Kommentare

M. Roggendorf

Seit 1 5 Jahren sind außer der Hepatitis A und der Hepatitis B weitere durch Viren übertragene Hepatitiden bekannt, die in Unkenntnis der Erreger mit dem Namen Non-A-Non-B-Hepatitis (HNANB) bezeichnet wurden. Das gehäufte Auftreten einer Form der HNANB nach Bluttransfusionen machte eine parenterale Übertragung wahrscheinlich (HNANB-P) ( 6 ) . Neben dieser parenteral, durch Blut oder Blutprodukte übertragenen HNANB-P ist inzwischen auch der Erreger einer wahrscheinlich fäkal-oral übertragenen Hepatitis Non-A-Non-B (HNANB-E) charakterisiert worden. Diese HepatitisForm wurde zuerst in Indien und später in der UdSSR beschrieben (1).Bei dem Erreger handelt es sich wahrscheinlich um ein Calizi-Virus (1I), für das der Name HEV vorgeschlagen wurde und auf das hier nicht näher eingegangen werden soll. Die neue Einteilung der Virushepatitiden und ihrer Erreger ist in Tabelle 1 zusammengestellt. Die klinischen und klinisch-chemischen Charakteristika der HNANB-P sind nicht eindeutig von denen der Hepatitis A oder der Hepatitis B zu unterscheiden. Deshalb erfolgte die Diagnose

immer durch den serologischen Ausschluß einer Hepatitis A, Hepatitis B oder sogenannter Begleithepatitiden, zum Beispiel durch Herpes-simplexVirus, Cytomegalievirus, Ebstein-Barr-Virus sowie Hepatitiden anderer (autoimmuner, toxischer) Ätiologie. Inwieweit ein oder mehrere Erreger eine HNANB-P auslösen können, ist bisher nicht geklärt. Auffallend ist, daß die HNANB-P bei etwa 50% der Erkrankten in eine chronische Verlaufsform übergeht. Die langjährigen Bemühungen, den oder die Erreger dieser HNANB-P mit klassischen virologischen Methoden zu charakterisieren, sind vor allem deshalb fehlgeschlagen, weil einerseits das Virus nicht in Zellen vermehrbar ist, andererseits ein direkter Erregernachweis in der virämischen Phase im Plasma nicht möglich war, weil die Virustiter im Serum nur 10" bis 104, in seltenen Fällen 106 Partikel/ml betrugen. Eine solche Virusmenge ist sogar mit den üblichen hochempfindlichen Radioimmunoassays (RIA) und dem ELISA nicht nachweisbar. Bei einer Hepatitis-B sind zum Beispiel mehr als 10'' Partikel/ml Plasma vorhanden.

Gentechnologische Charakterisierung des HepatitisC-Virus

Tab. 1 Neue Einteilung der Virushepatitiden

Kranheitsbezeichnung Hepatitis A

Virus (Virusfamilie)

I HAV (Picorna-Virus)

fruhere Bezeichnung

I

Hepatitis B

HBV (Hepadna-Virus)

Hepatitis C

HCV (Flavi-Virus)

Posttransfusions- oder sporadische Non-ANon-B-Hepatitis

Hepatitis D

H DV (»Viroid« ahnliche RNA)

Delta-Hepatitis

Hepatitis E

HEV (Calizi-Virus)

epidemische Non-ANon-B-Hepatitis

D t s c h . med. W s c h r . 1 1 5 ( 1 9 9 0 1 , 3 5 2 - 3 5 4 O G e o r g T h i e m e V e r l a g S t u t t g a r t . New York

Die gentechnologischen Verfahren waren die einzige Möglichkeit, das Problem der HNANB-P anzugehen. Dieser Weg ist von einer Arbeitsgruppe bei der Firma Chiron, Emeryville, CA, unter der Leitung von M. Houghton (3) eingeschlagen worden (Abbildung 1).Ihnen standen mehrere Liter ausgewählter hochtitriger Schimpansen-Plasmen aus experimentellen Infektionsstudien von Bradley vom Centre for Disease Control in Atlanta zur Verfügung. Die Nucleinsäure des unbekannten Virus wurde nach Anreicherung durch Pelletierung aus dem Plasma extrahiert. Unter der Annahme, daß das HNANB-P-Virus eine RNA als Genom besitzt, wurde die extrahierte genomische RNA mit der reversen Transkriptase in eine komplementäre, sogenannte C-DNAumgeschrieben. Diese C-DNAwurde in Bakteriophagen (hgT11-Expressionssystem) kloniert. Die-

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Max-von-Pettenkofer-Institut für I l y g i e n e u n d Medizinische M i k r o b i o l o g i e d e r U n i v e r s i t ä t M ü n c h e n

Gewinnung von infektiosem Plasma durch experimentelle Infektion von Schimpansen

1

Virusanreicherung durch Ultrazentrifugation

1

Extraktion der viralen Nucleinsaure

1

reverse Transkription zur Gewinnung einer C-DNA

1

Klonierung der C DNA in hgTl 1-Phagen

1 Identifizierung von Klonen, die Virusproteine exprimieren

1

Sequenzierung der viralen C DNA

Abb. 1 Gentechnologische Identifizierung des Hepatitis-C-Virus

Ses Vektorsystem ermöglicht die Expression von Proteinen, die von einer C-DNAkodiert werden. Mehrere Millionen solcher Klone wurden mit Seren von Patienten mit chronischer HNANB inkubiert, um Klone zu finden, die virale Proteine exprimieren und mit den HNANB-Antikörpern reagieren. In der Tat ist es Houghton und seiner Arbeitsgruppe gelungen, solche Klone zu identifizieren und genauer zu charakterisieren. Mit Hilfe dieses ersten Fragments (Klon 5-1-1) des Genoms konnten durch »primer extension« weitere Fragmente und schließlich das gesamte Genom des bis dahin unbekannten HNANB-Virus kloniert und sequenziert werden. Weitere Experimente mit den so gewonnenen Klonen zeigten, daß die virale RNA nur in RNA-Extrakten aus infiziertem Lebergewebe, aber nicht in Kontrollebern nachweisbar war. Das Genom dieses neuen Virus hat eine Länge von etwa 1 0 0 0 0 Nucleotiden, es hat eine PlusStrangpolarität und einen durchgehenden »offenen Leserahmen« (open reading frame, ORF): Es wird ein Polyprotein von der Messenger-RNA synthetisiert, das anschließend durch spezifische Proteasen in Struktur- und Nichtstrukturproteine gespalten wird. Diese Charakteristika des viralen Genoms, die durch Filtrationsversuche bestimmte Virusgröße von 50-70nm und der Nachweis einer lipidlöslichen Virushülle ließen die Autoren dieses neue Virus in die Familie der Flaviviridae einordnen. Das neue Virus wurde als Hepatitis-C-Virus (HCV) bezeichnet.

Entwicklung eines Tests zum Antikör~ernachweis Sobald die ersten C-DNA-Klone des HCV vorhanden waren, begann die Firma Chiron, einen Test (RIA und ELISA) zum Nachweis von spezifischen Antikörpern gegen HCV aufzubauen (10). Zu diesem Zweck wurde ein Teil des »offenen Leserahmens« des HCV mit der Superoxiddismutase als Fusionsprotein von 527 Aminosäuren in Hefezellen exprimiert. Dieses Proteinstück des HCV stammt aus dem Genombereich NS3 bis NS4, das heißt, die Antikörper sind nicht gegen ein Virusstrukturprotein,

Roggendorft Hepatitis-C-Virus

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sondern gegen ein Nichtstrukturprotein gerichtet, das für die Replikation notwendig ist und wahrscheinlich Proteaseaktivität besitzt. Das Fusionsprotein wurde aus den Hefezellen extrahiert, gereinigt und als Antigen für Westernblots und einen RIA bzw. ELISA eingesetzt.

Aussagekraft des Anti-HCV-Tests Welches sind nun die epidemiologischen und klinischen Erkenntnisse, die dieses neue Virus wirklich als den Erreger der parenteralen Hepatitis Non-A-Non-B identifizieren? Mit dem von Chiron entwickelten und von der Firma Ortho Diagnostic Systems übernommenen Test, der das identische Antigen enthält, können bei 70-92% der Patienten mit einer Posttransfusionshepatitis in Europa, Japan und den USA Antikörper gegen HCV nachgewiesen werden (1, 7, 14, 15, 18). Außerdem wurden bei sporadischer HNANB bei etwa 58-79% (7, 8) der Patienten, die an einer chronischen Verlaufsform litten, mit diesem neuen Test Antikörper nachgewiesen. Neueste Untersuchungen von Bruix und Mitarbeitern (2) sowie Colombo und Mitarbeitern (4) zeigten, daß Patienten mit einem primären Leberzellkarzinom eine hohe Durchseuchung mit HCV aufweisen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß das HCV das primäre Leberzellkarzinom direkt induziert, sondern eher, daß eine Zirrhose auf dem Boden einer chronischen HCV-Infektion die Ursache des primären Leberzellkarzinoms ist. Blutspender, die als Überträger des Virus in Frage kommen, sind je nach Region in 0- 1 , 5% anti-HCV-positiv (5, 9, 17). Diese Prävalenz bei Blutspendern kommt wahrscheinlich der Häufigkeit dieses Virus in der Normalbevölkerung nahe. Bei Risikogruppen, die häufig eine klinisch manifeste HNANB haben (Hämophile, Drogenabhängige, Dialysepatienten), wurden hohe Antikörperprävalenzen nachgewiesen. Bei Hämophilen lag die Prävalenz bei 60-90% (7, 13, 14, 161, bei Drogenabhängigen bei 50-70% (7, 14, 15). Bei Homosexuellen, die häufig mit HIV und HBV infiziert werden, und bei Hämodialysepatienten (Prävalenz 1-20%) gibt es noch kein einheitliches Bild über die Prävalenz des neuen Virus. Bei Patienten mit einer chronischen Verlaufsform der Hepatitis zeigen 90% hohe Anti-HCV-Titer (1: 1000 bis 1: 1 0 000). Die Aussagekraft des neuen Anti-HCV-Tests für klinische Fragen ist eingeschränkt, da die Antikörper erst 3-4 Monate nach Erkrankungsbeginn nachweisbar werden und da Antikörper gegen HCV bei Patienten, die keinen chronischen Verlauf zeigen, nach wenigen Jahren nicht mehr nachweisbar sind.

Klinische Bedeutung Diagnostisch ist dieser neue Test schon jetzt sehr hilfreich und kann in vielen Fällen den Verdacht auf eine HNANB-P erhärten. Man könnte

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DMW 1990, 115. 50..Nr. 9

354 Roggendorf: Hepatitis-C-Virus

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15 Roggendorf, M., F. Deinhardt, R. Rasshofer, J. Eberle, U. Hopf,

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Privatdozent Dr. M. Roggendorf Max-von-Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Universität Pettenkoferstr. 9a 8000 München 2

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die derzeitige diagnostische Aussage des Tests am besten damit vergleichen, als würde als einziger Marker der Hepatitis-B-Serologie das Anti-HBe zur Verfügung stehen. Weitere Tests, die Antikörper gegen Virusstrukturproteine, zum Beispiel das Capsid oder neutralisierende Antikörper gegen die Hülle, nachweisen, sind notwendig, um die Pathogenese und Epidemiologie der HCV-Infektion genau zu verstehen. Der Anti-HCV-Test sollte schon jetzt in das Screening von Blutkonserven einbezogen werden, auch wenn noch nicht bekannt ist, wie viele der antiHCV-positiven Konserven wirklich infektiös sind. Dadurch könnte die Zahl der posttransfusionellen Hepatitiden gesenkt werden, die bei 50% der Infizierten in einen chronischen Verlauf mit all seinen Folgen (chronisch-aktive Hepatitis, Zirrhose) übergehen.

DMW 1990, 115. Jq., Nr. 9

[The hepatitis C virus].

Kommentare M. Roggendorf Seit 1 5 Jahren sind außer der Hepatitis A und der Hepatitis B weitere durch Viren übertragene Hepatitiden bekannt, die in...
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