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Verlauf der neurologischen Frührehabilitation bei einem Patienten mit ausgeprägtem Posteriorem Reversiblem Enzephalopathiesyndrom The Course of Early Neurological Rehabilitation in a Patient with Severe Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome Autoren

H. J. Gdynia1, G. Ampatzis1, A. Diaconescu1, D. A. Nowak1, R. Dabitz2, T. Pfefferkorn2

Institute

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Neurologische Fachklinik, Helios Klinik Kipfenberg Neurologische Klinik, Klinikum Ingolstadt

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

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Beim Posterioren Reversiblen Enzephalopathiesyndrom (PRES) handelt es sich in der Regel um eine gutartige und potenziell rückbildungsfähige Erkrankung. In der Literatur wurden dennoch Fälle mit schwerwiegendem Krankheitsverlauf beschrieben, genauere Daten bezüglich des langfristigen Outcomes dieser Patienten sind aber nicht vorhanden. Weiterhin gibt es keine Daten hinsichtlich des Nutzens einer neurologischen Frührehabilitation bei diesen Patienten. In dieser Arbeit beschreiben wir die klinische Symptomatik, die bildgebenden Befunde, den Rehabilitationsprozess und das langfristige Outcome eines Patienten mit ausgeprägtem PRES nach Durchführung einer neurologischen Frührehabilitation.

Posterior reversible encephalopathy syndrome (PRES) is widely held to be a benign and potentially reversible disease. However, severe cases have been described in the literature. Data on the long-term outcome of these severe cases are scarce. Furthermore, there are no data focusing on potential benefits of neurological early rehabilitation in these patients. Here we present the clinical picture, neuroimaging features, rehabilitative course and long-term outcome of a patient with severe PRES who underwent early neurological rehabilitation.

Einleitung

zu einer Störung der Blut-Hirn-Schranke mit daraus folgendem vasogenen Ödem führen [3, 4]. Das Auftreten eines PRES ist im Rahmen einer Vielzahl von Erkrankungen beschrieben, wobei die Symptome nach Ausschalten der zugrunde liegenden Störung meist reversibel sind. Diesbezüglich wird dem PRES ein in der Regel gutes Outcome attestiert [5, 6]. Dennoch sind in der Literatur wenige Fälle von PRES mit schwerem Verlauf beschrieben, es gibt allerdings keine Daten bezüglich des langfristigen Outcomes dieser Fälle. Weiterhin gibt es keine Daten hinsichtlich des Nutzens einer neurologischen Frührehabilitation bei diesen Patienten. In der Bundesrepublik Deutschland ist die neurologische Frührehabilitation eingebettet in das Phasenmodell der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) zur Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen [7]. Die neurologische Frührehabilitation ist als Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V anerkannt, für die Abrechnung nach DRG (wenn die Klinik nicht als besondere Einrichtung anerkannt ist) ist die Pro-

● Posteriores Reversibles ● ● ● ● ● " " " " "

Enzephalopathiesyndrom PRES Rehabilitation Outcome FIM Arterielle Hypertonie

Key words

● posterior reversible "

encephalopathy syndrome

● PRES ● rehabilitation ● outcome ● FIM ● hypertension " " " " "

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Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1385441 Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82: 695–697 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse Dr. med. Hans-Jürgen Gdynia Neurologische Fachklinik, Helios Klinik Kipfenberg Kindinger Straße 13 85110 Kipfenberg hans-juergen.gdynia@ helios-kliniken.de

Beim Posterioren Reversiblen Enzephalopathiesyndrom (PRES) handelt es sich um eine klinischradiologische Entität, die durch Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörung, Sehstörungen und Krampfanfälle, begleitet von neuroradiologischen Auffälligkeiten in der posterioren und parietalen weißen Substanz, charakterisiert ist [1]. Klassische bildgebende Befunde sind bilaterale parietale und/oder occipitale subkortikale vasogene Ödeme. Atypische radiologische Präsentationen mit abweichenden Verteilungsmustern der Ödeme wurden ebenso beschrieben wie intrazerebrale Einblutungen oder Diffusionsstörungen [2]. Die Pathophysiologie des PRES ist bislang noch nicht abschließend verstanden. Die beiden aktuellen Haupthypothesen umfassen eine Störung der zerebralen Autoregulation, die zu einem erhöhten zerebralen Blutfluss führt, bzw. eine endotheliale Dysfunktion mit daraus folgender zerebraler Hypoperfusion. Beide Hypothesen gehen davon aus, dass die Abnormitäten der zerebralen Perfusion

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zedur OPS 8 – 552 relevant. Für weiterführende Informationen hinsichtlich der neurologischen Frührehabilitation, u. a. hinsichtlich der Phasenzuordnung und der Verweildauerentwicklung, sei auch auf die Arbeit von Rollnik und Janosch verwiesen [8]. Dieser Arbeit können auch die Mindestmerkmale der neurologischneurochirurgischen Frührehabilitation wie etwa die Notwendigkeit von 300 Minuten Therapie pro Tag im Durchschnitt der Behandlungsdauer entnommen werden. In unserer Arbeit beschreiben wir die klinische Symptomatik, die bildgebenden Befunde, den Rehabilitationsprozess und das langfristige Outcome eines Patienten mit ausgeprägtem PRES nach Durchführung einer neurologischen Frührehabilitation.

Fallvorstellung !

Ein 45-jähriger pakistanischer Patient wurde wegen einer progredienten Bewusstseinstrübung in der neurologischen Notaufnahme vorgestellt. Der initiale systolische Blutdruck betrug 240 mmHG, eine Computertomografie des Schädels zeigte ein generalisiertes Hirnödem. Die zerebrale Magnetresonanztomografie (MRT) zeigte symmetrische parieto-occipital betonte Alterationen der weißen " Abb. 1a), wie sie typisch für ein PRES sind. MR-tomoSubstanz (● grafische Hinweise für eine Sinusvenenthrombose fanden sich nicht. Die hypertensive Krise konnte mit Dihydralazin und Urapidil beherrscht werden, in einer extensiven Aufarbeitung ergaben sich keine Hinweise für eine Nierenarterienstenose oder andere Hinweise auf eine sekundäre Hypertonie. Laborchemisch war Kreatinin erhöht (2,6 mg/dl), die Entzündungsparameter und Elektrolyte waren unauffällig. In der Liquoranalyse fanden sich keine Hinweise auf eine entzündliche ZNS-Erkrankung (1 Leukozyt/µl,

Protein 486 mg/l). Der weitere Krankheitsverlauf war kompliziert durch die Entwicklung einer Ventilator-assoziierten Pneumonie, die mit Tazobactam und Clarithromycin erfolgreich therapiert werden konnte. Der Patient wurde im Verlauf tracheotomiert, weiterhin wurde eine perkutane enterale Gastrostomie (PEG) durchgeführt. Am 21. Krankheitstag wurde der Patient zur Durchführung einer neurologischen Frührehabilitation in die Rehabilitationsklinik verlegt. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich klinisch-neurologisch ein komatöser Patient mit armbetonter Tetraparese mit initial generalisiertem Kraftgrad 0/5 nach MRC sowie mittelgradiger links- und armbetonter Spastik. Ein Puppenkopfphänomen oder Blickdeviationen zeigten sich nicht, die Lichtreaktion war direkt und konsensuell beidseits träge, der Blinkreflex war unauffällig. Die Muskeleigenreflexe waren generalisiert linksbetont gesteigert, der Babinski-Reflex war beidseits negativ. Die neurologische Frührehabilitation wurde insgesamt über einen Zeitraum von 25 Wochen durchgeführt. Individualisierte Therapie wurde konform zu den Mindestmerkmalen nach OPS 8 – 552 an 6 Tagen/Woche für jeweils 300 Minuten täglich durchgeführt und umfasste Physiotherapie, physikalische Therapie, therapeutische Pflege, Musiktherapie, Logopädie, Ergotherapie und Schlucktraining. Der Anteil der therapeutisch-aktivierenden Pflege an der Gesamttherapie lag dabei im Durchschnitt bei 240 Minuten/Tag. Zur Verbesserung der Bewusstseinsstörung wurde eine Off-Label-Therapie mit Levodopa/Benserazid 100/25 mg/d begonnen. Die Bewusstseinslage besserte sich während der Rehabilitation kontinuierlich, nach 10 Wochen war der Patient fähig, einige Worte zu sprechen; eine Dysarthrie war vorhanden. Die Trachealkanüle konnte im Verlauf entfernt werden. Der Patient war bei Aufnahme und blieb im weiteren Verlauf klinisch blind. Die visuell evozierten Potenziale zeig-

Abb. 1 Magnetresonanztomografie. a Bei Krankheitsbeginn: Ausgeprägte Alterationen in den axialen T2- und coronaren FLAIR-Sequenzen, wie sie typisch für ein PRES sind. b Vor Entlassung aus der Rehabilitation: Dieselben Sequenzen zeigen multiple subkortikale Hirnsubstanzdefekte.

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Diskussion

Hinsichtlich der Frage einer Off-Label-Therapie mit dopaminergen Substanzen bei Patienten mit Bewusstseinsminderungen wurden in einer rezenten Pilotstudie sehr gute Erfolge erzielt [13]. In diesem Bereich sind weiterführende kontrollierte Studien an größeren Patientenkollektiven und im rehabilitativen Kontext notwendig.

Abkürzungen BAR FIM MRT PEG PRES

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Functional Independence Measure Magnetresonanztomografie Perkutane endoskopische Gastrostomie Posteriores Reversibles Enzephalopathiesyndrom

Take Home Message Der vorliegende Fall demonstriert, dass bei schweren Verlaufsformen von PRES im Langzeitverlauf deutliche Restdefizite verbleiben können, andererseits mögliche Erfolge durch eine neurologische Frührehabilitation die Lebensqualität der Patienten steigern können.

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Bei PRES handelt es sich in der Regel um eine gutartige und potenziell rückbildungsfähige Erkrankung, in der Literatur wurden dennoch Fälle mit schwerwiegendem Krankheitsverlauf beschrieben [11, 12]. Hinsichtlich des Outcomes bei diesen schweren Krankheitsverläufen zeigte eine aktuelle Studie, dass 44 % der Überlebenden am 90. Tag nach Krankenhausaufnahme schwerwiegende funktionelle Beeinträchtigungen zeigen. In dieser Studie waren eine an Tag 1 vorliegende Hyperglykämie sowie die Zeit bis zur Beseitigung der der PRES zugrunde liegenden Ursache starke frühe Prädiktoren des Outcomes. Bislang gibt es keine Daten hinsichtlich des langfristigen Outcomes und des potentiellen Nutzens einer neurologischen Frührehabilitation bei diesen Patienten. Bei unserem Patienten wurden stationäre frührehabilitative Maßnahmen insgesamt über einen Zeitraum von 175 Tagen durchgeführt. Die von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation vorgeschlagene Mindestverweildauer in der Frührehabilitation beträgt 8 Wochen [7], diese wurde bei unserem Patienten deutlich überschritten. In der Studie von Rollnik und Janosch, die die Verweildauerentwicklung in der neurologischen Frührehabilitation an einem Kollektiv von 2.016 Patienten untersuchte, konnte die von der BAR vorgeschlagene Verweildauer in 76,4 % der Fälle eingehalten werden. Eine breite Streuung der Ergebnisse macht jedoch deutlich, dass erhebliche interindividuelle Unterschiede bei der Verweildauerbetrachtung zu berücksichtigen sind, wobei einen erheblichen Einfluss vor allem die Diagnose hat [8]. Eine hochfrequente individualisierte multimodale Therapie führte zu keinen signifikanten Verbesserungen der motorischen, visuellen und kognitiven Funktionen. Als Ursache dieser bleibenden Defizite wiesen wir substanzielle strukturelle Hirndefekte im Follow-up-MRT nach. Während der Rehabilitation wurde es aber möglich, die Trachealkanüle zu entfernen, darüber hinausgehend bestand bei Entlassung keine Dysphagie, was einerseits Pflegeerleichterung, andererseits auch einen deutlichen Zugewinn an Lebensqualität für den Patienten bedeutet, was unserer Meinung nach die lange Verweildauer des Patienten rechtfertigt. Weiterhin konnte die Bewusstseinslage durch dopaminerge Therapie gesteigert werden, Kommunikation war verbal mit wenigen Worten möglich.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur 01 Matia AC, Rocha J, Cerqueira ME et al. Autonomic dysreflexia and posterior reversible encephalopathy syndrome. Am J Phys Med Rehabil 2013; 92: 453 – 458 02 Stevens CJ, Heran MK. The many faces of posterior reversible syndrome. Br J Radiol 2012; 85: 1566 – 1575 03 Bartynski WS. Posterior reversible encephalopathy syndrome, part 2: controversies surrounding pathophysiology of vasogenic edema. AJNR Am J Neuroradiol 2008; 29: 1043 – 1049 04 Legriel S, Pico F, Azoulay E. Understanding Posterior Reversible Encephalopathy Syndrome. In: Vincent JL ed. Annual Update in Intensive Care and Emergency Medicine. Berlin, Heidelberg: Springer; 2011: 631 – 653 05 Schwartz RB, Bravo SM, Klufas RA et al. Cyclosporine neurotoxicity and its relationship to hypertensive encephalopathy: CT and MR findings in 16 cases. Am J Roentgenol Am J Roentgenol 1995; 165: 627 – 631 06 Lee VH, Wijdicks EF, Manno EM et al. Clinical spectrum of reversible posterior leukoencephalopathy syndrome. Arch Neurol 2008; 65: 205 – 210 07 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Empfehlungen zur Neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C. BAR Publikation Frankfurt/Mail 1995, 0933-8462 08 Rollnik JD, Janosch U. Current trends in the length of stay in neurological early rehabilitation. Dtsch Arztebl Int 2010; 107: 286 – 292 09 Schönle PW. Der Frühreha-Barthel-Index (FRB) – eine frührehabilitationsorientierte Erweiterung des Barthel-Index. Rehabilitation 1995; 34: 69 – 73 10 Hamilton BB, Granger CV, Sherwin FS et al. An uniform national system for medical rehabilitation. In: Fuhrer MJ ed. Rehabilitation Outcomes: analysis and measurement. Baltimore, MD: Brookes; 1987: 137 – 147 11 Nagaoka Y, Ishikura K, Hamada R et al. Severe posterior reversible encephalopathy syndrome resolved with craniectomy. Pediatr Int 2012; 55: 644 – 646 12 Legriel S, Schraub O, Azoulay E et al. Determinants of recovery from severe posterior reversible encephalopathy syndrome. Plos One 2012; 7: e44534 13 Fridman EA, Calvar J, Bonetto M et al. Fast awakening from minimally conscious state with apomorphine. Brain Inj 2009; 23: 172 – 177

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ten keinen pathologischen Befund, ebenso war eine augenärztliche Untersuchung unauffällig. Als Ursache für die hochgradige Sehstörung wurde von kortikaler Blindheit als Folge von bilateralen zerebralen Infarkten ausgegangen. Die Tetraspastik verstärkte sich im weiteren Krankheitsverlauf. Am Ende der Rehabilitation war Stehen mit 2 Hilfspersonen für 2 Minuten möglich, der Patient war auf den Rollstuhl angewiesen. Körperpflege und Anziehen mussten zum Zeitpunkt der Entlassung komplett durch das Pflegepersonal übernommen werden. Eine Dysphagie bestand nicht, eine eigenständige Nahrungsaufnahme war wegen der Spastik und der Sehstörung dennoch nicht möglich, so dass die PEG belassen wurde. Der Frührehabilitations-Barthelindex [9], auf den sich der OPS 8 – 552 bezieht, war bei Aufnahme –125 und bei Entlassung 0 von –325 möglichen Punkten. Der Functional Independence Measure Score (FIM) [10], der die Selbstständigkeit in Aktivitäten des täglichen Lebens erfasst, betrug bei Beginn der Rehabilitation 18 und bei Beendigung 24 von 126 möglichen Punkten. Die bei Entlassung durchgeführte MRT des Schädels zeigte multiple, überwiegend oc" Abb. 1b). cipital betonte subkortikale Hirnsubstanzdefekte (●

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[The course of early neurological rehabilitation in a patient with severe posterior reversible encephalopathy syndrome].

Posterior reversible encephalopathy syndrome (PRES) is widely held to be a benign and potentially reversible disease. However, severe cases have been ...
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