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Die Auswirkung von Kälte auf die Funktion

des Nervus facialis A. Schadel HNO-KlInik am Klinikum Mannheim (Direktor: Prof. Dr. U. Ganzer), Universität Heidelberg, Mannheim

Zusammenfassung

Die Synonyma ,,paralysie t frigore" und ,,rheumatische Parese" implizieren einen Kältereiz als auslösenden Faktor dieser Ldhmung. Die Kdlteeinwirkung reduziert die Perfusion des Nervus facialis jedoch nur unwesentlich. Erst die lokale Abkühlung auf 0 C führt zu einem Funktionsverlust durch Hemmung der für die Depolarisation der Zellmembran verantwortlichen schnellen Na-K-Kandle. Die vasomotorische Reaktion des Nervus facialis mit Kontraktion der Vasa nervorum ist ausgesprochen gering. Effects of Coldness Application on the Function of the Facial Nerve

Synonyms like "paralysie i frigore" and "rheumatic palsy" imply a dysfunction of the vasa nervo-

rum during coldness application. Cooling the nerve, however, only reduces perfusion by 18 %. Cooling of

the facial nerve with pure ice to 0 C leads to a functional loss due to a blockade of the temperature-controlled Na-K-channels. The vasomotor regulation of the nerve vessels under these conditions seems to be relatively unimportant.

Einleitung Die aus dem französischen Schrifttum kommende Bezeichung ,,paralysie a frigore" und auch der Begriff ,,rheumatische Parese" verdeutlichen, daI als auslösender Faktor für die Fazialisldhmung eine Dysregulation der

Vasa nervorum infolge Kdlteapplikation angenommen

wird, und zwar im Sinne eines erhöhten Sympatikustonus mit spastischer Kontraktion der Vasa nervorum und daraus folgender Minderdurchblutung. Der Zusammenhang zwischen Kältereiz und Fazialisparese konnte his heute statistisch jedoch nicht gesichert werden. Wir haben diesen Gedanken noch einmal aufgegriffen und mit Hilfe der LaserDoppler-Flowmetrie sowie elektrophysiologischer Funktionskontrollen mittels Elektroneuronographie (ENoG) die Auswirkungen einer Kdlteapplikation auf den Nervus facialis im Tierexperiment untersucht. Für die Versuche wurden

Kaninchen ausgewdhlt, da Vorversuche eine mit dem Homo sapiens vergleichbare Anatomie im Hinblick auf Lange und Durchmesser der einzelnen Nervsegmente und auch deren Blutversorgung ergeben hatten.

Material und Methode An jeweils 10 Kaninchen wurden die Temperatur der Kutis mit und ohne Fell sowie die Temperaturreduktion nach Eiswasserspülung der Kutis, des subkutanen Gewebes und des Fazialis-Epineuriums gemessen. Die Messungen erfolgten mit den in der Anästhesie gebräuchlichen MeIsonden einen Zeitraum von 10 Minuten.

Die Durchblutung des Nervus facialis wurde mit der Laser-Doppler-Flowmetrie gemessen. Die Laser-Doppler-Technik arbeitet mit einem 2-mW-Helium-Neon-Laser. Gemessen werden Frequenz und Intensitbt des an den Erythrozyten reflektierten Laserstrahles. Der Laserstrahl ist proportional der Anzahl der Zellen sowle deren Strömungsgeschwindigkeit. Damit migt der HeliumNeon-Laser den sogenannten Flow, der als Anzahl der Zellen pro

Mellvolumen x Geschwindigkeit der Zellen definiert iSt und der Durchblutung gleichgesetzt werden kann. Die Messungen erfolgten zeitabhangig uber jeweils 30 Minuten. Für das Plazieren der Mellsonde wi.irde der Nervus facialis 1 cm distal des Foramen stylomastoideum freigelegt (15, 18).

Das physiologische Korrelat der temperaturabhbngigen Aktionspotentiale wurde abschlieIlend bestimmt. An einem isolierten Nervenpräparat (peripherer Abschnitt) erfolgte die Hemmung der NaK*Pumpe mit Quabain (=Strophantin-G, 0,01 mM), wkhrend gleichzeitig mit Nadelelektroden das ENoG (Esslein, 1973) abgeleitet wurde (10, 17).

Ergebnisse Die Kutis der Kaninchen wies im Mittel eine Temperatur von 32,4° C auf. Die Eiswasserspulung erniedrigte die mittlere Temperatur der Kutis von 32,4 auf 28,4 °C. Subkutan wurde hierbei eine mittlere Temperatur von 32,8 °C gemessen. Wdhrend der Eiswasserspülung der von dern Fell befreiten Kutis fiel die Temperatur bei subkutan plazierter Mefsonde auf 12,7 °C im Mittel ab. Die auf dem Epineurium des Nervus facialis lokalisierte Mefsonde zeigte im Mittel 32,7°C an. Eine Eiswasserspulung der Kutis reduzierte die Temperatur des Epineurinums auf 13,2 °C.

Die Perfusionsmessung mit dem He-NeLaryngo-Rhino-Orol. 69 (1990) 242-245 Georg Thieme Verlag Stuttgart New York

Laser zeigte wdhrend dieser Versuche keine Reduktion der Durchblutung. Ebenso war mit der Elektroneuronographie keine Verdnderung dec aufsummierten Aktionspotentiale oder der Latenzen zu registrieren.

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Die Auswirkung von Kälte auf die Fun kiion des Nervus facialis

Laryngo-R.hino-Otol. 69 (1990) 243 Laser-Doppler-Flowmetry (Eiswasser)

Temperaturabhangigkeit (Mitteiwerte)

Temp. C flow-unite (%)

0

2: Temperatur der Kutis bei EiswasserspUlung 3: Temperatur Subkutis 4: Temperatur Subkutis bei EiswasserspUlung der Kutis 5: Temperatur Epineurium 6: Temperatur Epineurium bei Eiswasserspulung der Kutis 7: Temperatur Epineuriurn bei Eiswasserspulung des Nervus facialis

5

10

15

20

25

30

35

time (mm) Abb.2 Mitteiwert der FIow-Reduktion wShrend der Eiswasserspulung, bezogen auf em Ausgangsniveau von 100. Wbhrend der Abkiihlung, die Belastung erfolgte zwiscfien der 5. und 10. Minute der Messung, wird die Perfusion urn maximal l8°/o reduziert. Das ENoG zelgt nur bei direktem Eiskontakt eine Nullinie.

haben dieses Problem tierexperimentell zu lösen versucht

Nach direkter Eiswasserspulung des Nervus

facialis ergab die Laser-Doppler-Flowmetrie eine Reduktion

der Perfusion urn maximal 18 % Das Elektroneuronogramm war unauffallig.

und für die Untersuchung Kaninchen verwendet, weil bei ihnen der Nervus facialis anatomisch und im Hinblick auf die Blutversorgung dem Gesichtsnerven des Menschen entspricht.

Ms Ursache für die idiopathische Fazialisparese wird u. a. cine Dysregulation der Vasa nervorum angesehen (1, 4, 5). Worms und Chaims (1932) diskutierten einen Kältereiz als auslösenden Faktor der Dysregulation mit konsekutiv erhöhtern Syrnpathikustonus und hierdurch bedingten Gefa{spasmen der Vasa nervorum. Diese Theo-

In unseren Tierversuchen erniedrigte sich die mittlere, subkutan gemessene Temperatur von 32,8 C wihrend der Eiswasserspülung der Haut auf 12,7 °C. Diese keinen Einfluf1 auf die Perfusion Temperaturreduktion des Nervus facialis, gernessen mit der Methode der LaserDoppler-Flowmetrie, aus und bewirkt auch keine Potentialoder Latenzverãnderungen der aufsumrnierten Akrionspotentiale des ENoG. Da die Axone des Nerven einerseits von einem relativ kriftigen Epineunium umgehen und andererseits von einem u. a. auch wärmezuführenden urnfangreichen longitudinalen und transversalen Kapillarnetz durchzogen werden (2, 3, 16), sind die Nervenfasern offenbar gegen äu{ere Temperaturschwankungen so gut abgeschirmt, da1 erst die unmittelbare Eiswasserspülung einen mefbaren Einflug auf die Reagibilitat der Vasa nervorum ausübt und eine Kontraktion der GefäIe zu einer entsprechenden Flowreduktion führt. Die Reduktion liegt mit maximal 18 % jedoch in keiner nennenswerten Grd1enordnung und das ENoG zeigt dementsprechend keine Veränderung der Reaktionslage. Die vasomotorische, d. h. die eine lokale Stimulation laufende Reaktionsfähigkeit der Vasa nervorum ist offensichtlich sehr gering ausgebildet. Sogar der direkte Eiskontakt reduziert die Perfusion nicht wesentlich. Erst die definierte, lokale Abkuhlung auf 0 C führt zu einem vollstandigen elektrophysiologischen Funktionsverlust — nicht aber zu ciner Untcrbrechung der Durchblutunig. Die autoregulatorischen Funktionsmechanismen dominieren offenbar bei der Regulation der Durch-

ne wurde u.a. von Cobb und Coggeshall (1934) sowie

blutung.

AbschlieIend wurden F.iswürfel direkt auf den freigelegren Nervus facialis gestelit. Der Flow reduzierte sich wiederum urn nicht mehr als 18 % Nach Ca. 1—2 Sekunden zeigte das Elektroneuronogramm eine Nulllinie, die bis zu 10 Sekunden nach Entfernung des Eiswürfels konstant blieb. Anschlie1end waren innerhaib von 2—3 Sekunden wieder regulare Aktionspotentiale und Latenzen abzuleiten (Abb. 2). Em

Nervus-facialis-Prãparat wurde auf

Kompressen ausgebreitet. Aus dem frischen Präparat liefen

sich normale Aktivierungspotentiale ableiten. Nach Behandlung mit Quabain änderte sich die Aktionspotentiale nicht.

Klinisch war nach einer Nachbeobachtungszeit von 14 Tageri bei keinem Tier eine Fazialisparese aufge-

treten. Diskussion

Jongkees (1954) aufgegriffen. Eine Vielzahl klinisch-ernpirischer Studien folgte. Die Vorstellung, daI Kältereize beim

Menschen eine Fazialisparese verursachen, konnte bisher aber jedoch weder bestatigt noch entkräftet werden. Wir

Die Reizfortleitung im Nerven ist in erster Linie von einem ausreichenden Konzcntrationsgradienten der Natrium- und Kaliumionen an der Axonmembran ab-

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Abb. 1 Histogramm der Temperaturmessungen 1: Temperatur Kutis

EN0G (mA)

244 Laryngo-RJino-Oto1. 69 (1990)

A. Schadel hangig. Dieser Gradient wird von der Natrium-Kalium-Pum-

pe aufrechterhalten, und zwar mit Hilfe des temperaturabhangigen Enzyms Na*K+ATPase (Abb. 3). So fllt bei einer Temperaturerniedrigung auf 0,5 °C die Aktivität der NaK-ATPase auf '/, ab (7, 14). Der Zusammenbruch der Aktionspotentiale nach Abkühlung des Nervens auf 0 C erfolgte inn erhaib von Sekundenbruchteilen. Uber eine direkte, kaltebedingte Hemmung der Na-K-ATPase ist dieser Effekt nicht zu erklären, weil der biomechanische ProzeI der enzymatischen Aitivitàt nicht innerhaib einer so kurzen Zeitspanne aufgehoben werden kann (10). Dementsprechend lie1en sich in unseren Versuchen auch nach Blockade des Enzymes NaK-ATPase mit Quahain weiterhin Aktionspotentiale ableiten. Das Enzym ATPase baut offenbar em Energiepotential auf, das innerhaib einer so kurzen Zeitspanne nicht ZU erschopfen ist (19).

0,5

1,0

Temperatur (0) Abb. 3 Die Temperaturabh8ngigkeit del Na-K-ATPase.

Extrazellulärraum

der Zeilmembran (Ahb. 4), und zwar im Sinne einer Depolarisation mit Fortleitung der Impulse. Die Reaktionsgeschwindigkeit dieser Na-K-Kanä1e geht bei Abkühlung gegen Null. Diese schnellen Na-K-Kanäle arbeiten nicht enzymahhdngig. Ihre Funktion beruht auf rein elektrophysiologischen Prinzipien (10, 17, 19). Sic reagicren deshaib auf eine Abkiihlung ohne nennenswerte Zeitverzögerung. Bei Wiedererwãrmung ist der Funktionsausfall reversibel, es sei denn, daf durch kiltebedingte Auskristallisation von Wasser bereits eine morphologische Zellschädigung erfolgt ist. Der Funktionsausfall des N. facialis bei Unmittelbarem Eiskontakt, d. h. umschriebener AbkUhlung auf

0 'C, beruht somit auf einer physikalischen Hemmung der

für die Depolarisation der Zelimembrane notwendigen

Na - K - Pumpe Transportkaua!e

schnelle

schnellen Na-K-Kanäle. Eine das symphatische Ncrvensystem gesteuerte Vasokonstriktion der Vasa nervorum ist nicht der auslösende Faktor. Die Vorstellung, da1 Kãltereize, etwa die Zugluft bei geoffnetem Fenster wiihrend cincr Autofahrt, zu einer Ldhmung des Gesichtsnerven führen können, muI deshaib neu werden.

TransporikanSle

Danksagung___________ -_______

Intrazellulärraum

Abb.4 Schema der Zeilmembran mit energieabhangiger Na'K-Pumpe. Das Enzym Na-K'-ATPase baut eine Potentialdifferenz auf, die Uber eine Aktivierung der schnellen Na'-K'-Kanale zur Depolarisation und damit Erregungsubertragung fiihrt. (In Anlehnung an:

Bei Herrn Priv.-Doz. Dr. Bührle, Physiologischcs Institut der Universität Heidelberg, hedanken wir uns für die Unterstdtzung wãhrend der Versuchsplanung.

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[The effects of cold on facial nerve function].

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