Beiträge zur Begutachtung Die häufigsten Arten von Selbstbeschädigung an den Extremitäten B. Verhestraeten, K. J. Münzenberg, W. Koc h Orthopädische Universitätsklinik Bonn (komm . Direktor: Pro f. Dr. K. J . Münzenberg)

Z usammenfassung

15 Fälle von Selbstbeschäd igung an den Extre mität en veranlaßten uns, an 4 Fällen die charakterist ischen Symp tome und Verlaufsfo rmen zu beschreiben. Am häu figsten sind handschuh artige Ödeme, die zur Fehldiagno se Morbus Sudeck führen können. Chronisches Beklopfen und Bekratzen des Weichteilgewebes löst eine lokale Schwellung aus, die an ein Sarkom denken läßt. Kont raktur en sind diagnostisch besonders schwierig. Die Ents tehungsweise durch eigene Manipulati on sollte man imm er in Erwäg ung ziehen, wenn die Kra nkhe itserscheinungen unglaublich lange anhalten auch nach einem adä quaten Tr aum a - , wenn die Ursache nicht du rch einen mecha nischen oder neurologischen Befun d zu erk lären ist und wenn die Symptomatik nicht in allen Einzelheiten zur imitierten Krankheit

paßt. In der Regel gesteht der Pat ient die Selbstbeschädigung ein, wenn er sich klar du rchschaut fühlt. The Most Common Types of SelfIn flicted Injuries tn the Limbs We describe the characteristic symptoms and the progre ss of self-inflicted inj uries to the limbs on the basis of 4 out of 15 cases. Glove-like edemas (which can lead to the misdiagnosis Sudeck' s disease) are the most frequent. Chronic tapping and scrat hing of soft tissues induces Iocal swelling which suggests a sarcoma. Co ntractures are especially diffic ult to diagnose. Development resultin g fro m seIf-manipulation should always be considered when the disease manifestations persist for an incredibly long time (even after an adeq ua te traum a) , when the cause canno t be explained by mechanical or neurological findings and when the symptoms do not mat ch the imitated disease in all deta ils. Mostly th e patient own to the self-inflicted injurie, when he clearly feels to be sized up .

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© 1990 F. Enke Verlag Stuttga rt

In der Psychiatrie gehören Selbstbeschädigungen zu den gar nicht so selten zu beobachtenden Erscheinungsformen kran khaften Verhaltens (5, 6). Besonders häu fig sind sie in der aku ten Psychose und bei einigen For men der infa ntilen Zerebralpar ese zu finden. Hier sind sie nur ein einzelnes und oft nur unte rgeordnetes Symptom des jeweiligen Kran kheitskom plexes und nicht ein das ganze Kran kheitsbild beherrschendes Ph änomen. Ihren besonderen Charakter hab en sie in Kriegszeiten. Hier ist ihr Zweck ganz offensichtlich, und dementsprechend können die Verletzungen auch schwerste Ausmaße annehmen bis hin zu hochgradigen Selbstverstümmelungen mit traum atischen Amp utationen ganzer Gliedmaßen. Aber auch in Zeiten der Prosperität sind autoaggressive Beschädigungsmechanismen gar nicht so selten und könn en, wenn ihr Zweck nicht sogleich vor Augen liegt, den Arzt vor größere diagnos tische Schwierigkeiten stellen. Das gilt vor allem dann , wenn das soziale Umfeld oder der Vert rauen erweckende Eindruck des Pat ienten an eine solche Möglichkeit primär gar nicht denken läßt . Es ist nun interessant , daß auch die Selbstbeschädigungen an den Extremitä ten gewisse charakteristische Verlau fsformen und stereotype Sympto menbilder zeigen, die es erleichtern, an die ungewöhnliche Pa thogenese zu denken und sie dan n auch leichter aufzudecken. Beisp iele a us der Kasuisti k Vo n unseren 15 Patienten so llen 4 Fä lle beschrieben werden , die u .E. das Spektr um der häufigsten Möglichkeiten hinsich tlich Symptomati k und Verla uf der krank haften Umgesta ltungen widerspiegeln . Vor allem auch sollen die differentialdiagnostischen Unte rscheidungsmö glichk eiten zu den imitierten Erkrankungen au fgezeigt werden . 1. Fall: Eine da ma ls 47jäh rige Hausfrau klagte , als sie 1977 in un sere ambulante Behandlung trat, üb er eine seit mehr eren Mo nat en beste hend e Schwellung des dista len Dritt els des linken Unterarmes und der link en Hand mit Schmerzen bei Bewegungen im link en Hand gelenk. Vorausgegangen waren schon eine inten sive, aber erfolglose Behandlung mit Lymph drainage, Hochlageru ng des Armes, Ana lgetika und Krank eng ymn astik. Bei der Erstuntersuchung fand sich eine un scha rf begrenzte Schwellung im distalen Bereich des link en Unterarmes und der linken Hand. Die Haut war von no rmale r Farb e, nicht glänzend und zeigte keine Hinweise au f eine vegetative Ent gleisung . Der geschwollene Bezirk wurde a ls druckschmerzhaft bezeichn et. Die Rö ntgenaufna hm en zeigten eine diffuse, nicht fleckig e Kalk salzminderung der Ulna und des Rad ius im dista len Anteil und de r

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Abb . 1 Deutliche Schwellung des dista len Unterarmes und der Hand . Schnürfurchen als Zeichen einer Strangulation im Übergang vo n der proximal en zur distalen Hälfte des Unterarmes

Abb. 2 Die Biopsieentnahmestellen sind 9 M onate postoperativ immer noch mit Krusten belegt. Deutl iche Volumenzunahme des linken Oberschenkels. Fehlen· des Haarw achstum im manipulierten Bezirk

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2. Fall: Ein 52jähriger Schreiner st ürzte 1986 wenige Wochen nach einer Varizenoperatio n und prall te mit der Außenseite des linken Oberschenkels gegen eine Tischkante. Da nach sei es zu einer zunehmenden derben Schwellung an der AußenVo rder-Seite des linken Oberschenkel s gekommen. d ie mehrmalige stationäre Aufenthalte erforderlich machte. Unter dem Verdach t eines Sarkoms oder Anasarkas wurden 2 Muskelbio psien vo rgeno mmen. Eine r der beiden histolo gischen Befunde lautete: " Intramuskulärer Subtyp der nodulären Fasziitis ; eine selbst begrenzte reaktive Wucheru ng von fibroplastischen Zellen, die zur Ausbildu ng von knotigen Str uktu ren sowo hl im Faszienbereich als auc h im vor liegenden Falle in den angre nzenden Muskelabschnitten kommen kann. Die Proli feration soll zum Teil als Folge von lokalen Tra umen auf tre ten" (2, 4). 9 Monate na ch der 2. Muskelbio psie wurde uns der Patient zur Klärung überwiesen. Die Biop sieentn ahmestellen fanden sich noch immer mit Krusten belegt und nicht verheilt (Ab b. 2). An der Außenvorderseite des linken O berschenk els lag eine etwa zhandtellergroße. nicht scharf begrenzte, derbe Schwellung vor; die Ha ut über d ieser Anschwellung war deutlic h weniger gut verschieblieh. Der Ob erschenkel umfang war übe r dem geschwollenen Bezirk um 5 cm verme hrt. Die Computertomographie nach intravenöser Kon trastmitt elinjektion ergab eine deu tliche Verdickun g des lateralen und ventralen Anteil es des linken Oberschenk els. Die Muskelsepten ware n a ufgehoben. Eine umb eschr iebene Abgrenzung war nicht möglich. Das Femur war nicht destru iert. Der ~L vastu s lateralis aber war teilweise hypodens du rchsetzt . Der N ~I R -Befund zeigte eine abges chwächt e Signalinten sität im Schwellungsbere ich und eine fehlende Signa lintensitätszunahme in den 2. Echos . Eine öde ma töse Schwellung, Blutun g oder ein Tum o r war eher unwa hrscheinlich. Das d igitale Substra ktionsa ngiogramm ließ keine patho logischen Gefäße erkennen. Unte r der Verdachtsd iagno se einer Selbstbeschäd igung legten wir über einem Zi nk leimverband einen Beckenbeingips an und entließen den Patienten a us der sta tio nären Beha ndlung. Nach 4 Wochen erschien er wieder wie vereinbart. Der Gips war jet zt im Oberschenkela nteil to tal demoliert und völlig weich. Der Oberschen kel fand sich noch immer umschrieben geschwollen, und die Haut war an den zuvor geschädigten Stellen noch kru stig belegt. In einem au sführlichen Gespräch gestand der Patient , daß er die Schädigung d urch breit flä chiges Beklop fen des Obe rschenkels mit der Handfläche selbst hervorgeru fen hatte. Als G rund gab er an, wegen finan zieller Schwierigkeiten weiter kra nk geschrie ben werde n zu müssen, um in der gewo nnene n Freizeit sich zusätzlich Geld verdienen zu kö nnen.

Handknochen ohn e Betonung der Metaphysen . Die Labo rbefun de (BKS. alkalische Pho sphatase, Blutbild, Elektrop ho rese) waren nor mal . Unter der Verdachtsdiagnose eines M . Sude ck leitet en wir damals noc h eine Behandlung mit Kortik osteroiden, Analgetika, durchblutungsfördernden Medi kamenten und Gip sschienenr uhigstellung des Unte r- und Oberarmes ein . Bei einer der 2wöchentlichen Kontr ollun tersuchung en fielen Strangulatio nszeichen im Überga ng von der proximalen zur distalen Hälfte des Untera rmes au f (Abb . I). Unter dem Verdacht der Selbstbeschädigung du rch Stran gulati on stellten wir nun den ganzen Arm im Thoraxabduktion sgips ruhi g. Nach 10 Tagen wurde der Gips wieder ent fernt . Das Öd em hatte sich jetzt erstm alig vollständ ig zurück gebildet . In einem vertraulichen Gespräch bestätigte die Patientin , die eine n Haushalt mit 5, z. T . noch kleinen Kindern zu fü hren haue, unsere Verdachtsdiagnose . Die Strang ulationen hat te sie mit einer Elektroschnu r vo rgenomm en. Zu den G ründen ihres Verh altens wollte sie sich nicht erklären.

3. Fall: Einer 56jäh rigen Fra u sei a m 3. 12. 1983 eine etwa l(z kg schwere Messingfigur auf den rechten Fußrücken gefa llen. Eine Hautverletzung habe sie sich dab ei nicht zugezo gen . Wohl aber sei alsbald der rechte Fuß angesc hwollen , wesha lb der Hausar zt zunächst Umschläge und Hochlageru ng verordne te . Dadurch aber sei d ie Schwellung, die sich zunäc hst allein auf den Fuß beschränkte, nicht zurückgega ngen. Am J9. J anua r 1984 erfolgte dann eine Röntgenkontro lle. Wegen anhaltender Beschwerden wechselte die Patientin im Frühjahr 1984 den Arzt, der nun unter der Verda cht sdiagnose eines Sudeck-Syndroms eine Kortikoidtherapie per os für d ie Dauer von 8 bis 10 Tagen in absteigender Dosierung ein leitete. Mitte J uni 1984 stellte sich die Patientin in einer Universitätsklinik vor , wo wegen Sudeck -Erkrankung eine Kalzitoninbehandlung, Hydergin, Lebenran und NaF (Ossin) empfoh len wurden. Im Sommer 1984 kon sultiert e die Patientin dan n einen niedergelassenen Ort hopäden . Den von diesem angelegten Gipsverba nd entfernte die Patientin nach 3 Tagen auf eigene Veranlassun g. Danach seien die Beschwerden so hefti g gewesen, daß Gehstützen hätten benut zt werden müssen: Anf a ng 1985 tr aten dan n a uch Beschwerd en im anderen Fu ß auf. 1m März 1985

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Die häufigsten A rten von Selbstbeschädigung an den Extremitäten

wur de d ie Pat ient in dann in einer rheumatologis ch-c rthopädisehen Klinik statio när behandelt. Hier wurde eine lytische Th erapie mit Megaphen, At osil, Dolantin und Hydergin und mit einem nochm aligen Kortison sto ß durchgeführt. Nach der stationären Behandl ung, die 3 Wochen da uene, waren d ie Beschwerden vollstä ndig und nun a uf Dauer zurückgegangen . Die Rönt genaufnahmen ließen zu keinem Zeitpunk t die für ein Sudeck -Syndrom char akt eristischen Zeichen erkenne n. Vielmehr fa nd sich nac h Monaten ein Rön tgenbild, weiches allein einer lna ktivit ätsatrop hie entspricht (Abb. 3). Auch die typ ischen klinischen Befu nde fehlten : Haar- und Nagelwachstumsstörungen, ödematöse Glanzhaut und extreme Dru ckempfindlichkeit des geschwo llenen Bezir ks. Dementsprechend konn ten auch Ko rt ikoide oder Kalzitonin keine Besserung bringen . Die Patientirr war a ls Ehefrau an einer Fabrik beteiligt , die in finan zielle SChwierigkeiten geraten war und haue sich ein halbes Jahr vor dem angeschuldigten Trauma gegen Unfallschäden extrem hoch versichert .

B. Verhestraeten und Mitar b. Abb. 3 Erhebliche lnaktivit ätsatrophie mit diffuser Osteoporose und strähniger Strukturierung der Spongios a sowi e Kalkablage rung in den We ichteilen

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In einem vertraulichen Gespräch mit dem Hausarzt hat die Patientin einer Selbst beteiligung am Entste hen des Krankheitsbildes nicht widersprochen. 4. Fall: Bei eine m da ma ls 21jä hrigen M ann wurde a m 23.9. 1986 in einem auswärtigen Krank enhau s eine Au ßenbandplasti k am rechten obere n Spru nggelenk vor genomm en, nac hdem wegen mehr facher vo ra usgega ngener Distor sionen Gipsbehand lungen ohne Erfolg geblieben waren . Der gegen den Willen des Patienten nach der Wundh eilung an gelegte Gips wurde nach einer Woche wegen a ngeblicher Schwellung, welche die damal s behandelnden Ärzte nicht bestätigen kon nten , wieder ent fern t und d urch einen neuen ersetzt. In diesem Gips , so ga b der Patient bei uns später a n, habe er regelrecht zusehen kön nen, wie " der Fuß sich nach innen zog ". Seit d ieser Zeit sei der Fuß aus der Fehlstellung nicht wieder herau sgeko mmen . Ende 1986 wurd e in einem a uswärtigen Kra nkenhaus der Fuß redressiert und in einem Gips ruhi ggestellt. Auch diese Maßnah me erb ra chte hinsichtl ich der Fehl stellung keinen Erfolg, so daß noch 2 Band plastiken a m Fuß versucht wurd en. Danach habe sich der Zustand nu r noch verschlim mert , so daß eine Belastu ng des recht en Fußes nicht mehr mög lich und der Patient au f 2 Untera rmstützen angewiesen gewesen sei. Einer damals einge leiteten psychot herapeutischen Behand lung stellte sich der Patient nur zu einem einzigen Gespräch. Seit 1987 suchte er dann wieder um Kliniken auf mit dem Wunsch einer operati ven Versteifun g des ob eren Sprunggelenkes. Da diesem Wunsch nicht entsprochen wurde , kam er mit demselben Begehren An fang 1988 in unsere Klinik. Die körperliche Unter suchun g zeigte eine deutliche Klump fu ßhaltun g (Abb. 4), die nur unter starken Schmerzä ußer ungen und musk ulären A rtspannu ngen passiv gerade noch aus gleichbar war. Die neuro logisch e Untersuchun g ergab keine krankhaften Verä nderungen ; auch elektrophysiologisch ließ sich keine neurogene Läsion nachweisen.

Der Patient war seit Jahren arbeitslos. Ein älterer Bruder war an einem angeborenen Klumpfuß erfolgreich operativ behandelt worden. Vorgeschichte und Befund legten den Verdacht nah e, daß es sich um eine Selbstbeschädigung handelte. Die ko ntrakt urart ige Fehlb ildung hatte sich der Patient durch wiederho lte und länger dauernde Bandagieru ng selbst zugefügt. Ein direktes Gestä nd nis legte der Patient nicht ab .

I>iskussion

Selbstbesc hädigungen an den Extrem itäten sind wahrscheinlich häu figer als wir sie diagno stizieren (5). Das gilt beso nders dann, wenn der Pat ient psychopathologisehe Au ffälligkelten nicht erkennen läßt und ernstha ft an der Au fklärun g der Diagnose und der Ausheilung der kr ankh aft en Erscheinungen interessiert zu sein scheint.

Abb . 48 U . b Klumpfußha ltung des rechten Fußes ta}. Zustand nach Redression in Narkose und Gipsimmobilisation in Korr ektursteIlung n»

Den Verdacht auf einen derartigen Entste-

hungsmechanismus sollte man immer aufkommen lassen, wenn die demonstrierte Symptomatik mit den imitierten Krankheitserscheinungen nicht so ganz übereinstimmt, die Genese sich pathologisch-anatomisch nicht ohne weiteres in ein bekanntes Ursachenschema einfügen läßt, insbesondere, wenn der Patient selbst ratlos hinsichtlich der Entstehungsweise oder des Verlau fs der krankhaften Veränd erungen zu sein scheint und wenn die pathomorphologische Sympto matik auffallend therap ieresistent ist. Unter derartigen Voraussetzungen scheint es geradezu charakteristische Verlaufsformen zu geben. Wichtige Hinweise auch sind es, daß der Patient, häufig nicht ohne vorsichtig vorwurfsvolle Bekundungen, die Tenden z hat, mehrere Ärzte au fzusuchen und daß es in der Regel diesen nicht gelang, eine Diagnose zu stellen. die in wesentlichen Merkmalen mit einer bekannten Krankheit übereinstimmt. Von unseren 15 Patienten hatte nicht einer wenigerals bereits 3 Praxen oder Kliniken aufgesucht, ehe unsere Behandlun g erfolgte. Bei keinem unserer Fälle war ein psychopatho logisches Verhalten auf Anhieb erkennbar. Die Patienten schienen nicht nur hinsichtlich Diagnose und Therapie besorgt zu sein, sondern erweckten auch zunächst immerden Eindruck der Kooperat ion. Zu ihrem Leiden standen sie nicht immer selten in einer Art schwebenden Verha ltens zwischen objektiver Distanz und subjektivem Beteiligtsein. Wenn der dringende Verdacht auf eine Selbstb eschädigun g gegeben ist dann sollte der entsprechende Extremitäten ab schnitt in einem Gips ruh iggestellt werden (5, 7). Dieser Gips sollte die beiden angrenzenden Gelenke mit einschließen und, wenn der Verd acht auf eine autogene Hautbeschädigung durch Reiben oder Bekratzen besteht , über einem Zinkleimverband angelegt werden. Die Dau er dieser Maßnahm e richtet sich nach der Beschäd igung. So ist ein einfac hes Ödem nach spätestens 10 Tagen abgeschwollen . Eine Hau teffloreszenz mit Krusten, Ero sionen oder tiefen Abschürfungen bedarf eines längeren Schutzes; hier sollte der Gips etwa 4 Wochen liegen. Wenn eine Autoaggressivität tatsächlich vorliegt, dann reagie rt der Patient auf den Gips char akteristischerweise mit einer von 2 Verhaltensweisen. Entweder halten die Krank en die Ruhigstellun gszeit ein und erscheinen auch zum angegebenen Termin für die Gipserufernun g. Die Phänomene der Zerstörun g sind dann ab geklungen, und die Pat ienten fragen jetzt regelmäß ig und ganz intensiv nach der Ursache, die dann vorgelegen habe. Läßt man sie im unklaren, dann kehren sie nach 3 bis 8 Tagen mit der alten Symptom atik zurück. Spätestens dann muß man ihnen die Ursache ohne jede Alternative vorhalten und nöti genfalls auch Konsequenzen ankündigen . 5 unserer 15 Patienten zeigten dieses Verhalten. Die Beschädigten der andere n Gruppe entledigten sich entweder nach 3 bis 8 Tagen ihres Gipses eigenmäc htig oder zerstörten ihn derart, daß er ihren Manipulationen nicht mehr im Wege stand , so daß bei der Konsultation die krankhaften Merkmale unverä ndert geblieben waren. Die Different ialdiagnose kann im einem oder and eren Fall nicht leicht sein. Am häu figsten sind die ödematösen Schwellun gszustände gegenüber Krankheiten mit dieser Symptomatik ab zugrenzen (I, 5, 6, 7). An erster

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Stelle sta nd in unserem Krankengut das Sudeck-Synd rom . Es wurde 11mal diagnostiziert, obwo hl in keinem Falle klinisch oder rö ntgenologisch die ganze Sympto matik dieser Erkrankung nachzuweisen war. Die Schwellung durch Selbstbeschädigung geht, wenigstens in den ersten Monaten, niemals einher mit der Symptomatik einer vegetativen Entgleisung im Sinne einer erhöhten Syrnpat hikotonie, also mit Nagel- oder Haarwuchsstörungen, glänzender und überwä rmtet Haut oder extremer Schme rzhaftigkeit , die Finger oder Zehen passiv zu bewegen. Auch röntgenologisch läßt sich die Selbstbeschädigung vom Sudeck-Syndrom abgrenzen. Für das Sudeck-Syndro m nämlich ist cha rakteristisch, daß von der kleinfleckigen Entk alkung vorwiegend die Hand- oder Fußwurzelknochen und die Epiphysen betroffen werden. In keinem unserer Fälle lag ein derartiges Demineralisationsmuster vor. Wenn es überhaupt zu röntgenologischen Erscheinungen kam, dann waren es Symptome der Ruhigstellung, also der In a ktivit ätsatrophie, mit zunächst gleichmäßiger Erhöhung der Strahlendurchlässigkeit und spä ter (in nur einem Falle) mit querer Aufhellung in der Metaphyse, die sich nachweisen ließen. Wenn sich, wie im I. Fall, Schnürfurchen finden, sind Diagnose und Pathomechnismus leicht in Stran gulation zu suchen (I , 5, 6). Ödeme bei Herzinsuffizienz oder infolge Verminderung des onkotischen Druckes sind regelmäßig dopp elseitig. Das gilt auch für Schwellungen info lge einer Nierenschädigung. Schwieriger ist die Abgrenzung eines einseitigen l.ymph öderns. Das primäre Lymph ödem läßt sich zweifelsfrei mit Hilfe der Lymphangiograpnie beweisen. Auch für das sekundäre Lyrnphödem, beispielsweise infolge einer malignen Lymphknotenaffektion , eines Tumors oder einer umschriebenen Lymphb ahn verletzung, gibt die Lymphan giographie wichtige Aufschlüsse. Das Lipöde m ist leicht gegenüber dem Artefakt abzugrenzen. Es betrifft fast nur Frau en und spart kennzeichenderweise den Fußrücken aus. Umschriebene Schwellungen müssen selbstverständlich an einen malignen Prozeß denken lassen. Wie der Fall 2 zeigt, ist die körperliche Unt ersuch ung nicht immer imstande, ein Sarkom auszuschließen. Auch über dem durch Manipulation entsta ndenen Bezirk ist die Haut nicht immer normal verschieblich; die tumoröse Schwellung ist nicht scharf abgrenzbar, und au ch ihre Konsistenz unterscheidet sich nicht von der eines bösartigen Weichteiltumors. Ein digitales Substraktionsan giograrnm ist aber immer unauffällig. Im Gegensatz zum Sarkom lassen sich keine atypischen Gefäß regionen und vor allem keine anarchisch malignen Gefäß bilder erkennen, so daß man dann im Regelfall au f die histologische Untersuc hung verzichten kann. Diese vermag, wie auch bei unserer Beobachtu ng (Fall 2), zwar den Verdacht auf eine Traumatisierungvermutenzu lassen, jedoch nicht endgültig zu sichern. Im allgemeinen ist das histologische Bild durch eine lokale entzündliche Myopathie gekennzeichnet mit gelegentlichen umschriebenen Muskelfasernekrosen, die der Phagozytose unterliegen können (2). 1m Elektro myogra mm ist die artifizielle Schwellung unau ffällig. Bei den Haut erscheinun gen han delt es sich immerum sogenannte Sekundärefflo reszenzen,

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Die häufigsten A rten von Selbstbeschädigung an den Extremitäten

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B. Verhestraeten und Mitar b.: Die häuf igsten Arten von Selbstbeschädigung

also nur um Krusten, Erosion en, Ab schürfun gen oder Geschwüre (5). In unserem ort ho pädisch geprägten Krank engut tra ten naturgemäß Hauterscheinungen zahlenmä ßig zurück. Geschwüre sahen wir gar nicht, auch keine Schnittoder Verbrennungsverlet zungen. Nur 2mal beobachteten wir eine Krustenb ildu ng und in einem Fa lle eine Ero sion auf dem Fußrücken. Die Tatsache, daß es sich immer um seku ndäre Ha uteffloreszenzen handelt, muß dann, wenn eine Erklä rung für die mangelhafte Heilungstendenz feh lt, an die mögliche Selbstbeschädigung denken lassen. Das Anlegen eines Gipsverbandes ist dann notwendig, um die Extremität vor den Manipulationen zu schützen.

Iismu skulatur (3). Er behandelte seine Pati ent en mit der Arthod ese des Chopartge lenkes und Verpfl anzun g der Sehne des M. tibiali s a nterio r a uf der Basis des fünfte n Metatarsale.

Ko ntraktur en infolge Selbst beschädigung sind selten (3. 5); wird sahen nur einen Fall am Fuß, nehmen aber an, daß sie an der Hand hä ufiger sein könnten (5). Nich t nur für den mit der Orthopädie nicht so ganz Vertrauten , sondern auch für den Orthopäden können so lche Deformität en, die Kontrakturen nur imitieren. er hebliehe diagnostische Schwierigkeiten bereiten. An die M öglichkeit einer artifiziellen Entstehung kann man immer dann denken , wenn kein einleuchte nder mechanischer oder neurol ogischer Gr und für die Fehlstellung erkennbar ist und wenn diese nicht einem beka nn ten Kontr aktursyndrom zugeordnet werden kann . Die Unters uchung in Narkose hilft vielfach weiter , währe nd die Ruhigstellun g im Gipsver ba nd nu r bedin gt nüt zlich ist.

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Im häu ser beschrieb 3 Fä lle eines psycho genen Klump fußes, der nicht auf einer organi schen Grundlage beruhte sondern au f einer Dauerkont ra ktion der Tib ia-

Wenn der Patient erkennt. daß der Arzt die Ursac henbeziehung klar durchschaut hat, gibt er in der Regel die Selbstbeschädig ung a uch zu; in unserem Kra nke ngut von 15 Patienten waren es 11 die sich dazu bekannten.

Literat ur I

Dr. B. Vem estraeten Prof. Dr. K. J . M ünzenberg Dr. IV. Koch Orthopädi sche Universitätsklinik Sigmund-Freud-Srr , 25 5300 Ho nn 1

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[The most frequent kinds of self-mutilation of the extremities].

We describe the characteristic symptoms and the progress of self-inflicted injuries to the limbs on the basis of 4 out of 15 cases. Glove-like edemas ...
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