schrifttum als Kardiospasmus bezeichneten öffnungsunfähigkeit des Verschlußmechanismus zwischen distaler Speiseröhre und Magen ist nach wie vor ungeklärt. Infolgedessen gibt es auch keine kausale Behandlung. Allerdings kann durch geeignete wenn auch lediglich palliative - Verfahren weitgehende Beschwerdefreiheit erreicht werden. Das Leiden kann in jedem Lebensalter manifest werden: unser jüngster Patient war 10 Jahre, unser ältester 73 Jahre alt. Kürzlich wurde eine Beobachtung bei einem Neugeborenen mitgeteilt (1). Die Beschwerden wechseln nicht nur von Fall zu Fall, sondern auch beim gleichen Patienten; sie reichen vom gelegentlichen »Steckenbleiben« von Speisen über die schmerzhafte Dysphagie bis zur völligen Schluckunfähigkeit mit gleichzeitiger Retention größerer Speisemengen in der erweiterten Speiseröhre, die bei fortgeschrittenen Fällen für den Patienten zum Gewohnheitszustand wird (8). Regurgitation, oft zur Erleichterung provoziert, sowie nächtliche Aspiration mit entsprechenden pulmonalen Komplikationen sind die Folge (2). Bei Kindern und alten Leuten können sonst kaum erklärliche Lungenerkrankungen wie Abszesse und Bronchiektasen dazu veranlassen, nach einer Schluckbehinderung, besonders nach einer Ösophagusachalasie, zu fahnden (2, 8, 10). Die Röntgenkontrastuntersuchung zeigt neben der mehr oder weniger starken Erweiterung eine kegel- oder wurstendenförmige Verengung im distalen Ösophagus. Etwa 2-3 cm des distalen Speiseröhrenendes stellen sich, oft erst nach längerem Warten, als fadendünne, glattbegrenzte Stenose dar (9). Um ein bei stärkerer Dilatation röntgenologisch nicht sicher auszuschließendes Kardiakarzinom nicht zu übersehen, empfiehlt sich zusätzlich die Ösophagoskopie, insbesondere, da sowohl ein Karzinom im Megaösophagus gehäuft entsteht als auch die Primärerkrankung zu gleicher Symptomatik wie die Achalasie führen kann (10, 11). Allerdings ist weder röntgenologisch noch endoskopisch eine, Aussage über die klinische Schwere des Krankheitsbildes und damit über die Prognose und die einzuschlagende Therapie möglich.

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Anatomische und physiologische Grundlagen Wie aus eingehenden Untersuchungen über den Refluxmechanismus vom Magen in die Speiseröhre (10, 15, 16) bekannt ist, konnte ein eigentlicher Schließmuskel zwischen Osophagus und Magen weder in der Kardia noch im terminalen Speiseröhrenabschnitt nachgewiesen werden. Ein komplexes synergistisches System verschiedener

Einzelfaktoren (16) läßt die Speisen ohne Behinderung vom Osophagus in den Magen passieren, verhindert jedoch einen gastroösophagealen Reflux. Die wichtigsten dieser Faktoren sind die hiatale Zwerchfellzwinge, der spitze Mündungswinkel zwischen Speiseröhre und Magen, der angiomuskuläre Dehnverschluß der terminalen Speiseröhre (15), die manometrisch nachweisbare Hochdruckzone im distalen Osophagus (16), das Vorhandensein eines abdominellen Ösophagussegments (10) und schließlich der Einfluß von Gastrin und einigen weiteren enteralen Hormonen auf die Verschlußfunktion des unteren Ösophagussegmentes (12). Hinzu kommen sicherlich nervale Einflüsse von Sympathicus und Parasympathicus, deren Bedeutung für die Sphinkterfunktion jedoch umstritten ist. Nach Stelzner (15) bewirkt allein schon die Verlängerung des Osophagus mit Verminderung seines intrathorakalen Tonus eine Öffnungsunfähigkeit des ösophago-gastralen Verschlußsegmentes. Andererseits wird neuerdings eine erhöhte Tonisierung des Verschlußsegmentes selbst durch normale Gastrinwerte diskutiert. Schließlich findet sich in fortgeschritteneren Stadien eine Aganglionose oder zumindest eine verminderte Ganglienzellzahl der Osophaguswand, wie sie etwa bei der Chagas-Krankheit oder im Dickdarm beim M. Hirschsprung gefunden wird. Dabei ist allerdings unklar, ob es sich um eine primäre Schädigung des Ganglienapparates oder um eine Folge der im Megaösophagus auftretenden Stase mit schwerer Osophagitis handelt. Wie schon gesagt, ist der Verlauf der Erkrankung im Einzelfall kaum vorhersehbar. Während in manchen Fällen über lange Zeit nur selten Schmerzattacken bei den Mahlzeiten mit kurzfristigem Steckenbleiben der Speisen während Minuten auftreten, entwickelt sich in anderen Fällen mehr oder weniger rasch ein Megaösophagus, der zum Teil groteske Ausmaße im Mediastinum erreichen kann. Die Einteilung in verschiedene Schweregrade der Erkrankung kann objektiv aufgrund der gemessenen Erweiterung des Osophagus und der noch erhaltenen oder schon aufgehobenen Motilität einerseits oder aufgrund der röntgenologisch meßbaren Verzögerung der Passage vom Ösophagus in den Magen anderseits erfolgen. Uns hat sich bewährt, eine Erweiterung unter 3 cm als erstgradig, von 3-5 cm als zweitgradig und über S cm, bei der im allgemeinen auch keine Peristaltik mehr vorhanden ist, als drittgradig zu bezeichnen. Um ein objektives Maß für die Passagebehinderung zu erhalten, bitten wir die Röntgenologen um folgendes Untersuchungsverfahren: Nach Gabe von 100 ml Bariumbrei wird zunächst die Dauer bis zur Passage der ersten Menge aus dem distalen Osophagus in den Magen bestimmt. Dabei sollte die Zeit in Minuten angegeben werden. Das zweite Maß ist die Dauer bis zur Passage des gesamten Kontrastbreies aus dem Osophagus in den Magen, die Stunden betragen kann, oft jedoch überhaupt unvollständig bleibt. Beide Maße, die Dauer bis zur Passage in den Magen überhaupt und die Verweildauer der Gesamtmenge, werden zur Beurteilung des Behandlungserfolges herangezogen.

»Konservative« Behandlung Mit der Stellung der Diagnose ist die Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung nachgewiesen. In Einzelfällen kann in Frühstadien eine psychotherapeutische Be-

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Behandlung der Osophagusachalasie

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Reismann Behandlung der Osophagusachalasie

handlung Erfolg bringen, wie überhaupt die Erkrankung relativ häufig durch psychische oder psychosomatische Vorgänge ausgelöst zu werden scheint. Eine erfolgreiche medikamentöse Behandlung gibt es unseres Wissens bisher nicht. Vorerst stehen die verschiedenen Dehnungsverfahren (sogenannte konservative Behandlung) sowie die operativen Verfahren eindeutig im Vordergrund. Die vor allem in der Hand der Röntgenologen und der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte als sehr erfolgreich propagierte Dehnungsbehandlung kann mit der Starkschen Sonde oder mit pneumatischen Dilatatoren erfolgen, wobei vermutlich ein Sprengungseffekt, also eine Zerreißung von Muskelfasern im terminalen Osophagussegment, für den Behandlungserfolg entscheidend ist. Wie neuere Untersuchungen mittels Durchzugsmanometrie (3) ergeben haben, kommt es bei der Achalasie auch bei erhöhtem Druck zu keiner Erschlaffung des Sphinkters. Nach » erfolgreicher« pneumatischer Dilatation wird der Druck zwar vermindert, es kommt aber auch dann nicht zu einer vollständigen Erschlaffung des terminalen Ösophagus, wie er für eine normale Passage erforderlich wäre. Nach unseren Erfahrungen ist die Dehnung oder Sprengung der Kardia nur von vorübergehendem Erfolg. Bei 23 von 36 Patienten, die in unserer Klinik seit 1953 behandelt wurden, waren mehrfach, in einem Fall 20mal, mechanische oder pneumatische Dilatatoren ohne bleibenden Erfolg verwandt worden. Nur zwei dieser Patienten wurden durch die Dehnungsbehandlung beschwerdefrei.

Operative Behandlung Bei einem Mißerfolg der Dehnungsbehandlung kommt

also nur eines der operativen Verfahren in Frage. Eingriffe am vegetativen Nervensystem sind wegen ihrer Erfolglosigkeit heute verlassen. Die Operation muß zum Ziel haben, die Passage im terminalen Ösophagus wiéderherzustellen, ähnlich wie bei einer Stenose. Es ist klar, daß es sich dabei nur um einen Palliativeingriff handeln kann, der jedoch zwei Forderungen erfüllen muß: Die Passage muß frei von Behinderungen vom Ösophagus in den Magen erfolgen, so daß die Verweildauer für 100 ml Bariumkontrastbrei im Ösophagus maximal 3 Minuten beträgt. Da der normale Ventilmechanismus zwischen Magen und Speiseröhre, der einen gastro-ösophagealen Reflux verhindert, durch alle plastischen, resezierenden oder das enge Segment erweiternden Eingriffe zerstört wird, muß eine Antirefluxplastik mit dem Eingriff verbunden werden. Die resezierenden Verfahren sowie die plastischen Operationen (Marwedel-Wendel, Heyrovsky, Sauerbruch, Gröndahl) sind primär durch die am offenen Osophaguslumen erforderliche Naht sowie durch die spätere Refluxösophagitis sehr gefährdet (5, 13). Der einfachste und erfolgversprechendste Eingriff ist nach unserer Erfahrung, die auch von anderen Autoren geteilt wird (1, 5, 18), die Kardiomyotomie nach Heller (7) in der Modifikation nach Zaaijer (18). Wir haben die Kardiomyotomie bei bisher 34 Patienten mit Achalasie ersten bis dritten Grades (6) mit gutem Erfolg durch-

geführt. Wegen in einigen Fällen beobachteter Refluxösophagitis haben wir in den letzten 4 Jahren die Kardiomyotomie mit einer eigenen Antirefluxplastik kombiniert. Technisches Vorgehen Wir operieren die Achalasie ausschließlich von abdominal. Von einer medianen Oberbauchlaparotomie wird der untere Osophagus freipräpariert und auf eine Strecke von 10-12 cm aus dem unteren Mediastinum ausgehülst. Eine bis in den Magen vorgeschobene Sengstaken-Sonde wird aufgebläht und eine typische Hellersche Kardiomyotomie von etwa 10-12 cm Länge in der Vorderwand des Osophagus unter sorgfältiger Schonung der Schleimhaut durchgeführt. Selbstverständlich werden auch die N. vagi sorgfältig geschont. Der gesamte, breit klaffende Muscularis-Defekt wird durch die Vorderwand des Magenfundus gedeckt. Das geschieht in der Weise, daß zunächst der dem Ösophagus benachbarte Teil der Fundusvorderwand durch eine fortlaufende sero-muskuläre Naht mit der hinteren Lefz der gespaltenen Muscularis des Osophagus vereinigt wird. Wenn der obere Punkt des Kardiomyotomieschnitts erreicht ist, wird der rechte Muskelschnittrand mit dem etwas weiter vom Osophagus entfernt liegenden Fundus ebenfalls spannungslos fortlaufend vereinigt. Wichtig ist, daß der Fundus den Osophagus nicht wieder einengt, sondern vielmehr fast semizirkulär den gesamten Bereich von der Cardia bis zum oberen Schnittrand der Kardiomyotomie umschließt. Der Unterschied zu den Verfahren von Thal (17) sowie Hatafuku (6) und Mitarbeitern besteht darin, daß die Osophagus-Mucosa wie bei der Methode nach Heller intakt bleibt.

Die Vorteile unseres Vorgehens sehen wir darin, daß durch eben diese intakte Schleimhaut die Operation aseptisch bleibt und zugleich das Risiko einer Nahtinsuffizienz oder einer unbemerkt gebliebenen Perforation der Schleimhaut praktisch ausgeschlossen wird. Aus diesem Grunde sowie wegen der Herstellung des Hisschen Winkels haben Rudler (14) sowie Dirvana und Cilingiroglu (4) schon früher ähnliche Verfahren propagiert. Das Hauptziel des von uns entwickelten Vorgehens ist jedoch die Ventilwirkung des luftgefüllten Funduskissens, die in ihrem Effekt der Fundoplicatio ähnlich ist. Nachdem wir bei einigen Patienten nach der einfachen Kardiomyotomie Refluxösophagitiden beobachtet hatten, haben wir nämlich in vier Fällen eine Fundoplicatio im Anschluß an die Kardiomyotomie durchgeführt. Bei drei dieser Patienten bestand hinterher eine deutlich verzögerte Passage mit Dysphagie und kaum nachweisbarem Rückgang der Ösophagusdilatation. Offenbar ist die Fundoplicatio für die verringerte Schluckfähigkeit des dilatierten Ösophagus zu starr, so daß der Effekt der Myotomie durch den Ring der Fundoplicatio wieder aufgehoben wird. Die Kombination von Hellerscher Kardiomyotomie und Funduskissenplastik haben wir seit März 1970 bei bisher acht Patienten zwischen 17 und 73 Jahren erprobt. Die Anamnesen lagen zwischen 2 und 13 Jahren, die Dilatation des Ösophagus betrug 2,7 bis 6,4 cm. Alle Patienten sind völlig beschwerdefrei geworden, können normal essen und haben an Gewicht zwischen 5 und 24 kg zugenommen. Die Passagezeiten betragen röntgenologisch weniger als 3 Minuten. Keiner dieser Patienten Weist subjektiv oder röntgenologisch Anzeichen eines gastro-ösophagealen Refluxes auf. Drei weitere Patienten im Kindesalter operierte Rehbein (persönliche Mitteilung).

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Struli: Die APUD-Zellen

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Dr. B. Reismann II. Ordinariat für Chirurgie der Universität Chirurgische Klinik des Städtischen Krankenhauses 5 Köln 91, Ostmerheimer Straße 200

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Nr. 24, 11. Juni 1976, 101. Jg.

[Therapy of esophagus achalasia].

Nr. 24, 11. Juni 1976, 101. Jg. Aktuelle Therapie Reisniann: Behandlung der Osophagusachalasie 935 Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Pro...
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