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Therapeutische Pflege und Rehabilitation: Eine systematische Literaturübersicht Therapeutic Nursing: A Systematic Review

Institute

Schlüsselwörter ▶ therapeutische Pflege ● ▶ rehabilitative Pflege ● ▶ Review ● ▶ Literaturrecherche ● Key words ▶ therapeutic nursing ● ▶ rehabilitation nursing ● ▶ systematic review ● ▶ literature review ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1358386 Online-Publikation: 3.1.2014 Rehabilitation 2014; 53: 237–244 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse Sindy Lautenschläger Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes Fakultät für Sozialwissenschaften Goebenstraße 40 66117 Saarbrücken [email protected]

S. Lautenschläger1, 5, C. Müller2, U. Immenschuh3, J. Muser4, J. Behrens5 1

BDH Bundesverband Rehabilitation, Bonn Medizinische Soziologie und Medizinische Psychologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 3 Katholische Hochschule Freiburg 4 BDH-Klinik Elzach 5 Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2

Zusammenfassung

Abstract

Hintergrund: Seit einigen Jahren haben sich in der medizinischen Rehabilitation therapeutische Leistungskataloge etabliert, die das bisherige Verständnis pflegerischen Handelns erweitern. Aktuell spielt die therapeutische Pflege in der neurologischen Frührehabilitation eine besonders große Rolle, da mit dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) Ziffer 8-552 des GDRG-Systems (DRG = diagnosebezogene Fallgruppen) die Forderung an Pflegende gestellt wird, aktivierend-therapeutisch zu pflegen. Diese Forderung führt zu Unstimmigkeiten in der Praxis und beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), da es auch in der Literatur keine Definition zur therapeutischen Pflege gibt. In einer vorangegangenen Übersichtsarbeit zur therapeutischen Pflege aus dem Jahre 2003 wird primär die Entwicklung der pflegetherapeutischen Rolle, jedoch nicht die therapeutische Pflege fokussiert. Der nachfolgende Beitrag stellt in Form eines systematischen Reviews erstmals den aktuellen Forschungsstand zur Begriffsdefinition therapeutischer Pflege dar. Hierfür wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt, um zu untersuchen, ob national wie auch international Begriffsdefinitionen zur therapeutischen Pflege vorliegen, und zu identifizieren, was die therapeutischen Aspekte pflegerischen Handelns sind. Methoden: In die Recherche wurden die Datenbanken Medline, Cinahl und Embase einbezogen. Zudem erfolgte eine Handsuche in verschiedenen deutschsprachigen Fachzeitschriften sowie Lehr- und Fachbüchern. Ergebnisse: 5 Publikationen wurden identifiziert, die den Begriff „therapeutische Pflege“ definieren. Darunter befinden sich ein Review, eine Primärstudie, 2 theoretische Beiträge und eine Dissertation. Weitere 24 Studien wurden identifiziert, die den Begriff nicht definieren, aber mit dem Thema in engerem Zusammenhang stehen

Background: For some years therapeutic service catalogues have been established in medical rehabilitation which have broadened our previous understanding of nursing actions. Currently, therapeutic nursing plays a prominent role in neurological early rehabilitation because the operations and procedures coding system (OPS) 8-552 within the DRG-System (Diagnosis Related Groups) states that therapeutic nursing must be carried out by specially trained nursing personnel. This requirement leads to inconsistencies in nursing practice and the medical service of the health insurance (MDK) since a definition of therapeutic nursing is lacking. A previous review of therapeutic nursing in 2003 focused primarily on the development of the therapeutic nursing role, but not on therapeutic nursing itself. The following article contains the first systematic review of the current state of research regarding a definition of therapeutic nursing. For this purpose, a systematic study was conducted to examine if there are, nationally or internationally, any definitions of therapeutic nursing and to identify what the therapeutic aspects of nursing are. Methods: The research included following database; Medline, Cinahl and Embase. Additionally, a research by hand of several German journals as well as textbooks and specialized literature was carried out. Results: 5 studies were selected which define the term “therapeutic nursing”. Among these are one review, one primary study, one theoretical discussion and one dissertation. Further twenty four studies were identified which do not define the term, but are closely related to the subject, and use or characterize the term in various contexts. Conclusions: The publications examined provided indications of duties, interventions and roles nurses should perform, but not how to carry





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Autoren

und therapeutische Pflege in unterschiedlichen Kontexten verwenden und charakterisieren. Schlussfolgerung: Die berücksichtigten Publikationen liefern Hinweise darüber, welche Aufgaben, Interventionen und Rollen Pflegende erfüllen sollen, aber nicht wie und was das Therapeutische an der Pflege ist. Jedoch zeigt die geringe Anzahl an Studien, dass die therapeutische Pflege kaum untersucht wurde und verdeutlicht die fehlende theoretische Fundierung durch die Pflegewissenschaft.

these out, nor what is therapeutic about the nursing. At the same time, the low number of studies reveals that therapeutic nursing has barely been examined and demonstrates the lack of theoretically grounding through nursing science.

Hintergrund

Zusammenfassungen eine zusätzliche Perspektive dar, das Vorgehen zur Theorieentwicklung zu unterstützen. In der Medizin und in der Wissenschaftsdisziplin der Gesundheitsfachberufe steht der Begriff „Therapie“ zunächst einmal im Kontext der Gesundheitsversorgungsleistungen. Aufgabe und Anspruch der Rehabilitation ist es, die aus der Krankheit oder chronischen Erkrankung resultierenden Beeinträchtigungen einer betroffenen Person zu minimieren und die Wiederherstellung, Verbesserung oder Erhaltung der Teilhabe an Lebensbereichen zu erreichen, sodass die Rehabilitanden, wenn möglich, beruflich, familiär und sozio-kulturell in einem selbst gewählten Lebensumfeld integriert werden können. Die Entscheidungen zur Behandlung von Rehabilitanden werden am Teilhabebegriff ausgerichtet. Teil der rehabilitativen Versorgungskette sind therapeutische Leistungen. Inzwischen ist die Pflege fester Bestandteil in vielen heutigen Rehabilitationskonzepten in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation zur Erbringung therapeutischer Leistungen. Der Begriff „therapeutische Pflege“ weist sprachlich auf ein weites Feld hin, dessen Grenzen unscharf sind und dessen Merkmale und Inhalte sich nicht auf den ersten Blick erschließen lassen. Dies zeigt sich insbesondere in der klinischen Praxis, in der die Gesundheitsfachberufe, einschließlich der Berufsgruppe der Pflege, dem Begriff unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben und der auch in den Institutionen einer unterschiedlichen Bedeutung unterliegen. Für Pflegende hat eine einheitliche Definition therapeutischer Pflege eine große Bedeutung, weil sie damit ein gemeinsames Verständnis für die Berufsgruppe herausbilden können, Unstimmigkeiten im interdisziplinären Team reduziert werden und die komplexen Zusammenhänge therapeutischer Pflege erklären können. Aus diesem Grund besteht das Ziel dieser Arbeit darin, eine systematische Literaturübersicht durchzuführen und zu untersuchen, wie therapeutische Pflege in der Literatur definiert wird und welche Theorien, Modelle sowie Konzepte entwickelt wurden, die mit therapeutischer Pflege in Zusammenhang stehen. Die systematische Literaturrecherche ist Teil einer Studie, mit der eine Theorie zur therapeutischen Pflege in der neurologischen (Früh-)Rehabilitation entwickelt wird. Es wird nicht beabsichtigt zu beschreiben, welche Methoden und Interventionen therapeutisch Pflegende in der Praxis anwenden und in welchen Praxisfeldern sie eingesetzt werden.



Innerhalb der neurologischen (Früh-)Rehabilitation spielt die therapeutische Pflege aktuell eine besonders große Rolle und ist ein viel diskutierter Begriff. Bereits im Jahr 2004 wurde von der m&i-Klinikgruppe Enzensberg in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für neurologische Rehabilitation (DGNR) und weiteren Anbietern der neurologischen Frührehabilitation ein Vorschlag zur neurologisch-neurochirurgischen Komplexbehandlung innerhalb des DRG-Systems (Diagnosis Related Groups = diagnosebezogene Fallgruppen) beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eingereicht. Dieser Vorschlag ist mit geringen Veränderungen inzwischen als Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8–552 für die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation in den Katalog aufgenommen worden [1]. Eines der 5 Mindestmerkmale, die mit dem OPS 8–552 gefordert werden, ist die aktivierend-therapeutische Pflege durch besonders geschultes Personal [2]. Aus diesem Grund drängen die Kostenträger darauf, dass die Mindestmerkmale der Ziffer 8-552 des OPS erbracht und dokumentiert werden. Allerdings führte die Auslegung der Mindestmerkmale in Bezug auf die therapeutische Pflege zu inhaltlichen Auseinandersetzungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) [3]. Es gab zunächst Dissonanzen darüber, wie der Begriff therapeutische Pflege definiert werden kann. Als Beispiel für Baden-Württemberg konnten diese Auseinandersetzungen in der BDH-Klinik Elzach mit dem „Elzacher Konzept und Leistungskatalog der therapeutischen Pflege in der neurologischen Frührehabilitation“ [4] beigelegt werden. Neben dem Elzacher Leistungskatalog existieren weitere pflegetherapeutische Leistungskataloge, wie: ▶ KTL: Klassifikation therapeutischer Leistungen in der medizinischen Rehabilitation [5], ▶ FRP-Katalog: Katalog über zentrale Inhalte der Rehabilitationspflege in der neurologischen Frührehabilitation [6], ▶ KtP: Katalog therapeutischer Pflege [7], ▶ AKpL: Asklepios Katalog für pflegetherapeutische Leistungen [8]. Die Kataloge fokussieren pflegetherapeutische Interventionen, ohne den Begriff der therapeutischen Pflege zu definieren und insbesondere zu beschreiben, wie diese Pflege durchgeführt wird und was das Therapeutische an diesen Interventionen ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang der Begriff erscheint und von welchen Merkmalen und Kriterien dieser geprägt ist. Grundsätzlich bedarf es eines Theoriefundamentes, auf dem die therapeutische Pflege beruht, um das therapeutische Handeln für die Praxis zu begründen. Systematische Reviews (SR) fassen primär das Wissen aus klinischen Studien zusammen, bilden die Grundlage für evidenzbasierte Leitlinien, HTA-Reports (Health Technology Assessment) [9] und stellen durch systematische

Methoden



Kriterien für den Studieneinschluss Da die Annahme besteht, dass nur wenige Untersuchungen zu diesem Thema innerhalb der neurologischen (Früh-)Rehabilitation vorliegen, erfolgte die Literatursuche in allen Indikationsbereichen, in denen die Pflege tätig ist. Weiterhin werden auf Basis

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Tab. 1 Medline-Suchstrategie. Schritt

Suchbegriffe und logische Verknüpfung

spezifische Suche

Rehabilitation nursing [all fields] AND definition [all fields] AND perception [all fields] AND models nursing [all fields] AND models theoretical [all fields] AND concept [all fields] AND nurse’s role [all fields]; stroke nurse [all fields]; therapeutic nursing [all fields]; AND German [lang] AND English [lang]

Extraktion folgender Parameter Aus den Studien, theoretischen Diskussionen, Modellen und Dissertationen wurden Ergebnisse zu folgenden Themen extrahiert:

Primär: Definitionen zur therapeutischen Pflege. Sekundär: Beschreibungen, die charakterisieren, wie die therapeutische Pflege durchgeführt wird und was das Therapeutische an der Pflegehandlung ausmacht. Beschreibungen, die den Begriff zwar nicht definieren, aber verwenden und mit dem Thema in engerem Zusammenhang stehen, wie z. B. der Beschreibung von Aufgaben, Haltungen,

Eingeschlossen

Eignung

Suchstrategie Die elektronische Recherche wurde im April 2012 durchgeführt, wobei folgende Datenbanken abgefragt wurden: Medline (seit 1966), Cinahl (seit 1982) und Embase (seit 1974). Zusätzlich wurde eine Handsuche in Pflegelehrbüchern, nach Pflegetheorien und in den Fachzeitschriften „Die Rehabilitation“ (01/2001– 04/2012), „Aktuelle Neurologie“ (01/2001–04/2012), „Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin“ (01/ 2001–04/2012), „Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie“ (02/1998–07/2013), „Psychiatrische Pflege Heute“ (02/2001– 06/2013), „Psychiatrische Praxis“ (01/2001–07/2013), „Pflege und Gesellschaft“ (01/1996–04/2012), „Pflege“ (01/1999– 04/2012), „Pflegewissenschaft“ (09/2001–04/2012) und „Pflegezeitschrift“ (01/1999–04/2012) durchgeführt. Die Suchsyntax erfolgte durch Textwortsuche für bekannte Synonyme und es wurden soweit möglich die Schlagwortsysteme der Datenbanken (z. B. MeSH-terms in Medline) verwendet. Die Suchsyntaxen wurden kombiniert, um nach Modellen, Konzepten, Rollen und einer Definition in Zusammenhang mit therapeutischer Pflege ▶ Tab. 1 dargezu suchen. Die Suchstrategie für Medline ist in ● stellt. Eine erste Auswahl relevanter Publikationen anhand der Einschlusskriterien erfolgte anhand der Titel und Abstracts durch 2 unabhängige Autoren (SL, CM). Die relevanten Publikationen wurden anhand des Volltextes hinsichtlich der Einschlusskriterien genauer analysiert. In Anlehnung an die Empfehlung der Cochrane Collaboration und der PRISMA-Initiative über das Berichten von systematischen Übersichtsarbeiten wurde das PRISMA-Statement (Preferred Reporting Items for Systematic reviews and Meta-Analyses) [10] herangezogen. Analog der PRISMA-Empfehlung erfolgt die transparente Darstellung der ein- und ausgeschlossenen Studien in dem 4-stufigen Flussdia▶ Abb. 1. gramm in ●

Datenbankrecherche (n= 856)

Vorauswahl

Identifikation

dieser Annahme sowohl qualitative als auch quantitative Studiendesigns, Reviews, Pflegetheorien, Konzepte, Modelle sowie Positionen und Expertenmeinungen in die Literaturübersicht eingeschlossen. Inhaltlich sollte der Begriff „therapeutische Pflege“ definiert oder das Modell, die Theorie oder die Konzepte mit Pflege als therapeutischen Aspekt in Zusammenhang stehen. Neben der inhaltlichen Relevanz wurden nur englisch- und deutschsprachige Publikationen eingeschlossen.

Recherche in anderen Quellen (n= 460)

Dublikate (n= 163) Ohne Abstract (n= 212) Nicht deutsch- oder englischsprachige Artikel (n= 26)

In Vorauswahl aufgenommen (n= 915)

Ausgeschlossen (n= 854)

Volltext auf Eignung beurteilt (n= 60)

Volltextartikel ausgeshlossen (n= 31)

Studien eingeschlossen (n= 29)

Abb. 1 Flussdiagramm zum Verlauf der Literaturrecherche in Anlehnung an PRISMA-Statement [10].

Einstellungen, und Rollen von Pflegenden in Zusammenhang mit therapeutischer Pflege.

Ergebnisse



Die Recherche in den Datenbanken führte zu 521 Referenzen in MEDLINE, 181 Referenzen in CINAHL und 154 Referenzen in ▶ Abb. 1). Die Handsuche in Pflegelehrbüchern, EMBASE (s. ● nach Pflegetheorien und in Fachzeitschriften ergab 460 Treffer. Nach dem Ausschluss der Dubletten, Referenzen ohne Abstract und der Selektion nach Sprache (nur Deutsch und Englisch) blieben 915 Referenzen, für die die Einschlusskriterien zu überprüfen waren. Für jede identifizierte Referenz wurden Titel und Abstract auf die vorher definierten Einschlusskriterien überprüft. Nach dem ersten Screening durch 2 unabhängige Reviewer wurden 854 Referenzen ausgeschlossen. Anschließend haben die Reviewer die Volltexte der übrigen 61 Treffer einer genaueren Prüfung hinsichtlich der Einschlusskriterien unterzogen. 37 Referenzen wurden von diesen ausgeschlossen. Ausgeschlossen wurden Referenzen, wenn der Begriff „therapeutische Pflege“ nicht in Titel, Abstract oder im Text vorkam, wenn der Begriff „therapeutische Pflege“ nur benannt, aber nicht erklärt oder definiert wurde, oder wenn der Begriff „therapeutisch“ in einem anderen Zusammenhang als gesucht verwendet und ebenfalls nicht erklärt wurde, wie therapeutische Intervention, therapeutische Wirkung und therapeutische Praxis. Von den selektierten 24 Artikeln wurden 5 in das Review eingeschlossen, da sie den Begriff der therapeutischen Pflege direkt definieren. 19 Artikel wurden als mit dem Thema in Zusammenhang stehend identifiziert. In diesen wird der gesuchte Begriff zwar nicht definiert, aber er wird in Zusammenhang mit bestimmten Bereichen verwendet und beschrieben, die wiederum die Perspektive im Gebrauch des Begriffes erweitern.

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Sprachrestriktion

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Tab. 2 Gesamtüberblick über die in den Ergebnissen beschriebenen Studien. Autoren

Land

Fachgebiet

Studien-Design/Methode

Stichprobe

Review

Theorie

Positionspapier, Expertenmeinung, Konzepte, Modelle, theoretischer Beitrag

USA USA UK

Psychiatrie Diverse* Geriatrie

Kitson A (1987) Kitson A (1991)

UK UK

Geriatrie Geriatrie

O’Conner SE (1993) Orem DE (1995) Kirkevold M (1997) McGuinness SD, Peters S (1999) O’Conner SE (2000) O’Conner SE (2000)

UK USA NOR CAN UK UK

Neurologie Diverse* Neurologie Neurologie Neurologie Neurologie

Freshwater D (2002) Long AF et al. (2002)

UK UK

Diverse* Traumatologie Orthopädie Neurologie

Pryor J, Smith C (2002)

AUS

Diverse*

Edwards A (2002)

UK

Walsh B et al. (2007)

UK

Rehabilitation allgemein Rehabilitation

Burton CR (2003) Royal College of Nursing (RCN) (2007) KTL (2007) KtP (2007) Jensen M (2008) Finfgeld-Connett D (2009) Gerdelmann N (2009) Kirkevold M (2010) AKpL (2010) FRP-Katalog (2011) Elzacher-Leistungskatalog (2011) Bundesverband Geriatrie Boering D et al. (2011)

UK UK GER GER GER USA GER NOR GER GER GER GER GER

Neurologie Diverse* Rehabilitation Neurologie Psychiatrie Psychiatrie Diverse* Neurologie Neurologie Neurologie Neurologie Geriatrie Neurologie

X X Evaluationsstudie Fragebogen, nicht-teilnehmende Beobachtung

N = 25 N = 24

Evaluationsstudie Fragebogen, nicht-teilnehmende Beobachtung

N = 25 N = 24

X

X X X X X Explorative Studie Fragebogen, Interviews, Dokumentenanalysen

N = 34 N = 90

Ethnografische Studie Beobachtung, leitfadengestützte Interviews, Experten-Workshops Explorative Studie Tiefeninterviews Fokusgruppen-Interviews

N = 49 N = 158 N = 74

X

N = 13 N = 21 X

Explorative Studie Fokusgruppen-Interviews

N = 19 X X X X X X X X X X X X X

Diverse* = kein festgelegtes Fachgebiet

Unter den 24 ausgewählten Treffern befinden sich 4 Reviews, 6 Primärstudien, 3 Pflegetheorien und 11 Konzepte, Modelle oder Expertenmeinungen. Die wichtigsten Studienmerkmale (z. B. Autor, Jahr, Design, Methodik, Stichprobe) dieser Artikel wurden ▶ Tab. 2). Im Folgenden extrahiert und tabellarisch festgehalten (● werden die Ergebnisse der Reviews, der Studien und der theoretischen Beiträge dargestellt, die die therapeutische Pflege definieren oder zumindest mit dieser in einem engeren Zusammenhang stehen.

Eingeschlossene Referenzen Burton [11] erstellte ein Review mit dem Ziel, therapeutische Pflegeinterventionen in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zusammenzufassen. Das Review wurde eingeschlossen, weil in der Beschreibung des

theoretischen Hintergrundes explizit eine Literaturübersicht und eine Beschreibung des Begriffs der therapeutischen Pflege dargestellt werden. In der Übersichtsarbeit werden die Publikationen zur therapeutischen Pflege von Uys [12], Sherwood [13], Kirkevold [14] und Kitson [15] aufgegriffen. Die darin aufgeführten Beschreibungen zur therapeutischen Pflege werden als Kernelemente eines Konzeptes therapeutischer Pflege in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten zusammengefasst. Burton [11] kommt zu dem Ergebnis, dass therapeutische Pflege die individuellen Bedürfnisse der Patienten in den Vordergrund stellt und diese auf einer erfolgreichen Pflege-Patienten-Beziehung beruhen, die Entwicklung von Bewältigungsstrategien unterstützt, an den aus dem Schlaganfall resultierenden Beeinträchtigungen und noch vorhandenen Fähigkeiten anknüpft sowie das soziale Umfeld der Betroffenen einbezieht. Darüber

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Peplau H (1952) Travelbee J (1972) Kitson A (1986)

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hinaus wird postuliert, dass therapeutische Pflege kommunikative Kompetenzen erfordert sowie Wissen und Verständnis über den Verlauf der Rehabilitation des Schlaganfalls [11]. In einer Evaluationsstudie und Dissertation entwickelte Kitson [12, 16] Indikatoren zur Beurteilung der Pflegequalität in der Geriatrie und beschreibt innerhalb ihrer Vorannahmen, was sie unter professioneller therapeutischer Pflege versteht. Daraus geht hervor, dass das Ziel therapeutischer Pflege darin besteht, dass Patienten eine optimale Unabhängigkeit in allen Selbstpflegeaktivitäten erreichen, als Individuen behandelt, respektiert und dazu ermutigt werden, eigene Entscheidungen zu treffen. Weiterhin hat die Arbeitsgruppe der Bobath Initiative für Kranken- und Altenpflege (BIKA) [17] basierend auf einer Literaturrecherche und Konsensfindung mit Experten eine Definition zur aktivierend-therapeutischen Pflege entwickelt: „Therapeutisch aktivierende Pflege bezieht sich auf Menschen mit Pflegebedarf und bildet die Grundlage für die Entwicklung von körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Sie bezieht die vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten ein, und stellt sie in einen sinnvollen Kontext. Die therapeutisch aktivierende Pflege ist gekennzeichnet durch einen Beziehungsprozess mit zielgerichteten Maßnahmen und Aktivitäten. Interventionen im Rahmen der therapeutisch aktivierenden Pflege sowie Zielsetzung derselben werden gemeinsam mit Patienten, dem Team und den Angehörigen geplant, durchgeführt und im Prozess evaluiert“ [17]. Darüber hinaus werden mit der Definition weitere Handlungskompetenzen gefordert, wie die Erhebung, Einschätzung und Beurteilung des Gesundheitszustandes eines Patienten, die Fähigkeiten zur individuellen Anleitung, Beratung, Begleitung, Entwicklung von Bewältigungsstrategien zur Begleitung des Patienten, Fertigkeiten, um Patienten-Bewegungen erfahrbar zu machen und Bewegungen durch Wiederholungen zu festigen sowie ihre Eigenverantwortung zu fördern [17]. Auch der Bundesverband Geriatrie hat den Begriff der aktivierend-therapeutischen Pflege definiert. In dieser Definition werden, wie in der Definition durch die BIKA, folgende Aspekte genannt, die aktivierend-therapeutische Pflege kennzeichnen. Sie ist gekennzeichnet durch den Beziehungsprozess zum Betroffenen mit der Beachtung von Fähigkeiten und Ressourcen, der Durchführung zielgerichteter Interventionen und Motivation mit dem Ziel einer optimal zu erreichenden Mobilität, Selbstständigkeit und Teilhabe. Dabei erfolgt die Pflege gemeinsam mit dem Betroffenen im interdisziplinären geriatrischen Team und ggf. mit den Angehörigen [18].

a) Professionelle, therapeutische Pflege

Mit dem Begriff therapeutischer Pflege in Zusammenhang stehende Referenzen

d) Nutzung der Fähigkeit zur Metakognition

Die in Zusammenhang stehenden Referenzen bringen den Begriff der therapeutischen Pflege mit folgenden Themen in Verbindung: a) Professionelle, therapeutische Pflege b) Therapeutische Selbstpflegeerfordernisse c) Therapeutische Beziehung d) Nutzung der Fähigkeit zur Metakognition e) Therapeutische Rolle von Pflegenden f) Abgrenzung therapeutischer Pflege von weiteren Pflegearten g) Therapeutisches Handeln in eskalierenden Situationen h) Therapeutische Leistungskataloge i) Weiterbildungen im Zusammenhang mit therapeutischer Pflege

Ende der 1980er Jahre verwendet Kitson [16, 19] den Begriff „therapeutic nursing“. Dabei legt sie dar, dass die Qualität professioneller Pflege darin besteht, Defizite bei der Pflege durch Laien zu erkennen und diesen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Sie postulierte, dass dem Patienten und seinen Angehörigen die Fähigkeiten zu vermitteln sind, mit denen sie ihre Selbstständigkeit wiedererlangen können. Diese Art professioneller Pflege bezeichnet sie als „therapeutische Funktion von Pflegenden“. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Einstellung von Pflegenden, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten sowie die Befähigung von Patienten und Angehörigen zur Selbstständigkeit Aspekte einer professionellen, therapeutischen Pflege sind [19].

Orem [20] verwendet in ihrer Pflegetheorie „Konzepte der Praxis“ den Begriff „therapeutische Selbstpflegeerfordernisse.“ Orem [20] führt aus, dass jeder Mensch Selbstpflegeerfordernisse besitzt, die sich individuell unterscheiden. Sind Patienten nicht mehr in der Lage, diese selbst zu erfüllen (Selbstpflegedefizit), können diese durch Pflegende übernommen werden. Selbstpflegeerfordernisse eines Menschen werden als seine Bedürfnisse beschrieben, die Pflegende erfassen, um entsprechende Ziele und Maßnahmen abzuleiten. Mithilfe pflegerischer Interventionen soll der Patient dazu befähigt werden, seine individuellen Selbstpflegeerfordernisse wieder selbstständig durchzuführen [20].

c) Therapeutische Beziehung McGuinness und Peters [21] beziehen sich in ihrer Arbeit auf die Pflegetheorie von Peplau [22], die sie als Modell innerhalb der Pflege von Menschen mit multipler Sklerose in Verbindung bringen. Dabei beschreiben sie die 4 Phasen, die nach Peplau [22] eine therapeutische Beziehung zwischen Pflegenden und Patienten kennzeichnen: a) die so genannte Orientierungsphase, an die sich b) die Phase der Identifikation mit den Gefühlen des Patienten anschließt und c) die Phase der Beziehungsbindung zwischen Patient und Pflegekraft, in der Fragen und Probleme aufgegriffen und möglichst selbst gelöst werden sollen. Erst in der Phase der Loslösung d) ist der Patient so selbstständig, dass er unabhängig von Pflegenden mit seiner Erkrankung umgehen kann. Peplau [22] erklärt, dass die einzelnen Phasen nicht immer linear durchlaufen werden, sondern sich von einer Phase auch wieder zurück zur vorherigen bewegen können.

Freshwater [23] verwendet den Begriff der therapeutischen Pflege in dem Fachbuch „Therapeutic Nursing“ und erklärt, dass Pflege auf Beziehung beruht, die sich in einem ständigen Fluss der Veränderung befindet. Diese Beziehungsebene zum Patienten ist Grundlage, um Informationen über den Patienten zu erhalten, damit eine individuelle Pflege durchgeführt werden kann. Dazu beschreibt er, wie Pflegende ihre Persönlichkeit nutzen können, um durch „Therapie“ das Potenzial des Patienten auszuschöpfen. Leitende Prinzipien sind dabei die Reflexion der Praxis und ihre kritische Reflexivität, die auf Selbstbewusstsein und Selbstevaluation basieren und die Voraussetzung für eine eigenständige und erklärbare therapeutische Pflege sind [23]. Analog zu Freshwater [23], beschreibt Travelbee [24] in ihrer Pflegetheorie „Interpersonal Aspects of Nursing“, dass Pflegende ihre Persönlichkeit und ihr Wissen auf eine therapeutische Art nutzen können, um eine Änderung bei Patienten anzustoßen.

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b) Therapeutische Selbstpflegeerfordernisse

e) Therapeutische Rolle von Pflegenden O‘Conner [25] beschäftigt sich in seiner Übersichtsarbeit mit der Fragestellung, wie therapeutische Interventionen von Pflegenden im multidisziplinären Team beschrieben und erklärt werden können. Die Rolle von Pflegenden als Unterstützer anderer Professionen, ihre Rolle und Funktion im Rahmen der Entlassplanung sowie ihre Verantwortung über 24-Stunden am Tag wird hervorgehoben. Zusammenfassend kommt er zu dem Schluss, dass die Rolle von Pflegenden in der Rehabilitation definiert ist, aber nicht beschrieben wird, was das Therapeutische an den Pflegeinterventionen ist [25]. Pryor und Smith [26] greifen diese Forschungslücke auf und untersuchen in ihrer Studie die Rolle von Pflegenden in der Rehabilitation. Als Ergebnis halten sie fest, dass rehabilitative Pflege: eine rehabilitative Einstellung von Pflegenden erfordert, Pflegende die Rolle des Lehrens und Begleitens einnehmen, Patienten beobachten, Assessments durchführen und interpretieren, Fürsprecher der Patienten sind und die Überwachung und Sicherstellung der Qualität in der Praxis übernehmen [26]. Kirkevold [14] untersucht die spezifische Rolle von Pflegenden in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten und identifiziert 4 Funktionen, die Pflegende einnehmen, und zwar interpretierende, tröstende, aufrechterhaltende und integrierende Funktionen. In Bezug auf die interpretierende Funktion unterstützen Pflegende die Patienten und ihre Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung und der Entwicklung von neuen Perspektiven. Die tröstende Funktion bezieht sich auf die emotionale Unterstützung der Rehabilitanden. Die wichtigste Aufgabe besteht im Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, Förderung von Heilung und einen Beitrag zu leisten, die vorhandenen Fähigkeiten des Patienten zu erhalten. In ihrer integrierenden Funktion binden Pflegende die vom Patienten erlernten Fähigkeiten aus der Trainingssituation heraus in den Alltag ein [14]. O’Conner [27] nimmt Bezug auf die Studie von Kirkevold [14] und merkt kritisch an, dass sie lediglich Aufgaben von Pflegenden beschreibt, aber nicht wie diese durchgeführt werden. O’Conner [28] untersucht in seiner Studie die Art und Weise, wie die Pflege auf Stroke-Units erfolgt. Patienten und ihre Angehörigen stehen im Zentrum der Pflege und werden aktiv einbezogen. Weiterhin erklärt er, dass Pflegende bei der Durchführung ihrer Tätigkeiten mit allen anderen Berufsgruppen im Team zusammenarbeiten, um diese Ziele zu erreichen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass die Pflege kontinuierlich erfolgt, Fähigkeiten der Patienten trainiert werden und eine entsprechende Atmosphäre geschaffen wird, in der das Trainieren und Lernen möglich wird [28]. O‘Conner [27] weist darauf hin, dass Pflegende die Fähigkeit benötigen zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt im Behandlungsprozess zu intervenieren ist. Pflegende halten sich im Hintergrund und nehmen dem Patienten keine Tätigkeiten ab, sondern regen sie dazu an, ihre Pflege wieder selbst durchzuführen. In Bezug auf die Schlaganfallrehabilitation wird für die Berufsgruppe der Pflege eine entsprechende Ausbildung und Weiterbildung für alle Pflegekräfte gefordert [27]. Nach der Kritik an der Studie von Kirkevold [14] durch O’Conner [27] überarbeitete diese die 4 Rollen von Pflegenden und entwickelte ein theoretisches Konzept über die Rolle von Pflegenden in der Rehabilitation. Das Konzept beginnt in der postakuten Phase. In dieser Phase übernehmen Pflegende die 4 Rollen: interpretierende, tröstende, erhaltende und integrierende Funktion sowie die medizinisch-pflegerische Überwachung. Daran schließt sich die erste Phase der Rehabilitation an, gefolgt von

der Phase der kontinuierlichen Rehabilitation und letztendlich die semistabile Phase der Rehabilitation [29]. Long et al. [30] greifen ebenfalls die Rolle von Pflegenden innerhalb des multiprofessionellen Teams auf. Dabei werden 6 Rollen dargestellt, die Pflegende im multidisziplinärem Reha-Team einnehmen: Assessment, Koordination und Kommunikation, technische- und körperliche Pflege, Therapieintegration und carryon, emotionale Unterstützung und Einbezug der Angehörigen. Walsh et al. [31] untersuchten die Rolle von Pflegenden in der Rehabilitation und identifizierten 4 unterschiedliche Rollen. Eine dieser ist die therapeutische Rolle, die als eigenständige Rolle der Pflege verstanden wird. Im Vordergrund stehen die eigenständige Entscheidungsfindung, kommunikative Fähigkeiten und die Aktivierung der Patienten [31]. Das Royal College of Nursing [32] beschreibt, dass therapeutische Pflege in der Rehabilitation spezielles Wissen und Fähigkeiten erfordert. Unter anderem führen sie hierfür notwendige Kenntnisse über den Assessmentprozess, den Zielsetzungsprozess sowie Kenntnisse über die Therapieplanung und die Evaluation an. Die Therapiestrategien, die sich Pflegende zu eigen machen, beziehen sich auf das Wechselspiel zwischen Hands-Off– Skills und Hands-On-Skills, d. h. zu entscheiden, in welchen Situationen der Patient direkte Hilfestellung bei der Durchführung von Handlungen benötigt und in welchen Situationen der Patient zur Eigenübernahme angeregt wird und dabei die Pflegehilfestellung reduziert wird bis hin zur vollständigen Übernahme vonseiten des Patienten [32].

f) Abgrenzung therapeutischer Pflege von weiteren Pflegearten Edwards [33] verfolgt das Ziel, ein Modell zu entwickeln, das Pflegende darin unterstützt, ihren komplexen Beitrag innerhalb des Reha-Prozesses wahrzunehmen und ihr Potenzial zu erkennen. Sie beschreibt in ihrem Modell unterschiedliche Arten der Pflege. Diese können entweder therapeutisch, präventiv oder akut/palliativ sein. Die Art der Pflege ist dabei von den Fähigkeiten des Patienten abhängig [33]. In diesem Modell (wie auch von O‘Conner [27] und RCN [32] beschrieben) wird therapeutische Pflege als „Hands-off“-Pflege dargestellt. Sie grenzt therapeutische Pflege von Präventiv-, Akut- und Palliativpflege ab [33].

g) Therapeutisches Handeln in eskalierenden Situationen Finfgeld-Connett [34] fasst in einer qualitativen Übersichtsarbeit zusammen, wie Pflegende auf therapeutische Weise mit eskalierenden Situationen in der Psychiatrie umgehen können. Auf therapeutische Weise reagieren Pflegende, wenn sie intuitiv die Situation erfassen und handeln oder sich an Richtlinien und ihre eigenen Erfahrungen halten. Unabhängig von einer dieser beiden Varianten ist ein wesentliches Merkmal therapeutischen Handels, dass Pflegende in dem jeweiligen situativen Kontext authentisch bleiben, das Prinzip der Reziprozität beachten, Grenzen setzen und zusammen im Team arbeiten. Demgegenüber ist pflegerisches Handeln in einer eskalierenden Situation nicht therapeutisch, wenn Pflegende losgelöst vom Kontext handeln [34].

h) Therapeutische Leistungskataloge Sowohl im Bereich der neurologischen als auch der geriatrischen Frührehabilitation wurden therapeutische Leistungskataloge entwickelt. Für den Fachbereich der neurologischen Frührehabilitation existieren verschiedene Kataloge (siehe Hintergrund). In diesen Katalogen werden therapeutische Pflegeinterventionen

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aufgelistet. Dadurch wird ersichtlich, welche Handlungen in diesen Fachbereichen als therapeutische Pflegehandlungen gelten. Die einzelnen Handlungen können an dieser Stelle aufgrund ihres Umfangs nicht einzeln aufgezählt werden. Zur Vollständigkeit werden zusammenfassend die Bereiche genannt, unter die sich die jeweiligen Handlungen subsumieren lassen, und zwar: Training der Körperpflege, Esstraining, Training der Kontinenz und Toilettentraining, Training der Mobilität, Atmung, Kommunikation, Kognition und Emotion, Anleitung und Schulung von Angehörigen sowie die Dokumentation. In den Leistungskatalogen werden zwar die Handlungen genannt, jedoch wird nicht beschrieben, wie die Pflege erfolgen soll und was das Therapeutische an dieser ist. Weiterhin beruhen die Kataloge auf Erfahrungen aus der Praxis und basieren nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen. Gleiches trifft auch auf den Pflegekomplexmaßnahmenscore (PKMS) [35, 36] zu.

i) Weiterbildungen im Zusammenhang mit therapeutischer Pflege Die DGNR hat ein Curriculum zur aktivierend-therapeutischen Pflege für Gesundheits- und Krankenpfleger/-pflegerinnen in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation entwickelt [37]. Ein weiteres Curriculum zum Pflegetherapeut/Pflegetherapeutin besteht für die Psychiatrie mit dem „Andernacher Modell“ [38]. Beide Curricula stellen die Inhalte mit Stundenzahl im Curriculum dar, die hier nicht im Detail aufgeführt werden können. Anhand der Curricula wird ersichtlich, in welchen Bereichen im Hinblick auf die therapeutische Pflege Weiterbildung stattfindet. Wie therapeutische Pflege durchgeführt wird und was das therapeutische an dieser ist, geht auch daraus nicht hervor. Die ausgewählten Inhalte gehen nicht auf empirische Untersuchungen zurück, sondern beruhen aus Erfahrungen aus der Praxis.

Diskussion



Anhand der vorgestellten Ergebnisse zur therapeutischen Pflege werden sowohl Chancen als auch Probleme der theoretischen Fundierung deutlich. Die Literaturübersicht sollte die Frage beantworten, welche Definitionen zur therapeutischen Pflege vorliegen und welche Beschreibungen identifiziert werden können, die die therapeutischen Elemente der Pflegehandlung charakterisieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint die wissenschaftliche Datenlage im Hinblick auf die therapeutische Pflege lückenhaft. In den vorliegenden Publikationen werden die Kompetenzen von Pflegenden dargestellt, die vorhanden sein müssen, um therapeutische Pflege durchführen zu können. Beispielsweise sind Fertigkeiten, spezifisches Wissen mit therapeutischem Bezug, eine bestimmte Einstellung zur Rehabilitation, kommunikative Fähigkeiten, Beobachtungs- und Entscheidungsfähigkeit und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion notwendige Voraussetzungen hierfür. Darüber hinaus werden unterschiedliche Rollen und Aufgaben dargestellt, die Pflegende in der Rehabilitation einnehmen, wie die Rolle als Lehrer und Anleiter, Begleiter, Berater, Beobachter, Fürsprecher des Patienten, Beurteiler und Interpret, Kontrolleur, Manager und Koordinator. Als Aufgaben und Ziele werden das Aufrechterhalten der Fähigkeiten von Patienten, die Integration ihrer erworbenen Fähigkeiten in den Alltag und die Informationsweitergabe über den Entwicklungszustand des Patienten an das Team genannt.

In Bezug darauf, wie therapeutische Pflege durchgeführt werden sollte, wird als Kernelement die Patientenorientierung beschrieben, wonach Patient und Angehörige im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Zwischen dem Patient, seinen Angehörigen und dem multidisziplinären Behandlungsteam erfolgen durch Kooperationsbeziehungen ein enger Informationsaustausch und die Koordination der Behandlung. Darüber hinaus sollte die Pflegeplanung zielgerichtet und individuell an den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Patienten ausgerichtet werden. Die anschließenden Pflegeinterventionen erfolgen über den Behandlungsverlauf hinweg kontinuierlich, ggf. werden die Handlungssequenzen repetitive begleitet, der Patient dabei taktil geführt und ermutigt, die Handlungssequenzen eigenständig durchzuführen. ▶ Tab. 2 wird deutlich, dass einbezogene und mit theraAnhand ● peutischer Pflege in Zusammenhang stehende Publikationen aus unterschiedlichen Fach- und Indikationsbereichen der Pflege stammen. Es ist fraglich, inwiefern die Ergebnisse anderer Fachbereiche auf die neurologische Rehabilitation übertragbar sind, insbesondere auf das deutsche Reha-System, da sich die Gesundheitsversorgungssysteme anderer europäischer und anglo-amerikanischer Länder grundlegend vom deutschen System unterscheiden und sich viele der eingeschlossenen Studien auf einen nicht-rehabilitativen Versorgungssektor beziehen. Insgesamt bleiben die Ausführungen zur therapeutischen Pflege oberflächlich und wie die Ergebnisse zeigen, wird der Begriff in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, jedoch ohne dass erklärt wird, was die therapeutischen Elemente der Pflegeinterventionen charakterisiert. Obwohl der Begriff „therapeutic nursing“ bereits in den Pflegetheorien der 1950er und 1970er Jahre in den USA [20, 22, 24], sowie in Studien der 1980er Jahre als wichtiges Element pflegerischer Handlung angesehen und verwendet wurde, gibt es derzeit keine ausreichende wissenschaftliche Datenlage. Lediglich 5 Artikel konnten identifiziert werden, die vorgaben, den Begriff zu definieren, nur bei 2 Artikeln traf dies letzten Endes zu. Allerdings handelt es sich dabei nicht um empirische Studien, sondern um einen Expertenkonsens basierend auf Erfahrungswissen von Praktikern und vereinzelten Pflegewissenschaftlern. Die anderen Definitionen basieren in ihrer Darstellung und Beschreibung auf eigenen Erfahrungen der Autoren [15, 16] und zusammengefassten Ergebnissen/Ergebnissynthesen aus Literaturrecherchen [11]. Die Autoren bleiben in ihren Ausführungen sehr allgemein, es wird nicht differenziert beschrieben, über welches Wissen Pflegende im Zusammenhang mit therapeutischer Pflege verfügen sollen. Die einzelnen Skills werden benannt, aber nicht genauer beschrieben, bspw. welche besonderen kommunikativen Fähigkeiten gemeint sind. Der Bereich Kommunikation ist weitreichend. Darüber hinaus wird vordergründig dargestellt, was Pflegende tun sollen, aber nicht wie und vor allem auch nicht, was das Therapeutische an der Pflege ist. Es ist durchaus kritisch zu hinterfragen, welche qualifikatorischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, um das Attribut „Pflegetherapeut“ zu führen. Unstrittig bleibt jedoch, dass die Kunst „zu therapieren“ nicht allein auf einem Zertifikat einer Weiterbildung beruhen darf, sondern von vielen Faktoren, unter anderem von der Lern- und Reflexionsfähigkeit, der Berufserfahrung und den Einstellungen des jeweiligen Pflegetherapeuten mitbestimmt wird. Im Hinblick auf die eingeschlossenen Studien ist grundsätzlich anzumerken, dass diese durch eine Heterogenität in Form von qualitativen und quantitativen Studiendesigns gekennzeichnet war. Weiterhin war die Reportqualität der Studien in Bezug auf

Lautenschläger S et al. Therapeutische Pflege und Rehabilitation … Rehabilitation 2014; 53: 237–244

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Kernbotschaft Es gibt bisher nur wenige Forschungsarbeiten, die sich mit therapeutischer Pflege beschäftigen. Es konnte keine Studie identifiziert werden, die auf wissenschaftlicher Basis die therapeutische Pflege mit dem Ziel untersucht, diese theoretisch zu fundieren. Die Literaturanalyse zeigt den Forschungsbedarf in Bezug auf die theoretische Fundierung therapeutischer Pflege, und zwar nicht nur im Fachbereich der neurologischen Rehabilitation.

Förderung und Danksagung



Besonderer Dank gilt dem BDH Bundesverband Rehabilitation, der die Studie zur Entwicklung einer Theorie über die therapeutische Pflege in der neurologischen (Früh-)Rehabilitation durch ein Promotionsstipendium finanziert. Die systematische Literaturrecherche wurde im Rahmen dieser Studie durchgeführt.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Ergänzendes Material



Die Literatur zu diesem Beitrag finden Sie online unter www. thieme-connect.de/ejournals/toc/rehabilitation.

Lautenschläger S et al. Therapeutische Pflege und Rehabilitation … Rehabilitation 2014; 53: 237–244

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die Angaben und Beschreibung der verwendeten Methoden, Charakteristika der Studienteilnehmer, der Dokumentation der Studienabbrecher sehr uneinheitlich und wurde häufig unzureichend vorgenommen. Eine gepoolte statistische Auswertung der eingeschlossenen Studien ist demnach nicht möglich. Die Synthese der Ergebnisse erfolgte somit in deskriptiver Form. Einschränkend muss angemerkt werden, dass wichtige pflegerelevante Datenbanken und Fachzeitschriften zur Recherche genutzt wurden, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass weitere Arbeiten zu diesem Thema vorliegen, die mit der Suchstrategie nicht identifiziert werden konnten. Ein möglicher Publikationsbias kann nicht ausgeschlossen werden. Die geringe Anzahl an Studien nach der Recherche in den wichtigsten pflegerelevanten Datenbanken zeigte, dass insbesondere der Entwicklung einer Definition zur therapeutischen Pflege in der Literatur bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Forschungslücke zu diesem Thema beschrieben bereits Myco [39], O’Conner [25], Burton [11], Pryor et al. [40] und die Deutsche Gesellschaft für medizinische Rehabilitation (DEGEMED) [41]. Henderson äußerte schon zu Beginn der 1980er Jahre den Wunsch, „that nurses will become rehabilitators par excellence“ [42]. Somit besteht Hendersons Wunsch sowie die Forschungslücke zur therapeutischen Pflege bis heute fort und macht damit die Bedeutung der Entwicklung einer Theorie zur therapeutischen Pflege deutlich.

[Therapeutic nursing: a systematic review].

For some years therapeutic service catalogues have been established in medical rehabilitation which have broadened our previous understanding of nursi...
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