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ynnWicherr Therapeutische und prophylaktische Ansatzpunkte bei Stiia,cklunge

Aktuelle Therapie

Dentsche Medizinische Wochenschríft

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 444-445 OEJ Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die lebensbedrohende Akuität, mit der das Krankheitsbild der Schocklunge auftritt, verlangt nach klaren therapeutischen Regeln Aufgrund klinischer Erfahrungen ist es sinnvoll, zu unterscheiden zwischen 1 der Behandlung einer ausgepragten Schocklunge, 2. Maßnahmen, die geeignet sein können, die Entwicklung zur Schocklunge zu verhindern oder zu verzögern. Dieser Ansatzpunkt kann als Versuch einer Prophylaxe der Schocklunge gesehen werden.

Therapie der ausgeprägten Schocklunge Ubliche intensivmedizinische Grundversorgung ist selbstverständlich. Die auf die Schocklunge gerichteten speziellen therapeutischen Maßnahmen sind nicht als Alter nativen anzusehen, sondern mussen gleichzeitig und koordiniert angewandt werden. Gerinnungssystem. Gerinnungsstörungen in Form von Verbrauchskoagulopathien unterschiedlichen Ausmaßes oder pulmonaler Mikrothrombosierung sind immer vorhanden. Eine wirksame Heparintherapie ist obligatorisch, gegebenenfalls in niedriger Dosierung mit zweimal 6000 bis 8000 lE. In Einzelfällen ist eine Fibrinolyse erfolgreich angewendet worden, klare Kriterien für deren Einsatz, zum Beispiel Anzahl der vorausgegangenen Bluttransfusionen oder Besonderheiten im Gerinnungsstatus, gibt es aber bisher nicht. Infusions-, und Transf usionst he ra pie. Die Steuerung der Infusionstherapie ist voñ fundamentaler Bedeutung. Bei der Tendenz zur Flüssigkeitseinlagerung in die Lunge im Ablauf des sogenannten Schocklungensyndroms (9) muß die Flüssigkeitszufuhr äußerst adaptiert erfolgen. Kristalloide Lösungen und Plasmaersatzmittel sind mit Einschränkung anzuwenden, gegebenenfalls ist auch im Schock negativ zu bilanzieren (8). Diuretika können die Bilanzierung und die Normalisierung dr intravasalen onkotischen Drücke erleichtern (1, 8). Niedermolekulare Dextrane scheinen die Mikrozirkulation zu verbessern, gesicherte Erkenntnisse für die Nach einem Rundtischgespräch auf dem *Eppendorfer Nach mittags am 2. 6. 1976. Teilnehmer: H. J. Augustin, I. Medizinische Klinik, P. Eckert, Chirurgische Klinik, M. Döhn, Abteilung für An)isthesiologie, K. Lanser, I. Medizinische Klinik, H. Pokar, Abteilung für Anästhesiologie, V. Tilsner, Abteilung für Blutgerinnungsstörungen, K. Riesner, Institut für Pathologie, P. y. Wiehert (Moderator), I. Medizinische Klinik.

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P. von Wichert I. Medizinische Universitätsklinik Hamburg

Lungen liegen allerdings nicht vor. Die Substitution von Albumin hat sich auf die Normalisierung der onkotischen Drücke zu beschränken, überschüssiges Albumin lagert sich im Interstitium ab. Transfundiertes Blut ist zu filtern. Die Filter müssen so gewählt werden, daß sie ihre Durchlässigkeit verlieren, wenn die Filterkapazität erschöpft ist. Medikamentöse Therapie. Kallikrein-Inhibitoren sind wegen der Hemmung der Spontanfibrinolyse im Zustand der ausgeprägten Schocklunge nicht anzuwenden, da durch die Störung der körpereigenen Abräumfunktion die Beseitigung der Mikrogerinnsel gestört werden kann. Sofern eine antibiotische Therapie wegen einer Infektion indiziert ist, muß breit und intensiv behandelt werden, um die Uberwucherung des Organismus mit gramnegativen Keimen zu vermeiden. Die Antibiotikagewebsspiegel in erkrankten Lungen machen nur etwa 20% der Serumspiegel aus (4). Die Indikation zur Antibiotikatherapie ist äußerst differenziert zu stellen. Im Stadium der ausgeprägten Schocklunge ist ein therapeutischer Effekt von Steroiden (etwa im Sinne einer Beeinflussung des Surfactant-Systems analog dem Membransyndrom des Neugeborenen) weder klinisch noch experimentell gesichert. Der Einsatz von gefäßaktiven Pharmaka zur Verbesserung der pulmonalen Perfusion, zum Beispiel von Hydergin oder Sympathikolytika, bedarf trotz einiger experimenteller Hinweise noch umfangreicher klinischer Erprobung. Beatmung, extrakorporale Oxygenation, 1-ly pot hermie. Die kontrollierte, volumengesteuerte Beatmung ist indiziert, wenn der P0 progredient unter 65-60 mm Hg absinkt; andere Autoren (8) gehen von 70 mm Hg als Grenzwert aus. Im allgemeinen ist positiv-endexspiratorischer Druck (PEEP) anzuwenden, dessen Höhe nach Verbesserung des Gasaustausches und Beeinträchtigung der Kreislauffunktion abzuwägen und ständig zu kontrollieren ist. Die Sauerstoffkonzentration im Beatmungsgas (Fi02) muß an die Erfordernisse des Organismus angepaßt werden (pO2 80-120 mm Hg). Bei längerer Beatmung mit einem Fi02 über 0,5 ist mit pulmonalen Schädigungen zu rechnen (2), die die beatmeten, also noch gesunden Anteile der Lunge treffen. Zur Steuerung der Beatmung bewährt hat sich die Bestimmung der effektiven Compliance (6), das heißt des Quotienten aus dem Atemzugvolumen und der Differenz zwischen end-

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Therapeutische und prophylaktische Ansatzpunkte bei »Schocklunge«

von Wiehert: Therapeutische und prophylaktische Ansatzpunkte der Schocklunge

inspiratorischem und endexspiratorischem Druck, und zur Anpassung des Fi02 eignen sich Nomogramme, die auf der Shuntvolumen-Formel aufgebaut sind. Manches spricht dafür, daß die Beatmung über den Ersatz der Funktion hinaus eine Behandlungstherapie der Schocklunge darstellt (1, 8). Ober die Anwendung einer längerfristigen extrakorporalen Oxygenation oder Hypothermie zur Überwindung der respiratorischen Insuffizienz liegen in Deutschland breitere Erfahrungen noch nicht vor. In Einzelfällen waren diese Verfahren jedoch erfolgreich und lebenserhaltend. 5. Therapie zusätzlicher Faktoren. Zusätzlich notwendige Maßnahmen, wie Giftelimination, Behandlung einer gleichzeitig bestehenden Niereninsuffizienz und chirurgische Eingriffe, müssen nach den für diese Zustände gültigen Regeln intensiv und optimal durchgeführt werden, um pathogenetische Summationseffekte zu vermeiden.

Prophylaktische Ansatzpunkte bei Schocklunge Trotz aller therapeutischen Bemühungen ist die Letalität hoch. Daher ist es notwendig zu versuchen, durch prophylaktische Maßnahmen das Abgleiten in die irreversible respiratorische Insuffizienz zu vermeiden. Dabei sind folgende Überlegungen zu berücksichtigen. Chirurgische Maßnahmen. Unter Ausschöpfung der anästhesiologischen Möglichkeiten sollten chirurgische Maßnahmen frühzeitig und umfassend erfolgen, um die Zeit abzukürzen, in der sich irreversible Schäden an der Lunge bilden (8). ¡nfusionen und Transfusionen. Hier gelten die schon genannten Regeln. Zu beachten ist, daß parenterai appiizierte Flüssigkeit durch Ausfall physiologischer Steuerungsmechanismen leichter in das Lungengewebe gelangt als oral gegebenes Wasser (3). Massentransfusionen sollten bevorzugt mit älteren Konserven durchgeführt werden, da bereits geschädigte Thrombozyten im Filter eher verbleiben als frische Thrombozyten. Medikamentöse Pro phylaxe der Schocklunge. Die einzige einigermaßen fundierte Therapie stellt die Gabe von Prednisoionhemisuccinat in pharmakologischen Dosen (30 mg/kg) dar. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, daß nur die frühestmögliche Bolusgabe, zweimal im Abstand von 12 Stunden wiederholt, wirksam ist (1, 8, 10). Nebenwirkungen treten dabei nicht auf (10). Das Medikament vermindert die präkapilläre Widerstandserhöhung, so daß die pulmonale Mikrozirkuiation verbessert wird.

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Die frühzeitige Applikation von Kallikrein-Inhibitoren hat nach klinischen Studien einen Einfluß auf die Letalität unfailchirurgischer Patienten (7). Der prophylaktische Einsatz von Kallikrein-Inhibitoren läßt sich auch gerinnungsphysioiogisch begründen, da damit eine Aktivierung der Faktoren XII und XI vermieden wird (Dosierung: 800 000 bis 1 000 000 E Kallikrein-Inhibitor pro Tag als kontinuierliche Infusion). Auf eine Antibiotikatherapie ist zu verzichten, wenn weder klinisch noch bakteriologisch ein Hinweis auf eine Infektion oder eine Kontamination der Lunge besteht. Durch Selektion resistenter gramnegativer Keime kann das Krankheitsbild verschlechtert und der Entwicklung einer Schocklunge Vorschub geleistet werden (S).

Gerinnungssystem. Die Hemmung des Gerinnungssystems mit Heparin ist in jedem Fall indiziert und Basistherapie. Frischoperierten und Unfallverletzten sollte Heparin zumindest in niedriger Dosis gegeben werden. Die Hemmung der Thrombozytenaktivität mit Acetylsalicylsäure ist als therapeutisches Verfahren zur Prophylaxe der Schocklunge bisher nicht überzeugend eingeführt und auch im theoretischen Ansatz fraglich. Beatmung. In unserem Arbeitskreis wird die Indikation zur Beatmung nach den Verhältnissen des Gasaustausches gestellt. Andere Gruppen (8) sind der Auffassung, daß eine prophylaktische Beatmung die Entwicklung einer Schocklunge verhindert. Literatur

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Nr. 12, 25. März 1977, 102. Jg.

[Therapeutic and preventive aspects in "shock lung"].

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