Leitthema Bundesgesundheitsbl 2015 · 58:291–297 DOI 10.1007/s00103-014-2116-z Online publiziert: 8. Januar 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Klaus Kaier1 · Stefan Fetzer2 1 Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland 2 Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Aalen, Aalen, Deutschland

Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) aus ökonomischer Sicht Seit dem Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) zum 1. Januar 2011 gibt es auch in Deutschland erstmals eine Nutzenbewertung von patentgeschützten Arzneimitteln mit daran anknüpfender Erstattungsverhandlung. Damit hat Deutschland mit vielen anderen Industrienationen gleichgezogen, in denen neu auf den Markt kommende patentgeschützte Arzneimittel schon seit einigen Jahren nach Maßgabe ihres (Zusatz-)Nutzens erstattet werden. Deutschland praktiziert dabei ein sog. zweistufiges Verfahren mit zunächst vom Preis unabhängiger Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bzw. durch das von diesem beauftragte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). An das Ergebnis der Nutzenbewertung anknüpfend erfolgen Erstattungsverhandlung der pharmazeutischen Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband bzw. eine Preisfestsetzung durch Eingruppierung in eine bestehende Festbetragsgruppe bei nicht belegtem therapeutischem Zusatznutzen. Damit folgt Deutschland dem Beispiel von Ländern wie Frankreich, Belgien oder Kanada, in denen zwar eine Nutzenbewertung, allerdings keine routinemäßige Bewertung und direkte Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen erfolgt, wie das bspw. in Großbritannien, Schweden und den Niederlanden der Fall ist.1 1 

Für einen internationalen Überblick über einzelne Regelungen zur Anwendung der Nutzenbewertung und Erstattungspreise für Arzneimittel vgl. Zentner und Busse (2011) sowie Paris und Belloni (2013) [1, 2]. Im Zuge des AMNOG ist allerdings eine Kosten-Nutzen-Bewertung für den Fall eines nicht akzeptierten Schiedsstellenspruchs vorgesehen.

Die Nutzenbewertung als solche kann zunächst als konsequente Anwendung der evidenzbasierten Medizin betrachtet werden, nach der Behandlungsentscheidungen auf Grundlage von empirisch nachgewiesener Wirksamkeit getroffen werden sollten. Insbesondere die im Prozess der Nutzenbewertung entstehende Notwendigkeit des Nachweises qualitativ hochwertiger Studien und der genauen Definition der zweckmäßigen Vergleichstherapie zielen in diese Richtung [3]. Der hierbei vorzulegende Nachweis weicht deutlich von den Anforderungen zur Überwindung der ersten „drei Hürden“ der Arzneimittelzulassung (Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit) ab, steht doch der „therapeutische Zusatznutzen“ gegenüber den bisherigen Behandlungsoptionen und nicht die allgemeine „therapeutische Wirksamkeit“ im Vordergrund [4, 5]. Zunächst lässt sich diskutieren, ob es sich bei der im AMNOG gewählten Systematik um eine „vierte Hürde“ handelt oder nicht. Zur Beantwortung dieser Fragen entscheidend ist der Umstand, ob Arzneimittel durch die Nutzenbewertung aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen werden. Im Gegensatz zu Ländern mit einer Positivliste sind neue Arzneimittel in Deutschland nach der Arzneimittelzulassung zunächst verordnungs- und erstattungsfähig und eine freie Preisgestaltung ist vor dem Prozessbeginn der Nutzenbewertung und der Erstattungsverhandlung möglich. Danach allerdings kann konstatiert werden, dass das Ergebnis der Erstattungsverhandlung (bzw. die Preisfestsetzung) einen Bezug zwischen den Kosten und dem therapeutischen Nutzen herstellt und deshalb zumindest indirekt den Her-

steller dahingehend beeinflussen kann, das entsprechende Arzneimittel dauerhaft auf den deutschen Markt einzuführen oder eben nicht.2 Warum aber gibt es nun auch in Deutschland überhaupt die Notwendigkeit, einen regulatorischen Preis anhand eines zu bestimmenden Nutzens bei Arzneimitteln festzulegen? Könnte es auf dem Arzneimittelmarkt nicht – wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch – zu einer Preissetzung durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage kommen? Ökonomisch betrachtet gibt es zur Beantwortung dieser Frage mehrere Aspekte, von denen im Folgenden drei diskutiert werden sollen. Naheliegend (und in der gesundheitsökonomischen Literatur am meisten diskutiert) ist, dass eine ökonomische Bewertung von Gesundheitsgütern hinsichtlich Nutzen- und Kostenaspekten einen Beitrag zum Ziel der effizienten Allokation (Zuordnung) knapper Ressourcen leistet, weil für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehende Mittel einer Knappheit unterliegen. Weiterhin ist das Gesundheitswesen von sog. Informationsasymmetrien durchzogen, die dazu führen, dass über das „normale“ Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage kein effizientes Marktergebnis zustande kommt. Eine Nutzenbewertung kann hier einen Abbau der Informationsasymmetrien bewirken und damit 2 

Bis Juli 2014 wurden bei fünf Wirkstoffen die Verhandlungen durch die Pharmaunternehmen abgebrochen und das Medikament vom deutschen Markt genommen, vgl. GKV-Spitzenverband (2014) http://www.gkv-spitzenverband.de/ presse/themen/amnog_verhandlungen/s_thema_amnog_verhandlungen.jsp, aufgerufen am 18.11.2014.

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015 

| 291

Leitthema dem sog. Marktversagen entgegenwirken. Schließlich haben Regime von Nutzenbewertungs- und Erstattungsverfahren mittel- bis langfristig auch Auswirkungen auf die strategischen Investitionsentscheidungen der Gesundheitsindustrie, die künftig ihre Forschungsanstrengungen – so die Hoffnung – mehr in Richtung der aus gesellschaftlicher Sicht sinnvollsten Bereiche ausrichten sollte. In diesem Sinne könnte die Nutzenbewertung auch einen Beitrag zu zielgerichteten Innovationen auf dem Gesundheitsmarkt liefern. Da eine abschließende ökonomische Evaluation der in Deutschland praktizierten Nutzenbewertung und Preiserstattung derzeit unmöglich erscheint [6, 7], verfolgt der vorliegende Beitrag das Ziel, mögliche Auswirkungen der Nutzenbewertung mit daran anknüpfender Preisgestaltung hinsichtlich der oben genannten drei Aspekte zu diskutieren. Hierbei steht immer der Vergleich mit der Situation vor Einführung des AMNOG im Vordergrund.3 Viele der diskutierten Aspekte lasen sich allerdings auf verschiedenste nationale Regulierungen des Preises patentgeschützter Arzneimittel anhand deren Nutzens verallgemeinern.

Nutzenbewertung als Instrument zur rationalen Allokation knapper Ressourcen In den meisten westlichen Industrienationen ist die Gesundheitsversorgung weitestgehend nicht dem freien Markt über3 

Vor dem Jahr 2011 und der Einführung des AMNOG gab es G-BA-Entscheidungen anhand von Nutzenbewertungen durch das IQWiG, die zu Festbetragsgruppenbildung, Therapiehinweisen, Verordnungsausschlüssen oder -einschränkungen wie z. B. im Bereich der Insulinanaloga führten. Darüber hinaus schloss das 2004 gegründete IQWiG seine erste Kosten-NutzenBewertung für Antidepressiva im Jahr 2013 ab. Letztendlich wurden hier aber immer nur einzelne Wirkstoffgruppen einer vergleichenden Analyse unterzogen – unabhängig davon, ob es sich um relativ neue Arzneimittel oder solche, die schon länger auf dem Markt waren, handelte. Mit dem AMNOG findet hingegen erstmals eine systematische Nutzenbewertung auf Grundlage des vom Hersteller eingereichten Dossiers und daran anknüpfende Erstattungspreisverhandlung für alle neu auf den Markt kommenden ambulant verabreichten Arzneimittel in einem relativ engen Zeitkorridor statt.

lassen, sondern wird entweder größtenteils in sog. Beveridge-Systemen durch den Staat selbst bereitgestellt oder in sog. Bismarck-Systemen durch Sozialversicherungen finanziert.4 Offensichtlich hat das Thema „Gesundheit“ – wie auch andere Themengebiete wie z. B. „Sicherheit“, „Umwelt“ oder „Freiheit“ – eine übergeordnete Bedeutung in unserer Gesellschaft und wird daher auch oftmals als „höchstes Gut“ bezeichnet [8, 9]. In Deutschland gibt es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass eine Krankenversicherungspflicht besteht und dass – zumindest die GKV betreffend – die Finanzierung der Gesundheitsversorgung nach bestimmten Gerechtigkeitsvorstellungen zu erfolgen hat. Auch die Frage, in welcher Höhe diese „solidarisch finanzierte“ Krankenversicherung – gemessen in Euro oder Beitragssatzpunkten – gedeckelt werden sollte, obliegt letztendlich einem demokratischen Abstimmungsprozess und kann damit als Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Präferenz angesehen werden [10]. Als Folge dessen sind die zur Verfügung stehenden Mittel für die Bereitstellung von Gesundheit nach oben hin begrenzt. Ökonomisch spricht man hier von der Knappheit von Ressourcen, die möglichst so eingesetzt werden sollten, dass ein hoher Grad an gesamtgesellschaftlicher Gesundheit resultiert. Dieser effiziente Einsatz der knappen Ressourcen wurde allerdings den Bereich der patentgeschützten Arzneimittel betreffend in den letzten zwei Dekaden zunehmend angezweifelt. Für eine abnehmende Menge an patentgeschützten Arzneimitteln wurde immer mehr Geld ausgegeben5 und darüber hinaus wurde von verschiedenen Seiten konstatiert, dass ein hoher Anteil dieser Mehrausgaben durch sog. Scheininnovationen verursacht wurde, die zwar chemische Innovationen darstellen, allerdings therapeutische Wirkungen in ähn4 

Dies gilt zu rund 50 % der Ausgaben selbst für das sog. marktwirtschaftliche Gesundheitssystem der USA. 5  Im Bereich der patentfreien Arzneimittel ist aufgrund von sehr starken Preisregulierungen, wie etwa Festbeträgen, Regeln zur Aut-idemSubstitution und Rabattverträgen in den letzten zwei Dekaden das Gegenteil zu beobachten [11].

292 |  Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015

lichem Ausmaß aufweisen wie bereits auf dem Markt befindliche günstigere Arzneimittel [11, 12]. Mit dem 2011 in Kraft getretenen AMNOG und den damit installierten Nutzenbewertungs- und Erstattungsregulierungen wollte die damalige Regierung genau an diesem Missstand ansetzen.6 Im Grunde genommen erfolgte damit in Deutschland aber nur eine „Feinjustierung“ des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 (1) Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) für patentgeschützte Arzneimittel, die zur ambulanten Versorgung vorgesehen sind. Nach diesem müssen die Leistungen der GKV „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“ und „dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“. „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Für die Umsetzung dieses Wirtschaftlichkeitsgebots hat der G-BA auf nationaler Ebene die „Deutungshoheit“ über den Leistungskatalog. Dadurch kann schlussendlich seine Zuständigkeit bei der Nutzenbewertung erklärt werden. Und auch, dass es dem GKV-Spitzenverband als gesetzlichem Dachverband aller Krankenkassen obliegt, auf Basis der Nutzenbewertung die Erstattungsverhandlung durchzuführen, kann als Ausgestaltung der dem deutschen Gesundheitswesen immanenten Selbstverwaltungslogik verstanden werden.7 In diesem Sinne kann die im AMNOG angelegte Nutzenbewertung mit anschließender Erstattungsverhandlung als Konkretisierung der Aufgaben der zuständigen Institutionen G-BA und GKV-Spitzenverband begriffen werden, die zu einer rationaleren Allokation knapper Ressourcen führen sollte. Bei den Preisver6 

Im Bereich der Generika gibt es in Deutschland schon seit längerem z. B. durch Festbeträge, Aut-idem-Austauschverpflichtungen und Rabattverträge diverse Instrumente, die Einfluss auf den Preis generischer Arzneimittel ausüben. 7  In der PKV gibt es keine nach oben fixierte Höhe „solidarisch“ finanzierter Ressourcen, sondern individuelle Versicherungstarife. Dennoch muss sich die PKV bzw. die Privatversicherten der Nutzenbewertung des G-BA und der Erstattungsverhandlung durch den GKV-Spitzenverband „unterwerfen“.

Zusammenfassung · Abstract handlungen des GKV-Spitzenverbandes ist dann auch – neben den Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie und den tatsächlichen Abgabepreisen in anderen europäischen Ländern – das Ausmaß des Zusatznutzens das zentrale Kriterium für die Erstattungsbetragsermittlung [13]. Dies ist gegenüber der Situation vor dem AMNOG hinsichtlich des ökonomischen Zieles einer möglichst effizienten Allokation knapper Ressourcen, durchaus zu begrüßen.

Nutzenbewertung als Instrument zur Informationsgewinnung In einem perfekten Markt haben alle Marktteilnehmer – im einfachsten Fall Anbieter und Nachfrager von Leistungen – alle relevanten Informationen und aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage resultiert ein Marktgleichgewicht, das die Anforderungen hinsichtlich ökonomischer Effizienz erfüllt. Gibt es aber eine ungleichmäßige Verteilung der Information zwischen Anbietern und Nachfragern und haben diese unterschiedlichen Interessen, so kommt es zu einem sogenannten Marktversagen aufgrund asymmetrischer Information. Durch Prinzipal-Agenten-Modelle lassen sich Informationsasymmetrien durch einen Prinzipal, der einen Agenten mit einem bestimmten Anliegen betraut, darstellen. Hierbei verfolgt der Agent aber ein anderes Interesse als der Prinzipal und besitzt einen Informationsvorsprung. Aufgabe der Prinzipal-Agenten-Theorie ist es nun, mögliche institutionelle Settings oder Vertragsbeziehungen zwischen Prinzipal und Agent herzustellen, die das ökonomische Ergebnis verbessern. Die Herstellung dieser Verbesserung ist allerdings immer mit zusätzlichen sog. Agency-Kosten (z. B. Überwachungskosten für den Prinzipal, zusätzlicher Dokumentationsaufwand für den Agenten zum Nachweis seines Handelns) verbunden, weshalb bei Vorliegen asymmetrischer Informationsverteilungen das ökonomisch beste Marktergebnis (sog. „first best“) niemals erreicht werden kann. Ziel der ökonomischen Forschung ist es nun, bei Vorliegen asymmetrischer Information Lösungen zu finden, die so nah wie möglich

Bundesgesundheitsbl 2015 · 58:291–297  DOI 10.1007/s00103-014-2116-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 K. Kaier · S. Fetzer

Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) aus ökonomischer Sicht Zusammenfassung Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat Deutschland ein zweistufiges Verfahren installiert, in dem der Erstattungspreis für patentgeschützte Arzneimittel an deren Nutzen gekoppelt wird. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, den ökonomischen Hintergrund für die Festlegung eines regulatorischen Preises für patentgeschützte Arzneimittel aufzuzeigen. Hinsichtlich der ökonomischen Ziele, einer möglichst effizienten Allokation knapper Ressourcen, der Reduktion von Informationsasymmetrien und der Förderung zielgerichteter Arzneimittelinnovationen bedeutet die im AMNOG angelegte Nutzenbewertung mit anschließender Erstattungsverhandlung einen deutlichen Fortschritt für das deutsche Gesundheitswesen. Demgegenüber stehen allerdings auch diverse Gefahren hinsichtlich der ökonomischen Zielerreichung. Neben der vielfältigen Kritik am Verfahren selbst, besteht die Gefahr, dass die beteiligten Institutionen mit der konkre-

ten Umsetzung der Nutzenbewertung und der daran angekoppelten Erstattungspreisfindung den gesellschaftlichen Präferenzen hinterherhinken und damit das Verfahren – gemessen an dem gesellschaftlich Wünschenswerten – suboptimal determiniert ist. Bezüglich der Innovationsfähigkeit der Pharmazeutischen Industrie ist festzuhalten, dass diese vor allem als Resultat des Zusammenspiels nationaler Restriktionen und der Forschungstätigkeit international ausgerichteter Arzneimittelhersteller zu sehen ist. Daher erscheint der derzeit zu beobachtende Trend zu nationalen Nutzenbewertungen und internationalen Preisreferenzierungen durchaus problematisch, allerdings folgt Deutschland mit dem AMNOG hierbei lediglich dem Trend anderer Industrienationen. Schlüsselwörter Frühe Nutzenbewertung · AMNOG · IQWiG · Zusatznutzen · Arzneimittelentwicklung

The German Pharmaceutical Market Reorganization Act (AMNOG) from an economic point of view Abstract Since the introduction of early benefit assessments in Germany, prices for new medicinal products are set in accordance with the “degree of additional benefit.” The major aim of the present work is to point out the economic rationale for the definition of a regulatory price for patent-protected drugs. With regard to the economic objectives of efficient allocation of resources, reducing information asymmetries, and promoting high-value innovation, the applied benefit assessments represent major progress in the German health care sector. In addition to the multifaceted criticism of procedural details, there is a general risk that the institutions involved are lagging behind societal preferences. In this case, early benefit assessments may lead to subop-

am „first-best“-Optimum liegen. Häufig benötigt es hier dann eine regulierende Instanz wie den Staat oder – wie im Falle des Gesundheitswesens – einer von diesem Staat installierten Selbstverwaltung. Das Gesundheitswesen ist von sehr vielen Informationsasymmetrien durchdrungen, die eine effiziente Marktalloka-

timal results. The pharmaceutical industry’s ability to innovate, on the other hand, may be seen to be a result of the interaction between national benefit assessments and the research activities of internationally oriented drug manufacturers. Accordingly, recent trends toward the implementation of national early benefit assessments in combination with international reference pricing may be seen to be critical; however, Germany is merely following the trend of other countries. Keywords Early benefit assessments · AMNOG · IQWiG · Degree of additional benefit · High-value innovation

tion verhindern [14, 15]. Beispielsweise ist der Patient bezüglich der Wahl, der für ihn passenden medizinischen Leistung generell auf die Expertise Dritter angewiesen [8]. Hätte er vollständige Information und würde als sog. souveräner Konsument agieren, wäre ein effizientes Ergebnis möglich, bei dem der Konsument durch

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015 

| 293

Leitthema seine Konsumentscheidung bestimmt, welche Menge an Gesundheitsgütern und -dienstleistungen angeboten werden. Im medizinischen Alltag ist dies jedoch nur sehr eingeschränkt der Fall und Behandlungsentscheidungen werden zu wesentlichen Teilen nicht vom Patienten selbst, sondern auf der Ebene des behandelnden Arztes getroffen (der als Agent des Patienten bezüglich der Auswahl auch einen Informationsvorsprung besitzt). Der Arzt nimmt damit eine Schlüsselposition bei der Verteilung von Gesundheitsleistungen ein, da er zum einen als Anbieter von Gesundheitsleistungen und zum anderen als Berater bei der Entscheidungsfindung eine Doppelfunktion innehat. Im Gesundheitswesen gibt es nicht nur zahlreiche Prinzipal-Agenten-Beziehungen, sondern oft ist auch unklar, wer eigentlich wessen Agent ist. Der Arzt kann beispielsweise auch als Agent einer Krankenversicherung betrachtet werden. Hierbei hätte er die Aufgabe eine aus KostenNutzen-Gesichtspunkten möglichst beste Therapie den Patienten (Versicherten) zu verordnen. Womöglich hat der Arzt aber andere Interessen, z. B. aus ethischen Gesichtspunkten möchte er dem Patienten immer die beste verfügbare Therapie verordnen oder aber er ist – weniger ethisch – von Produkten eines bekannten Pharmaherstellers mehr überzeugt, als von Produkten eines weniger bekannten. Deswegen gibt es entsprechende Anreizmechanismen, die z. B. über die Vergütungsart, Arzneimittelbudgets oder Definitionen leitliniengerechter Therapiehinweise ausgelöst werden sollen und die schlussendlich dazu dienen, dass der Arzt im Interesse der Krankenversicherung agiert [16]. In diesem Zusammenhang führt die Nutzenbewertung erst einmal zu einem Mehrgewinn an Informationen durch die Bestimmung des „therapeutischen Zusatznutzens“ gegenüber den existierenden Behandlungsoptionen. Sie begünstigt daher auf einer übergelagerten Ebene die Entscheidungsfindung, die zur Überprüfung der Erstattungsfähigkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durchgeführt wird und liefert wertvolle Informationen für die „gesellschaftliche Bepreisung“ neuer Arzneimittel in der Erstattungsverhandlung durch den GKV-

Spitzenverband.8 Verglichen mit der Situation vor dem AMNOG ist daher davon auszugehen, dass der Erstattungspreis von neuen Arzneimitteln auch deren Nutzen besser reflektiert als in einer Situation, in der Hersteller Preise frei wählen können.9 Auf untergeordneter Ebene können die durch die Nutzenbewertung gewonnenen Informationen Informationsasymmetrien zwischen den ärztlichen Entscheidungsträgern und den Anbietern des jeweiligen Arzneimittels verringern [13]. Darüber hinaus erlauben die gewonnenen Erkenntnisse eine potenziell zielgenauere Ausgestaltung des oben beschriebenen Interessensausgleichs zwischen Arzt und Krankenkasse(n). Schlussendlich schaffen die öffentlich verfügbaren Ergebnisse der Nutzenbewertung in Kombination mit der Signalwirkung der neuen Erstattungspreise mehr Transparenz über neue Arzneimittel und damit einen besseren Informationsstand für Patienten, die dadurch zumindest ein Stück weit mehr an Souveränität bzgl. ihrer Rolle als Marktteilnehmer gewinnen sollten. Insgesamt führt damit das AMNOG an verschiedensten Stellen zu einem Abbau asymmetrischer Information und ist deswegen aus ökonomischer Sicht zunächst begrüßenswert.

Förderung der Qualität des medizinisch-technischen Fortschritts Arzneimittel unterscheiden sich gegenüber anderen Gütern dadurch, dass bei ihnen mit ca. 10–15 Jahren ein relativ langer Zeitraum zwischen dem Forschungsbeginn bzw. der Patentierung einer neuen Substanz und der Markteinführung eines Arzneimittels liegt. Nach Schätzungen bleibt von ca. 5000–10.000 entwickelten Substanzen letztendlich nur ein Pro8 

Danzon spricht allgemein von Erstattungskontrollen als potenziell effiziente Antwort auf „insurance-induced producer moral hazard“ [17]. 9  Dies gilt besonders seit 2014. Durch die Angleichung der Arzneimittelpreisverordnung (Großhandels-, Apothekenzuschläge sowie Umsatzsteuer werden nun auf Basis des Erstattungspreises berechnet) sind im zustande kommenden Apothekenverkaufspreis die Ergebnisse der Erstattungspreisverhandlung bereits enthalten und damit als Preissignal öffentlich verfügbar.

294 |  Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015

dukt übrig, das auch tatsächlich im Gesundheitswesen zur Anwendung kommt [18, 19]. Der Innovationsprozess auf dem Arzneimittelmarkt ist daher seit Jahrzehnten ein interessantes wissenschaftliches Forschungsfeld [20], auf dem beispielsweise die Frage nach einer optimalen Patentlaufzeit diskutiert wird. Die Patentlaufzeit schafft dem Hersteller ein Monopol auf Zeit, in dem er für sein Arzneimittel einen – gemessen an den reinen Produktionskosten – recht hohen Preis verlangen kann. Die Erwartung dieser durch Monopolpreise erzielten Rendite liefert allerdings überhaupt erst den Anreiz, in die Erforschung neuer Substanzen zu investieren. Daher ähneln Arzneimittel Investitionsgütern, deren finanzielle Aufwendungen in der Gegenwart entstehen, deren – unsichere – Erträge aber erst in Zukunft zu erwarten sind [8]. Vor dem Hintergrund, dass Forschungsinvestitionen der pharmazeutischen Industrie im Hinblick auf den zu erwartenden betriebswirtschaftlichen Gewinn getätigt werden, stellt sich nun die Frage, inwieweit die Nutzenbewertung in der mittleren Frist dazu beitragen kann, dass die resultierenden Innovationen mehr an den gesellschaftlichen Präferenzen ausgerichtet sind. Hierbei besteht erst einmal die Hoffnung, dass die im Zuge der Nutzenbewertung notwendige Bestimmung des „therapeutischen Zusatznutzens“ dazu beitragen kann, dass Scheininnovationen nicht nur an ihrer unangemessen hohen Bepreisung gehindert werden, sondern auch weniger Ressourcen auf ihre Entwicklung entfallen. Mit anderen Worten geht es hierbei um die Vermeidung derjenigen Situation, in der es für Unternehmen der pharmazeutischen Industrie betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint, Ressourcen in die Forschung und Entwicklung gesellschaftlich wenig Nutzen stiftender Scheininnovationen zu lenken. Gerade die Kopplung des zu erwartenden Preises an den gesellschaftlich relevanten „therapeutischen Zusatznutzens“ könnte Anreize setzen, soweit dies frühzeitig absehbar ist, auch Investitionsentscheidungen konsequenter

am therapeutischen Zusatznutzen auszurichten.10

Diskussion Verglichen mit der Situation vor Einführung des AMNOG bedeutet die nun praktizierte Nutzenbewertung mit anschließender Erstattungsverhandlung einen deutlichen Fortschritt für das deutsche Gesundheitswesen hinsichtlich der ökonomischen Ziele, einer möglichst effizienten Allokation knapper Ressourcen, der Reduktion von Informationsasymmetrien und der Förderung zielgerichteter Arzneimittelinnovationen. Sie ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings gibt es auch massive Kritik am AMNOG. Diese betrifft zunächst einzelne Elemente der institutionellen Ausgestaltung der Nutzenbewertung. So wird etwa vielfach die Wahl der „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ durch den G-BA kritisiert, der hier einen zu großen Handlungs- und Ermessensspielraum hätte [5, 22]. Weiterhin wird angemerkt, dass der frühe Zeitpunkt der Nutzenbewertung nicht sachgerecht sei, da zu diesem nur Daten aus Zulassungsstudien vorliegen, das Herauskristallisieren eines Zusatznutzens gegenüber einer Vergleichstherapie aber möglicherweise erst später richtig festgestellt werden könne, wenn das Präparat auf dem Markt ist [22]. Zwar kann der pharmazeutische Hersteller nach einem Jahr z. B. über Zulassungserweiterungen Nachjustierungen des Zusatznutzens und des Erstattungsbetrages bewirken, allerdings ist dies eine Option, die er nur – so die Kritik – in Anspruch nehmen würde, wenn er dadurch einen Vorteil erwarten könne [13]. Auch gibt es kritische Äußerungen zum gewählten zweistufigen Verfahren. Ähnlich wie etliche deutsche Gesundheitsökonomen fordert etwa der Sachverständigenrat Gesundheit in seinem jüngsten Gutachten [5], auch Kosten-NutzenBewertungen zur Preisfindung anzuwen10  Ökonomisch spricht man in diesem Zusammenhang auch von der Verringerung von exante „moral hazard“, einer Situation, in der individuell rationales Verhalten (Entwicklung und Markteinführung von gesellschaftlich wenig Nutzen stiftender Scheininnovationen) zu einem kollektiv irrationalen Ergebnis führt [16, 21].

den und überdies hinaus für die Erstellung dieser nicht ausschließlich – wie bislang im Nutzenbewertungsprozess vorgesehen – das IQWiG zu beauftragen.11 Des Weiteren wird das für die Nutzenbewertung geforderte Studiendesign kritisiert, das im Allgemeinen nur darauf abziele, die Wirkungen gegenüber vergleichbaren Arzneimitteltherapien zu messen, eine Berücksichtigung von Wirkungen auf andere direkte oder indirekte Krankheitskosten wäre darüber hinaus auch sinnvoll [5]. Betrachtet man diese Kritik (wieder) auf einer übergeordneten Ebene, wird schlussendlich darüber diskutiert, ob die beteiligten Institutionen G-BA und auch IQWiG sowie GKV-Spitzenverband ihrer zentralen Rolle als Allokationsinstanz zur Zuteilung knapper Ressourcen und Förderung zielgerichteter Arzneimittelinnovationen auch gerecht werden können.12 Im Folgenden sollen daher die drei Aspekte „effiziente Allokation knapper Ressourcen, Reduktion von Informationsasymmetrien und Förderung zielgerichteter Arzneimittelinnovationen“ erneut diskutiert werden, allerdings unter der Annahme, dass die beteiligten Institutionen nicht in perfekter Weise agieren – auch weil die „Gesundheits- bzw. Arzneimittelwelt“ unter ökonomischen Gesichtspunkten wesentlich komplexer ist als in den bisherigen Ausführungen angenommen. Hinsichtlich des ökonomischen Zieles der rationalen Allokation knapper Ressourcen kann beispielsweise beachtet 11  Auch am vom IQWiG verwendeten Konzept der Effizienzgrenze für Kosten-Nutzen-Bewertungen gibt es massive Kritik innerhalb der gesundheitsökonomischen Literatur, vgl. hierzu die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie vom Juli 2014 [23]. Allerdings zeigt Gandjour (2014) beispielsweise, dass das Konzept der Effizienzgrenze verglichen mit dem Kosten-Nutzen-Konzept Kosten pro qualitätskorrigiertem Lebensjahr („cost-perQALY“) zu niedrigeren Arzneimittelkosten und niedrigerem Ausgabenwachstum für Arzneimittel führt [24]. 12  Optimale Preisregulierungsmechanismen können die „social willingness to pay“ für inkrementellen Zuwachs an Gesundheit wiederspiegeln unter der Voraussetzung, dass der „Comparator“ (also die zweckmäßige Vergleichstherapie) auf der „social willingness to pay“ basierte und dass der inkrementelle Wert des neuen Arzneimittels richtig bestimmt wurde und im Erstattungspreis enthalten ist [17].

werden, dass das Ausmaß der vorgegebenen Ressourcen für das Gesundheitssystem unter ökonomischen Gesichtspunkten im Zeitablauf nicht konstant gehalten werden muss. So kann sich etwa die gesellschaftliche Präferenz hin zu mehr Gesundheitsgütern entwickeln, weil eine höhere Sensibilität für die eigene Gesundheit „en vogue“ wird, ein technologischer Fortschritt im Medizinbereich mehr, bessere oder auch günstigere Behandlungsmöglichkeiten schafft oder Fortschritte im Bereich anderer Wirtschaftszweige bewirken, dass mehr Geld für Gesundheit zur Verfügung stehen sollte.Gerade in diesem Zusammenhang erscheint es von herausragender Bedeutung, dass der Umfang der für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Mittel keiner willkürlich fixierten Deckelung unterliegt, sondern konsequent an der gesellschaftlichen Präferenz ausgerichtet wird [8].Hinsichtlich des nun installierten Verfahrens im Zuge des AMNOG besteht jedoch die Gefahr, dass die beteiligten Institutionen mit der konkreten Umsetzung der Nutzenbewertung den gesellschaftlichen Präferenzen hinterherhinken und damit die „vierte Hürde“ – gemessen an dem gesellschaftlich Wünschenswerten – suboptimal determiniert ist.13 Betrachtet man den Aspekt der Informationsgewinnung näher, so muss zunächst angemerkt werden, dass der Prozess der Nutzenbewertung sowie der Erstattungspreisverhandlung selbst zusätzliche Kosten verursacht. Dies geschieht allerdings weniger durch den Ausbau von zusätzlichen „Nutzenbewertungsinstitutionen“ bei G-BA und IQWiG als vielmehr durch den zusätzlichen Aufwand für Pharmaunternehmen, der etwa durch die zusätzliche Anzahl an Studien zum Nachweis des Nutzens notwendig wird [25, 26].14 Daher birgt das vorgeschrie13  Diese Gefahr kann besonders deshalb gesehen werden, weil Deutschland – wie bereits beschrieben – eher als Nachzügler bei der Einführung einer Nutzenbewertung zu sehen ist. Im deutschen Gesundheitswesen erscheint es als relativ langwieriger Prozess Neuerungen einzuführen. 14  Das Ausmaß des gesellschaftlichen Zusatznutzens hängt auch maßgeblich davon ab, wie groß die Population ist, die durch die neue Therapie behandelt werden kann [16].

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015 

| 295

Leitthema bene Maß an Informationsgewinnung, also das Mindestmaß an zusätzlichem Nutzen, das nachzuweisen ist, die Gefahr mit sich, dass eine suboptimale Festlegung des „therapeutischen Zusatznutzens“ erzielt werden kann. Denn ebenso wie die Nichtexistenz der Nutzenbewertung (oder eine zu lockere Festlegung) den hochpreisigen Vertrieb von Scheininnovationen zulässt, beinhaltet eine zu restriktive Festlegung des „therapeutischen Zusatznutzens“ die Gefahr, dass Arzneimittel trotz eigentlich vorliegendem Zusatznutzen an den Anforderungen der „vierten Hürde“ (z. B. aufgrund der nicht finanzierbaren Studienbeweise) scheitern und im schlimmsten Fall von ihrer Markteinführung abgesehen wird. In Bezug auf die pharmazeutische Forschung wurde ein möglicher positiver Effekt durch das AMNOG auf „mehr nutzenrelevante Forschung“ diskutiert. Dieser Hoffnung zugrunde liegen allerdings die beiden Annahmen, dass der im Zuge der Nutzenbewertung bestimmte „therapeutische Zusatznutzen“ auch dem gesellschaftlich relevanten Zusatznutzen entspricht und Unternehmen der pharmazeutischen Industrie den finalen „therapeutischen Zusatznutzen“ bereits zum Zeitpunkt der Innovationsentscheidung absehen können. Insgesamt ergeben sich aber zwei gegenläufige Effekte: Wie bereits beschrieben wird den forschenden Unternehmen einerseits ein Anreiz gegeben, die eingesetzten Mittel auf „nutzenrelevante Forschung“ zu konzentrieren [13]. Andererseits wird durch einen am „therapeutischen Zusatznutzen“ orientierten Erstattungspreis die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass sich die getätigten Investitionen durch spätere erwirtschaftete Erträge amortisieren.15 Mit anderen Worten, wo vor der Einführung der Nutzenbewertung 5000–10.000 Substanzen getestet werden mussten, um ein Produkt erfolgreich in den Markt einzuführen sind – bei strengem Nutzenbewertungsregime und gleichbleibender Erfolgswahrscheinlichkeit für die „Entdeckung“ einer nut15  Es wird argumentiert, dass Preisregulierungen sowohl den erwarteten Ertrag einer Innovation als auch das für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehende Eigenkapital beeinflussen [18].

zenstiftenden Innovation – künftig möglicherweise 10.000–20.000 zu testende Substanzen notwendig. Letzteres bzw. allgemeiner die Frage nach dem Zusammenspiel von Nutzenbewertung oder Institutionen der vierten Hürde ganz allgemein und der Innovationsfähigkeit der Pharmazeutischen Industrie ist aber vor allem eine Frage des Zusammenspiels nationaler Restriktionen und der Innovationstätigkeit international ausgerichteter forschender Arzneimittelhersteller. Wäre Deutschland das einzige Land mit einer Bepreisung von Arzneimitteln anhand deren Nutzens, so hätte dies vermutlich nur geringen Einfluss auf die Investitionstätigkeit der international agierenden Pharmaindustrie. Wie in der Einleitung erwähnt, sind aber Institutionen der vierten Hürde in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Industrienationen eingeführt worden. Daneben werden mittlerweile bei der Erstattung von patentgeschützten Arzneimitteln in einer Vielzahl von Ländern internationale Preisreferenzierungen praktiziert [27]. Auch der GKV-Spitzenverband orientiert sich – außer am Ausmaß des Zusatznutzens und an den Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie – am Erstattungspreis in anderen Ländern bei den Preisverhandlungen. Dies führt erstens zu einem „Import“ der den internationalen Nutzen bzw. Kosten-NutzenBewertungen jeweils zugrundeliegenden Wertvorstellungen nach Deutschland. Im internationalen Kontext betrachtet ergibt sich zweitens – trotz nationaler Unterschiede16 – de facto eine Globalisierung der Erstattungspreise und aus Sicht des forschenden Unternehmens ein an den Nutzen angelegter „return on investment“ – mit der oben skizzierten Chance, dass eine zielgerichtete Entwicklung von Arzneimitteln mit einem wirklichen Mehr an Nutzen forciert wird, aber auch der Gefahr, dass zukünftig insgesamt weniger Forschungsausgaben im Pharmabereich getätigt werden und künftig insge-

16  Für einen Vergleich der deutschen Nutzenbewertung mit der französischen vgl. Ruof et al. [6].

296 |  Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015

samt weniger Arzneimittel auf den Markt kommen.17

Fazit Mit dem AMNOG hat Deutschland ein Verfahren installiert, das im Bereich patentgeschützter Arzneimittel den Erstattungspreis an den Nutzen koppelt und hat damit gegenüber anderen Ländern nachgezogen. Ökonomisch begründet werden kann dieser Schritt mit der Hoffnung, eine effizientere Allokation knapper Ressourcen herzustellen, den Abbau von Informationsasymmetrien zu bewirken und zielgerichtete Arzneimittelinnovationen zu fördern. Allerdings bestehen – neben der an anderer Stelle bereits oft diskutierten Kritik am konkreten Verfahren der Nutzenbewertung und der Erstattungspreisverhandlung – diverse Gefahren hinsichtlich der Zielerreichung. So setzt beispielsweise eine effiziente Allokation knapper Ressourcen voraus, dass das festgesetzte Ausmaß der Ressourcen im Zeitablauf konstant bleibt. Auch das vorgeschriebene Maß der Informationsgewinnung, also das Mindestmaß an zusätzlichem Nutzen, der nachzuweisen ist, kann für die pharmazeutische Industrie im Einzelfall so teuer werden, dass der Marktzutritt für ein innovatives Arzneimittel massiv erschwert wird. In Bezug auf die Anreizwirkung des AMNOG in Richtung Arzneimittelforschung besteht die Gefahr, dass das Gesamtvolumen an Aufwendungen für Forschung und Entwicklung aufgrund einer Skepsis bzgl. der Refinanzierung getätigter Investitionen durch die Pharmaindustrie zurückgefahren werden. Um genauere Aussagen zu treffen, müssten weitere Forschungsanstrengungen unternommen werden. Der vorliegende Beitrag verfolgt lediglich das Ziel, mög17  Nach Danzon führt eine Angleichung internationaler Preise für Patente durch Preisreferenzierungen oder Reimporte – unter globaler Betrachtung – zu einer Reduktion der sozialen Wohlfahrt [28]. Golec und Vernon argumentieren, dass die durch europäische Preisregulierungen eingesparten Ausgaben für heutige Konsumenten von Arzneimitteln schlussendlich zu Lasten der Behandlungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen (und deren Arbeitsmöglichkeiten in der Pharmaindustrie) erzielt werden [29].

liche Auswirkungen der Nutzenbewertung mit daran anknüpfender Preisgestaltung hinsichtlich der oben genannten drei ökonomischen Aspekte zu diskutieren – auch weil eine umfassende ökonomische Evaluation der in Deutschland praktizierten Nutzenbewertung und Preiserstattung derzeit unmöglich erscheint. Die aktuelle Diskussion über die Zielgenauigkeit des gewählten Verfahrens wird vielleicht in naher Zukunft eine konsequente Einbettung von Kosten-Nutzen-Analysen (deren vorteilhafteste Methodik ihrerseits wiederum Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Debatten ist) in das AMNOG-Verfahren bewirken. Darüber hinaus könnte auch auf politischer Ebene eine Diskussion darüber geführt werden, ob – ähnlich wie im Bereich der Arzneimittelzulassung – eine zentrale (Kosten-)Nutzeninstanz auf Europäischer Ebene installiert wird, da über die praktizierten Preisreferenzierungen eine Internationalisierung der Nutzenbewertung ohnehin bereits in vollem Gange ist. Insbesondere der Aspekt zunehmender internationaler Regulierungsbemühungen und deren Auswirkungen auf die zukünftige Forschung sollte sicherlich einer tiefergehenden modelltheoretischen Analyse unterzogen werden. Der derzeit zu beobachtende Trend zu nationalen Nutzenbewertungen und internationalen Preisreferenzierungen lässt hierbei zumindest keinen Schub der internationalen Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Pharmabereich erwarten. Für Deutschland allerdings gilt: Eine – weiterhin praktizierte – generöse Erstattung von neuen Arzneimitteln, ohne Zusatznutzen, hätte international auch kein starkes Gewicht auf den Anreiz zu Forschungsausweitungen gehabt. Warum sollte Deutschland dann als einziges europäisches Land die restriktiven Arzneimittelpreisregulierungen anderer Länder de facto quersubventionieren? Insofern folgt Deutschland mit dem AMNOG eigentlich nur dem Trend anderer Industrienationen.18

18  Lakdawalla und Sood sprechen in diesem Zusammenhang von „global free-riding“ [30].

Korrespondenzadresse Dr. K. Kaier Institut für Medizinische Biometrie und Statistik Universitätsklinikum Freiburg Stefan-Meier-Str. 26, 79104 Freiburg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  Dr. K. Kaier und Prof. Dr. S. Fetzer erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. Für wertvolle Hinweise und Hilfestellungen danken die Autoren Prof. Dr. Christian Hagist.

Literatur   1. Zentner A, Busse R (2011) Bewertung von Arzneimitteln – wie gehen andere Länder vor? G + G Wissenschaft 11:25–34   2. Paris V, Belloni A (2013) Value in Pharmaceutical Pricing. OECD Health Working Papers 63. OECD Publishing   3. IQWiG (2014) Allgemeine Methoden, Version 4.1 vom 28.11.2013. https://www.iqwig.de/download/IQWiG_Methoden_Version_4-1.pdf. Zugegriffen: 18. Nov. 2014   4. Schwabe U (2014) Nutzenbewertung von Arzneimitteln. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg) Arzneiverordnungsreport 2012. Springer-Verlag, Heidelberg, S 127–165   5. SVR-Gesundheit (2014) Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche, Berlin, Bonn   6. Ruof J, Schwartz F, Schulenburg JM, Dintsios CM (2014) Early benefit assessment (EBA) in Germany: analysing decisions 18 months after introducing the new AMNOG legislation. Eur J Health Econ 15:577–589   7. Schwander B, Banz K, Kaier K, Walzer S (2014) Evaluation of a possible predictor for Federal Joint Committee decisions on early benefit assessments according to the German act on the reform of the market for medicinal products. Health Policy 117:334–344   8. Breyer F, Zweifel P, Kifmann M (2013) Gesundheitsökonomik. Springer-Verlag, Berlin   9. Damm K, Schulenburg JM (2012) Gesundheitsökonomische Evaluation und Verteilungsgerechtigkeit. In: Schöffski O, Schulenburg JM (Hrsg) Gesundheitsökonomische Evaluationen. SpringerVerlag, Heidelberg, S 501–520 10. Schöffski O (2012) Einführung. In: Schöffski O, Schulenburg JM (Hrsg) Gesundheitsökonomische Evaluationen. Springer-Verlag, Berlin, S 3–12 11. Schwabe U (2013) Arzneiverordnungen 2012 im Überblick. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg) Arzneiverordnungsreport 2013. Springer-Verlag, Heidelberg, S 3–46 12. Glaeske G, Schicktanz C (2014) Barmer GEK Arzneimittelreport 2014. Asgard Verlagsservice, Siegburg 13. Haas A, Tebinka-Olbrich A (2014) Nutzenorientierte Medikamentenpreise – Das Arzneimittelneuordnungsgesetz AMNOG. In: Pfeiffer D, Stackelberg J-M, Kiefer G (Hrsg) GKV-Lesezeichen 2014 – Neues bewerten – Bewährtes erneuern. GKV-Spitzenverband, Köln, S 8–43 14. Arrow KJ (1963) Uncertainty and the welfare economics of medical care. Am Econ Rev 53:941–973

15. Mooney G, Ryan M (1993) Agency in health care: getting beyond first principles. J Health Econ 12:125–135 16. Rogowski WH (2013) An economic theory of the fourth hurdle. Health Econ 22:600–610 17. Danzon PM (2012) Regulation of price and reimbursement for pharmaceuticals. In: Danzon PM, Nicholson S (Hrsg) The oxford handbook of the economics of the biopharmaceutical industry. Oxford University Press, Oxford, S 226–301 18. Paul SM, Mytelka DS, Dunwiddie CT, Persinger CC, Munos BH, Lindborg SR, Schacht AL (2010) How to improve R & D productivity: the pharmaceutical industry’s grand challenge. Nat Rev Drug Discov 9:203–214 19. VFA (2014) So entsteht ein neues Medikament. http://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/sofunktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-einmedikament.html. Zugegriffen: 18. Nov. 2014 20. Comanor WS (1986) The political economy of the pharmaceutical industry. J Econ Lit 24:1178–1217 21. Bhattacharya J, Packalen M (2008) The other exante moral hazard. NBER working paper 13963 22. Dingermann T (2014) Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) und seine Folgen. Internist 54:769–774 23. DGGÖ (2014) Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie zu den inhaltlichen Aktualisierungen und Ergänzungen im Entwurf der Version 4.2 Allgemeine Methoden. http:// file.dggoe.de/2014-07-29_dggö_Stellungnahme_ IQWIG_Allgemeine_Methoden_4_2.pdf 24. Gandjour A (2014) Drug pricing and control of health expenditures: a comparison between a proportional decision rule and a cost-per-QALY rule. Int J Health Plann Manage. doi:10.1002/hpm.2247 25. Moeser G, Ecker C (2013) Indirekte Vergleiche in der frühen Nutzenbewertung in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Ges ökon Qual manag 18:235–243 26. Vach W (2014) Quantifizierung des Ausmaßes des Zusatznutzens von neuen Arzneimitteln: gering – beträchtlich – erheblich – 6 Anmerkungen aus der Sicht eines Biometrikers. Das Gesundheitswesen (in press). doi:10.1055/s-0033–1363682 27. Gandjour A (2013) Reference pricing and price negotiations for innovative new drugs. Pharmacoeconomics 31:11–14 28. Danzon PM (2011) The economics of the biopharmaceutical industry. In: Glied S, Smith P (Hrsg) The oxford handbook of health economics. Oxford University Press, Oxford, S 520–554 29. Golec J, Vernon J (2006) European pharmaceutical price regulation, firm profitability, and R & D spending. NBER Working paper 12676 30. Lakdawalla D, Sood N (2012) Incentives to innovate. In: Danzon PM, Nicholson S (Hrsg) The oxford handbook of the economics of the biopharmaceutical industry. Oxford University Press, Oxford, S 266–301

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 3 · 2015 

| 297

[The German Pharmaceutical Market Reorganization Act (AMNOG) from an economic point of view].

Since the introduction of early benefit assessments in Germany, prices for new medicinal products are set in accordance with the "degree of additional...
691KB Sizes 0 Downloads 7 Views