Übersicht

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Therapieoptionen bei Dekubitalulzera Therapeutic Options for Pressure Ulcers

Autoren

H.-G. Damert 1, F. Meyer 2, S. Altmann 3

Institute

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Schlüsselwörter " Dekubitus l " Druckgeschwür l " Defektdeckung l " Lappenplastiken l Key words " decubital ulcers l " pressure ulcers l " defect coverage l " flap plastics l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0035-1545808 Zentralbl Chir 2015; 140: 193–200 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0044‑409X Korrespondenzadresse Dr. med. Hans-Georg Damert Leiter Department für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie HELIOS Bördeklinik Kreiskrankenhaus 4 39387 Oschersleben Deutschland Tel.: 0 39 49/93 52 10 Fax: 0 39 49/93 53 80 hans-georg.damert@ helios-kliniken.de

Plastische, Ästhetische und Handchirurgie, HELIOS Bördeklinik, Oschersleben, Deutschland, vormals 3 Klinik für Allgemein-, Viszeral- & Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Deutschland Klinik für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Deutschland

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Mit der vorliegenden Arbeit sollen mittels allgemeiner Übersicht über die Pathogenese und Therapie des Dekubitalulkus sowie anhand ausgewählter und repräsentativer Beispiele Möglichkeiten der plastischen Deckung aufgezeigt werden. Infolge der demografischen Entwicklung der Gesellschaft mit einer Zunahme des Anteils älterer Menschen sowie der Fortschritte der modernen Medizin steigt die Zahl multimorbider, geriatrischer und bettlägeriger Patienten, aber auch jener mit protrahiertem Krankenlager stetig an. Somit kommt es bisweilen an disponierten Körperarealen zur Ausbildung unterschiedlich schwerer Grade eines Dekubitalulkus. Während in frühen Stadien eine konservative Therapie zur Behandlung ausreicht, ist in fortgeschrittenen Stadien die chirurgische Therapie zur suffizienten Behandlung unabdingbar. Sowohl zur Erleichterung der Pflege als auch zur Beseitigung eines Infektionsherds kommen plastisch-chirurgische Operationstechniken zur Anwendung. Auch wenn in diesem Artikel Möglichkeiten der Sanierung und Defektdeckung exemplarisch vorgestellt werden, ist die Prophylaxe des Dekubitus noch immer seine beste Therapie.

The aim of this overview is based on remarks on the pathogenesis of and therapy for pressure ulcers and selected but representative cases to demonstrate current options of plastic coverage. As a consequence of the demographic developments, in particular, with regard to the increasing proportion of older patients as well as the advances in modern medicine, the number of multimorbid, geriatric and bedridden patients and of those with prolonged sickbed periods has been steadily growing. Therefore, partly severe manifestations of pressure ulcers at various exposed body regions can be observed in spite of the best preventive intention of care. While in the early stages rather conservative treatment is adequate, surgical intervention might become important and indispensable for a sufficient treatment in advanced stages. To facilitate basic care and to appropriately treat the infectious focus, the methods and procedures of plastic surgery can become relevant. Although there are several options and approaches existing to sanitise and cover defects of pressure ulcers, which are described within the article based on representative cases, preventive measures can still be considered the best approach.

Einleitung

beinen auch ohne Begleiterkrankungen. Nach Schätzungen entwickeln in Deutschland pro Jahr ca. 400 000–500 000 Menschen ein behandlungsbedürftiges Druckgeschwür [6]. Kommt es durch fehlende oder nicht ausreichende Dekubitusprophylaxe zur Ausbildung von Druckstellen, ist die rechtzeitige Erkennung und stadiengerechte Behandlung unabdingbar. Doch leider werden in einer plastisch-chirurgischen Abteilung nicht selten Patienten erst mit großen, superinfizierten Defekten vorgestellt, die bereits über einen längeren Zeitraum „konserviert“ wurden. Große Defekte haben neben dem höheren Infektionsrisiko für

!

Der Dekubitus (syn. Dekubitalulkus, Druckgeschwür, Liegeulkus) entwickelt sich aufgrund einer länger anhaltenden Druckbelastung insbe" Abb. 1). sondere über Knochenprominenzen (l Besonders gefährdet sind multimorbide, geriatrische und bettlägerige Patienten wie auch durchaus jene mit protrahiertem Krankenlager [1–5]. Aber auch bei Para- oder Tetraplegikern treten " Tab. 1). So führt beispielsDekubitalulzera auf (l weise das lange Sitzen im Rollstuhl bei Paraplegikern häufig zu Druckgeschwüren über den Sitz-

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Stirn

Hinterhauptknochen

Ohrmuschel

Jochbein

Schulterblätter

Abb. 1 Prädisponierte Lokalisationen für die Ausbildung von Druckstellen (aus Lauber et al. [1]).

Jochbein Hinterhaupt

Schultergelenke

Brustbein

Schulterblatt

Ellenbogen

Rippen

Dornfortsätze Ellenbogen großer Rollhügel

Sitzbeinhöcker

Dornfortsätze Kreuzbein

Darmbeinstachel

FußFersen spitzen

a Rückenlage

Kniegelenk Wadenbein

Kniescheibe

b Bauchlage

Sitzbeinhöcker Fersen

seitl. Knöchel c 90° Seitenlage

den Patienten, dem größeren Pflegeaufwand, der langen Behandlungsdauer und der höheren Mortalität meist auch höhere Kosten zur Folge. Somit stellt die Prophylaxe i. d. R. die beste Therapie dar. Gut ausgebildete Wundschwestern können neben betreuenden Ärzten das Management der frühen Stadien übernehmen und den Heilungsprozess einschätzen. Bei Fortschreiten der Defekte trotz adäquater Behandlung ist eine Vorstellung bei einem plastischen Chirurgen empfehlenswert, um rechtzeitig [7–9] eine befundgerechte chirurgische Therapie und ggf. Defektdeckung " Abb. 1; Tab. 1). Dies ist i. d. R. gegeben, einleiten zu können (l wenn die Defekte bis in die bradytrophen Gewebeschichten reichen (Grad 3 nach Daniel oder höher). Die Autoren behandeln jährlich durchschnittlich ca. 45 Patienten mit einem Dekubitus, von denen etwa 90 % operativ versorgt werden müssen. Das Ziel der narrativen kompakten Kurzübersicht ist es, basierend auf selektiven Referenzen " eine systematische Betrachtung der pathophysiologischen und therapeutischen Aspekte des im klinischen Alltag bedeutsamen Krankheitsbilds Dekubitalulkus vorzunehmen, " anhand repräsentativer Fallbeispiele zu illustrieren, und " die Rolle der plastischen Chirurgie darzustellen [10].

d im Sitzen

Tab. 1 Typische Patientengruppen für das Auftreten eines Dekubitus. Gruppe 1

" " " " "

Gruppe 2

" "

geriatrische Patienten multimorbide Patienten chronisch Kranke Intensivpflegepatienten Bettlägerige Paraplegiker Tetraplegiker

Tab. 2 Intrinsische und extrinsische Risikofaktoren für die Entstehung eines Dekubitus. intrinsische Risikofaktoren

extrinsische Risikofaktoren

Alter Exsikkose reduzierte Mobilität Gewicht Stoffwechselerkrankungen neurologische Erkrankungen Sensibilitätsstörungen Mangelernährung Inkontinenz Infektion

Lagerung (z. B. Matratze, OP-Tisch) Medikamente Feuchtigkeit schlechte Körperhygiene Hebe- und Lagerungstechnik Reibung und Scherkräfte

Pathophysiologie und Ätiologie !

Die Ursache für die Entstehung von Druckgeschwüren ist eine längere Druckeinwirkung von außen auf die Haut und darunterliegende Weichteile. Diese werden zwischen Unterlage und Knochen komprimiert. Durch diesen Druck kommt es im Gewebe zunächst zu einer Störung der Mikrozirkulation und in der weiteren Folge zur Ischämie des Gewebes. Dies kann zu partiellen oder vollständigen Nekrosen von Haut, Unterhaut, Muskulatur und sogar Knochen mit Entstehung einer Osteomyelitis führen. Reibung und Scherkräfte verschärfen die Durchblutungssituation zusätzlich. Als kritisch gelten Druckwerte von 35–40 mmHg (Okklusionsdruck der Arteriolen) über einen Zeitraum von 2 Stunden [6, 11]. Fehlende Schutzreflexe infolge Lähmung oder Asensibilität begünstigen die Entstehung. Weitere begünstigende Faktoren

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(extrinsische und intrinsische) sind Feuchtigkeit (z. B. Schweiß/ Urin), allgemeine Durchblutungsstörungen, Mangelernährung, Kachexie, mangelnde Pflege, Hauterkrankungen und vieles mehr " Tab. 2). (l

Gradeinteilung !

Für die Einteilung der Ausdehnung eines Dekubitus existieren verschiedene Einteilungen (Guttmann, Shea, Seiler, Campbell, Daniel) [4, 12]. Die Einteilung nach Daniel in 5 Grade erscheint für die Beurteilung und Entscheidung der Therapie, insbesondere

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Tab. 3 Gradeinteilung des Dekubitus nach Shea und Daniel.

Grad 1

Grad 2 Grad 3

Grad 4

Shea

Daniel

umschriebene Rötung der intakten Haut, die nach 2-stündiger Entlastung verschwunden ist Schädigung oder Blasenbildung in den obersten Schichten Schädigung aller Gewebsschichten mit sichtbaren Anteilen von Muskeln, Sehnen und/oder Fettgewebe Beteiligung des Periosts und/oder Knochens im Sinne einer Osteomyelitis

Erythem/Induration der Haut

Grad 5

oberflächliche Ulzerationen Beteiligung der Subkutis Mitbeteiligung von Faszie und Muskeln Mitbeteiligung von Periost und Knochen

" Tab. 3). Weit verbreitet der chirurgischen, praktisch sinnvoll (l ist auch die Einteilung nach Shea.

Prophylaxe !

Das Hauptaugenmerk der Prophylaxe liegt auf der Vermeidung einer länger dauernden Druckbelastung, was heute nicht zuletzt zum obligatorischen Pflegestandard gehört, jedoch auch ärztlicherseits nie aus dem sensiblen Fokus geraten darf. Hierzu zählen wenn möglich die Mobilisation des Patienten sowie Lagerungswechsel und Lagerungshilfsmittel. Es steht eine Vielzahl von Lagerungshilfsmitteln wie Matratzen, Polster etc. zur Verfügung. Insbesondere die exponierten Körperstellen sind zu polstern. Zusätzliche Maßnahmen wie Verbesserung der Ernährungssituation, ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz und Optimierung der Haut- und Körperpflege sind zu beachten [4, 6, 13, 14].

Therapieoptionen !

Konservativ In den frühen Stadien kann eine Restitutio ad integrum durch konservative Maßnahmen erreicht werden: " So reichen bei Grad 1 i. d. R. die Druckentlastung (Mobilisation, Lagerungswechsel, Lagerungshilfsmittel) des geschädigten Bereichs sowie eine fachgerechte Hautpflege. " Für die Behandlung von Grad 2 kommen zusätzlich Wundauflagen wie Hydroaktivverbände zum Einsatz. " Ab Grad 3 ist i. d. R. eine chirurgische Therapie indiziert. Konservative Maßnahmen können allerdings bei Patienten mit fehlender Operationsfähigkeit oder infauster Prognose auch in fortgeschrittenen Stadien notwendig sein.

Operativ Ab Grad 3 (nach Shea, Seiler und Daniel [4, 12]) ist i. d. R. eine Operationsindikation gegeben, da eine Sekundärheilung nicht zu erwarten ist. Man unterscheidet die folgenden Indikationen: 1. vital: bei akuten arteriellen oder venösen Arrosionsblutungen oder Sepsis, 2. absolut: ausgedehnte Osteomyelitis, Gelenkbeteiligungen, multiple tiefe Dekubitalulzera, Narbenkarzinom, 3. relativ: Beseitigung potenzieller septischer Herde, rascher und stabiler Wundverschluss, Pflegeerleichterung, Schmerzlinderung, Prophylaxe der Wundinfektion.

Zur Risikoabschätzung dienen insbesondere die Norton- und auch die Braden-Skala [6, 15]. Auch im Rahmen der operativen Therapie muss die Gesamtsituation des Patienten in die Behandlungsstrategie mit einbezogen werden. So müssen ggf. die Ernährungssituation optimiert werden (z. B. eiweißreiche Ernährung, Spurenelemente), Systemerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Tumorerkrankungen etc.) mitbehandelt oder in manchen Fällen bei sakralen Defekten oder im Bereich der Sitzbeine die Stuhlverunreinigung der Wunden vermieden werden. Hier können Fäkalkollektoren hilfreich sein. In seltenen Fällen haben die Autoren bei rezidivierenden Wundheilungsstörungen/-infektionen durch Fäkalkeime gute Erfahrungen mit zumeist temporärer Anuspraeter-Anlage gemacht. Anzustreben ist ein einzeitiger Eingriff, bei dem sowohl das Débridement als auch der notwendige Defektverschluss in einer Sitzung vorgenommen werden. Dies ist jedoch oft nicht möglich. Bei großen Defekten mit ausgedehnten Infektionen sowie bei Patienten, deren Allgemeinzustand dies nicht zulässt, wird nach Débridement zunächst eine Konditionierung des Wundgrunds mittels VAC-Therapie (VAC: Vacuum assisted closure) vorgenommen. Der definitive Wundverschluss mit einer gut durchbluteten Lappenplastik sollte dann so schnell wie möglich folgen. Bei der Primär-OP wird regelhaft ein Abstrich zur mikrobiologischen Untersuchung abgenommen. Nach einer kalkulierten Antibiotikatherapie mit Basocef wird diese nach Erhalt des Resistogramms ggf. angepasst. Auch postoperativ ist eine entsprechende Lagerungsbehandlung unabdingbar. Sie setzt sich bei uns aus Lagerungswechseln und Lagerungshilfsmitteln zusammen. In der Regel wird postoperativ eine Bettruhe von ca. 10–21 Tagen je nach Lokalisation und Lokalbefund eingehalten. Dann wird bei stabilen Wundverhältnissen mit stufenweisem Sitztraining begonnen. Zur Defektdeckung stehen je nach Körperregion verschiedene Lappenplastiken zur Verfügung: " Glutaeus-Lappen (V–Y-Lappen, myokutan; Gleitlappen, Rotationslappen) – 1. Wahl für sakrale Defekte, " Bizeps-femoris-Lappen – 1. Wahl für Defekte über dem Tuber ischiadicum, " Rectus-femoris- und Tensor-fascia-lata-Lappen – 1. Wahl für Defekte über dem Trochanter major, " Vastus-lateralis-Lappen (Ischialregion).

Vakuumtherapie (Negative-Pressure-Wound-Therapy; NPWT) Eine Möglichkeit zur zwischenzeitlichen Konditionierung bietet die Vakuumtherapie. Bei kleineren, eher oberflächlichen Defekten ohne Destruktion des bradytrophen Fettgewebes oder Beteiligung des Knochens kann ggf. auch eine Sekundärheilung erreicht werden. Bei Patienten, die aus u. g. Gründen nicht für eine Defektdeckung infrage kommen, bietet sie eine Möglichkeit, die Wunde sauber zu halten und ggf. auch zu verkleinern. Gelegentlich kann im weiteren Verlauf noch eine Defektdeckung mittels Lappenplastiken vorgenommen werden. Je nach lokaler Wundsituation empfehlen die Autoren einen Wechsel des Vakuumverbands unter sterilen Bedingungen alle 5–7 Tage.

Indikationsstellung und Behandlungsalgorithmus !

Bei tiefen, chirurgisch zu sanierenden Defekten sollte man absolute und/oder relative Ausschlusskriterien für eine nicht selten belastende operative Therapie berücksichtigen:

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Anamnese, Dokumentation, Gradeinteilung Compliance, Prognose, AZ, EZ Mikrobiologie, Laborparameter (Spurenelemente, Eiweiß) Operation?

konservativ?

(ggf.) ergänzende Eingriffe

Lagerung, Verbände

Débridement/Defektdeckung (Lappenauswahl) Mobilisierung Nachsorge (Reha/Kurzzeitpflege); Prophylaxe Abb. 2 Behandlungsalgorithmus.

" " " " " " " "

infauste Prognose, kardiale Dekompensation, Kachexie verschiedener Ursachen (z. B. Tumorkachexie), dekompensierter Diabetes mellitus, hochdosierte Prednisolon-Therapie, Orientierungsverlust, fehlende Mobilisierungsfähigkeit, mangelnde Kooperationsfähigkeit.

Abb. 3 a bis f a Defekt sakral vor und b nach Débridement, c primäre Defektdeckung mit einseitigem V–Y-Lappen, d Defekt nach Konditionierung

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Die Patienten sollten im Rahmen der Operationsvorbereitung nach einem einheitlichen Standard untersucht und dokumentiert werden: " Laborparameter (insbesondere Eiweiße, Spurenelemente), " Wundabstriche (Resistogramm), " Fotodokumentation, am besten im Verlauf (z. B. wöchentlich), " Krankengymnastik. Bei der Planung der Operation sind individuelle Faktoren des Patienten zu berücksichtigen: Kann z. B. perspektivisch wieder die volle Mobilisierung des Patienten erreicht werden oder handelt es sich etwa um einen paraplegischen Patienten? Die motorische Funktion der verwendeten Muskeln letztgenannter Patienten kann man dann vernachlässigen. Es muss die Möglichkeit von weiteren Defektdeckungen der gleichen oder auch von Nachbarregionen bedacht werden. Weiterhin sollten die Lappen möglichst so groß dimensioniert werden, dass in der Hauptbelastungszone möglichst wenige Narben zurückbleiben. Vorteilhaft sind Lappengrößen, die es erlauben, ggf. bei einem erneuten Defekt noch einmal nachzutransponieren. Insbesondere über Knochenvorsprüngen sollte myokutanen Lappen der Vorzug gegeben " Abb. 2). werden (l Im Folgenden soll anhand von Beispielen die Defektdeckung häufiger Lokalisationen illustriert werden.

Beispiele !

Beispiel 1 a) Männlicher Patient mit großem sakralen Dekubitus ohne VACKonditionierung und primärer Deckung mit einseitigem Glu" Abb. 3 a–c) und b) mit zwischenzeitlicher Vakutaeuslappen (l umkonditionierung nach massiver Infektion. Defektdeckung im Intervall mit beidseitigem myokutanen Glutaeus-V–Y-Lappen " Abb. 3 d–f). (l

mit VAC-Therapie, e Glutaeuslappen am OP-Ende und f 4 Wochen postoperativ.

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Abb. 4 a bis k Dekubitalulcera am Trochanter major bds., a–b primäre Defekte; c–d VAC-Konditionierung nach Débridement; e–h Defektdeckung mit Rectus-femoris-Lappen myokutan (rechts), i–k bzw. Rectus-femoris-Lappen mit Spalthaut (links) gedeckt.

Beispiel 2 25-jähriger Patient mit bekannter Paraplegie nach Kopfsprung in flaches Wasser. Ausgedehnte Dekubitalulzera über beiden Trochanteres mit Superinfektion und Gelenkbeteiligung, in der Häuslichkeit zugezogen. Nach primärem Débridement erfolgte zunächst die Wundkonditionierung mittels VAC-Therapie und im Intervall die Defektdeckung jeweils mit Rectus-femoris-Lappen, welcher auf einer Seite myokutan und auf der anderen Seite als Muskellappen mit Spalthautdeckung transponiert wurde " Abb. 4). Zu bemerken ist hierbei, dass einem myokutanen Lap(l pen stets der Vorzug gegeben werden sollte und nur in Ausnahmefällen ein Muskellappen mit Spalthaut gedeckt werden soll. Die Belastbarkeit von Spalthaut ist deutlich schlechter, weiterhin

neigt sie zur Schrumpfung. Im vorliegenden Fall war dies leider nicht anders möglich.

Beispiel 3 47-jährige Patientin mit Querschnittslähmung nach Verkehrsunfall. Seit 15 Jahren rollstuhlpflichtig. Rezidivierende Defekte im Bereich des Tuber ischiadicum durch langes Sitzen im Rollstuhl. Es wurden bereits beidseitig Bizeps-femoris-Lappen zur Defektdeckung verwendet. Aufgrund von Rezidivulzera wurden diese bereits nachtransponiert. Bei erneutem Druckulkus über dem Tuber ischiadicum links wurde nun ein Tensor-fascia-lata" Abb. 5). Lappen genommen (l

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Abb. 5 a bis d a Defekt über dem linken Tuberculum ischiadicum, welches den kranialen Teil des bereits schon nachtransponierten Bizeps-femoris-Lap-

Beispiel 4 50-jähriger multimorbider Patient mit großflächigen Defekten im Gesäßbereich. Vom linken Tuber ischiadicum findet sich eine tiefe Höhle zum linken Hüftkopf, der bereits nekrotisch war und im Rahmen des Débridements entfernt werden musste. Zwischenzeitlich wurde die Wunde mit einem Vakuumverband konditioniert und die großflächigen oberflächlichen Wunden mit Wundauflagen behandelt. Nach infektfreiem Intervall erfolgte " Abb. 6). die Deckung mit einem Bizeps-femoris-Lappen (l

Beispiel 5 Hierbei handelt es sich um einen Patienten mit mangelnder Compliance. Aufgrund nicht eingehaltener Entlastung bzw. empfohlenen Lagerungswechseln kam es immer wieder zu Druckulzera, auch in bereits abgeheilten Lappenplastiken. Im weiteren Verlauf waren keine Defektdeckungen mehr möglich, sodass die Wunden " Abb. 7 a–c). ausschließlich lokal gepflegt werden mussten (l

Diskussion !

Dekubitalulzera stellen für die betroffenen Patienten eine oft unnötige zusätzliche Belastung zur vorhandenen Grunderkrankung dar. Am häufigsten trifft es geriatrische, chronisch bettlägerige und gelähmte Patienten [2, 3, 11, 16]. Der natürliche Schutzreflex zum Lagerungswechsel ist dann i. d. R. nicht mehr gegeben. Zur Häufigkeit pro Jahr liegen keine gesicherten Daten vor. Es werden

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pens zerstört hat. b–c Hebung und Transposition des Tensor-fascia-lata-Lappens, d eingeheilter Lappen 6 Wochen postoperativ.

in Deutschland pro Jahr ca. 500 000 Fälle geschätzt [3, 6]. Die Therapie ist i. d. R. kostenaufwendiger und langwieriger als die Prophylaxe. Gemäß einer im Internet veröffentlichten Untersuchung der „National Decubitus Foundation“ (www.decubitus.org) verursachen 1 Million Betroffene pro Jahr in den USA Kosten in Höhe von ca. 55 Milliarden Dollar jährlich. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegekräften ist unverzichtbar. Von Beginn an sollte eine regelmäßige Wunddokumentation auch fotografisch erfolgen. Eine begleitende antibiotische Therapie ist in Ergänzung möglich, ersetzt bei fortgeschrittenen Stadien die adäquate chirurgische Behandlung aber nicht. Das frühe Hinzuziehen eines plastischen Chirurgen ist empfehlenswert, um ggf. rechtzeitig eine OP-Indikation zu stellen. Die Autoren empfehlen dieses ab dem Zeitpunkt, da das Druckgeschwür die Subkutanschichten erreicht hat, in aller Regel ab Grad 3. Hier sollte ggf. gemeinsam ein Behandlungsplan festgelegt werden. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Behandlung von Begleiterkrankungen ist des Weiteren anzuraten. Ziel ist die definitive Defektdeckung zur " Vermeidung von Infektionen, " Verkürzung der Behandlung, " Pflegeerleichterung, sowie " Verbesserung der Lebensqualität des Patienten. Hierzu stehen viele Möglichkeiten der plastischen Chirurgie zur Verfügung [6, 17–27]. Anzustreben ist eine einzeitige Versorgung. Sollte dies nicht möglich sein, hat sich in den letzten Jahren die Vakuumtherapie als sehr hilfreich erwiesen. Zum einen zur

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Abb. 6 a bis e Prä- und intraoperative Situation (a–b) mit freiliegendem Hüftkopf. Konditionierung mit VAC (c), Defektdeckung mit einem Bizeps-femoris-Lappen als V–Y-Lappen („Hamstring-Flap“ = Kombination aus Caput

Abb. 7 a bis d

longum des M. biceps femoris, M. semimembranosus und M. semitendinosus) intraoperativ (d) und 10 Tage postoperativ (e).

Rezidivierende Defekte beidseits nach multiplen Lappenplastiken an Gesäß und Sitzbeinen infolge mangelnder Compliance.

Wundkonditionierung/-verkleinerung, zum anderen, um das Risiko einer Wundinfektion zu minimieren. In der Regel kommt man mit lokalen myokutanen Lappenplastiken zur Defekt-

deckung aus, freie mikrovaskuläre Lappen sind hier eher die Ausnahme. Ist perspektivisch keine ausreichende Mobilität des Patienten zu erwarten, muss man bei der OP-Planung spätere mög-

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liche Defektdeckungen mit ins Kalkül ziehen. Wichtig ist auch eine suffiziente postoperative Behandlung mit adäquater Druckentlastung zur Rezidivprophylaxe. Gelegentlich sieht man, insbesondere bei Rollstuhlfahrern, rezidivierende Defekte, welche sich dann auch in den Bereichen der Lappenplastiken ausbilden. Hier müssen bisweilen weitere Lappen zur Deckung Anwendung finden. Bei fehlender Compliance kommt es in einzelnen Fällen zu frustranen Therapieverläufen. In der Zusammenfassung erscheint die Prophylaxe die beste Therapie des Dekubitus.

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[Therapeutic options for pressure ulcers].

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