Arch. Oto-Rhino-Laryng.217, 429-440 (1977)

Archives of Oto-Rhino-Laryngology 9 Springer-Verlag 1977

Die trigemino-fazialen Reflexe: Ein methodischer Beitrag zur Verbesserung der Fazialisdiagnostik* E. Stennert 1, K. P. Frentrup und C. H. Limberg Hals-Nasen-Ohrenklinik der Universit~.tGSttingen (Direktor: Prof. Dr. A. Miehlke), GeiststraBe 10, D-3400 Gfttingen

The Trlgemino-Facial Reflexes: A Methologieal Approach to The Evaluation of Facial Nerve Function Summary. Since 1952 electromyographic registration of the trigemino-facial reflexes have been repeatedly described to evaluate facial nerve function. Comparable to peripheral nerve conduction velocity studies, this method enables us to detect intratemporal lesions. In order to obtain optimal results, we modified the registration technique of the trigemino-facial reflexes as regard to the following items: 1. Because of great interindividual variability of latencies and amplitudes this method should be used only by comparing the right and the left side. For a reliable assessment of both, recovery and detoriation of the facial nerve a standardized stimulation and recording technique is necessary. Stimulus strength should be defined by the applied current rather than voltage. 2. Since, in many cases, only certain neurones of the facial nerve are affected with different degree, important information is gained by recording not only from the M. orbicularis oculi but also from M. levator labii, M. zygomaticus and M. orbicularis oris. 3. In order to detect small reflex responses in severe and advanced cases, averaging technique should be applied. Thus, minute potentials hidden in the amplifier noise can be detected and clearly defined as either a stimulus dependant reflex response or unvoluntary muscle activity. Key words: Trigemino-facial reflexes -- Facial nerve palsy - Facial nerve diagnosis -- Nerve conduction velocity - Recording technique. Da alle Noxen, die auf einen Nerven einwirken, dessen Leitgeschwindigkeit im Sinne einer Verz6gerung beeinflussen, stellt deren Messung eine der wichtigsten Maf3nahmen in der Beurteilung yon Nervensch/idigungen dar. Obwohl hierf/ir grunds/itzlich * 1

Mit Unterstfitzung der Deutschen Forschungsgerneinschaft S o n d e r d r u c k a n f r a g e n an: Dr. E, Stennert (Adresse siehe oben)

430

E. Stennert et al.

Reiz R I

R2

I5oo/,v Isoo/,v I

R2

I

10 msec

Abb. 1. Elektromyographische Ableitung der trigemino-fazialen Reflexe aus beiden Mm. orbiculares bculi bei einseitiger Reizung des N. frontalis. Oben: Reflexantworten (R 1 und R 2) auf der gereizten Seite. Unten: Reflexantwort (Rz) auf der kontralateralen Seite

das Nervenpotential abgeleitet werden kann, hat sich ffir die Bestimmung der motorischen Leitf'~ihigkeitund Leitgeschwindigkeit die Registrierung des Muskelantwortpotentials als gfinstig erwiesen. Dabei geben die mittels Oberfl~ichenelektroden abgeleiteten Potentiale durch ihre Form, die Gr613e ihrer Amplitude und die Latenz ihres Auftretens Auskunft fiber Art und Ausmaf3 krankhafter Ver~inderungen der zugeh6rigen motorischen Fasern. In jedem Fall erfolgt dabei die Reizung des Nerven proximal der L~isionsstelle und die Registrierung des Antwortpotentials distal davon, so dal3 der Krankheitsherd zwischen Reizort und Erfolgsorgan zu liegen kommt und die Erregungsausbreitung diesen erkrankten Nervenabschnitt zu durchlaufen hat. Eine solche Untersuchungstechnik ist bei den Hirnnerven aus anatomischen Gegebenheiten nicht mfglich. Auch der N. facialis entzieht sich wegen seines Verlaufs dutch den Kleinhirnbrfickenwinkel und das Felsenbein bei dem weitaus gr/513tenTeil seiner Erkrankungen einer solchen direkten Funktionsdiagnostik. Alle zur Zeit gebriiuchlichen Untersuchungsmethoden wie Chronaxiemetrie, Nerve-excitability-Test oder Elektroneuronographie setzen deshalb mehr oder weniger weit peripher vonder L~isionsstelle an, n~imlich distal des Austritts aus dem Foramen stylomastoideum und kranken somit ,,an einem un~berwindlich erscheinenden Dilemma: Sie zeigen uns nicht die drohende, sondern die vollendete bzw. prozel3haft in Gang befindliche Degeneration des Nervs an, die zu verhiiten Aufgabe unserer Behandlung sein mul3" (Schliack, 1973). Dieses Problem k6nnte eventuell mit der Registrierung der trigemino-fazialen Reflexe gelfst werden. Zwar wurden seit Overend (1896) eine Reihe mechanisch ausl6sbarer Fazialisreflexe beschrieben, doch gelang es erstmals Kugelberg (1952) durch Anwendung der Elektromyographie das Wesen dieses Reflexbogens n~iher zu untersuchen: Er konnte bei mechanischer oder elektriseher Stimulierung verschiedener Regionen einer Gesichtsh~ilfte vornehmlich aus dem M. orbicularis oculi aber auch yore M. orbicularis oris zwei unterschiedliche Reflexantworten ableiten (Abb. 1): 1. Eine friihe Antwort (R1) mit einer Latenz yon ca. 12 ms; sie tritt unilateral (ipsilateral zum Reiz) auf und ist im allgemeinen monophasisch. 2. Eine sp/ite Antwort (R2) mit einer Latenz von ungef/ihr 35 ms, die bilateral auftritt und polyphasisch ist.

Die trigemino-fazialenReflexe

431

Abb. 2. Schematische Darstellung der im Text ausffihrlich beschriebenen Versuchsanordnung. Die mit + und - gekennzeichneten Kreise stellen die bipolare Oberfl~ichen-Reizelektrode dar. Die weil3en Punkte zeigen die indifferertten, die schwarzen Punkte die differenten Ableitelektroden R 1 ist Ausdruck einer Verknfipfung des N. trigeminus mit dem N. facialis auf der ipsilateralen Seite im Hirnstamm. R2 entsteht durch eine polysynaptische Verschaltung in h6heren Hirnregionen, so daft in den efferenten Schenkel die Nn. faciales beider Seiten einbezogen werden. Dieses Reflexgeschehen wurde yon einer Reihe yon Autoren hinsichtlich seines anatomisehen Verlaufs und seiner klinischen Anwendbarkeit bei verschiedensten Erkrankungen sowohl des ZNS als auch des N. facialis untersucht (Ekbohm et al., 1952; Oka et al., 1958; Tokunaga et al., 1958; Rushworth, 1962; Gandiglio u. Fra, 1967; Bender et al., 1969; Kimura et al., 1969; Shahani, 1970; Bynke, 1971; Rushworth, 1971; Shahani u. Young, 1972; Marinacci, 1973; Kimura, 1973; Brown u. Rushworth, 1973; Penders u. Delwaide, 1973; Schenck u. Manz, 1973; Kimura, 1974; Baumel, 1975). Ober den prognostischen Wert des ,,Orbicularis-Oculi-Reflexes" bei idiopathischen Fazialisparesen berichteten kfirzlich wieder Manz u. Schenck (1975). Die vorliegende Arbeit besch/iftigt sich nicht mit dem klinischen Aussagewert dieses Reflexes, sondern liefert einen Beitrag zur methodischen Verbesserung der Reflexregistrierung.

Methode Die im fotgenden beschriebene Untersuchungstechnik (Abb. 2) wurde an 50 Normalpersonen gepriift. 1. Reizung: Die Reflexausl6sung erfolgt mit bipolaren Oberfl/ichenelektrodender Firma Schwarzer; es

handelt sich dabei um runde Silberelektroden,die in einen Plastikring yon 15 mm ~ eingefaf3tsind und mittels Kleberingenpaarweise auf beiden Stirnh/ilften befestigt werden. Dabei sitzt die Kathode jeweils

432

E. Stennert et al.

dicht kranial des Foramen supraorbitale oberhalb der Augenbraue und die zugeh6rige Anode ca. 2,5 cm darfiber. Ein geeignetes Gel sorgt f/jr einen guten Hautkontakt. Wichtig ist die Messung des elektrischen Gleichstromwiderstandes zwischen den zugehfrigen Elektroden, der n6tigenfalls durch leichtes Aufrauhen der Haut unter den Elektroden so eingerichtet wird, dab er auf beiden Gesichtsh~ilften den gleichen Wert besitzt. Eine T6nnies-Reizeinheit (TM 078 R1) liefert erdfreie Rechteckimpulse yon 1 ms Dauer. Die Gr6Be des Reizes h/ingt vonder Reizstromst~irke ab, einem Parameter, der bei jedem Reiz gemessen wird. Fiir die Ausl6sung der Reflexe sind bei unserer Untersuchungsanordnung Stromst~irken von 8 mA f/jr eine Gesichtsh/ilfte ausreichend. Die Reizelektroden sind so verschaltet, dab beide Stirnseiten sowohl einzeln als auch gemeinsam gereizt werden k6nnen. F/Jr die Routineableitung werden beide Stirnh/ilften synchron gereizt.

2. Ableitung: Die Ableitung der evozierten Muskelaktionspotentiale erfolgt ebenfalls mit den oben beschriebenen Schwarzer-Oberfl~ichenelektrodan, deren seitengleicher Hautkontakt wie bei den Reizelektroden durch Messung des elektrischen Widerstandes fiberpr/jft und in der bereits genannten Weise korrigiert wird. F/jr den M. orbicularis oculi liegt die Ableitelektrode 1 cm unterhalb des lateralen Augenwinkels, die zugeh6rige Referenzelektrode m6glichst nasennah. Eine weitere indifferente Elektrode wird 1 cm oberhalb des Mundwinkels aufgeklebt. Sie dient als Gegenelektrode f/jr die Ableitungen am M. levator lab/j, am M. zygomaticus und am M. orbicularis oris. Die differenten Elektroden ffir diese drei Muskeln werden folgendermaBen angeordnet: Die Ableitelektrode f/Jr den M. levator labii befindet sich am Foramen infraorbitale, die Ableitelektrode f/jr den M. zygomaficus an dessen Ursprung am Arcus zygomaticus und die Ableitelektrode f/jr den M. orbicularis otis 1 cm unterhalb des Mundwinkels. Die vier Elektrodenpaare kfnnen einzeln oder in beliebiger Art zusammengeschaltet an einen Myographen angeschlossen werden, der durch die Reizauslfsung getriggert wird.

3. Signalverarbeitung: Die auf beiden Seiten durch simultane Reizung ausgel6sten Reflexantworten werden auf dem 2-Kanal-Oszilloskop eines T6nnies-Myographen (TM 078) gleichzeitig dargestellt. Die Signale einer Reizserie werden so fortlaufend und einzeln zur Darstellung gebracht, gleichzeifig aber auch mit Hilfe eines 2-Kanal-Averagers (Mopey II F) elektronisch aufsummiert und am Ende der Reizserie ebenfalls auf dem 2-Kanal-Oszilloskop wiedergegeben. Dadurch gelingt es, auch kleine Reizantworten zu identifizieren. Die Dokumentation der Befunde erfolgt mit Hilfe einer Polaroid-Kamera (T6nnies SK 618).

Ergebnisse und Diskussion A n eine f/ir die D i a g n o s t i k v e r w e r t b a r e U n t e r s u c h u n g s t e c h n i k der R e f l e x a n t w o r t e n stellen sich drei wesentliche F o r d e r u n g e n : i. W e g e n der individuell u n t e r s c h i e d l i c h e n L a t e n z z e i t e n u n d A m p l i t u d e n h 6 h e n ist diese U n t e r s u c h u n g s m e t h o d e nur i m Seitenvergleich sinnvoll. Daffir und ffir eine V e r l a u f s b e o b a c h t u n g zur T r e n d b e u r t e i l u n g v o n P a r e s e n sind seitengleiche und gut reproduzierbare Reiz- und Ableitbedingungen wichfige V o r a u s s e t z u n g e n . 2. W e g e n des h~iufig dissoziierten u n d g r a d u i e r t e n Faserbefalls sollte ein m 6 g lichst grofler Anteil des Gesamtfaserspektrums erfaBt werden. 3. W e g e n h/iufig kleiner R e f l e x a n t w o r t e n (besonders bei f o r t g e s c h r i t t e n e n L / i h m u n g e n ) ist eine optimale Signalverwertung n6tig. W i r glauben, diese F o r d e r u n g e n mit Hilfe unserer hier b e s c h r i e b e n e n Ableittechnik w e i t g e h e n d erffillt zu h a b e n :

A. Reizung 1. Reizort: N a c h E r f a h r u n g e n v o n K u g e l b e r g (1952) und unseren eigenen B e o b a c h t u n g e n ist die G r 6 B e der R e f l e x a n t w o r t e n o d e r a u c h ihre grunds~itzliche A u s l 6 s b a r -

Die trigemino-fazialen Reflexe

433

R1 R2 100%

98 ..........

X.:.Z 80%

....

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93 .

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M.orb. oculi

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M.orb.oris

Abb. 3. Prozentuale Hfiufigkeit der Ausl6sbarkeit der Reflexantworten R 1 und R 2 in den angegebenen Muskeln bei 50 Normalpersonen

keit bei Stimulation am Foramen infraorbitale stark abh/ingig von der Plazierung der Reizelektroden. Wegen der somit schwer reproduzierbaren Reizbedingung ist diese Elektrodenposition sowohl fiir einen Seitenvergleich wie ffir eine Verlaufsbeobachtung ungeeignet. W~ihlt man dagegen ffir die Stimulation den ersten Trigeminusast, ergeben sich diese Schwierigkeiten nicht. Zwar konnten Gandiglio u. Fra (1967) bei Reizung am Foramen supraorbitale im M. orbicularis oris ein RI in nur 10% ihrer untersuchten F~ille und ein R2 fiberhaupt nicht ausl6sen, doch konnten wir in diesen wie in anderen Fazialismuskeln bei Reizung des N. frontalis beide Reflexe sehr vie1 h~iufiger ableiten (Abb. 3). Durch wahlweises Ausschalten des einen oder anderen Reizelektrodenpaares liel3 sich nachweisen, dab es bei den von uns verwendeten Stromst/irken zu keinem Ubersprechen des Reizes auf die kontralaterale Stirnseite kommt.

2. Reizform: a) Reizstgirke: Soweit uns aus der Literatur bekannt ist, wurden mit Ausnahme von Penders u. Delwaide (1973) sowie Kimura (1974) bisher f/Jr die Definition der Reizst/irke stets die Spannung (Volt) verwendet (Tab. 1). Bei unseren Untersuehungen fiel auf, dab an den Reizelektroden beider Stirnseiten h~iufig sehr wohl dieselbe Spannung anlag, gleichzeitig die Stromstdrke (Ampere) zwischen beiden Seiten aber erheblieh differierte. Diese Differenzen betrugen nicht

selten mehr als 100%/ Unter so verschiedenen Reizbedingungen aufgrund erheblieher Unterschiede der Widerst/inde an den Reizelektroden ist aber weder ein korrekter Seitenvergleieh noch eine aussagekr(~ftige VerlaufskontroIle m6glich. Um seitengleiche Reizbedingungen herzustellen, sollten deshalb u. E. unbedingt gleiche Stromstiirken als Parameter verwendet werden. Gleiche Stromst/irken erreicht man durch Anpassen der Widerst/inde an den Reizelektroden. Die von uns verwendeten Stromst/irken lagen bei etwa 8 mA pro SeRe. Bei dieser Reizst/irke waren im M. orbieularis oculi R1 in 98% und R2 in 100% unserer F/ille

01~

~

~"

Cr

~ ~

~ ~ t~

N

o 0

-.

~ 'r'U

O~

o

3 - 8 mA 15-30 mA 100--150 mA ca. 8 mA

0,7--1,0

Penders u. Delwaide (1973) Kimura (1974) Manz u. Schenck (1975) Stennert, Frentrup u. Limberg 0,2 1,0

5--20 V

0,05--0,5 bis 0,I

Shahani u. Young (1972) Brown u. Rushworth (1973)

0,1--0,4 V ca. 50 V oberhalb der Schmerzgrenze 40--80 V 50 V

Reizst/irke

0,7 0,1

0,5 unter 0,5 0,5 0,4--0,5

Reizzeit (ms)

Bender, Maynard u. Hastings (1969) Kimura, Powers u. van Allen (1969)

Kugelberg (1952) Oka et al. (1958) Rushworth (1962) Gandiglio u. Fra (1967)

Autoren

Stirn Foramen supra-orbit. Stirn Foramen supra-orbit. Stirn Stirn Stirn Stirn

Stirn Nervus frontalis Stirn Stirn

Reizort

Oberfl.-Elektr. Oberfl.-Elektr. Oberfl.-Elektr. bipol. Oberfl.-Elektr.

bipol. Oberfl.-Elektr. Nadel- u. Oberfl.-Elektr.

Oberfl.-Elektr. Oberfl.-Elektr.

bipol. Oberfl.-Elektr. Nadel-Elektr. 3polige Oberfl.-Elektr. bipol. Oberfl.-Elektr.

Elektrodenort

Tabelle 1. Zusammenstellung der aus der Literatur ersichtlichen Reizbedingungen f/Jr die Auslfsung der trigemino-fazialen Reflexe

o~

Die trigemino-fazialen Reflexe

435

(fv)

1

I

[

I

I

25 ~ . ( m A )

x

(pv) x

T-

x

x

1000 -

...... I .......... 500~

t-

R2

100-

I

I 5

lqO

I 15

I 20

I 25 ---> ( m A )

Abb. 4. H6he der Amplituden von Rx und R2 aus dem M. orbicularis oculi in Abh~ngigkeit vonder Reizst~ke. Durchgezogene Linie und Kreuze: Maximale Amplituden aus einer Serie von 10 Einzelreizen. Gestrichelte Linie und Punkte: Mittelwerte aus derselben Reizserie und deren Standardabweichungen

mehr erreicht wird. Bei der Reizung des Fazialisstammes ist die Gr613e der Reizantwort von der Zahl der erregten Axone abh/ingig und erst bei supramaximaler Reizung tragen alle motorischen Einheiten zur endg~ltigen Amplitude des Summenpotentials bei. Die trigemino-fazialen Reflexe unterliegen anderen Gesetzm/iBigkeiten: In ihren Reflexbogen ist nur ein bestimmter Teil der Neurone einbezogen, die schon bei niedrigen Reizschwellen angesprochen werden. AuBerdem ist die Umschaltung vom afferenten auf den efferenten Schenkel von einer bestimmten Stromst~irke ab nach dem Alles-oder-Nichts-Gesetz denkbar. Damit zeigt sich ein wesentlicher Vorzug dieser Untersuchungsmethode: Im Gegensatz zur Elektroneuronographie ist eine supramaximale Reizung nicht erforder-

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E. Stennert et al.

Isoo v ~'~'-/~- ~ - ~

1 1oo/,v

-

r ,oo/,v

-

'

(

~

1 loo/,v Abb. 5. SynchroneRegistrierung der trigemino-fazialenReflexeim M. orb. oculi,M. lev. labfi, M. zygomaticus und M. orb. oris (yon oben nach unten) bei einer Versuchsperson

lich und bei Einhaltung der angegebenen Reizstiirken wird sie auch von Kindern gut toleriert. b) Reizzeit: Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, liegen die in der Literatur angegebenen Reizzeiten zwischen weniger als 0,1 und 1,0 ms. Dabei verwenden jedoch nur Penders u. Delwaide (1973) Reizzeiten fiber 0,7 ms. Unabh~ingig yon diesen Autoren haben wir eine Reizzeit von 1 ms Dauer als brauchbar herausgefunden. e) Art der Elektroden: W~ihrend Manz u. Schenck (1975) in einen Kunstharzblock eingegossene bipolare Oberfl/ichenelektroden verwenden, die der Untersucher in der Hand h~ilt und damit die gfinstigste Reizstelle sucht, verwenden wir mit Hilfe yon Kleberingen fixierbare Elektrodenpaare, deren Position sich w/ihrend des gesamten Untersuchungsablaufs nicht mehr ver/indern kann. Nur so wird die Beibehaltung der anfangs seitengleich eingerichteten Stromst~irken garantiert.

B. Ableitung Seit Kugelberg (1952) die ersten elektromyographischen Untersuchungen des trigemino-fazialen Reflexbogens durehffihrte, sind haupts/ichlich die Orbieularis-OeuliReflexe registriert worden. Zwar haben noch im selben Jahr Ekbohm et al. (1952) auch vom M. orbicularis oris und sp/iter Gandiglio u. Fra (1967) noch zus~itzlich vom M. mentalis Reflexe abgeleitet. Hingegen sind uns derartige Registrierungen aus der fibrigen mimischen Muskulatur nicht bekannt. Ffir die mimische Ausdrueksmotorik erscheinen uns vier Muskelgruppen funktionell besonders wichtig, die dureh den M. orbicularis oculi, M. levator labii, M. zygomatieus und M. orbicularis oris repfiisentiert werden. Da insbesondere bei der idiopathischen Fazialisparese, aber aueh bei anderen Druckl~isionen h~iufig ein dissoziierter und graduierter Befall des Faserspektrums und eine unterschiedliche Erholbarkeit vorliegt, erseheint uns die Registrierung der Reflexantworten aus allen vier genannten Muskeln wichtig, um ein m6glichst umfassendes Bild vom Ausmal3 der Sch/idigung zu erhalten. Abbildung 5 demonstriert die Reflext~itigkeit an einem gesunden Individuum bei oben geschilderter Reiztechnik. Diese Reflext/ifigkeit variiert individuell. Die von uns

Die trigemino-fazialen Reflexe

437

R1

R2 M.orbicularis oculi

40% 30% 20% 10% I

I

I

I

I M.levator [abii

40% 30"/, 20% 10% [

I

I

I

I M.zygomaticus

40"/, 30% 20% 10%

I

I

I

1

I M.orbicu[aris otis

40% 30% '20% 10%

I

10

I

20

I

30

I

40

I

50

~

( mr,ec

Abb. 6. Latenzzeiten ffir Rx und R2 in den untersuchten Muskeln bei 50 Normalpersonen

gefundene H/iufigkeit des Reflexnachweises in vier Muskeln ist in Abbildung 3 wiedergegeben. Abbildung 6 gibt die dabei gemessenen Reflexzeiten an. Uber den vier Muskeln wird ebenfalls mit aufklebbaren bipolaren Oberfl~ichenelektroden abgeleitet. Dies hat gegen/iber einer Ableitung mit Nadelelektroden folgende Vorz/ige:

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E. Stennert et al.

I oop,v

-%'--

10 msec

lOmsec

Abb. 7. Ableitung der trigemino-fazialen Reflexe aus dem M. orbicularis oculi bei einem Patienten mit klinisch kompletter idiopathischer (Bellscher) Parese. Oben: In 8 fortlaufend registrierten Ableitungen stellt sich kein R 1 dar. Unten: Deutlich sichtbares R 1 nach Aufsummierung dieser Ableitungen

1. Man erfaBt ein ausreichend grol3es Muskelareal, so dab mit Sicherheit die zum Reflexbogen geh6renden motorischen Einheiten registriert werden. 2. Durch eine einfach durchffihrbare Messung des elektrischen Widerstandes lassen sich auch hierbei kongruende Ableitbedingungen herstellen, womit die gemessenen Amplituden beider Seiten vergleichbar werden. 3. Aufgrund von i. und 2. wird die Methode ffir eine Verlaufsbeobachtung exakt reproduzierbar und 4. sie ist nicht schmerzhaft. 5. Sie kann auch von medizinischem Hilfspersonal durchgefiihrt werden. Trotz der grogen Ableitungsgebiete zwischen differenter und indifferenter Elektrode, die die zur Reflexregistrierung herangezogenen Muskeln in ganzer Ausdehnung erfassen, kommt es nicht zum/,Jbersprechen der Reflexantwort auf benachbarte Ableitelektroden. Dies konnte an einer Reihe von Patienten mit partiellen Funktionsausf~illen nach Paresen gesichert werden.

C. Registrierung Durch Stimulation der Nn. frontales mit seitengleichen Stromsffirken lassen sich aus vier Muskeln, die ffir die mimische Motorik funktionell von Bedeutung sind, die Reflexantworten im exakten Seitenvergleich hinsichtlich ihrer Latenzen und Amplituden vergleichen. Bei fortgeschrittenen Paresen kommt es neben Ver~inderungen der Latenzzeiten zur Abnahme der Amplituden, die schliel31ich so klein werden k6nnen, dab sie sich nicht mehr eindeutig aus dem Rauschen abheben. In allen F~illen, in denen eine Reflexantwort nicht zweifelsfrei als solche zu identifizieren ist, empfiehlt sich die elektronische Aufsummierung von Einzelreizen mit Hilfe eines Averagers. Nach unseren Erfahrungen ist eine Anzahl von 20 Einzelreizen ausreichend. Da R1 im Gegensatz zu R2/iberwiegend monophasisch ist und bei der von uns verwendeten Ableittechnik eine groBe intraindividuelle Konstanz in seiner Latenz aufweist, hat sich dieses Verfahren insbesondere fiir die Beurteilung dieser ersten Reflexantwort bew~ihrt (Abb. 7).

Die trigemino-fazialen Reflexe

439

100"/, 80"/,

60"/,

,,13 j 29 14~ 143

40% 20"/,

M.orb.oculi

M.lev.labii

M.zygomat. M.orb.oris

Abb. 8. Prozentualer Anteil der auslSsbaren R 1 mit Amplituden kleiner als 50 ~V in den einzelnen Muskeln (Rechtecke) und im Gesamtmittel (Kreis)

#loo#v t

b-----t 10 msec

Iloo, v ,

(1

b

I T a' b'

T RI

~ 10 msec

H 10 msec

Abb. 9. Identifizierung von R 1 mit Hilfe des Averagers. Oben: Unwillk/irliche Muskelaktivit~it ohne vorausgegangenen Reiz. Mitte: Registrierung yon 2 ,,Reflexantworten" bei derselben Untersuchung, wobei es nicht m6glich ist, a bzw. a' oder b bzw. b' dem R 1 zuzuordnen. Unten: Erst nach Aufsummierung von 10 Einzelableitungenlassen sich a und a' einwandfrei als R~ identifizieren

Wir verwenden den Averager bereits ab Amplituden unter 50 mV, die uns bei der Einzelreflexregistrierung als nicht mehr sicher interpretierbar erscheinen. Dies tritt nicht nur bei pathologischen Bedingungen auf, sondern auch physiologischerweise. In unserem Kollektiv von 50 gesunden Probanden waren immerhin etwa 30% der ausl6sbaren R1 kleiner als 50 mV (Abb. 8). Der Averager bew/ihrt sich nicht nur bei der Identifizierung sehr kleiner Reflexantworten, wie dies vor allem bei der Beurteilung von Paresen bedeutsam ist. Er verhindert auch, dab m a n Schwankungen der elektrischen Stromkurve oder nicht fiber den Reflexbogen ausgelSste Muskelaktivit/iten fehlerhaft als R1 interpretiert (Abb. 9).

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E. Stennert et al.

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[The trigemino-facial reflexes: a methodological approach to the evaluation of facial nerve function (author's transl)].

Arch. Oto-Rhino-Laryng.217, 429-440 (1977) Archives of Oto-Rhino-Laryngology 9 Springer-Verlag 1977 Die trigemino-fazialen Reflexe: Ein methodischer...
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