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Die Bremer Gesundheitsuntersuchung — Machbarkeit eines neuen Vorsorgekonzeptes The Bremen periodic health exam — Feasibility of a new concept Guido Schmiemann 1,3,∗, Jürgen Biesewig-Siebenmorgen 2,3, Klaus Gebhardt 2, Günther Egidi 2,3 1

Abteilung Versorgungsforschung, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen Hausärztliche Gemeinschaftspraxis, Bremen 3 Akademie für hausärztliche Fortbildung, Bremen 2

Eingegangen/submitted 9. Oktober 2013; überarbeitet/revised 18. November 2013; akzeptiert/accepted 9. Dezember 2013

SCHLÜSSELWÖRTER Gesundheitsuntersuchung; Hausärztliche Versorgung; Prävention



Zusammenfassung Hintergrund: Versicherte haben Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen zur Krankheitsfrüherkennung (§25 SGB V). Individuelle Risiken werden im bestehenden Modell nicht systematisch berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund wurde die Bremer Gesundheitsuntersuchung entwickelt. Zentraler Bestandteil sind vom Patienten auszufüllende, nach Alter stratifizierte ScreeningFragebögen (35-69 Jahre, ≥70 Jahre). Machbarkeit und Akzeptanz dieses Konzeptes wurden ermittelt. Methode: In einer prospektiven Beobachtungsstudie wurden ausgewählte Hausärzte gebeten, über vier Wochen in jeder Vorsorgeuntersuchung die Fragebögen einzusetzen. Die Ärzte beantworteten offene Fragen zu Inhalten sowie Likert skalierte Fragen zur Relevanz der Themen und zur Machbarkeit des neuen Konzeptes. Ergebnisse: 17 von 20 angesprochenen Ärzten schlossen 171 Patienten ein. Die Patienten waren in beiden Gruppen durchschnittlich 52 bzw. 75 Jahre alt und beantworteten 4.4 Triggerfragen positiv. Alter und Geschlecht hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit positiv beantworteter Triggerfragen. Der Patientenfragebogen verlängerte die Dauer der Vorsorgeuntersuchung, der Zeitaufwand für die Besprechung der als neu erkannten Probleme wurde aber als angemessen beurteilt (Vierstufige Likert-Skala, 1 = ja 4 = nein; Ø 1.59; SD 0.77).

Korrespondenzadresse: Dr. Guido Schmiemann, MPH, Abteilung Versorgungsforschung, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen, Grazer Str. 4, 28359 Bremen. Fon: +49- (0)421-218 688- 15; Fax: +49- (0)421-218 9868815 E-Mail: [email protected] (G. Schmiemann).

1865-9217/$ – see front matter http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.12.002

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G. Schmiemann et al. Schlussfolgerung: Die Implementierung der Bremer Gesundheitsuntersuchung erscheint aus ärztlicher Sicht machbar.

KEYWORDS Preventive health examination; Family medicine; Prevention

Summary Background: All members of the Statutory Health Insurance are entitled to preventive health examinations. The current concept, however, does not take individual risk factors into account systematically. To improve this, the ‘‘Bremen Health Examination’’ was developed. The central component is a screening questionnaire to be completed by the patient, which is stratified by age, i.e., 35 to 69 years and ≥ 70 years. The feasibility and acceptance of this concept have been assessed. Methods: In a prospective observational study, a selected sample of general practitioners (GPs) was asked to implement the questionnaires during all preventive health examinations within a four-week period. The GPs subsequently answered content-related questions as well as Likert-scaled questions on the relevance of the issues addressed, and the feasibility of the new concept. Results: 17 out of 20 GPs approached for the study included a total of 171 patients. On average, the patients in the two groups were 52 and 75 years of age, respectively, and answered 4.4 prompting questions positively. Age and gender had no significant effect on the frequency of ‘‘positively’’ answered questions. Implementing the questionnaire extended the duration of the health examination, however, GPs overall rated the time required for discussing newly assessed problems as adequate (four-level Likert scale, 1 = yes; 4 = no; Ø 1.59; SD 0.77). Conclusion: The implementation of the Bremen Health Examination appears to be feasible from the GP perspective.

Einleitung Seit 1989 besteht ein gesetzlicher Anspruch auf die regelmäßige Durchführung einer Gesundheitsuntersuchung (GU) mit dem Ziel der Früherkennung von Krankheiten. Der Inhalt dieser Untersuchung [1] ist ebenso wie die Dokumentation gesetzlich festgelegt und damit für alle Versicherten ab dem vollendeten 35. Lebensjahr einheitlich. Das ursprüngliche Ziel der GU ist das Erkennen behandelbarer Erkrankungen, die eindeutig zu erfassen, zu diagnostizieren und zu behandeln sind (§25 SGB V). Der gesetzlich festgelegte Schwerpunkt liegt dabei auf der ,,Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenerkrankungen sowie des Diabetes mellitus‘‘ (Richtlinien Gesundheitsuntersuchung). Vor diesem Hintergrund wird die GU seit nahezu einem Vierteljahrhundert in unveränderter Form durchgeführt. In den letzten Jahren wird das Konzept aus unterschiedlichen Perspektiven zunehmend kritisiert [2]. Wesentliche Kritikpunkte sind: 1. Fehlende Evidenz für die angebotenen Untersuchungen. Für viele der durchgeführten Untersuchungen ist ein ausreichender Beleg nach den heute üblichen Kriterien der Evidenz-basierten Medizin nicht gegeben [3—6]. 2. Die ungesteuerte Nutzung des Angebotes. Aufgrund der Angebotsstruktur der GU findet kein systematisches, sondern ein opportunistisches Screenings statt. Da die GU überwiegend von eher gesundheitsbewussten und häufig auch gesünderen Versicherten genutzt wird, fördert die bestehende Form Unter-, Überund Fehlversorgung [7,8]. Eine angemessene Reaktion auf diese Kritik ist nicht leicht umzusetzen, da eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure (Versicherte, Ärzte, Krankenkassen) mit teilweise

divergenten Erwartungen beteiligt ist. Die Krankenkassen erweitern den gesetzlichen Rahmen für Vorsorgeuntersuchungen selbständig um weitere Angebote, z.B. höhere Untersuchungsfrequenz. Ursächlich hierfür dürfte neben der Nachfrage durch die Versicherten auch der Wettbewerb zwischen den Kassen sein. Versicherte schätzen das Angebot einer Gesundheitsuntersuchung [5] und nutzen die zusätzlichen Angebote ihrer Kasse. Den Ärzten bietet die GU die Möglichkeit, extrabudgetäres Honorar zu generieren. Das bestehende Konzept der GU wird von vielen Hausärzten als unzureichend angesehen und im Alltag durch zusätzliche individualisierte Leistungen ergänzt [9,10]. Aus qualitativen Untersuchungen ist bekannt, dass Public Health Aspekte ebenso wie die vorhandene Evidenz in der praktischen Durchführung von GU keine wesentliche Rolle spielen [9], vielmehr werden der tatsächliche Umfang und der Inhalt durch individuelle patienten- und arztseitige Faktoren bestimmt [9,10]. Es scheint, dass die regelmäßige und individualisierte Durchführung einer GU jenseits der bestehenden Evidenz sowohl für Hausärzte als auch ihre Patienten eine wichtige Funktion erfüllt. Möglicherweise liegt diese Funktion primär in dem durch die GU geschaffenen und legitimierten Gesprächsrahmen, der es erlaubt, die Arzt-Patientenbeziehung zu verbessern. Diese Beziehungsarbeit erlaubt es beispielsweise, dass Ärzte mehr von ihren Patienten erfahren, als es unter den Bedingungen der ,,Akutsprechstunde‘‘ möglich ist [10]. Aus der verfügbaren Evidenz gibt es Hinweise darauf, dass Patienten nicht selten wünschen, dass ihr Hausarzt auch von ihren sozialen und finanziellen Problemen weiß [11]. Das Konzept ,,Die neue Bremer Gesundheitsuntersuchung‘‘ wurde im Rahmen der Verhandlungen zur hausärztlichen Versorgung nach §73b entwickelt und wird seit Anfang 2013 im Rahmen der Verträge mit den Ersatzkassen im Land Bremen umgesetzt.

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Die Bremer Gesundheitsuntersuchung — Machbarkeit eines neuen Vorsorgekonzeptes Zentraler Punkt des Konzeptes ist die Entwicklung altersstratifizierter Fragebögen, in denen validierte Screeningfragen zusammengefasst wurden. Die Auswahl der Fragen basiert auf einer selektiven Literaturrecherche aus internationalen Empfehlungen und Leitlinien. Die Fragebögen werden von den Patienten beantwortet, die Umsetzung durch die Ärzte wird durch Implementierungsinstrumente unterstützt. Positive Antworten auf die einzelnen Fragen (Triggerfragen) weisen auf ein Problem hin und ermöglichen dem Arzt, gezielt darauf einzugehen. Die Frage ,,Sind Sie kleiner geworden‘‘ soll beispielsweise auf die weitere Abklärung einer eventuell bestehenden Osteoporose hinweisen. Eine detailliertere Darstellung des Konzeptes sowie die Reaktion nationaler Präventionsexperten und Gesundheitswissenschaftler ist andernorts erfolgt [3,12]. Die erstellten Fragebögen sind ebenso wie die Implementierungshilfen und Hintergrundtexte frei verfügbar (www.bremer-gesundheitsuntersuchung.de) Das Ziel des neuen Konzeptes ist es, - Die Evidenzbasis der Gesundheitsuntersuchung zu verbreitern, - altersspezifische und individuelle Aspekte der Morbidität stärker zu berücksichtigen und - den Stellenwert des Arzt-Patientengespräches innerhalb der Gesundheitsuntersuchung zu unterstützen. In der vorliegenden Studie sollten Machbarkeit und Akzeptanz des neuen Konzeptes im Rahmen einer klinischen Beobachtungsstudie im hausärztlichen Setting ermittelt werden. Dazu wurde zunächst die Umsetzbarkeit aus Sicht der Anwender untersucht.

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Probleme. In einem Freitextfeld wurde nach weiteren Anmerkungen oder Kommentaren gefragt. Vor dem Einsatz in dieser Machbarkeitsstudie war der Evaluationsbogen in einer anderen Gruppe von Hausärzten pilotiert und geringfügig modifiziert worden

Auswertung Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm R (Version 2.12.1 (2010)). Im Rahmen der deskriptiven Statistik wurden nominale Variablen als absolute und relative Häufigkeiten angegeben. Für stetige Variablen wurden arithmetischer Mittelwert und Standardabweichung (SD) berechnet. Bei allen Gruppenvergleichen kam der t-Test zur Anwendung, zur Beurteilung der Korrelation zwischen nichtparametrischen Daten wurde der Korrelationskoeffizient nach Spearman eingesetzt, P-Werte kleiner als 0,05 wurden als statistisch signifikant festgelegt.

Ergebnisse Von den persönlich angesprochenen 20 Ärzten erklärten n = 17 sich zur Teilnahme bereit, 3 hatten kein Interesse/keine Zeit. Innerhalb von vier Wochen wurden konsekutiv Gesundheitsuntersuchungen bei 181 Patienten dokumentiert. Angaben zu den soziodemographischen Daten der Ärzte sowie der Anzahl der durchgeführten Untersuchungen pro Praxis sind in Tabelle 1 dargestellt. Abhängig vom Geschlecht und der Altersgruppe haben die teilnehmenden Patienten unterschiedliche Probleme genannt. In Abbildung 2 sind die vier nach Altersgruppe und Geschlecht häufigsten Probleme aufgeführt.

Methode Bewertung durch die Ärzte Eine Stichprobe von n = 20 den Autoren persönlich bekannten Hausärzten aus der Region Bremen wurde gebeten, über einen Zeitraum von vier Wochen konsekutiv in jeder durchgeführten GU die Fragebögen des neuen Konzeptes einzusetzen. Den Ärzten war das neue Konzept vorher nicht bekannt, sie erhielten eine persönliche Einführung sowie umfangreiche Hintergrundmaterialien. Die Fragebögen bestehen aus 26 (FB1: Altersgruppe 35-69 Jahre) bzw. 28 (FB2: Altersgruppe ≥ 70) Triggerfragen zu in der Altersgruppe besonders prävalenten Erkrankungen und Problemen. Auf den Fragebögen wurden zusätzlich Alter und Geschlecht der Patienten erhoben. Die teilnehmenden Ärzte sollten den Einsatz des Fragebogens nach jeder Gesundheitsuntersuchung evaluieren. Erfragt wurden die inhaltlichen Ergebnisse aus dem Einsatz des Fragebogens (,,Von welchen neuen Problemen des Patienten haben Sie durch den Einsatz des Fragebogens erfahren?‘‘) sowie deren Relevanz (,,Bitte bewerten sie die Relevanz dieser neuen Probleme für ihre weitere hausärztlichen Betreuung des Patienten?‘‘) (siehe Abbildung 1). Zusätzlich wurden Umsetzbarkeit und Akzeptanz der neuen Methode sowie die von den Ärzten eingeschätzte Zufriedenheit der Patienten auf einer mehrstufigen LikertSkala erfasst. Die Akzeptanz bezog sich auf die empfundene Gesamtdauer der Vorsorgeuntersuchung und den empfundenen Zeitaufwand für die Besprechung der neu detektierten

Untersuchungsdauer Der Einsatz des Patientenfragebogens verlängerte die übliche Dauer der Vorsorgeuntersuchung in geringem Umfang. Auf einer fünfstufigen Likertskala (1 = viel mehr Zeit als üblich und 5 = viel weniger Zeit als üblich) wurde der Zeitbedarf in n = 134 Gesundheitsuntersuchungen im Durchschnitt mit 2,72 (SD 0.82) bewertet. Das Alter der Patienten hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Untersuchungsdauer (FB1: 2,67, FB 2: 2,82 p = 0,31 t-Test)

Zeitaufwand für neue Probleme Der Zeitaufwand für die Besprechung der als neu erkannten Probleme wurde auf einer vierstufigen Skala zwischen 1 = ja und 4 = nein überwiegend als angemessen beurteilt (Durchschnitt 1.59; SD 0.77; n = 122). Die Anzahl der vom Patienten genannten Probleme korrelierte dabei nicht signifikant mit der Untersuchungsdauer (p = 0,121 Korrelationskoeffizient nach Spearman). Das Alter der Patienten hatte auch hier keinen signifikanten Einfluss auf die Akzeptanz (FB1: 1,46; FB 2: 1,65 p = 0.18 t Test) In den meisten Kontakten konnten nach Angaben der Ärzte alle von den Patienten angekreuzten Themen

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G. Schmiemann et al.

Abbildung 1

Fragebogen zur Evaluation der Bremer Gesundheitsuntersuchung

besprochen werden (1.56 SD 0.93; n = 129; Likert Skala 1 = alle Themen angesprochen 4 = kein Thema angesprochen)

Patientenzufriedenheit Die Ärzte hatten den Eindruck, dass die teilnehmenden Patienten mit dem Einsatz des Fragebogens überwiegend zufrieden waren (Likert-Skala 1 = ja, 4 = nein; Durchschnitt 1,37 SD 0,58; n = 139).

Problemdetektion aus Arztsicht In einer offenen Frage sollten die Ärzte angeben: ,,Von welchen neuen Problemen des Patienten haben Sie durch den

Einsatz des Fragebogens erfahren?‘‘. Die Relevanz dieser neuen Probleme für die weitere hausärztliche Betreuung wurde anschließend auf einer vierstufigen Likertskala (1 = sehr relevant, 4 = nicht relevant) angegeben. In Tabelle 2 und 3 sind alle aus Sicht der Ärzte relevanten, durch den Fragebogen erkannten Probleme aufgezählt. Als relevant wurden Items gewertet, die eine durchschnittliche Bewertung von ≥ 2,0 Punkten erreicht haben. In der Altersgruppe 35-69 Jahre (≥70 Jahre) wurden Insgesamt 83 (19) Probleme von den behandelnden Ärzten als relevant angesehen. Am häufigsten (n = 16, Gruppe 35-69 Jahre) wurden durch die Fragebögen bislang nicht bekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren bzw. Probleme mit dem Wasserlassen (n = 5, Gruppe ≥ 70 Jahre)) entdeckt. Aus Sicht der behandelnden Hausärzte hatten Hinweise auf eine Spiel-/Internetsucht

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Die Bremer Gesundheitsuntersuchung — Machbarkeit eines neuen Vorsorgekonzeptes Tabelle 1 Soziodemographische Angaben der teilnehmenden Ärzte; Anzahl der durchgeführten Untersuchungen in der Praxis, Altersstruktur und Anzahl der genannten Probleme der Patienten (Standardabweichung = SD). Ärzte Alter (Jahre) Geschlecht — (Frauen/Männer) Dauer der Niederlassung (Jahre) Praxisart (Einzelpraxis/Gemeinschaftspraxis) Durchschnittliche Anzahl der durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen/Quartal in der Praxis im Rahmen der Studie dokumentierte Gesundheitsuntersuchungen/Praxis

50,4 (SD 9,6) 5 Ärztinnen/12 Ärzte 10,3 Jahre(SD 7,9 Jahre) 2/15 75,8 (SD 42,2 Min 25 Max 150)

8,9 (SD 4,3, Min 1 Max 19)

Patienten Gruppe 35-69 Anzahl Alter Anzahl der Probleme Gruppe 70+ Anzahl Alter Anzahl der Probleme

N = 119 52,0 (SD 10,9) 4,0 (SD 2,7) N = 62 75,5 (SD 5,2) 5,0 (SD 4,0)

Abbildung 2 Die häufigsten (Angabe in %) von Patienten angegebene Probleme aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Altersgruppe (35-69 Jahre; 70+ Jahre); n = 62 (70+), n = 119 (3569)

(n = 1) bzw. eine Sturzneigung (n = 2) die höchste Relevanz.

Angaben in den Freitexten Die Möglichkeit eigene Anmerkungen zum Konzept oder einzelnen Fragen zu notieren wurde nur von wenigen Ärzten genutzt. Die Antworten lassen sich dabei den folgenden Kategorien zuordnen:

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1. Kommentare zum Verständnis/ der Formulierung einzelner Fragen (,,Patient hatte Probleme, die Fragen zu verstehen‘‘) 2. Zeitlicher Aufwand (,,Wenn alles angekreuzt wird, haben wir ein Problem‘‘) 3. Konzept gesamt (,,bevorzuge freies Gespräch‘‘, ,,Patient fand den Fragebogen zu unpersönlich‘‘, ,,Frage zu finanziellen Problemen unmöglich‘‘, ,,Neues Problem durch den Fragebogen gut erkannt‘‘).

Diskussion In dieser Beobachtungsstudie wurden Akzeptanz und Machbarkeit einer neuen, Fragebogen- gestützten Gesundheitsuntersuchung in einer Stichprobe von 17 Ärzten und 181 Patienten ermittelt. Aus Perspektive der Ärzte konnten die Mehrheit der durch den Fragebogen aufgeworfenen Probleme in einer angemessenen Zeit behandelt werden. Die befragten Ärzte entdeckten aus ihrer Sicht relevante Probleme und schätzten die Zufriedenheit der teilnehmenden Patienten als hoch ein. In der Bremer GU spielt die Durchführung einer apparativ gestützten Diagnostik keine vorrangige Rolle. Vielmehr soll das gemeinsame Gespräch über die vom Patienten markierten Triggerfragen den kommunikativen Aspekt der GU aufwerten und unterstützen. Anstelle eines vom Patienten auszufüllenden Fragebogens könnte prinzipiell auch eine vom Arzt abzuarbeitende Checkliste eingesetzt werden. Ein solches Instrument wurde in Kanada entwickelt und beinhaltet eine evidenzbasierte Unterstützung für die dortige ,,periodic health examination‘‘ [13]. Diese Form der Checkliste wurde in klinischen Studien validiert [14] und führte zu einer deutlichen höheren Umsetzung evidenzbasierter Präventionsangebote. Ein der Bremer Gesundheitsuntersuchung vergleichbares Fragebogenkonzept wird von der Österreichischen Sozialversicherung angeboten, eine Evaluation dieses Konzeptes ist uns nicht bekannt. In welcher Form eine komplexe Intervention wie die GU adäquat evaluiert werden kann ist nicht eindeutig zu beantworten. Dies liegt zum Beispiel an den unterschiedlichen Interessen der Beteiligten. Die Prioritäten von Ärzten, Patienten und Krankenkassen in Bezug auf die GU unterscheiden sich vermutlich deutlich. Aus der Public Health Perspektive sind die seit 1968 bekannten Kriterien von Wilson und Jungner [15] entscheidend für die Frage ob ein Screening empfohlen werden sollte oder nicht. Bei der GU in Deutschland handelt es sich jedoch in erster Linie um eine individualisierte Untersuchung, die primär zum case-finding eingesetzt werden sollte. Vor diesem Hintergrund können auch weitere Outcomes wie die Patientenzufriedenheit und die Qualität der Arzt- Patientenbeziehung als geeignete Indikatoren angesehen werden. Aufgrund der eingeschränkten Ressourcen wurden in dieser Studie lediglich die Machbarkeit und Akzeptanz aus ärztlicher Perspektive ermittelt. Durch die Fragebögen und das anschließende Gespräch erfuhren die Ärzte von vielen, ihnen bislang nicht bekannten, aber aus ihrer Sicht relevanten Problemen. Eine vergleichbare Evaluation in Bezug auf die Rate neu entdeckter Erkrankungen durch die bestehende GU ist prinzipiell

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G. Schmiemann et al. Tabelle 2 Im Fragebogen 1 (35-69 Jahre) vom Patienten markierte und vom Hausarzt als relevant angesehene Probleme nach Geschlecht (M = Männer; F = Frauen, NA = fehlende Angaben). Die zur Gesamtzahl von n = 139 Problemen fehlenden Angaben wurden von Hausärzten als weniger relevant angesehen. m+f 35-69 J.

m 35 — 69 J.

w 35 — 69 J.

Problem

N

%

Relevanz

N

%

Relevanz

N

%

Relevanz

Familienanamnese (kardiovaskuläre Risikofaktoren) Rauchen Verminderte Belastbarkeit Alkohol Computer/Internetsucht Schlafprobleme Probleme mit dem Wasserlassen Einnahme weiterer Medikamente Depression (,,niedergeschlagen gefühlt‘‘ Depression (,,weniger Freude‘‘) Probleme Lebenssituation Weiteres Problem Summe der relevanten Probleme Summe aller Probleme

16

11,5

1,8

6

10,5

1,7

10

12,2

1,9

12 5 3 1 9 8 5 11 8 4 1 83 139

8,6 3,6 2,2 0,7 6,5 5,8 3,6 7,9 5,8 2,9 0,7 59,7 100,0

1,6 2,0 1,3 1,0 1,9 1,9 2,0 1,3 1,8 1,3 2,0

5 1 1 1 2 3 3 8 3 3 0 36 57

8,8 1,8 1,8 1,8 3,5 5,3 5,3 14,0 5,3 5,3 0,0 63,1 100,0

1,8 2,0 1,0 1,0 2,0 1,7 2,3 1,4 1,7 1,3 NA

7 4 2 0 7 5 2 3 5 1 1 47 82

8,5 4,9 2,4 0,0 8,5 6,1 2,4 3,7 6,1 1,2 1,2 57,3 100,0

1,4 2,0 1,5 NA 1,9 2,0 1,5 1,0 1,8 1,0 2,0

möglich, nach unserer Kenntnis für Deutschland bislang jedoch nicht systematisch erfolgt. Aus anderen Ländern wird eine erhöhte Aufdeckungsrate relevanter Diagnosen durch eine GU berichtet [16]. Lediglich am Beispiel der routinemäßigen Bestimmung der Blutfettwerte konnte für Deutschland nachgewiesen werden, dass diese nur in geringem Umfang auch zu evidenzbasierten Konsequenzen (medikamentösen Therapie bei Hochrisikopatienten) führt [17]. Der Einsatz des Fragebogens verlängerte die Gesamtdauer der Untersuchung nicht wesentlich, der Zeitaufwand durch die Detektion neuer Probleme wurde insgesamt als angemessen bewertet. Damit konnte grundsätzlich die Machbarkeit dieses neuen Konzeptes bestätigt werden. Mit der neuen GU scheinen bislang unbekannte, für die hausärztliche Behandlung relevante Probleme in einem vertretbaren Zeitumfang ermittelt werden. Allerdings müssen wichtige Limitationen der Studie berücksichtigt werden. So

erfolgte die Auswahl der teilnehmenden Ärzte nicht zufällig, Frauen waren unterrepräsentiert, und nur ein geringer Teil der Ärzte ist in Einzelpraxen tätig. Lediglich hinsichtlich des Alters unterscheiden sich die teilnehmenden Ärzte nicht vom deutschen Durchschnitt (52,7 Jahre)[18]. Die Ärzte wurden gebeten, den Fragebogen konsekutiv bei allen Patienten einzusetzen, eine Kontrolle des Rekrutierungsmodus durch die tatsächliche Anzahl der abgerechneten GU war im Rahmen dieser Pilotstudie nicht möglich. Auch erfolgte die Bewertung der Machbarkeit auf Basis der subjektiven Einschätzung der Teilnehmer anstelle objektiver Parameter wie der tatsächlich erhobenen Dauer der Untersuchungen. Dem gegenüber steht, dass neue Modelle der ambulanten Versorgung zumeist eingeführt (und vergütet) werden, obgleich Untersuchungen zur Machbarkeit und Akzeptanz fehlen. Dies gilt für das bestehende Modell der Gesundheitsuntersuchungen ebenso wie für die umfangreichen

Tabelle 3 In Fragebogen 2 (70+ Jahre) vom Patienten markierte und vom Hausarzt als relevant angesehene Probleme nach Geschlecht (NA = fehlende Angaben). Die zur Gesamtzahl von n = 48 Problemen fehlenden Angaben wurden von Hausärzten als weniger relevant angesehen. m+f > 70

m >70

f >70

Problem

n

%

Relevanz

n

%

Relevanz

n

%

Relevanz

Bewegungsmangel Probleme mit der Luft Sturzneigung Probleme mit Wasserlassen Probleme mit der Verdauung Unsicherheit bei der Medikamenteneinnahme Fehlendes soziales Netz Depression (,,weniger Freude‘‘) Summe der relevanten Probleme Summe aller Probleme

2 3 2 5 1 1 1 4 19 48

4,2 6,3 4,2 10,4 2,1 2,1 2,1 8,3 39,5 100,0

2 1,3 1 1,4 2 2 2 1,5

1 0 1 3 1 0 0 3 9 19

5,3 0,0 5,3 15,8 5,3 0,0 0,0 15,8 47,3 100,0

2 NA 1 1,3 2 NA NA 1

1 3 1 2 0 1 1 1 10 29

3,4 10,3 3,4 6,9 0,0 3,4 3,4 3,4 34,4 100,0

2 1,3 1 1,5 NA 2 2 3

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Die Bremer Gesundheitsuntersuchung — Machbarkeit eines neuen Vorsorgekonzeptes Kinder- und Jugendgesundheitsuntersuchungen. Mit dieser Studie konnte die Machbarkeit eines neuen Modells der Gesundheitsuntersuchung vor ihrer breiten Einführung im Rahmen der Hausarztverträge in Bremen ermittelt werden. Eine umfassendere Evaluation sowohl in einer größeren Ärztestichprobe als auch auf Patientenebene wird für die nahe Zukunft angestrebt.

[6]

[7]

Zusammenfassung [8]

Die Erweiterung der bisherigen Gesundheitsuntersuchung um die systematische Erhebung altersadaptierter und individueller Risiken erscheint nach dieser Untersuchung machbar. Das Fragebogenkonzept der Bremer Gesundheitsuntersuchung führt aus ärztlicher Sicht zu einer Aufdeckung von relevanten Problemen und ist in vertretbarem Zeitaufwand umsetzbar. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um die Akzeptanz auf Seiten der Patienten zu klären.

[9]

[10]

[11]

Danksagung [12]

Wir danken allen teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten für Ihre Unterstützung

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.

[13]

[14]

Literatur [15] [1] http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/25.html, (zuletzt besucht am 18.09.2013). [2] Howard-Tripp M. Should we abandon the periodic health examination? YES Can Fam Physician 2011;57(2):158—60. [3] Donner-Banzhoff N, Heintze C. Der ‘‘Check Ab 35’’: Ein Fall von Systemlähmung? Muss und kann die Gesundheitsuntersuchung nach §25 SGB V erneuert werden? Z Evid Fortbild Qual Gesundh wesen 2011;105(10):765—8. [4] O’Malley PG, Greenland P. The annual physical: are physicians and patients telling us something? Arch Intern Med 2005;27(165 (12)):1333—4. [5] Prochazka AV, Lundahl K, Pearson W, Oboler SK, Anderson RJ. Support of evidence-based guidelines for the annual physical

[16]

[17]

[18]

7

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