1-lelwing, Heymann: Therapeutische Probleme bei Kolonpolypen aus chirurgischer Sicht

Aktuelle Therapie

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Redaktion: Prof. Dr. H. Horn bostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 1672-1674 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Therapeutische Probleme bei Kolonpolypen aus chirurgischer Sicht Probleme des therapeutischen Vorgehens bei Kolonpolypen waren immer Probleme der Diagnostik. Die klinische Bezeichnung »Kolonpolyp« wird auf alle mit Schleimhaut bedeckten Tumoren des Kolons angewandt. Adenome, Papillome, Schleimhauthyperpiasien, Hamartome und verschiedene submuköse, mesenchymaic Tumoren sind aber nicht durch den äußeren Aspekt oder eine Röntgendarstellung zu unterscheiden. Nur die breitbasigen villösen Papillome lassen sich makroskopisch abgrenzen. Die Polypen können gestielt oder breitbasig, einzeln, multipel oder gehäuft als sogenannte Polyposis vorkommen. Kolonpolypen treten klinisch durch leichtere Bauchschmerzen, Tenesmen, Blutbeimengungen zum Stuhl, Durchfälle oder Obstipation in Erscheinung. In Einzelfällen können sie zur Invagination führen. Nur über-

E. Heiwing und H. Heymann Klinik fIr Allgemeinchirurgie der Medizinischen Hochschule H.snnover )Dircktor Prof. Dr. H. Hcyniann)

große Polypen verlegen das Darmlumen. Die meisten Formen bleiben klinisch lange symptomlos und werden zufällig entdeckt. Das eigentliche Problem stellt die Möglichkeit der malignen Entartung bestimmter Polypenformen dar. Gefährdet sind nur die echten epithelialen Neoplasien, also die Adenome und Papillome der Darmschleimhaut (11). Die Tendenz zur malignen Degeneration steigt bei diesen Tumoren mit zunehmender Größe an. Besonders gefährdet sind die breitbasigen Polypen, speziell die villösen Papillome (9, 10). in einer Reihe von größeren Polypen finden sich mitunter umschriebene Zellatypien, die häufig bereits in ein lokal auf die Schleimhaut begrenztes Karzinom übergehen. Wir bezeichnen diese Fälle als fokales Karzinom, wenn die Muscularis mucosae vom Tumor noch nicht durchbrochen ist, der Befund also völlig auf die Schleim-

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

1671

Helwing, Heymann: Therapeutische Probleme bei Kolonpolypen aus chirurgischer Sicht

haut beschränkt bleibt (7). Da die submukösen Lymphräume nicht eröffnet sind, besteht keine Gefahr eines invasiven Wachstums oder einer Fernmetastasierung. Die völlige Abtragung des gesamten Polypen reicht zur Behandlung aus. Ein fokales Karzinom in einem Polypen kann nur durch dessen vollständige histologische Aufarbeitung ausgeschlossen werden. Probeexzisionen, auch aus mehreren Stellen, geben keine ausreichende Sicherheit in bezug auf die endgültige Diagnose. Die Indikation zum therapeutischen Vorgehen bei den Kolonpolypen gestaltete sich bisher als einfaches Rechenexempel. Dabei wurden die Entartungsrisiken gegen das jeweilige Risiko der Polypenentfernung abgewogen. Ein adenomatöser Polyp bis zu 1 cm Durchmesser hat eine Entartungstendenz von 1%. Bei einer Größe von 1,5 cm beträgt sie schon über 10% und steigt mit zunehmendem Wachstum weiter steil an (9, 10). Breithasige Adenome neigen häufiger zur Entartung, villöse Papillome haben eine etwa doppelt so hohe Entartungstendenz wie die Adenome. Für eine transabdominale Kolotomie mit Polypektomie bringen wir dagegen ein Risiko von 0,5 bis 1%, je nach Alter des Patienten, in Anschlag. Alle Polypen von mehr als 1 cm Durchmesser wurden deshalb durch Laparotomie und Kolotomie mit Exzision des Polypen behandelt. Das Risiko, daß es sich nicht um Adenome, sondern um nicht entartungsgefährdete polypöse Manifestationen handelte, war zusammen mit dem Risiko der Laparotomie geringer als die Gefahr der malignen Degeneration eines größeren Kolonadenoms. Bei der, familiären Polypose finden sich, autosomal dominant vererbt, Adenome meist im gesamten Kolon. Auf dem Boden dieses Krankheitsbildes entwickelt sich obligatorisch ein Karzinom (4). Zum Zeitpunkt der Diagnose besteht daher eindeutig die Indikation zur Kol-

ektomie oder Proktokolektomie. Polypen im Bereich des Rektums und des RektumSigma-Oberganges bis in Höhe von 20 cm oberhalb des Anus können meist durch das Rektoskop angegangen werden. Alle mit Zange oder Schlinge erreichbaren Polypen werden aus teils diagnostischen, teils therapeutischen Gründen abgetragen und völlig der feingeweblichen Untersuchung zugeführt. Während dies ini unteren, extraperitoneal liegenden Rektumbereich auch hei Läsionen der Wand relativ gefahrlos ist, stellen die breitbasigen Rektumpolypen oberhalb von 10 cm Höhe, also im Bereich des intraperitonealen Rektosigmoids, wegen der Perforationsgefahr einen Aufgabenbereich allein fu r den kolonchirurgischen versierten Operateur dar, der eventuell auftretende Komplikationen erkennen und sicher behandeln kann. Besonders die großen villösen Papillome sind auch durch das großlumige Operationsrektoskop oft nur schwer radial zu exstirpieren und können mitunter erheblich bluten. Oft werden diese Befunde daher besser durch eine Rectostomia posterior angegangen. Therapeutische Unsicherheiten sind in den letzten Jahren ausgerechnet durch eine entscheidende diagnostische Verbesserung gegenüber der bisher unzureichen-

1673

den Röntgenuntersuchung hochsitzender Kolonpolypen, nämlich durch die Entwicklung der Kolonoskopie, aufgetreten. Zunehmende Beherrschung und Ausbau der endoskopischen Technik sowie iie Verbesserung fiberoptiseher, flexibler Kolonoskope haben den F.ndoskopiker in die Lage versetzt, mit vertretbarem Aufwand jede Stelle im Bereich des Kolons instrumentell einzusehen (2). Damit bietet sich eine bessere Möglichkeit, Kolonpolypen zu diagnostizieren und sie sofort durch Biopsie histologisch abzuklären. Kleine Polypen werden sicherheitshalber mit der Biopsiezange völlig abgetragen, größere gestielte Polypen werden mit der Hochfrequenzdiathermieschlinge an der Basis abgetrennt und für die vollständige histologische Untersuchung geborgen. Eine Laparotomie und Kolotomie wird damit vermieden. Eine über diesen Indikationsbereich hinausgehende Ausdehnung der operativen Endoskopie bringt den aktiven Gastroenterologen aber in eine Konfrontation mit dem Chirurgen, der dem Ausspruch Demlings (2): »Man glaube, als Endoskopiker nur die Hand ausstrecken zu müssen, um einen Polypen abzutragen«, nicht vorbehaltlos zustimmen kann. Die größeren breitbasigen Adenome und villösen Papillome, bei denen das höchste Risiko einer malignen Entartung besteht, sind glücklicherweise oberhalb der mit dem Rektoskop erreichbaren Kolonabschnitte relativ selten. Die meisten Endoskopiker werden schon aus diesem Grund keine größeren Erfahrungen in der Abtragung hochsitzender breitbasiger Polypen haben. Durch Publikationen wird aber immer wieder der Eindruck erweckt, als könnten auch diese Tumoren bei entsprechender Technik ähnlich gefahrlos wie die gestielten Polypen entfernt werden (1, 3, 5, 8). Die Vorteile und Gefahren der Kolotomie oder der operativen Endoskopie miissen hier aber sehr genau erkannt und gegeneinander abgewogen werden. Die Polypenabtragung durch Laparotomie und Kolotomie erlaubt einen unkomplizierten Zugang zum Kolon und eine übersichtliche Abtragung der breitbasigen Polypen. Dabei ist eine sorgfältige Exzision der gesamten Basis sicher möglich, ebenso eine exakte Blutstillung und ein Verschluß des Schleinihautdefektes. Bei sorgfältiger Technik liegt das Risiko dieser Operation nur gering über dem einer Appendektomic. Von unseren Kranken haben wir bei 31 Polypektoniien durch Kolotomie in einem Jahr keinen verloren. Zahlenangaben über eine Operationssterblichkeit von 2 bis 3%, die im Alter noch ansteigen soll (8), sind für deli einfachen Eingriff der Kolotomie und Polypektomie sicherlich zu hoch angesetzt. In einzelnen Fällen macht die oft zirkuläre Ausdehiiung großer, meist villöser Polypen eine kleine Kolonsegmentresektion erforderlich. Das operative Risiko steigt damit zwar etwas an, der Versuch, derartig ausgedehnte Tumoren mit einer Elektroschlinge abzutragen, ist jedoch ungleich gefahrvoller. Auch die vorherige Unterspritzung dieser Läsionen mit Kochsalzlösung kann zwar eine gewisse Sicherheit gegen eine Perforatioli geben, stellt aber keinen ausreichenden Schutz gegen eine

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

Nr. 33, 15. August 1975, 100. Jg.

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Teller: Pränarale Diagnostik bei hereditären Stoffwechselkrankheiten

folgende Wandnekrose, gegen eine narbige Strikturierung und vor allem gegen eine unvollständige Entfernung des Tumors selbst dar. Da bei den großen breitbasigen Polypen immer eine hohe Entartungstendenz besteht, geben wir die durch eine Laparotomie gewonnenen Tumoren sofort zur pathologisch-anatomischen Schnellschnittdiagnose, um eventuell in der gleichen Sitzung eine notwendige Kolonsegmentresektion anzuschließen. Während also die chirurgische Polypektomie durch Kolotomie bei breitbasigen Polypen ein gut kalkulierbares Risiko darstellt, sind die Gefahren einer endoskopischen Polypektomie mit der Diathermieschlinge kaum zu übersehen. Bereits der Versuch der Kochsalzunterspritzung kann am dünnwandigen Kolon zur unbemerkten Perforation mit nachfolgender Peritonitis führen. Da die Abtragung des breitbasigen Polypen nur schrittweise erfolgen kann, besteht die Gefahr, daß eine auch nur geringe Blutung das Operationsgebiet unübersichtlich macht. Damit steigt das Risiko der Darmwandverletzung und der unvollständigen Entfernung weiter an. Reifferscheid (6) hat schon 1973 auf einen wesentlichen Gesichtspunkt hingewiesen, den wir aus eigener Erfahrung unterstützen können: Für den Endoskopiker als Nichtchirurgen kann es äußerst schwierig sein, eine kleine Perforation, bei der die umgehende operative Versorgung lebenswichtig ist, rechtzeitig, das heißt sofort zu erkennen. Jede Verzögerung einer sofortigen Laparo-

tomie bei Perforationsverdacht am Kolon läßt das Risiko für den Patienten aber erheblich ansteigen. Der einzige Vorteil des endoskopisch operativen Vorgehens wäre eihe Verkürzung des Klinikaufenthaltes. Nach der Polypenentfernung durch Kolotomie beträgt der stationäre Aufenthalt etwa 10 Tage. Da aber bei Patienten, denen ein breitbasiger Polyp endoskopisch abgetragen wurde, auch mindestens 4 bis S Tage Krankenhausnachbehandlung erforderlich werden, sehen wir hier keinen wirklichen ins Gewicht fallenden Vorteil. Literatur Berci, G., J. Panish, L. Morgenstern: Diagnostic colonoscopy and colonoscopic polypectomy. Arch. Surg. 106 (1973), 818.

Demling, L., R. Ottenjann (Hrsg.): Endoskopische Polypektomie im Gatrointcstinaltrakt (Thieme: Stuttgart 1973). Deyhle, P., K. Seubcrth, S. Jenny, L. Dcmling: Endoscopic polypectomy in the proximal colon. Endoscopy 2 (1971), 103.

Holden, W. D., J. W. Cole: Familial polyposis of the colon and rectum. In: Turell, R. (cd.): Diseases of the Colon and Anorectum (Saunders:

PhiladelphiaLondonToronto 1969). (S) Operative Endoskopie - eine Methode mit Zukunft. Mcdizin (1974), 351 (Editorial).

13

Reiíferscheid, M.: Diagnosrik sind Therapie gutartiger Tumoren des Dickdarms. Leber, Magen, Darm 3 (1973), 207.

Roesch, W.: Differentialdiagnose der gastrointestinalen Polypose. In: Demling, L., R. Otienjann (2). Roesch, W., P. Frishmorgen: Endoskopische Polypektomie. Z. praeklin. Geriat, 7 (1974), 149.

Sprart, J. S., F. R. Watson: The rationale of practice for polypoid lesions of the colon. Cancer (Philad.) 28 (1971), 153.

Welch, C. E.: Polypoid lesions of the gastrointestinal tract. In: Major Problems in Clinical Surgery, volume II (Saunders: PhiladelphiaLondon 1964). Wiebecke, B.: Morphologie der Polypen des unteren Verdauungstraktes. In: Demling, L., R. Ottenjann (2).

Privatdozent Dr. E. Heiwing, Prof. Dr. H. Heymann Klinik fiir Ailgemeinchirurgie der Medizinischen Hochschule 3 Hannover, Podbielskistr. 380

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

[674

[Therapeutic problems in colonic polyps from the surgical viewpoint].

1-lelwing, Heymann: Therapeutische Probleme bei Kolonpolypen aus chirurgischer Sicht Aktuelle Therapie Deutsche Medizinische Wochenschrift Redaktio...
53KB Sizes 0 Downloads 0 Views