MW Praxis-Forum

Nr. 43, 26. Oktober 1979, 104. Jg.

Aktuelle Therapie

1509

Redaktion: Prof. Dr. H. Hombostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Slegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 1509-1511

Therapie und Prophylaxe akuter hepatischer Porphyrien M. Doss Abteilung für Klinische Biochemie im Fachbereich Humanmedizin der Universitat Nlarburg

nahmen Ist die Verhinderung einer Progression genetischer oder kompensierter

Ziel therapeutischer Maßnahmen Ist die

Rückführung einer akuten Porphyriemanifestation in die kompensierte Latenzphase. Ziel prophylaktischer Maß-

B

/

Phasen in die dekompensierte Latenz oder klinische Exazerbation (Abbildung

1). Voraussetzung für beides Ist eine exakte Diagnose (1-5). Zu einer optimalen Therapie akuter hepatischer Porphy-

A

rien wird die Prophylaxe, welche von

D

B\ D

Abb. 1. Phaseneintellung und -verlauf der akuten intermittierenden Porphyrie. Latenzphasen können stationär bleiben, aber auch Progressions- und Remisslonsstadien sein. Die Phasen- bzw. Stadieneinteilung gilt auch für die hereditäre Koproporphyrie und Porphyria variegata, wobei deren charakteristische Metabolitenkonstellationen und Enzymdefekte zugrunde gelegt werden müssen.

A = Genetische Phase: nur enzymatischer Defekt nachweisbar, Aktivität der Uroporphyrinogen-Synthase in Zellen (zum Beispiel Erythrozyten) erniedrigt.

B = Kompensierte Latenzphase: Porphyrinund Porphyrinvorläuferausscheidung im Urin geringgradig erhöht. C= Dekompensierte Latenzphase: erhebliche Porphyrinvorläufer- und Porphyrinausscheidung im Urin, häufig auch im Stuhl, keine oder diskrete bis wechselhafte abdominale, kardiovaskuläre, nervale und (oder) psychische Symptome. D= Manifeste klinische Phase: akutes Syndrom. 0012-0472/79

der Frühdiagnose abhängt. Die klinische Manifestation kann bei den drei akuten hepatischen Porphyrien (akute intermittierende Porphyrie, Porphyria variegata und hereditäre Koproporphyrie) weitgehend gleichartig verlaufen und wird vorwiegend symptomatisch behandelt, da Voraussetzungen für eine kausale Therapie im Sinne von Re-

pair-Mechanismen für die hereditären Enzymdefekte (2-4) noch nicht vorhanden sind. Der Therapie mit Glucose und Häm liegt insofern ein kausal gerichteter Denkansatz zugrunde, als sie auf die Unterdrückung der regulativen Uberkompensation des primären enzymatischen Defektes der akuten hepatischen Porphyrien abzielt: Die Induktion der hepatischen b-Aminolävulinsäure-Synthase soll vermindert un ausgeschaltet werden, da sie den Anstieg der Porphyrinvorläufer und Porphyrine hervorruft.

Die Syntheserepression in der Leber ist wichtig, da die Porphyrinvorläufer für die Pathogenese der neurologischen Symptome offensichtlich eine gravieren-

de Rolle spielen (1). Präventivmedizini-

sche Maßnahmen umfassen nicht nur die Prophylaxe nach einer klinischen Krise, sondern auch die Erkennung des genetischen Defektes oder einer klinischen Latenzphase bei Familienmitgliedern. Prinzipiell Ist bei allen hereditären hepatischen Porphyrien die Diagnose in den subkllnischen Phasen anzustreben (1-4). Prophylaktische Empfehlungen und therapeutische Maßnahmen sollten

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jedoch auf diejenigen Personen und Pa-

tienten beschränkt bleiben, bei denen eine akute hepatische Porphyrie oder eine Anlage dazu nach klinisch-biochemischen Kriterien gesichert Ist (1-4). Variable Symptome und Symptomkombinationen können leicht mit einer »akuten intermittierenden Porphyrie«, die bereits Waldenström als »the little imitator« bezeichnet hat, in Verbindung gebracht werden (2). Der chamäleonhafte Charakter dieser Krankheit wird nicht selten zum Anlaß einer multidisziplinären ambulanten und klinischen Unter-

suchung und Behandlung. Eine kritische Uberprüfung »bisheriger« Diagno-

sen sollte dazu beitragen, die Untersuchungen dann auch auf die Fahndung nach einer Porphyrie auszudehnen. Therapie

Die Therapiemaßnahmen sind für die akuten hepatlschen Porphyrien identisch (Tabelle 1) (2). Ein Patient mit

drei

akuter abdominaler Symptomatik und beginnenden Lähmungen, die sich bis zur Landryschen Paralyse und Atemlähmung verschlimmern können, muß wie

ein Notfall behandelt werden. Sowohl. bei akuter intermittierender Porphyrie als auch bei Porphyria variegata und hereditärer Koproporphyrie kann sich ein lebensbedrohliches akutes Syndrom entwickeln. Akut intermittierendes Auftreten ist allen drei Formen der akuten hepatischen Porphyrie gemeinsam. Die Behandlung des akuten Porphyriesyndroms mit Glucose, Fructose und (oder) Hämatin sowie auch mit Propranolol ist pathobiochemisch überprüft und aus dieser Sicht »spezifisch« (2-6,

8). Bei der Auswertung der Literatur über die klinische Therapie der akuten metabolischen Porphyriekrise zeigt sich aber auch, wie schwierig es Ist, die Wirkung einzelner Therapiemaßnahmen schlüssig zu beurteilen. Das hängt einerseits mit dem unvorhersehbaren wechselhaften, häufig dramatischen Verlauf

der Erkrankung zusammen und andererseits damit, daß häufig zusätzliche Maßnahmen angewendet werden, deren

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Doss: Therapie und Prophylaxe akuter hepatischer Porphyrien

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Tab. 1. Therapie der akuten hepatischen Porphyrien: akute intermittierende Por-

schnellen Besserung der klinischen Si-

phyrie, Porphyria variegata und hereditäre Koproporphyrie

Befundes (1-4).

Absetzen und Meiden porphyrinogener Medikamente (s. Internationale rzneimittelliste in «Roter Liste» unter Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkungen) (2, 6) Kohlenhydrate (500 bis 600 g/d) Propranolol (50 bis 200 mgld) Reserpin (0,5 mg/d) Prostigmin (etwa 1 mg/d) Chlorpromazin (etwa loo mg/d) Corticosteroide (50 bis 150 mg/d) Hämatin (250 bis 500 mg/d)

tuation und auch des biochemischen Bei der Behandlung des akuten klinischen Syndroms sollte Polypragmasie vermieden werden. Vor besonders gefährlichen Medikamenten, wie Barbituraten und Sulfonamiden, müssen Arzt und Patient gleichermaßen gewarnt werden (4, 6). Die Erfahrungen in

Schweden und in der Bundesrepublik zeigen immer wieder, daß der aufgeklärte Porphyriepatient gut mitwirkt (2, 6).

Da die meisten Medikamente bei akuten hepatischen Porphyrien potentiell

gefährlich sind und nur wenige ohne Ri-

Pethidin und Morphin bei Schmerzen Penicillin bei Infektionen Lithiumcarbonat bei Depressionen

Elektrolyt- und Flüssigkeitsbalance: intravenäse Infusionen mit NaCI, Flüssigkeitszufuhr etwa 2 l/d Kalorienzufuhr mindestens 2600/d als Kohlenhydrate und Proteine (oral, Nasen-Magen-Sonde und [oder] intravenöse GlucoseFructose-Infusionen)

siko verabreicht werden können, sollte die akute Porphyriekrise möglichst mit nur fünf Medikamenten behandelt werden (4, 6): gegen schwere Schmerzen morphïnähnliche Präparate, zum Beispiel Pethidin (Dolantin®), gegen die Infektion Penicillin, gegen die Tachykar-

die und Hypertonie der iJ-Rezeptorenblocker Propranolol (Dociton®), gegen den paralytischen lieus bzw. die Obstipation Neostigmin, zur Behandlung psychischer Symptome Chlorpromazin und

bei abnormer Glucosetoleranz kleine Dosen Insulin zusammen mit hoher Kohlenhydratzufuhr

zur Aligemeinnarkose Ather oder Distickoxid (Ttbelle I). Diese weitestgehend symptomatische Behandlung muß durch

intravenöse

Flüssigkeïtszufuhr

mit Elektrolyten zur Balancierung des

Empfehlungen für Narkosemaßnahmen: siehe Zusammenstellungen in Literatur 2 und 6

Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts er-

Am wirksamsten hat sich in den letzten Jahren die hochdosierte Anwendung

von Kohlenhydraten, vor allem von Glucose, erwiesen, deren Wirkungsziel und molekularer Wirkungsort mit dem-

jenigen des Häms identisch ist. Der »Glucose-Effekt« ist sehr komplex und kann auch als »Antistreßeffekt« gedeutet werden (Abfall von Glucagon, Katecholaminen und cAMP) (2, 4). Glucose

und Hämatin bewirken sowohl einen Rückgang der Porphyrinvorläufer- und Porphyrinausscheidurig als auch einen Abfall der Konzentration der Metabolite im Plasma als Folge einer Unterdrükkung der ô-Aminolävulinsäure-Synthase in der Leber. Da Hämatin (8) als Handelspräparat noch nicht zur Verfügung steht, bleibt Glucose vorerst das Mittel der Wahl (2, 4, 5). Bei einigen Patienten mit akuter intermittierender Porphyrie konnte jedoch eine entscheidende Besserung mit Glucose nicht erreicht werden; in diesen Fällen führte eine Therapie

mit

Corticosteroiden

zu

einer

und Latenzphase) und somit der »potentielle« Porphyriepatient über die Art der Erkrankung und deren Prävention informiert sind. Spezielle Prophylaxe

und Empfehlungen für die Lebensführung (Belastbarkeit) sollen nicht unabhängig von der Kenntnis und Beurteilung der Phase sein, in welcher sich die Störung der akuten hepatischen Porphyrie zum jeweiligen Zeitpunkt befindet: Besteht lediglich ein Enzymdefekt (genetische Phase) oder ist es bereits zu einer beginnenden Dys- und Gegenregu-

lation der hepatischen Porphyrin- und Hämsynthese gekommen (kompensierte Latenzphase), liegt eine noch oder wie-

der klinisch latente Phase der akuten hepatischen Porphyrie vor mit einer erheblichen Entgleisung des Porphyrinstoffwechsels (dekompensierte Latenzphase mit Verlust der Kontrollmechanismen und hoher Metabolitenexkretion) oder weisen klinische Symptome auf die Entwicklung einer akuten Manifestation hin? Eine primäre oder sekundäre' kompensierte Latenzphase kann über viele Jahre stabil bleiben, wobei

gänzt werden, da in der akuten Krise

mit »primär« eine Latenzphase ohne

Hyponatriämie und Azotämie auftreten können. Bei rekurrierenden Depres-

und mit »sekundär« eine Latenzphase

sionen während oder nach der akuten Krise wird eine Behandlung mit Lithiselektiver Effekt dann schwer zu erfassen ist.

Vor Alkohol, Hunger, Fasten und »Abmagerungskuren« muß ebenso gewarnt werden wie vor porphyrinogenen Medikamenten und Narkosemaßnahmen (2, 6). Die Prognose der akuten hepatischen Porphyrien wird wesentlich verbessert, wenn auch Anlageträger (Enzymdefekt

umcarbonat empfohlen. Schwangerschaft scheint keine erhöhte Gefahr für eine Porphyriemanifestation zu sein (1, 2). Uber die Anwendung oraler Kontra-

zeptiva zur Therapie der menstruellen Form der akuten intermittierenden Porphyrie liegen positive und negative Beobachtungen vor. Obgleich ein Rückgang der klinischen Symptome bei der zyklisch-menstruellen Form der akuten intermittierenden Porphyrie die Medikation oraler Kontrazeptiva zu rechtfertigen scheint (3), ist die Frage aufgrund der Beobachtung einer Exazerbation der akuten intermittierenden Porphyrie durch Danazol wieder aktuell geworden (7). Das Problem kann daher nur von Fall zu Fall nach sorgfältiger Diagnostik gelöst werden.

vorausgegangene klinische Progredienz nach abgelaufenem klinischen Syndrom bezeichnet wird. In der dekompensierten Latenzphase muß der Patient ärzt-

lich überwacht werden: Meldung gefährlicher Medikamente, Alkoholkarenz, Ernährung Lebensführung (Diät), (»Streß-Abbau«) und eine eventuell not-

wendige Medikation (Hypertonie, Tachykardie) haben zum Ziel, die Krankheit in ein Stadium der Kompensation zu überführen. Folgende Diätformel hat sich bewährt: Kohlenhydrate -- 400 g,

Protein - 120 g und Fett - 50g (2, 4, 5).

Ein Porphyriepatient nach einem akuten Syndrom, Porphyriepatienten in Latenzphasen, die zufällig oder bei Familienuntersuchungen entdeckt werden, sowie Genträger, bei denen ein angeborener Enzymdefekt eindeutig festgestellt werden konnte, erhalten einen Porphyriepaß mit den wichtigsten Informatio-

nen für die ärztliche Behandlung, vor Prophylaxe

Patienten mit einer akuten hepatischen Porphyrie müssen über ihre Erkrankung aufgeklärt werden, insbesondere dar-

über, wie sie dazu beitragen können, akute Stoffwechselkrisen zu vermeiden.

allem für Notfalisituationen. Die in diesem Beitrag zitierten pathobiochemischen und experimentell-therapeutischen Ergebnisse (1-5) wurden mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Bonn-Bad Godesberg) erarbeitet.

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Praxis-Forum

Nr. 43, 26. Oktober 1979, 104. Jg.

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Literatur

i 5h

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