Editorial Aufgabe des Radiologen in der Diagnostik und Differentialdiagnostik der akuten Appendizitis Von D. 5eyer

Nach EintUhrung der Abdomenübersichtsaufnahmen im horizontalen und vertikalen Strahlengang durch Schwarz, 1911, Stierlin, 15)13, und Kloiber, 1919, befindet sich die bildgebende Diagnostik des akuten Abdomens in der Hand röntgenologisch tätiger Ärzte. Die akute Appendizitis jedoch oder auch nur der vage Verdacht auf diese häufigste chirurgisch therapierte Abdominalerkrankung galtcn lange Zeit als eine Domäne der klinisch-chirurgischen Diagnostik. Röntgenaufnahmen des Abdomens wurden bei Verdacht auf Appendizitis vielerorts aus eher formalen Griinden angefertigt. Die obligatoriscl-ien Fragen „lleus?" und ,,Perforation?" erhielten dann nur selten eine positive Antwort; die Ausbeute an pathologischen Befunden auf hbdomenübersichtsaufnahmen war allenfalls bei vorliegendem Appendikolith oder in fortgeschrittenen Stadien der Appendizitis lohnend (2). Oft wurde eine genaue, durch bildgebende Verfahren untermauerte präoperative Diagnostik von chirurgischer Seite gar nicht angestrebt. Die Appendix galt als lästiges Rudiment, und die Appendektomie wurde zur häufigsten Operation in den Krankenhäusern des deutschen Sprachraumes. Die Häufigkeit der Appendektomie und die Mortalität durch Appendizitis waren dreimal so hoch wie im Ausland (3). Heute besteht ein internationaler Konsens, daß eine negative Laparotomierate von 20% in Kauf genommen werden kann, um die akute Appendizitis früh zu behandeln und so die Perforationsrate niedrig zu halten. In großen Operationsstatistiken der letzten Jahrzehnte überschritt der Anteil histologisch gesicherter akuter Appendizitiden aber kaum 50% (7, 11). Dazu trägt entschieden bei, daß die klinische Diagnostik der akuten Appendizitis schwieriger ist, als gemeinhin angenommen und in Lehrbüchern geschildert wird (8.11). Um zufriedenstellende Ergebnisse zu erhalten. ist man vielfach auf Blutbild, Verlaufsbeobachtung und den „Instinkt erfahrener Chirurgen" angewiesen (3). Es konnte gezeigt werden, daß sich die negative Laparotomierate von 70% auf unter 20% senken Iäßt, ohne daß die Perforationen zunehmen (7). Da Appendektomien von Kompli kationsraten bis zu 11% (5) und sogar 17% (4) begleitet sind. ist die Forderung nach einer akkuraten Indikationsstellung verständlich. Auch die durch Krankenhausaufenthalte von Portschr. Röntgenstr. 156.1 (1992) 1-2 O GevrgThieme Verlag Stuttgart. New York

Patienten ohne Appendizitis entstehenden Kosten sind nicht zu vernachlässigen. In den USA ist man seit vielen Jahren um eine exaktere präoperative Diagnosestellung bemüht. Anlerikanische Radiologen haben bei Verdacht auf Appendizitis mit Erfolg Rariumuntersuchiingen eingesetzt (6, 1 1). Dünndarmpassagen und Kolonkontrasteinlauf zeigen vergleichbare Ergebnisse. Die Kriterien bestehen in der ausbleibenden Füllung des Appendixlumens und einer fakultativen Impression des Zökums. Falsch-positive Ergebnisse sind hierjedoch ebenfalls möglich, d a sich die Appendix unter anderem bei der „fibrösen Obliteration" nicht darstellt. Falsch-negative Untersuchungen durch Koritrastmittelfüllung einer akut entzündeten Appendix sind eher selten. Eine Teilfüllung der Appendix bei akuter Entzündung im distalen Bereich führt allerdings zu falschnegativen Ergebnissen. Aus all diesen genannten Gründen wurden in den letzten fünf Jahren vielerorts Anstrengungen unternommen. um die klinische Treffsicherheit bei Verdacht auf Appendizitis durch Zusatzuntersiichungen zii verbessern. 1986 begann der Radiologe Puylaert in Den Haag, Patienten mit Verdacht auf akute Appendizitis mit einem für intraoperative Zwecke entwickelten Schallkopf zu untersuchen. Die von ihm entwickelte Technik der dosierten Kompression des Unterbauchs mit hochauflösenden Schallköpfen erschloß diese Region der sonographischen Diagnostik. Das Kriterium bei Verdacht auf Appendizitis ist die direkte Darstellung der entzündlich geschwollenen Appendix selbst. In großen prospektiven Studien wurde eine Sensitivität um 85 % und eine Spezifität von Ca. 97 % gesichert (3, 9 , 10, 121. Bei Patienten mit fehlender sonographischer Appendixdarstellung ist somit eine akute Appendizitis nicht völlig ausgeschlossen. Bei leichteren Beschwerden kann nach Rücksprache mit dem behandelnden Chirurgen zugewartet werden, bei weiteren akuten Symptomen wird der Chirurg laparotomieren. Falsch-negative Ergebnisse finden sich eher bei fortgeschrittenen Stadien mit klinischen Zeichen der Peritonitis. Somit ergänzen sich klinische und sonographische Diagnostik vortrefflich. Falsch-negative Untersuchungen werden mit zunehmender Erfahrung der Untersucher zu Raritäten. Durch die prospektiv-sonographischen Studien wurden auch die differentialdiagnostisch wichtigen Erkrankungen in ihrer Bedeutung neu gewürdigt. Akute infektiöse Ileitiden. die Lymphadenitis mes-

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Krankenhaus Porz am Rhein. Köln

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D. Beyer: Aufgabe des Radioloyer~in der Diagnostik

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enterialis und zahlreiche weitere Erkrankungen werden sonographisch zuverlässig erfaßt (3). Da ihr Nachweis das Vorliegen einer akuten Appendizitis unwahrscheinlich macht, trägt e r zii hoher Spezifität der Untersiichung bei. Ehemals sind sicher nicht wenige der Appendizitis-imitierenden Infektionen in der Gruppe der ,,katarrhalischen" oder ..subakuteri" Appendizitis untergegangen. Auch die Compiitertomographie wurde in der Diagnostik der akuten Appendizitis validisicrt (1).Kriterien sind neben der direkten Darstellung der Appendix insbesondere Verdichtungen im umgebenden Fettgewebe, die durch begleitende Periappendizitis und Abszedierung in fortgeschrittenen Stadien entstehen. Umschriebene Abszesse werden vielerorts erfolgreich unter CT-Führung perkutan drainiert (10). In der Nuklearmedizin konnte mit markierten autologeii Leukozyten die akute Appendizitis ebenfalls diagnostiziert werden. Verfahren mit schnell verfugbaren 99m~c-markierten Tracern. die für eine Notfalluntersuchung erforderlich sind, werden zur Zeit geprüft. Ziisammenfassend stellt die hochauflösende Sonographie heute die Methode der ersten Wahl dar. um die klinische Diagnostik bei Verdacht auf Appendizitis zii ergänzen und zu verbessern. Durch ihren Einsatz kann die Treffsicherheit der klinischen Erstuntersuchung deutlich gesteigert. die negat,ive Laparotomierate als Anteil unnötiger Appendektomien deutlich gesenkt werden (9.12). In den prospektiven Studien überwiegt das weibliche Geschlecht deutlich. Bei bestätigter akuter Appendizitis überwiegt allerdings das männliche Geschlecht (3). Konsekutiv müssen sich alle sonographierenden Ärzte auch mit der sonographischen Akutdiagnostik des inneren weiblichen Genitale befassen. um hier differntialdiagnostisch sattelfester zu werden. Die Altersverteilung der Patienten mit Verdacht auf akuter Appendizitis mit einem deutlichen Gipfel zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr erleichtert die sonographische Diagnostik der Appendizitis aus technischen Gründen erheblich. Bei der nicht seltenen Kombination „Höheres Lebensalter und Adipositas" ist bei fraglicher Appendizitis in seltenen Fällen auch eine Computertomographie indiziert. Bei anhaltenden untypischen Symptomen und negativer Sonographie ist zur definitiven Klärung der Operationsindikation eventuell eine Bariumuntersuchung anzuraten. Die Sonographie des rechten Unterbauches kann grundsätzlich von jedem durchgeführt werden, der über die notwendige Ausrüstung verfügt. Unabdingbar, aber auch vollkommen ausreichend, sind dabei die weit verbreiteten 5-MHz-Schallköpfe. Zur Zeit erproben neben medizinischen auch chirurgische Kliniken die Durchführung der gezielten Untersuchung des rechten Unterbauches. Gute Ergebnisse werden sich dort ergeben. wo ein Untersucher über einen gewissen Zeitraum durch einen bereits erfahrenen Kollegen in die Ultraschallanatomie unter Kompressionsbedingungen eingewiesen wird. Alternativ lassen sich diese Kenntnisse bei ausreichendem Interesse und entsprechender Vorbildung auch selbständig erwerben. Die Methode ist lehr- und lernbar geworden. Sie ist keinesfalls eine .,Spezialuntersuchung", die nur von Anwendern mit langjähriger Erfahrung durchgeführt werden kann. In der von mir geleiteten Abteilung haben seit

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dem Beginn der prospektiven Studie am 1. 9. 1987 2 Oberund 6 Assistenzärzte die Methode an über 1300 Patienten mit Verdacht auf akute Appendizitis erlernen können und führen sie selbständig im Bereitschaftsdienst durch. Die besten Ergebnisse wird freilich derjenige erreichen, der die größte Einsatzfreude mitbringt und die meisten Erfahrungen bei akutem Abdomen auch mit anderen bildgebenden Verfahren sammeln kann. Radiologen haben unter diesen Gesichtspunkten beste Voraussetzungen. Nicht zuletzt ist auch die personelle Kontinuität an radiologischen Institutionen und die Möglichkeit der freien Wahl der riotwendigen Untersuchungsgänge ein großer Vorteil. Radiologen sollten selbstbewußt ihren Anspruch auf die Diagnostik des rechten Unterbauchs vertreten, denn die akute Appendizitis ist heute gleichermaßen eine Diagnose der Bildgebung und der klinischen Diagnostik.

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Prof: Ur. med. D. Beyer -

Chefarzt der Radiologischen Abteilung Krankenhaus Porz am Rhein Urbacher Weg 19 5000 Köln 90

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2 Fortschr Ronlyensir. 156.1 --

[The task of the radiologist in the diagnosis and differential diagnosis of acute appendicitis].

Editorial Aufgabe des Radiologen in der Diagnostik und Differentialdiagnostik der akuten Appendizitis Von D. 5eyer Nach EintUhrung der Abdomenübersic...
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