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Propping, Krüger: Häufigkeit von Zwillingsgeburten

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 506-512 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

P. Propping und J. Krüger

Ober die Häufigkeit von Zwillingsgeburten

institut für Anthropologie und Humangenetik der Universität Heidelberg

In den letzten Jahren finden Mehrlingsgeburten, besonders höheren Grades, in der Tagespresse immer wieder

Aufmerksamkeit: Fotos von Eltern mit ihren gerade geborenen Vierlingen oder Fünflingen kehren mit Regel-

mäßigkeit in der Zeitung wieder. Oftmals wird gleichzeitig auf eine vorhergegangene Therapie mit gonadotrop wirkenden Medikamenten hingewiesen.

Zwillingsgeburten und Hormontherapie Tatsächlich kann an einem ursächlichen Zusammenhang

zwischen einer solchen Therapie, die wegen Kinderlosigkeit infolge anovulatorischer Zyklen durchgeführt wurde, und dem gehäuften Auftreten von Mehrlingsgeburten nicht gezweifelt werden (3, 14, 16, 24, 28). Die Häufung von Mehrlingsgeburten im Anschluß an eine Therapie mit gonadotrop wirkenden Medikamenten läßt sich zwanglos dadurch erklären, daß innerhalb eines

Zyklus öfter als sonst mehr als eine Eizelle ovuliert wird, zuweilen infolge zu hoher Dosierung. Deshalb sind die auf diese Weise zustande gekommenen Mehrlinge nicht ein-, sondern mehreiig. Da eine solche Behandlung jedoch nur an wenigen Frauen durchgeführt wird, ist ein merklicher Effekt auf die Mehrlingshäufigkeit in der Bevölkerung nicht zu erwarten.

Unabhängig davon wird immer wieder auch die Ansicht geäußert, infolge der heute verbreiteten hormonalen Kontrazeption müßten Zwillingsgeburten häufiger werden. Vielfach wird dabei von der Vorstellung eines Rebound-Effektes der Gonadotropine nach Absetzen der hormonalen Kontrazeptiva ausgegangen. Für eine iiberschießende Reaktion der zentralen Schaltstelle des Reglerkreises finden sich jedoch keine Anhaltspunkte (26, 39). Tatsächlich spricht nichts für einen solchen

Effekt von Ovulationshemmern: In der einzigen uns bekannten Studie zu dieser trage fanden Feldmann und Mitarbeiter (13) keinen Hinweis auf eine erhöhte Frequenz von Mehrlingsschwangerschaften nach hormonaler Kontrazeption. Allerdings konnten die Autoren nur 62 Mütter von Mehrlingen befragen. Schwerer wiegt das nächste Argument: Da zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland etwa 30% der Frauen Ovulationshemmer einnehmen und da diese Form der Kontrazeption

seit mehr als 10 Jahren praktiziert wird - wenn auch zunächst in geringerem Umfang -, müßte sich dies auf Populationsebene in einer Zunahme der Mehrlingsgeburten während der letzten Jahre äußern. Tatsächlich ist aber nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in einer Reihe weiterer Länder eine Abnahme zu beobachten.. Der Folgerung von Feldmann und Mitarbeitern (13), daß die Ansicht, nach Absetzen von

Ovulationshemmern käme es gehäuft zu Mehrlingsschwangerschaften, jeder Grundlage entbehre, ist daher auch bei Betrachtung der Zwillingshäufigkeit auf Bevölkerungsebene zuzustimmen. Vermutlich beruht die verbreitete irrige Vorstellung, die hormonale Kontrazeption beeinflusse die Mehrlingshäufigkeit, auf einer Verwechslung mit den gonadotrop wirkenden Medikamenten.

Häufigkeit der Zwillingsgeburten Wir haben bisher immer pauschal von Zwillingen oder Mehrlingen gesprochen. Tatsächlich sind jedoch einund zweieiige Zwillinge (bzw. ein-, zwei- und dreieiige Drillinge usw.) mit ihrer ganz verschiedenen Embryonalentwicklung zu unterscheiden. Im Einzelfall ist die Diagnose der Eiigkeit mit Hilfe von Blutgruppenbestim-

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Ubersichten

Propping, Krüger Häufigkeit von Zwillingsgeburten

Nr. 13, 26. März 1976, 101. Jg.

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methode angegeben. Danach ist

der Weinbergschen Differenzmethode tatsächlich systematisch unterschätzt werden, so dürfte die Abweichung jedenfalls nicht groß sein. Da kein anderes Verfahren zur Schätzung des Anteils der beiden Zwillingstypen existiert, müssen alle Häufigkeitsangaben auf Bevölke-

ZZ =2- PZ

basieren.

heit möglich. Für die Schätzung der Anzahl eineiiger (EZ) und zweieiiger (ZZ) Zwillinge innerhalb einer Bevölkerungsgruppe hat 'Weinberg (41) die Differenz-

und

EZ = Anzahl aller Zwillinge -ZZ. (PZ = Anzahl der Pärchenzwillinge).

Für die Häufigkeitsangaben sind die jeweiligen Absolutzahlen auf die Anzahl der Geburten insgesamt zu beziehen; dabei müssen natürlich sowohl bei den Zwillingen als auch bei den Gesamtgeburten jeweils Tot- und Lebendgeborene berücksichtigt werden, da die Totgeburtenrate von Zwillingen höher als die von Einlingsgeburten ist. Es ist auch klar, daß sich die Weinbergsche Differenzmethode nur auf die Zwillingshäufigkeiten zum Zeitpunkt der Geburt bezieht; im späteren Leben können die Verhältnisse infolge der Ubersterblichkeit eines Geschlechts durchaus anders sein. Die Weinbergsche Differenzmethode basiert auf zwei Annahmen: Die Wahrscheinlichkeit für jede der beiden gleichzeitig ovulierten Eizellen, von einem X-Spermium (-- Mädchen) oder einem Y-Spermium (-- Knaben) befruchtet zu werden, ist gleich groß, nämlich gleich 1/2; die Befruchtung jeder der beiden Eizellen mit einem X- oder Y-Spermium ist unabhängig davon, mit welchem Spermientyp die andere befruchtet wird.

Wenn beide Annahmen zutreffen, dann stellen die verschiedengeschlechtlichen Zwillinge (PZ) die Hälfte aller ZZ dar. Die erste Annahme ist zwar nicht exakt erfüllt, da das sekundäre Geschlechtsverhältnis etwa 107 0": 100 beträgt; die daher erforderliche Korrektur des Faktors 2 in der Weinberg-Formel ist aber so

gering, daß sie für die Praxis vernachlässigt werden kann. Nachdem die Weinberg-Methode seit fast 70 Jahren immer wieder angewendet worden war, ist kürzlich die zweite ihr zugrunde liegende Annahme in Zweifel gezogen worden. W. H. James (19) fand unter ZZ, die durch Blutgruppendiskordanz als solche diagnostiziert waren, häufiger gleichgeschlechtliche Zwillinge, als zu

erwarten gewesen wäre. Er interpretiert den Befund dahingehend, daß das Geschlecht der Frucht vom Tag der Konzeption abhängt und daß daher gleichzeitig ovulierte Eizellen mit höherer Wahrscheinlichkeit von

rungsebene nach wie vor auf der Differenzmethode Die Häufigkeit von EZ-Geburten schwankt auf der ganzen Erde weitaus weniger als die der ZZ-Geburten. In den meisten Untersuchungen bewegt sich die Häufig-

keit von EZ-Geburten um 3-4%o, sie schwankt auch säkular nur wenig. Tab. 1. Ausgewählte Häufigkeiten von Zwillingsgeburten (EZ und ZZ) pro 1000 Geburten (6, 37, 40) Herkunft

Periode

ZZ/1000 EZ/1000 Geburten Geburten

Spanien

1951-1953

5,9

3,2

Portugal

1955-1956

6,5

3,6

Frankreich

1946-1951

7,1

3,7

Österreich

1952-1956

7,5

3,4

Schweiz

1943-1948

8,1

3,6

Bundesrepublik Deutschland

1950-1955

8,2

3,3

Schweden

1946-1955

8,6

3,2

Italien

1949-1955

8,6

3,7

England und Wales

1946-1955

8,9

3,6

US-Wei6e

1905-1959

6,7

3,9

19051959

11,0

3,9

US-Chinesen

1905-1959

2,2

4,8

US-Japaner

1905-1959

2,1

4,6

Japaner

1955-1962

2,4

4,0

US-Neger

Kali-

Demgegenüber treten ZZ-Geburten bei den verschiedenen Rassen in sehr unterschiedlicher Häufigkeit auf (Tabelle 1). Die höchste ZZ-Frequenz findet sich unter der schwarzen Rasse, wobei einzelne Negerstämme, zum Beispiel die Yorubas in Nigeria, eine Zwillingshäufigkeit von etwa 4,5% aller Geburten (31) erreichen, von denen etwa 4,2% zweieiig sind. Auch unter den amerikanischen Negern sind ZZ deutlich häufiger als unter Weißen. Shipley und Mitarbeiter (37) haben für Kalifornien eine

Spermien desselben Typs befruchtet werden. Dies setzt Frequenz von 1,1% ZZ unter allen Neger-Geburten allerdings eine zumindest nahezu gleichzeitige Ovulation ermittelt gegenüber 0,67% bei Weißen. Daß die ZZder Eizellen voraus; gerade das gilt jedoch sicher nicht afrikanischer generell. James (18) vertritt die auch schon von anderen Rate amerikanischer Neer unterhalb der»weißer« Gene Neger liegt, kann durch die Beimischung Autoren (17) geäußerte Meinung, daß männliche Zygoten im Durchschnitt zu einem anderen Zeitpunkt des erklärt werden. In Europa liegt die ZZ-Rate im Mittel bei etwa 8 auf weiblichen Zyklus angelegt werden als weibliche. Es wäre voreilig, auf Grund der bisherigen Daten bereits 1000 Geburten, wobei in Südwesteuropa deutlich niedriauf eine Unrichtigkeit der Weinbergschen Differenz- gere Häufigkeiten vorkommen. Jedoch gibt es auch in methode zu schließen. Es ist durchaus vorstellbar, daß Europa Gegenden mit höherer ZZ-Frequenz: In der die von James aus vier Serien zusammengetragenen Periode von 1900 bis 1949 wurde auf den Aland-Inseln beobachtet; Zwillingspaare nicht absolut auslesefrei gewonnen eine Zwillingsgeburten-Rate von 15,2/1000 22,3/1000 Geburten waren, wie auch Bulmer (7) angenommen hat. Sollte von 1750 bis 1799 hatte sie sogar jedoch der ZZ-Anteil unter allen Zwillingen mit Hilfe betragen (10).

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mungen und des erbbiologischen Vergleichs mit Sicher-

Propping, Krüger: Häufigkeit von Zwillingsgeburten

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Unter der gelben Rasse treten ZZ-Geburten mit einer mittleren Frequenz von 4 auf 1000 Geburten auf, wobei

Alter der Mutter und den Geburtenrang korrigiert wor-

in Japan die niedrigsten Raten vorzuliegen scheinen. Auch unter den in Kalifornien lebenden Japanern und Chinesen fanden Shipley und Mitarbeiter (37) Häufig-

Unabhängig vom Alter der Mutter wird die Häufigkeitdes Auftretens von ZZ-Geburten auch vom Geburtenrang beeinflußt. Während der Anstieg der ZZ-Häufigkeit mit dem Alter der Mutter in zahlreichen Untersuchungen bestätigt wurde, gibt es über eine Korrelation mit dem Geburtenrang viel weniger Arbeiten (4, 25). Im Durchschnitt nimmt die ZZ-Rate pro Geburtenrang um

keiten von 2,1 bzw. 2,2 auf 1000 Geburten.

Die Unterschiede der ZZ-Häufigkeiten in den drei großen Rassen bleiben auch bei Standardisierung für das Alter der Mutter und den Geburtenrang bestehen (37). Sie können daher nicht durch Unterschiede in der Altersund Geburtenrang-Verteilung bedingt sein und müssen als ethnische, das heißt genetische Unterschiede angesehen werden.

Faktoren, die die ZZ-Häufigkeit beeinflussen Alter der Mutter und Geburtenrang. Bereits im Jahre 1901 hatte Weinberg (41) erkannt, daß die Wahrscheinlichkeit einer Zwillingsgeburt mit dem Alter der Mutter

zunimmt und daß diese Zunahme fast ganz auf dem Anstieg der ZZ-Rate beruht. Dieser Alterseffekt ist in der Zwischenzeit vielfach bestätigt worden: Die ZZRate steigt von Null i der Pubertät bis zum mütterlichen Alter von 35-39 Jahren annähernd linear um etwa O,7-0,8%o pro Lebensjahr an und fällt dann abrupt

ab. Detaillierte Statistiken an einem großen Untersuchungsgut stellen zum Beispiel die Erhebungen aus Italien dar (6, 25).

Neue Daten aus Baden-Württemberg, die anläßlich der Untersuchungen über den Rückgang der Zwillingsgeburten gewonnen wurden, finden sich bei Krüger und Propping (23). Die Ursache für die Zunahme der ZZGeburten mit dem Alter der Mutter ist unbekannt. Ein Zusammenhang mit der Höhe des Gonadotropinspiegels ist wiederholt erwogen worden und erscheint durchaus plausibel. Albert und Mitarbeiter (zitiert: 6) beschrieben einen kontinuierlichen Anstieg der Gonadotropinaus-

scheidung im Urin mit dem Alter der Frau; der hohe Gonadotropinspiegel könnte eine erhöhte Neigung zur Polyovulation bewirken. Der Abfall der ZZ-Häufigkeit in den letzten Jahren der fruchtbaren Periode der Frau

dürfte auf dem Nachlassen der Ovarialfunktion beruhen: Mit fortschreitendem Alter können trotz steigen-

der Gonadotropinspiegel immer weniger Keimzellen ovuliert werden. Für die Richtigkeit dieser erstmals von Milham (27)

aufgestellten Hypothese, daß ein Zusammenhang zwischen Gonadotropinspiegel und Häufigkeit der ZZ-Geburten besteht, können Untersuchungen von Nylander (32) sprechen. Er untersuchte die Gonadotropin-Blutspiegel an Frauen des Yoruba-Stammes in Nigeria, der die höchste bekannte Zwillingsrate aufweist. Die höchsten FSH-Spiegel wiesen diejenigen Frauen auf, die zwei Zwillingsgeburten hatten; dann folgten Mütter mit einer anamnestischen Zwillingsgeburt, während Mütter von Einlingsgeburten die niedrigsten FSH-Spiegel hatten. Mehrlings- und Einlings-Mütter unterschieden sich nicht in der Höhe des LH-Spiegels. Wenn diese Ergebnisse auch in das »Gonadotropin-Konzept« der ZZ-Geburten passen, so bleibt doch noch eine gewisse Unsicherheit dadurch, daß in diesen Untersuchungen nicht für das

den war.

etwa 0,8%o zu, wobei der Anstieg in den höheren mütter-

lichen Altersgruppen etwas stärker ist. Obwohl der Mechanismus des Geburtenordnungseffekts auf die

ZZ-Häufigkeit unbekannt ist, vermutet Bulmer (6) hormonelle Einflüsse durch die Schwangerschaften auch hier (Anstieg der Gonadotropinsekretion?) und weist auf die offensichtliche Gesetzmäßigkeit der Wurfgrößenzunahme mit jeder weiteren Gradivität bei multiparen Tieren hin. Über einen Zusammenhang zwischen der ZZ-Häufigkeit und dem Alter des Vaters ist nichts bekannt. Zwar findet sich auch nach Standardisierung für das mütterliche Alter in einzelnen Ländern ein gewisser Anstieg der Zwillingshäufigkeit (nicht aufgegliedert nach EZ und ZZ) mit dem väterlichen Alter, jedoch dürfte dies Ausdruck des ansteigenden Geburtenranges sein (4), da Geburtenrang und väterliches Alter positiv korreliert sind. Es ist überhaupt schwer vorstellbar, wie das väterliche Alter die Wahrscheinlichkeit der Geburt von Zwillingen beeinflussen sollte, da die wesentliche Voraussetzung, die Ovulation von zwei Eizellen, unabhängig vom Vater ist. Man könnte sich höchstens einen negativen Einfluß des väterlichen Alters infolge reduzierter Befruchtungsfähigkeit der Spermien älterer Männer vorstellen. Die Untersuchung dieser Frage dürfte fast immer an dem erforderlichen Umfang der zu analysierenden Stichprobe scheitern, da das Material nach drei Größen

- Alter der Mutter, Geburtenrang, Alter des Vaters aufgegliedert werden müßte.

Familiäre Faktoren. Bereits seit Beginn dieses Jahrhunderts wissen wir durch die Untersuchungen von Weinberg (41, 42), daß Zwillingsgeburten eine eindeutige familiäre Häufung zeigen und daß sich dies wiederum nur auf zweieiige Zwillinge bezieht. Die Befunde sind wiederholt bestätigt worden (5, 8, 15, 44). Lediglich Bulmer (S) hat jedoch für das Alter der Mutter korrigiert, ein Gesichtspunkt, der unbedingt berücksichtigt werden muß, weil natürlich Mütter von ZZ im Mittel älter sind als die Mütter insgesamt und daher auch eine höhere Wiederholungswahrscheinljchkejt für ZZ-Geburten haben. Ohne Alterskorrektur erscheint diese Wahrscheinlichkeit daher zu hoch; wenn für das mütterliche Alter korrigiert wird, ist nach Bulmer (6) für die Mutter einer ZZ-Geburt die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung einer ZZ-Schwangerschaft etwa viermal höher als die allgemeine ZZ-Häufigkeit in der Bevölkerung. Nicht nur für die Mutter eines ZZ-Paares besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, daß sich eine gleichartige Gravidität wiederholt, sondern auch für ihre weiblichen Verwandten. Weibliche Geschwister einer ZZ-Mutter verhalten sich hierin wie diese selber (43). Das gilt jedoch nicht für männliche Personen, weder Männer, die selber einem ZZ-Paar angehören, noch solche, die be-

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Propping, Krüger: Häufigkeit von Zwillingsgeburten

Nr. 13, 26. März 1976, 101. Jg.

gleiche gilt für männliche Geschwister von ZZ-Personen (43). Diesem auch schon von Weinberg (42) beobachteten Geschlechtsunterschied war zwischenzeitlich wider-

sprochen worden (15); danach sollte die Neigung zur Zwillingsgeburt auch über männliche Verwandte weitergegeben werden können. Hier dürften jedoch Auslesefehler zu einem verfälschten Ergebnis geführt haben. Cber die Natur des Erbganges besteht keine Klarheit. Der Neigung zu ZZ-Geburten dürfte ein multifaktoriel1er Erbgang mit Schwellenwerteffekt zugrunde liegen.

Die schon erwähnten Unterschiede der Gonadotropinspiegel könnten sehr gut an der Manifestation mitwirken oder sogar selbst der genetisch gesteuerte Parameter sein. Für eine Beteiligung genetischer Faktoren an der Entstehung eineiiger Zwillinge fehlen sichere Befunde. Die Wiederholungswahrscheinlichkeit für eine Zwillingsge-

burt ist bei EZ-Müttern auch nicht höher als die Wahrscheinlichkeit für eine EZ-Geburt bei beliebigen Müttern.

bewußte Familienplanung verzichtet wurde und sich daher die biologisch vorgegebene höhere Fruchtbarkeit der ZZ-Mütter auswirken konnte. Damit ist auch gleich-

zeitig eine Erklärung für den allmählichen säkularen Rückgang der ZZ-Geburtenrate möglich: Die in immer weiteren Bevölkerungsschichten angewandte Planung der

Familiengröße nähert die biologisch fruchtbareren ZZMütter in ihrer tatsächlichen Fruchtbarkeit einem mittleren Niveau an. Eine ähnliche Tendenz, wenngleich nicht so ausgeprägt, findet sich auch im Deutschen Reich kurz vor und zu Beginn des Zweiten Weltkieges (Ab-

bildung 1). Die zu dieser Zeit vom Staat propagierte Steigerung der Kinderzahlen könnte durchaus zu einer stärkeren Ausnutzung der Fekundabilität potentieller ZZ-Mütter geführt haben und so den beobachteten Anstieg der ZZ-Rate erklären. Allerdings läßt sich ein Geburtenordnungseffekt nicht ausschließen. Auch eine Zunahme des mittleren Gebäralters ist denkbar; eine Zunahme in dem Ausmaß, daß sie die beobachtete Vermehrung der ZZ-Geburten erklären könnte, ist jedoch unwahrscheinlich.

Zusammenhang mit chromosomaler »non-disjunc-

1901 -3g Deutsches Reich 1950 -70 Bundesrepublik Deutschland 1971 -72 Baden-Württemberg

tion«? Verschiedentlich ist über eine Häufung von Zwillingen bei Patienten mit einem Klinefelter-Syndrom be-

richtet worden (29, 30, 38), wobei die Mehrzahl der Zwillinge dizygot war. Dabei dürfte es sich jedoch nicht um einen Kausalzusammenhang handeln; vielmehr wird die Koinzidenz darauf beruhen, daß beide Ereignisse die ZZ-Geburt und die chromosomale »non-disjunction« - mit zunehmendem Alter der Mutter häufiger werden.

Die Hypothese der größeren Fruchtbarkeit von ZZ-Müttern

12

alle Zwillingsgeburten 10

8

ZZ - Geburten

6

L.

Wir haben gesehen, daß es eine familiäre, biologisch be-

dingte Häufung von ZZ-Geburten gibt. Läßt sich ein Unterschied zwischen ZZ- und Einlings-Müttern nachweisen? Eine Reihe von Befunden hat zu der Hypothese

der größeren Fruchtbarkeit von ZZ-Müttern geführt. Unter Fruchtbarkeit (Fekundabilität) soll hier die »Leichtigkeit« verstanden werden, mit der eine Frau konzipiert:

EZ - Geburten 2

20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 Abb. 1. Anzahl der Zwillingsgeburten pro 1000 Geburten, jeweils 1900 05

10

15

tionen sind durchschnittlich zum Eintreten einer Schwan-

Lebend- und Totgeburten (nach Angaben der Statistischen Jahrbücher des Deutschen Reiches, der Bundesrepublik Deutschland sowie Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden: Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 2 »Natürliche

gerschaft nötig (natürlich ohne daß Konzeptionsver-

Bevölkerungsbewegung», 1970).

Je geringer die Fekundabilität, desto mehr Kohabitahütung betrieben wird). Jeanneret und MacMahon (22) hatten in den USA ei-

nen stetigen Rückgang der Zwillingsgeburtenrate von 11,36 im Jahre 1922 auf 9,9/1000 Niederkünfte im Jahre 1958 beschrieben, der 1946 durch einen markanten kurzzeitigen Anstieg unterbrochen war. Sowohl der säkulare Abfall als auch der kurze Anstieg betreffen nur die zwei-

eiigen Zwillinge. Etwa zur selben Zeit (1946) stieg in den USA die allgemeine Geburtenzahl stark an. Innerhalb des vorhergegangenen Jahres war in den Vereinigten Staaten in kurzer Zeit eine große Zahl von Soldaten aus der Armee entlassen worden. In einer detaillierten Analyse der Daten haben Allen und Schachter (1, 2) er-

mittelt, daß die Zeit zum Eintreten der Konzeption im Durchschnitt bei Müttern von ZZ um 2,2 Monate kürzer war als bei der Gesamtheit der Mütter. Die Autoren

erklären dies damit, daß für begrenzte Zeit auf eine

Weitere Anhaltspunkte zugunsten der Hypothese einer

größeren Fruchtbarkeit der ZZ-Mütter sind folgende: Bulmer (4) beobachtete, daß die Zwillingshäufigkeit in den drei ersten Ehemonaten höher ist als in der späteren

Zeit. Auch Pollard (33) fand für Australien im ersten Ehejahr gegenüber dem zweiten erhöhte Zwillingsgeburtenraten, was der positiven Alterskorrelation der Mehrlingsgeburten zuwiderläuft. Man kann sicher für den ersten Ehe-Abschnittt, zumindest in der Zeit vor Einführung der hormonalen Kontrazeptiva, eine weniger bewußte Familienplanung annehmen. In dieselbe Richtung weist der Befund, daß auch unter illegitimen Kin-

dern die Rate der ZZ-Geburten in allen mütterlichen Altersklassen deutlich über der Rate ehelicher ZZ-Geburten liegt, obwohl die Mehrzahl der unehelichen Mütter erstgebärend ist (11, 12). Man darf für diese

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reits Vater eines ZZ-Paares sind, haben häufiger ZZNachkommen als der Bevölkerungsdurchschnitt. Das

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Propping, Krüger: Häufigkeit von Zwillingsgeburten

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Mütter allgemein eine geringere Tendenz zur Geburten-

planung annehmen, so daß sich auch hier die größere Fruchtbarkeit der ZZ-Mütter stärker entfalten kann. Die Tatsache der größeren Zwillingshäufigkeit unter

unverheirateten Müttern ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß diese Frauen häufiger ungewollt schwanger werden, im Durchschnitt niedrigeren sozialen Schichten entstammen, weniger an vorbeugenden Schwangerschaftsuntersuchungen teilnehmen und höhere Abortraten haben. Eriksson und Fellman (11, 12) schließen daher sogar, unverheiratete Mütter, die eine Schwangerschaft mit einer Geburt erfolgreich beenden, müssen einer »reproduktiven Elite« angehören.

Unter der ländlichen Bevölkerung wurden immer schon höhere ZZ-Raten beobachtet als in den Städten. Man spricht geradezu von einem »Urbanisierungs«Effekt, wenn die ZZ-Rate im Zusammenhang mit der Verstädterung eines Landes sinkt. Die Ursache könnte auch hier in der konsequenteren Familienplanung unter der städtischen Bevölkerung im Vergleich zur Landbevölkerung liegen. Auch Wyshak und White (45) glauben, aus Daten, die

sie aus Registern der Mormonen-Kirche gewonnen haben, Hinweise auf eine höhere Kinderzahl von Müttern, die Zwillinge geboren haben, erhalten zu haben im Ver-

gleich zu Ehen, in denen nur Einlingsgeburten vorkommen. Allerdings haben die Autoren nicht für das Alter

der Mutter und den Geburtenrang korrigiert, denn Mütter von Zwillingen dürften natürlich im Mittel älter sein und mehr Kinder haben und bereits deswegen eine größere Gesamtkinderzahl erreichen. Aus diesen Daten läßt sich daher nicht zuverlässig auf eine größere Fekundabilität von ZZ-Müttern schließen.

Welcher Faktor kann für die höhere Fruchtbarkeit von ZZ-Müttern ausschlaggebend sein? Mit Sicherheit werden zunächst erheblich mehr Schwangerschaften angelegt, als später Kinder geboren werden. Über die Häu-

figkeit des spontanen Fruchttodes, besonders in der Frühschwangerschaft, sowie die Ursachen dafür gibt es jedoch nur Schätzungen und Annahmen. Infolgedessen können die Ursachen für die größere Fruchtbarkeit von Müttern, die zu ZZ-Geburten neigen, von der Ovulation

bis zur späten Embryonalentwicklung reichen. Allen und Schachter (1, 2) vermuten eine irgendwie erleichterte Konzeption bei diesen Frauen, während Eriksson und Fellman (11, 12) eine höhere Ovulationsrate annehmen; Renkonen (34, 35) schließlich denkt an eine verschiedene immunologische Toleranz gegenüber dem Feten: Je größer die immunologische Toleranz der Mutter, desto größer die Chancen für die genetisch verschie-

Tab. 2. Häufigkeit der ZZ-Geburten pro 1000 Niederkünfte in verschiedenen Ländern. Mit Ausnahme der Angaben für die Bundesrepublik Deutschland sind geringfügige Abweichungen der Häuflgkeitsziffern möglich, da die Zahlen aus graphischen Darstellungen entnommen wurden (20, 23, 36)

Land

1946

1948

1950

1952

1954

1964

1966

1968

10,8

10,2

10,4

10,1

10,1

8,4

7,7

6,8

England und Wales

9,0

8,9

9,1

8,9

9,1

8,0

7,6

7,0

Norwegen

8,9

9,4

9,8

8,7

9,2

6,9

6,6

Schottland

1970

6,2 (1969)

Holland

8,2

8,8

8,8

8,9

8,8

7,4

7,2

6,5

6,4 (1969)

Schweden

Dänemark

8,2 (1955)

7,0

9,0

8,7

7,1

7,5

6,9

6,2

6,6

6,0

5,8 (1967)

(1958)

Belgien

8,0

7,0 (1969)

(1961)

Schweiz

7,9

7,5

6,9

6,3

5,5

Bundesrepublik Deutschland

8,59

8,22

8,23

7,51

6,97

6,42

6,03

Polen

9,1

9,0

8,9

7,9

7,5

6,9

6,0

9,1

8,9

8,7

7,7

7,1

6,7

6,0

6,4

6,5

5,8

5,4

6,7

6,3

5,8

6,3

Italien

9,5

8,9

Spanien

Portugal

(1955)

USA (Weiße)

Australien Neuseeland

7,5

7,1

7,8

6,4

6,3

5,7

7,6

8,4

6,9

7,0

6,6

8,8

6,4

6,6

6,7

6,5

5,6 (1969)

Japan

2,4

2,2

2,1

[The incidence of twin births].

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