Übersichten HNO 2013 · 61:1017–1025 DOI 10.1007/s00106-013-2773-5 Online publiziert: 30. November 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Redaktion

P.K. Plinkert, Heidelberg

Hintergrund Durch Schwartze (1864) und Jago (1867) wurde die klaffende Tube erstmalig in der Fachliteratur beschrieben. Schwartze charakterisierte sie durch ein stark atrophes Trommelfell mit atemsynchroner Bewegung. Die Inzidenz der klaffenden Tube wird mit etwa 6% angegeben [20]. Nur 10–20% der Betroffenen suchen aufgrund ihrer Beschwerden einen Arzt auf und auch bei diesen Patienten dauert es oft sehr lange bis zur Diagnosestellung [6]. Einige Untersuchungen legen nahe, dass eine klaffende Tube über habituelles „sniffing“ zur Entstehung von Cholesteatomen beitragen kann. Ohta et al. untersuchten 113 Cholesteatompatienten und eine Vergleichsgruppe von 178 Patienten mit chronischer Otitis media bzw. von 30 Patienten mit Otosklerose. Dabei zeigte sich eine signifikant höhere Inzidenz von „sniffing“ in der Gruppe der Cholesteatompatienten [15]. Zu möglichen Ursachen dieser Erkrankung gibt es bisher nur wenige Daten. In aller Regel muss die Genese als idiopathisch eingestuft werden. Als prädisponierende Faktoren werden in der Literatur starker Gewichtsverlust mit Atrophie des Ostmann-Fettkörpers und Schwangerschaft genannt. Auch ein möglicher Zusammenhang mit Muskelatrophie und den zugrunde liegenden zumeist neurologischen Erkrankungen, Medikamenten, wie z. B. Diuretika, oder Kiefergelenkserkrankungen wird erwähnt [20]. Die Länge der Ohrtrompete zwischen dem Tubenostium im Nasenrachen (Ostium pharyngeum) und der Paukenhöhle (Ostium tympanicum) beträgt beim

S. Schröder  · M. Lehmann · H. Sudhoff · J. Ebmeyer Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Klinikum Bielefeld

Das Syndrom der klaffenden Tube – neue chirurgische Therapieansätze Erwachsenen 31–38 mm. Sie besteht aus einem knöchernen Anteil (Pars ossea) und einem knorpelig-membranösen Teil (Pars cartilaginea), der etwa 2 Drittel ihrer Länge vom Epipharynx aus einnimmt [12]. Poe postuliert eine Art funktionelle Klappe 10 mm distal des Torus tubarius mit Bedeutung für den Tubenverschluss [5, 18]. Es werden 3 entscheidende Funktionen der Eustachi-Röhre beschrieben. Neben der Protektionsfunktion gegen Sekrete, Keimaszension und Schalldruck aus dem Nasenraum spielen die Drainagefunktion und die Ventilationsfunktion mit Druckausgleich in beide Richtungen für eine optimale Stellung und Schwingungsfähigkeit des Trommelfells eine wesentliche Rolle. Die Tuba auditiva ist im Normalfall geschlossen und öffnet sich z. B. beim Schluckakt für wenige Millisekunden (insgesamt 3–4 min pro Tag). Die Öffnungskomponente wird entscheidend durch Kontraktion der Pars profunda des M. tensor veli palatini und des M. levator veli palatini am inferioren Abschnitt der Tube vermittelt. Wichtige Funktion für den Verschluss der Tuba auditiva hat der Ostmann-Fettkörper, der die Tubenöffnung limitiert und zusammen mit einem peritubaren Venenplexus den passiven Verschluss der Tube unterstützt. Dementsprechend ist es nachvollziehbar, dass es durch veränderten Muskelzug beispielsweise bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, Reduktion des Ostmann-Fettkörpers und reduzierten Gewebedruck bei starker Gewichtsabnahme oder durch Veränderungen der Oberflächenspannung durch Prostaglandine in der Schwangerschaft zu einer klaffenden Tube kommen kann. Ei-

ne erhöhte Inzidenz von klaffenden Tuben wird auch nach Bestrahlungen unter Einschluss des Nasopharynx beschrieben [2, 26]. Die genaue Pathogenese und auch Pathophysiologie der klaffenden Tube bleibt weiter unklar und damit wichtiges Ziel zukünftiger Untersuchungen.

Literaturrecherche In der online Literaturrecherche an der United States National Library of Med­ icine (PubMed®/Medline®) der National Institutes of Health mit dem Suchbegriff „patulous eustachian tube“ (klaffende Tuba auditiva) wurde nach Publikationen der letzten 20 Jahre gesucht. Dabei wurden Publikationen auf Deutsch und Englisch berücksichtigt. Es wurden Übersichtsarbeiten, Fallberichte oder Studien eingeschlossen, die bis Juni 2012 erschienen sind. Daraus ergaben sich 58 Veröffentlichungen. Bei 19 Publikationen liegt der Fokus auf Ätiologie, Pathogenese und Pathophysiologie der klaffenden Tube. In 15 Publikationen wurden diagnostische Verfahren untersucht. Es liegen nur 3 Reviews, 16 Fall- und Therapieberichte mit weniger als 10 Patienten und 5 Untersuchungen zu Therapieansätzen bei größeren Patientenkollektiven vor. Die meisten Veröffentlichungen betreffen einzelne Fallberichte bzw. Therapieversuche. Es gibt keine Untersuchungen zu Therapieverfahren gleich welcher Art mit höherer Evidenz als Evidenzlevel 3.

Klinik – Anamnese und Befund Hauptsymptome der klaffenden Tuba auditiva beinhalten Druckgefühl auf den HNO 12 · 2013 

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Übersichten

Abb. 1 8 Reflex-decay-Messung in der Tympanometrie. a Beim Gesundem b bei klaffender Tube mit sägezahnartigen Druckschwankungen

Ohren, atemsynchrone Ohrgeräusche und Autophonie. Die eigene Stimme wird als störend laut, dröhnend und klirrend empfunden. Selten kann es zu Schwindel und Hörminderung durch starke Schwankungen des Drucks in der Außenluft bei fehlender Protektion durch die Tube kommen. Die Beschwerden liegen in aller Regel nicht permanent vor. Im Liegen oder bei Kopftieflage verschließt sich die offene Tube meistens zumindest vorübergehend. Die Patienten beschreiben häufig, dass ihre Beschwerden morgens etwa 30 min nach dem Aufstehen beginnen und sich bei körperlicher Anstrengung verstärken [20]. Klassischer Weise präsentieren sich die Patienten mit einem chronischen „sniffing“. Im Einzelfall kann die Diagnose einer klaffenden Tube dennoch schwierig sein. Wichtigste Differenzialdiagnosen einer klaffenden Tube mit z. T. sehr ähnlichem Beschwerdebild sind eine chronisch obstruktive Tubenventilationsstörung und die Dehiszenz des oberen Bogengangs [18]. Die Untersuchung des Patienten sollte erfolgen, während die störenden Beschwerden vorliegen. Körperliche Anstrengungen können diese ggf. verstärken oder herbeiführen. Wichtig ist dabei, die Untersuchungen stets im Sitzen durchzu-

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führen, da die Beschwerden und Befunde in liegender Position oft verschwinden. In der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-ärztlichen Untersuchung zeigt sich das Trommelfell i. d. R. ohne pathologischen Befund und nur gelegentlich atroph. Bei forcierter Atmung kann eine Trommelfellbewegung sichtbar werden. Poe empfiehlt, in der Untersuchung das kontralaterale Nasenloch beim Atmen zu verschließen, um eine mögliche Trommelfellexkursion zu verstärken [18]. Nach Durchführung des Valsalva-Versuchs berichten die Patienten über eine kurzfristige Erleichterung, die nicht zur Fehldiagnose einer chronisch obstruktiven Tubenventilationsstörung führen sollte. In der Epipharyngoskopie zeigen sich i. d. R. ein weit offener Tubenwulst und atem- oder schluckabhängige Öffnungen des Tubenostiums. Die Tympanometrie bildet die Druckverhältnisse im Mittelohr ab und kann atemabhängige Trommelbewegungen darstellen [6]. McGrath et al. [13] beschreiben in ihrer Untersuchung, dass etwa 75% der Patienten mit einer klaffenden Tube beim Atmen eine Compliance >0,07 ml und ein atemsynchrones Compliancemuster hatten. Es wird empfohlen, für 15 s eine Reflex-decay-Messung bei irregulärer In- und Exspiration durch das ipsilaterale Nasenloch bei verschlossenem

kontralateralem Nasenloch durchzuführen. Bei klaffender Tube ergibt sich ein typisches sägezahnartiges Kurvenmuster (. Abb. 1). In der Tubenmanometrie zeigt sich eine prompte Tubenöffnung mit R-Wert

[The patulous eustachian tube-novel surgical approaches].

A patulous eustachian tube (tuba aperta) may lead to an enormous reduction in quality of life. A patulous eustachian tube can cause symptoms such as a...
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