Allgemeinanästhesie

Der Einfluß von Thiopental auf die akustisch evozierten Potentiale mittlerer Latenz (AEPML) und ihre Frequenzanalyse D. Schwender ', I. Keller ', S. Klasing I , Ch. Madlerl 'Institut für Anästhesiologie der Ludwig-Mawimilians-UniversitätMünchen (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. C. K. Peter) 'Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen (Vorstand: Prof. Dr. E. Pöppel)

Summary The effect of Thiooentone on mid-latencv auditory evoked potentials has not yet been examined sufficiently. Therefore, mid-latency auditory evoked potential~ during induction of general anaesthesia with thiowentone were studied. Following" inforrned consent in 10 patients scheduled for elective surgery, anaesthesia was induced with thiopentone (5 mg/kg b. W. i. V.). Assisted ventilation via face mask with 100 010 0 2 was performed until the first purposefd movement of the limbs appeared. Then a second bolus of thiopentone (2 mg/ kg b. W. i. V.) was given and general anaesthesia was maintained according to anaesthesiological and operative necessities. Auditory evoked potentials were recorded in the awake and on-line when thiopentone was injected up to 9 min after the onset of general anaesthesia. Latencies of the peaks V, Na, Pa were measured. Using Fast-Fourier-Transform-Analysis, corresponding power spectra were calculated to analyse energy portions of the AEP frequency components. In the awake state weak latencies were in the normal ranee. " Corresponding power spectra indicated energy maxima in the 30-40 Hz frequency range. After induction of general anaesthesia an increase in latencies of the peaks Na, Pa could be observed. The energy in the 30-40 Hz range became suppressed, the AEP energy maxima shifted to the low frequency range. 'These effects were observable until 3 min after injection. When the f i s t purposeful movement of a limb occurred, Na, Pa latencies returned to normal values and most part of the AEP-energy was in the 30-40 Hz range as in the awake. A second bolus of thiopentone (2 mg/kg b. W. i-V.)again led to an increase in peak latencies and a suppression of the energy in the 30-40 Hz range. Processing of auditory events seems to be correlated with a neuronal 30-40 Hz activity, which becomes suppressed under general anaesthesia with thiopentone. Purposeful movements of the limbs as clinical indicator of a decreasing anaesthetic effect coincide with the 30-40 Hz activity in AEP.

Anäsrhesiol. Intensivmed. Notfallrned. Schmerzther. 26 (1991) 375-380 8 Georg Thierne Verlag Stuttgart .New York

Zusammenfassung Die Wirkung von Thiopental auf die akustisch evozierten Potentiale mittlerer Latenz ist bislang nicht ausreichend untersucht. In der vorliegenden Studie sollten akustisch evozierte Potentiale während Narkoseeinleitung mit Thiopental abgeleitet und Ausmaß und Dauer der Thiopental-induzierten Veränderungen im AEMPL untersucht werden. Untersucht wurden 10 Patientinnen der ASA-Gruppen I und I1 im Alter von 20 bis 50 Jahren, die sich einem elektiven gynäkologischen Eingriff unterziehen mui3ten. Die Allgemeinanästhesie wurde mit Thiopental (5 mg/kg KG i.v) eingeleitet. Unter assistierender Maskenbeatmung mit 100 O/o 0 2 wurde nach Auftreten der ersten gezielten Extremitätenbewegung Tniopental(2 rng/kg KG i. V.) nachinjiziert und die Narkose nach anästhesiologischen und operativen Notwendigkeiten fortgesetzt. Die Ableitung der akustisch evozierten Potentiale erfolgte wach vor Anästhesiebeginn und im weiteren kontinuierlich mit Beginn der Thiopentalinjektion bis 9 min danach. Identifiziert wurden die Gipfel V, Na, Pa und ihre Latenzen vermessen. E i e Fast-Fourier-Transform-Analyse ermittelte die Energieanteile einzelner im AEP enthaltener Frequenzen und erstellte ein korrespondierendes Energiespektrum. Die AEP der wachen Patienten zeigten normale Latenzen der Gipfel V, Na, Pa. In den korrespondierenden Energiespektren lagen die maximalen Energien im Bereich von 30-40 Hz. Die Narkoseeinleitung mit Thiopental bewirkte eine Zunahme der Gipfellatenzen Na, Pa. Die Energien der Frequenzen 30-40 Hz wurden unterdrückt, die Energiemaxima der AEP in den niederfrequenten Bereich verschoben. Dieser Effekt blieb bis 3 min nach Injektion nachweisbar. Mit Auftreten der ersten gezielten Extremitätenbewegungen kehrten die Gipfellatenzen Na, Pa zu ihren Ausgangswerten zurück und der gröi3te Energieanteil der AEP lag wieder bei Frequenzen von 30-40 Hz wie in den AEP der wachen Patienten. Nachinjektion von Thiopental fuhrte zu einer erneuten Latenzzunahme von Na, Pa und Unterdnikkung der Energien von 30-40 Hz. Die Aufnahme und Verarbeitung elementarer aufeinanderfolgender auditiver Reize ist mit einer neuronalen Aktivität von 30-40 Hz korreliert, die durch Thiopental unterdrückt wird. Gezielte Extremitätenbewegungen als Zeichen abklingender Thiopentaleffekte gehen mit dem Wiederauftreten dieser neuronalen 30-40-Hz-Aktivität einher.

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Effects of Thiopentone on Mid-Latency Auditory Evoked Potentials and their Frequency Analysis

376 Anästhesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther. 26 (1991) konespondierendesEnergiespeMRim t

BAEP

i

r

MLAEP

t-

I

I

Akustisch evoziertes Potential (links)und korrespondierendes Energiespektrum (rechts)einer wachen Patientin des Untersuchungskollektivs.

Abb. 1

Die Einteilung der akustisch evozierten Potentiale - der dem akustischen Reiz folgenden positiven und negativen Potentialschwankungen - wird nach ihrem poststimulus Latenzen vorgenommen (20). Frühe akustisch evozierte Potentiale (FAEP, 0- 10 ms poststimulus) werden zur Hauptsache von Hirnstarnmstrukturen generiert. Sie erfahren unter dem Einfluß volatiler Anästhetika nur eine geringgradige Latenzzunahme und sind ansonsten auch unter dem Einfld von Anästhetika weitgehend stabil (3 1-33). Späte akustisch evozierte Potentiale (SAEP, 100-400 ms poststimulus) repräsentieren die Aktivität kortikaler Projektions- und Assoziationsfelder. Sie weisen bereits bei wachen Probanden eine große intra- und interindividuelle Variabilität auf (21). Akustisch evozierte Potentiale mittlerer Latenz (AEMPL, 10-100 ms poststimulus) stellen die kortikale Primärantwort dar und sind Ausdruck der neuronalen Aktivität des primären auditiven Kortex des Temporallappens der Groghirnrinde. Sie weisen beim wachen Probanden inter- und intraindividuelle Stabilität auf und erfahren unter dem Einfluß verschiedener Anästhetika charakteristische Veränderungen (20). Anästhetika bewirken in erster Linie Dosis- und Konzentrations-abhängige Zunahmen der Gipfellatenzen und Abnahmen der Gipfelamplituden (31-33). Eine in der mittleren Latenz sich abbildende neuronale 30-40-Hz-Aktivität wird unterdrückt (14- 17). Zur Erfassung zentraler Anästhetikaeffekte erscheinen sie besonders geeignet (28). Thiopental ist das zur Einleitung von Allgemeinanästhesien am häufigsten verwendete Medikament. Der isolierte Effekt von Thiopental auf die akustisch evozierten Potentiale mittlerer Latenz ist bisher nicht ausreichend untersucht und wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt (4, 6, 9. 10, 19). In der vorliegenden Untersuchung sollten daher Ausmai3 und Dauer der Veränderungen akustisch evozierter Potentiale mittlerer Latenz wahrend Narkoseeinleitung mit Thiopental beschrieben werden und damit der qualitative Effekt von Thiopental auf die akustisch evozierten Potentiale mittlerer Latenz erfaßt werden.

Patienten und Methodik

Nach Zustimmung durch alle beteiligten Instituts- und Klinikleitungen wurden die Patientinnen detailliert über das experimentelle Vorgehen sowie über Sinn und Zweck der Untersuchung aufgeklärt und gaben ihr schriftliches oder mündliches Einverständnis zur Teilnahme an der Studie. Untersucht wurden 10 Patientinnen der ASA-Gruppen I und I1 zwischen 20 und 50 Jahren, die sich einem elektiven gynäkologischen Eingriff unterziehen mußten. Nach Prämedikation mit 2 mg Flunitrazepam per OS 45-60 Minuten vor Anästhesiebeginn wurde die Narkose mit Thiopental (5 mg/kg KG i.v. über 20s) eingeleitet. Nach Erlöschen des Lidreflexes wurden die Patientinnen assistiert über Maske mit ,100% 0 2 beatmet, bis die erste, meist gegen die Maskenbeatmung gerichtete gezielte Bewegung der oberen Extremitäten zu beobachten war. Sodann wurde Thiopental (2 mg/kg KG i. V.) nachinjiziert und die Allgemeinanästhesie entsprechend anästhesiologischer und operativer Notwendigkeiten fortgesetzt. Die Ableitung der akustisch evozierten Potentiale erfolgte mittels Silber/Silberchloridelektroden an Vertex (Cz, positiv) gegen beide Mastoide (Al/A2, negativ) und die Stirn (FPZ, Nullelektrode) (nach internationaler 10/20 EEG-Nomenklatur (8)). Hautübergangswiderstände waren 5 1kOhm und wurden nach abgeschlossener Messung durch eine wiederholte Impedanzmessung kontrolliert. Akustische Reize wurden als ~arefaction-clicks"einer Reizdauer von 100 ps und einer Reizintensität von 70 dBnHL mit einer Frequenz von 9,3/sec beidohrig über akustisch abgeschirmte Kopfhörer (TDH 39 Fa. Amplivox) präsentiert. Mittels des elektrodiagnostischen Systems Pathfinder I (Fa. Nicolet Instrument Corporation) wurde aus 500 bnv. 1000 Einzelreizen je ein akustisch evoziertes Potential über einen Poststimuluszeitraum von 100 ms gemittelt und nach digitaler Bandpassfilterung (10-1500 Hz) und 7-Punkt-Glättung der weiteren Analyse unterzogen. Akustisch evozierte Potentiale wurden zu folgenden Meßzeitpunkten abgeleitet: wach, vor Anästhesiebeginn und im folgenden kontinuierlich mit Beginn der Thiopentalinjektion. Um den zeitlichen Verlauf der initialen Thiopentalwirkung zu erfassen, wurden die der Injektion folgenden beiden AEP aus jeweils 500 Reizantworten gemittelt (0-90 s und 90- 180 s nach Injektion). Die beiden weiteren AEP sind wieder wie das AEP des wachen Patienten aus 1000 Reizantworten erstellt worden (3-6 min und 6-9 min nach Injektion). Bei 512 Bildpunkten pro 100 ms war die zeitliche Auflösung auf etwa 0,2 ms limitiert. Die Benennung der Gipfel wurde nach Picton und Mitarb. (20) vorgenommen. Im weiteren beschränkten wir uns darauf, die Gipfel V, Na und Pa zu identifizieren und ihre Latenzen zu vermessen. Eine Fast-Fourier-Transform-Analyseermittelte die Energieanteile einzelner im AEP enthaltener Frequenzen und erstellte ein korrespondierendes Energiespektrum (=Powerspektrum) des akustisch evozierten Potentials. Aus den numerischen Werten des Energiespektrums wurden die Anteile der Frequenzen 20-60 Hz an der Gesamtenergie in Prozent errechnet.

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AEP I

D. Schwender und Mitarb.

Anästhesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther. 26 (1991) 377

Der Einfluß von Thiopentul korrespondierendes Enelgie~peklnim

AEP

Thiopenlal (5 mgkg KG I V ) o SO' M C ~lniekiion 90 . 180' nach Injekiion

+

2.5

m7px

fiL

0

b

20

40

60

80

100-10

40

70

100

3 . 6' nach Injektion (gezielle Extremitatenbewegung >. Nachiipktion T h i i n l a l 2 mghg KG #.V.)

Abb.2 Akustisch evozierte Potentiale unter Thiopental. Einzelverläufe (2 x n = l ). Dargestellt ist das Verhalten der akustisch evozierten Potentiale (links) und ihrer korrespondierenden Energiespektren (rechts) unter Thiopental am Beispiel zweier repräsentativer Einzelverläufe fUr die angegebenen Meßzeitpunkte. Die Gipfel V, Na, Pa, NB, P1 sind mit Zeichen

- 9' nach Injeklion

130

korrespondierendes Energiespektrurn

AEP

-1 1

I

1 1

Th'bpnlal (5 rn@g KG i.v.1 0 .W'nach lniekiii 90 - IBO* nach Injektion 3 - 6' nach Inleklim (gezielte Extrßrnit~lenbewe-

gung

I

.,

Nachinekiim T h i i n t a l 2 mghg KG I.v.)

Die statistische Auswertung der gewonnenen Daten wurde mit Hilfe des SPSS-Programms durchgefuhrt. Für nicht normalverteilte, verbundene Stichproben kam der Test nach Wilcoxon zur Anwendung. Irrtumswahrscheinlichkeiten unter 5 O/o (p < 0,05) wurden als statistisch signifikant angenommen. Dargestellt wurden die Mittelwerte und Standardabweichungen der Mittelwerte (SEM). Ergebnisse Die Abb. 1 zeigt ein akustisch evoziertes Potential und das korrespondierende Energiespektrum einer wachen Patientin des Untersuchungskoliektivs. Dargestellt sind die durch akustische Stimulation mit einem Klickreiz hervorgerufenen Potentialschwankungen innerhalb der ersten 100 ms nach Reiz. BAEP bezeichnet die innerhalb der ersten 10 ms nach Reiz auftretenden, von Hirnstammstrukturen generierten Potentiale, MLAEP markiert die den Hirn~tamm~otentialen folgenden Potentiale des mittleren Latenzbereiches. Im korrespondierenden Energiespektrum kommt Frequenz von 30-40 Hz der gröi3te Energieanteil ZU. Das Verhalten der akustisch evozierten Potentiale und der korrespondierenden Energiespektren vor und wahrend Anästhesie mit Thiopental ist am Beispiel zweier repäsentativer Einzelverläufe in Abb. 2 dargestellt. Im AEP der wachen Patienten haben die Gipfel V, Na, Pa, NB und P1 normale Latenzen, korrespondierende EnergieSpektra zeigen Energiemaxima im Bereich von 30-40 Hz an. Unter Thiopental kommt es in den dargestellten Verläufen zu einer Latenzzunahme der Gipfel Na, Pa, NB, P1 und zu einer Abnahme ihrer Amplituden. Frequenzen von 30-40 Hz werden unterdrückt, die Energiemaxima in den

korrespondierenden Energiespektren in den niederfrequenten Bereich verschoben. Dieser Effekt ist bereits in den ersten 90 s nach Injektion (0-90 sec) sichtbar und kann bis 3 min nach Injektion nachgewiesen werden. 3-6 min nach Injektion mit Auftreten einer gezielten Extrernitätenbewegung (etwa 5 min nach Injektion) kehren die AEP-Gipfel zu normalen Latenzwerten zurück. Entsprechend hoch ist der Energieanteil der Frequenzen im Bereich von 30-40 Hz. Die Nachinjektion von Thiopental (2 mg/kg KG i. V.) bewirkt wie die Erstinjektion eine erneute Latenzzunahme fur Na, Pa sowie eine Unterdrückung der Frequenzen 30-40 Hz. Die Energiemaxima der AEP verlagern sich wieder in den niederfrequenten Bereich. Gleiche Ergebnisse sind den aus den jeweils 10 individuellen AEP gemittelten interindividuellen grand averages in Abb. 3 zu entnehmen. Die AEP der wachen Patienten zeigen normale Latenzen für die Gipfel V, Na, Pa, NB und PI, die Energiemaxima liegen bei 30-40 Hz. Unter Thiopental ist für die bezeichneten Gipfel eine Zunahme der Latenzen zu erzeichnen, die Energiemaxima der AEP werden in den niederfreqenten Bereich verschoben. Dieser Effekt bleibt bis 3 min nach Injektion nachweisbar. Mit Auftreten gezielter Bewegungen etwa 4-5 min nach Injektion kehren die Gipfellatenzen Na, Pa, Ng, P1 zu ihren Ausgangswerten zurück, die Energiemaxirna der AEP liegen bei 30-40 Hz wie in den AEP der wachen Patienten. Die Nachinjektion von Thiopental führt zu einer erneuten Gipfellatenzzunahme, Unterdrückung der 30-40-Hz-Aktivität und Verlagerung der Energiemaxima in den niederfrequenten Bereich.

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a

378 Anästhesiol. Intensiumed. Notfallmed. Schmerzther. 26 (1991) AEP (Grand average n-10)

D. Schwender und Miturb. Abb. 3 Akustisch evozierte Potentiale unter Thiopental. Interindividueller grand average (n=10).(Darstellung wie in Abb. 2.)

korrespondierendes Energiespeklrum

wach

-

P-- F-

Thiopenial (5 m w g KG i.v.) 0 - 90' nach Iniektion , -

W

-180-

nach Injektion

3 - 6nach InjeWion (geziolia Edremit~lenbwa~ gung -> NachinjekiionTh'bpmtal2 m g i q KG i.v.)

:Fx:--; 6 . 9nach Injektion

125p

0

20

40

60

80

100-10

40

lmsl

70

100 IHzl

130

Latenzen

ms 6 0 ,

Na

V

strukturen generierten akustisch evozierten Potentialen (BAEP) und beweist die Reiztransduktion (20). Na und Pa gehören den akustischen evozierten Potentialen mittlerer Latenz an. Sie haben im primären auditiven Kortex des Temporallappens lokalisierbare Generatoren und bilden den ersten kortikalen Primärkomplex des AEP (3). Die orale Prämedikation mit FIunitrazeparn hatte keinen Einflug auf die AEPiML.

Pa

Akustisch evozierte Potentiale unter Thiopenlal. Dargestellt sind Mittelwerte und Standardabweichungen der Mittelwerte (SEM) der Gipiellatenzen V, Na, Pa in ms für die angegebenen Meßzeitpunkte.

Abb.4

Abb. 4 zeigt den Effekt von Thiopental auf die Latenzen der Gipfel V, Na, Pa für die angegebenen Meßzeitpunkte in der Übersicht. Bis 3 min nach Injektion ist für die Latenzen des Gipfels Pa eine statistisch signifikante Zunahme zu verzeichnen. In der Messung 3-6 min nach Injektion kehrt die Pa-Latenz zum Ausgangswert zurück. Abb. 5 demonstriert anhand der interindividuell gemittelten grand averages den Verlauf der prozentualen Energieanteile der Frequenzen 20-60 Hz an der Gesamtenergie der AEP. Bei den wachen Patienten haben Frequenzen von 30-40 Hz den grögten Energieanteil. Unter Thiopental zeigt sich eine deutliche Abnahme der Energien von 30-40 Hz bis 3 min nach Injektion. 3-6 min nach Injektion zeigt sich mit den 4-5 min nach Injektion auftretenden gaielten Extremitätenbewegungen erneut deutliche Energiezunahme der Frequenzen 30-40 Hz. Diskussion Bei den wachen Patienten wiesen die LatenZen der Gipfel V, Na und Pa mit 6,2 fO,l2ms, 18,4 fO,51 ms und 31,O f0,92 ms eine geringe Standardabweichung der Mittelwerte (SEM) auf und entsprechen den von anderen Untersuchem unter Laborbedingungen ermittelten Werte (18, 20). V gehört zu den frühen, von Hirnstamm-

Die akustisch evozierten Potentiale der Patienten haben ihre Energiemaxima im Frequenzbereich von 30-40 Hz (Abb. 1, 2, 3). Die zentrale Verarbeitung eines akustischen Reizes scheint mit einer neuronalen 30-40-HzAktivität korreliert zu sein. Obwohl wir weit davon entfernt sind zu wissen, welche neuronalen Mechanismen bewußtes Wahrnehmen oder die Verfügbarkeit komplexer mentaler Funktionen ermöglichen, weisen zahlreiche Untersuchungen auf die formalen Aspekte hin, die der Aufnahme und Verarbeitung elementarer Sinnesreize zugrunde liegen. So zeigen Histogramme von Augenfolgebewegungen (26), Wahlreaktionszeiten (22, 23) und Ordnungsschwellen (7) mehrere Verteilungsmaxima mit einem Abstand von 25-35 msec. Es wird daraus gefolgert, daß elementare aufeinanderfolgende Sinnesreize nicht kontinuierlich, sondern bevorzugt zu bestimmten Zeitpunkten, die etwa 25-35 msec auseinanderliegen, aufgenommen und verarbeitet werden. Aus diesen experimentellen Beobachtungen wird auf die Existenz einer neuronalen 30-40-Hz~ktivitätgeschlossen, der als zentraler, neuronaler Mechanismus fur eine adäquate Aufnahme und Verarbeitung sensorischer Reize zur Verhgung stehen muß (24,25, 27). Neben diesen neuropsychologischen Untersuchungen weisen auch elektrophysiologische Befunde auf die Existenz einer neuronalen Aktivität dieses Frequenzbereiches hin. Eine 30-40-Hz-Aktivität konnte mittels intrazellulärer Ableitungen von Kortexneuronen ( l l ) , im spontanen Elektroenzephalogramm (1, 12, 13) und in sensorisch evozierten Potentialen verschiedener Modalitäten (1, 5, 13, 30) nachgewiesen werden. Im akustisch evozierten Potential des wachen Patienten läßt sich diese 30-40-Hz-Aktivität im Bereich der mittleren Latenz abbilden (5, 14). Auch wenn es keinen einheitlichen Mechanismus gibt, der den Zustand Allgemeinanästhesie herbeifihrt, ist es Ziel jeder Ailgemeinanästhesie, die Aufnahme und Verarbeitung sensorischer Reize durch die verschiedenen Sinnessysteme zu unterdrücken. Folgerichtig miißte wäh-

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L

Anästhesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther. 26 (1991) 379

Grand Average (n = 10): Energien 20 - 60 HZ (in %)

I

I

~ b b5. Akustisch evozierte Potentiale unter Thiopental. Dargestellt sind die prozentualen Energieanteile der in den interindividuell gemittelten AEP enthaltenen Frequenzen im Bereich 20-60 Hz an der im AEP enthaltenen Gesamtenergie fUr die angegebenen Meßzeitpunkte.

I/wach

rend Aiigemeinanästhesie die für adäquate Aufnahme und Verarbeitung sensorischer Reize bereitzustellende und mit elektrophysiologischen Methoden regisuierbare 30-40-HzAktivität unterdrückt sein. Dies ist in der Tat unter Thiopental sowie unter verschiedenen Allgemeinanästhetika der Fall. Eine signifikante Zunahme der Gipfellatenzen Na und Pa und Abnahme ihrer Amplituden finden sich unter dem Einfluß von Halothan (31), Enfluran (31), Isofluran (15, 17, 29), Etomidate (32), Althesin (33) und Propofol (2). Betrachtet man die Gipfellatenzen als Scheitelpunkte einer unterliegenden Schwingung, so sind auch die von den anderen Untersuchern gefundenen Zunahmen der Gipfellatenzen und Abnahmen ihrer Amplituden Ausdruck einer Frequenz- und Energieabnahme einer unterliegenden neuronalen Aktivität. Wie Untersuchungen akustisch evozierter Potentiale und ihrer Frequenzanalysen unter dem Einfluß von Etomidate und der Inhaiationsanästhetika Enfluran und Isofluran zeigen (14-17), werden mit ansteigenden endexspiratorischen Narkosegaskonzentrationen neuronale Aktivität im Bereich der mittleren Latenz zunehmend unterdrückt. Die Ermittlungen der Energieanteile der einzelnen in den AEP enthaltenen Frequenzen zeigen in diesen Untersuchungen eine deutliche, konzentrationsabhängige Abnahme der 30-40-Hz-Anteile und eine Verlagerung der Energemaxima der AEP in den niederfrequenten Bereich. Dieser Effekt im AEPML ist auch bei der hier untersuchten Bolusinjektion von Thiopental zu beobachten. Allerdings erscheint dieser Effekt innerhalb einer Meßperiode reversibel und das Wiederauftreten des 30-40-Hz-Energiemaximums im akustisch evozierten Potential mittlerer Latenz geht mit dem Auftreten einer ersten gezielten Extremitätenbewegung als Zeichen abklingender zentraler Thiopentalwirkung einher.

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Der Einfluß von Thiopental

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D. Schwenakr und Mitarb.: Thiopentul

Dr. D. Schwender lnstitut für ~ n ; ~ t h ~ ~ i ~ l ~ ~ i ~ ~ ~ d w i ~ - ~ ~ ~ i ~ i ],wünchen i ~ ~ . ~ ~ i ~ ~ ~ ~ i ~ ä r ainikum ~ ~ ~ ~ h ~ Marchioninistraße 15 8000 ~ ü 70 ~ ~ h ~ ~

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[The effect of thiopental on mid-latency auditory evoked potentials and their frequency analysis].

The effect of Thiopentone on mid-latency auditory evoked potentials has not yet been examined sufficiently. Therefore, mid-latency auditory evoked pot...
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