Kasuistiken Internist 2014 · 55:88–92 DOI 10.1007/s00108-013-3398-1 Online publiziert: 9. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Rubrikherausgeber

K. Werdan, Halle (Saale)

Anamnese Eine bislang gesunde 41-jährige Frau erkrankte im Februar 2012 kurz an Durchfall, dem krampfartige Bauchschmerzen und Verstopfung folgten. Erbliche Krankheiten waren nicht bekannt. In der Patientengeschichte fanden sich eine normal verlaufene Schwangerschaft, wenige Eingriffe in Lokalanästhesie, keine Genussgifte und keine Medikation.

Diagnostik Bei zunehmenden Schmerzen wurde sie 2 Tage später in eine Abteilung für Innere Medizin aufgenommen. Bis auf spärliche Darmgeräusche waren der Bauchund die übrigen klinischen Befunde blande. Labordiagnostisch auffallend waren ein mit 1,5 mval/l leicht erhöhter Bilirubinwert (obere Norm: 1,1 mval/l; bei Kontrolle normal) sowie niedrige Natrium(126 mval/l, zuletzt 128 mval/l; untere Norm: 135 mval/l) und Kaliumspiegel (3,0 mval/l; untere Norm: 3,5 mval/l; nach Substitution normal). Die Sonographie war unauffällig, die Röntgenaufnahme zeigte einzelne Dünndarmspiegel, die Computertomographie (CT) ergab den Verdacht auf eine Stenose der linken Kolonflexur. Koloskopisch fand sich eine Rötung der gesamten Schleimhaut (Histologie „unspezifisch“) bei stark elongiertem Colon transversum. Die Patientin erhielt Standardanalgetika und Mesalazin. Der gynäkologische Befund war normal. Der Chirurg empfahl eine Kontrollkoloskopie sowie die elektive Resektion der Kolonelongation, da diese abseh-

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Tetraplegie, Reanimation und Krampfanfälle nach Kolonteilresektion bei einer 41-Jährigen bar zu Problemen führen würde. Fünf Tage nach der ersten folgte die zweite Koloskopie mit völlig normalem Befund.

Internistische Diagnose F Abdominale Schmerzen ohne Korrelat

Operative Therapie Die internistische Diagnose führte die Patientin in die Chirurgie. Sie fühlte sich schwach und hatte, quasi nüchtern seit fast 2 Wochen, 10 kg Gewicht verloren. Da sie aber weiterhin an starken Schmerzen litt, wurde wie geplant am nächsten Tag, 13 Tage nach Beschwerdebeginn, in Allgemeinanästhesie plus Periduralkatheter das Colon transversum entfernt. Wegen nicht transfusionspflichtiger Nachblutung erfolgte am nächsten Tag eine Revision. Danach war der chirurgische Verlauf ungestört, sie führte ab, der Blasenkatheter wurde gezogen.

Chirurgische Diagnose F Kolonteilresektion bei ungewöhnlich ausgeprägtem Colon elongatum

Weitere Diagnostik und Therapie Zwei Tage nach der Operation klagte die Patientin über ein taubes Gefühl am Stamm, weshalb der Periduralkatheter gezogen wurde. Sie fühlte sich immer schwächer, blieb mit einer Herzfrequenz um 120/min tachykard und berichtete weitere 3 Tage später auch über Taubheit

der Arme und Beine. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Brust- und Lendenwirbelsäule brachte keine Klärung, schloss aber eine Läsion durch den Periduralkatheter aus. Einen Tag später konnte sie „nichts mehr bewegen“. Der neurologische Konsiliararzt fand schwache Reflexe sowie eine Tetraparese vom Kraftgrad 2–3/5 und veranlasste eine MRT der Halswirbelsäule; diese blieb unauffällig.

Neurologische Verdachtsdiagnose F Tetraparese bei unklarer spinaler Erkrankung, Differenzialdiagnose: somatoforme Störung Insgesamt knapp 3 Wochen nach Krankheitsbeginn führte die neurologische Verdachtsdiagnose dann rasch wegen nun rapiden Verfalls der Patientin zur Verlegung auf die Intensivstation einer großen Klinik für Neurologie. Dort war die sehr krank wirkende Patientin orientiert, sie bot normale Hirnnerven, eine Hypästhesie des Stamms bis zu den Knien, eine Areflexie und eine proximal betonte Tetraparese vom Kraftgrad 2–3/5 bei voller Kraft der Füße. Der Natriumspiegel war mit 130 mval/l erniedrigt, der Liquor bei Aufnahme normal, bei Kontrolle fand sich eine geringe Leukozytenerhöhung. Unter der Annahme eines schweren Guillain-Barré-Syndroms (GBS) nach Durchfall vor 3 Wochen erhielt die Patientin eine erste Dosis IgG-Immunglobuline (20 g). Da sich der Zustand der Patientin verschlechterte und Tachykardien mit einer Herzfrequenz bis nahezu 200/min auftraten, die als auto-

nome Beteiligung bei GBS gedeutet wurden, war für den folgenden Tag die Immunadsorption vorgesehen. Noch vor deren Beginn kam es nach einem innerklinischen Transport zum nicht beobachteten Kreislaufstillstand. Die Reanimation gelang zwar rasch, aber die neuronenspezifische Enolase (NSE) stieg bis auf 120 μg/l, was eine schlechte Prognose verhieß [9]. In mehreren kranialen CT und MRT fanden sich beiderseits Läsionen im Hippocampus. Wegen Blutdruckabfalls wurde die am Folgetag versuchte Immunadsorption abgebrochen, die Patientin erhielt nun über 5 Tage Immunglobuline. Mehrere Elektroenzephalogramme (EEG), das erste einige Tage nach der Reanimation, ergaben Veränderungen wie bei schwerer Enzephalopathie, aber ohne hypoxietypische Muster. Die Nervenleitgeschwindigkeit, 12 Tage nach Beginn der neurologischen Symptome gemessen, sprach für schwere demyelinisierende Läsionen, passend zum GBS, später waren teilweise keine F-Wellen mehr erfassbar, sodass keine Aussage über einen ggf. auch axonalen Schaden möglich war. Im anfänglich normalen Elektromyogramm fand sich später eine neurogene Denervierung. Eine Besserung blieb trotz aller Anstrengungen aus. Die Tracheotomie wurde nötig, Schluckstörungen und Erbrechen erforderten eine nach jejunal verlängerte perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), Infekte kamen hinzu. Die Patientin benötigte Antihypertensiva, nur unter Metoprolol war sie nicht allzu tachykard. Die Diurese schwankte bei manchmal braunem oder roséfarbenem Urin wie bei geringer Hämaturie. Die Patientin schien zu halluzinieren, befolgte kaum auch nur einfachste Aufforderungen, sie weinte oft oder blieb anhaltend schläfrig, sodass eingedenk des auffälligen EEG unter der Annahme nichtkonvulsiver Anfälle zuerst Valproinsäure, dann dauerhaft Levetiracetam gegeben wurde. Daraufhin besserte sich ihr Reaktionsvermögen, sie war in den Rollstuhl mobilisierbar, konnte aber ihren Kopf nicht halten und blieb de facto tetraplegisch. Drei Monate nach Krankheitsbeginn wurde sie zur Rehabilitation verlegt unter folgenden Diagnosen.

Neurologisch-intensivmedizinische Diagnosen F Guillain-Barré-Syndrom mit autonomer Beteiligung F Reanimation mit hypoxischen Hippocampusläsionen beiderseits F Verdacht auf symptomatische Epilepsie F Organisches Psychosyndrom F Hyponatriämie F Besiedelung mit Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus

Befund bei Aufnahme in die Rehabilitation Mit der verhangenen, aber weckbaren schwerkranken Patientin war nur inkonstant eine minimale Verständigung möglich. Sie wies eine extreme, generalisierte Muskelatrophie (170 cm, 46 kg; BodyMass-Index: 16,5 kg/m2) sowie eine Tetraplegie bei Areflexie auf. Kardiopulmonal war sie stabil, Ödeme hatte sie nicht. Versorgt war die Patientin mit einer Trachealkanüle, nach jejunal verlängerten PEG, einem Zentralvenenkatheter und Blasenkatheter. Der Urin war klar. Auffällig waren der Hämoglobinspiegel um 10 g/dl sowie grenzgradig niedrige Natriumwerte (132 mval/l). Einschließlich der D-Dimere und des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) waren die Werte ansonsten normal. Normal waren auch das EKG (Frequenz: 110/min), die Röntgenaufnahme des Thorax sowie die Abdomen- und Beinvenensongraphie.

Klinischer Verlauf Über Wochen gelang keine Besserung, Komplikationen wie clostridienassoziierte Diarrhö, Okklusion der jejunalen Ernährungssonde, Erbrechen, Tracheostomastenose, Fieber, Erfordernis eines Ports und zeitweilig nur parenteral mögliche Ernährung reihten sich aneinander. Wegen Tachykardien bis 170/min wurde eine weitergehende Diagnostik betrieben. Unter Infusion reichlicher Mengen NaClLösung und höher dosiertem Metoprolol wurde die Patientin stabil. Anfang August, 5 Monate nach der Reanimation, wurde erstmals ein generalisierter Anfall beobachtet, wobei im MRT

die Hippocampusläsionen deutlich rückläufig waren, auch das EEG erbrachte keine neuen Befunde. Die LevetiracetamDosis wurde erhöht. Daraufhin konnte die Trachealkanüle entfernt und eine minimale Ernährung begonnen werden. Die Patientin begann, den linken Oberarm zu bewegen und einzelne Wörter zu sprechen. Wegen anhaltender Inkontinenz wurde der Blasenkatheter belassen, sporadisch wurde wie auch im Vorkrankenhaus „bierbrauner“ oder „rötlicher“ Urin vermerkt. Vermutete Schmerzen, Angst und schlechter Schlaf wurden symptomatisch behandelt. Die Entlassung wurde vorbereitet. Ende August war der Urin „über Nacht“ fast schwarz. Auf Urinteststreifen fand sich kein Blut, der Urin war rasch wieder klar. In der verschickten Probe waren die Laktat-Dehydrogenase (LDH) und Myoglobin negativ, die Porphyrine im Sammelurin waren dagegen hoch: D-Aminolävulinsäure 19,2 mg/24 h (obere Norm: 6,4 mg/24 h), Porphobilinogen 29,6 mg/24 h (1,7 mg/24 h), Uroporphyrin 900 μg/24 h (25 μg/24 h), Pentacarboxyporphyrin 25 μg/24 h (5 μg/24 h), Coproporphyrin I 63 μg/24 h (25 μg/24 h), Coproporphyrin III 252 μg/24 h (75 μg/24 h), Gesamtporphyrine 1250 μg/24 h (150 μg/24 h).

Definitive Diagnose F Akute intermittierende Porphyrie (AIP) Die knapp 6 Monate nach Krankheitsbeginn gestellte definitive Diagnose erhellte schlagartig praktisch alle Symptome. Die Patientin wurde in die Universitätsklinik Marburg verlegt, wo die Diagnose bestätigt wurde. Im Urin lagen Porphobilinogen und D-Aminolävulinsäure 3-fach, Pentacarboxyporphyrin 4-fach und Uroporphyrin 14-fach über der Norm, Coproporphyrin I und III waren nur gering erhöht. Im Stuhl war lediglich Coproporphyrin gering erhöht, Hepta-, Hexa-, Penta- und Protoporphyrin sowie die Gesamtporphyrine waren normal [7]. Die Porphobilinogen-Desaminase wurde nicht bestimmt. Die Patientin erhielt Hämarginat und Glukose i.v. und wurde, nicht unerwartet ohne neurologische Der Internist 1 · 2014 

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Kasuistiken Besserung, nach 2 Wochen zurückverlegt. Im Oktober 2012, nach 7-monatigem Klinikaufenthalt, wurde sie nach Hause entlassen. Dort setzte sich die Erholung bis heute fort, aber nur sehr langsam. Anfälle traten nicht mehr auf. Die Patientin nahm zu und war psychisch stabiler. Sie konnte zuletzt selbständig kleine Essensportionen löffeln. Leider bestanden erhebliche Hirnleistungsmängel, Dranginkontinenz und noch immer schwere motorische Defizite fort, der Pflegebedarf blieb hoch. Die Urinporphyrine schwankten zwischen leicht und noch mehrfach erhöhten Werten, Hämarginat wurde aber nicht nochmals gegeben.

Diskussion Inzidenz und Klinik der akuten intermittierenden Porphyrie Der Begriff Porphyrie, schon 1911 eingeführt, ist dem griechischen Wort porphyréos (purpurn) entlehnt und weist auf die Urinverfärbung bei vielen Porphyrien, so auch der AIP, hin. Diese Regulationsstörung der Hämbiosynthese beruht auf einem autosomal-dominant vererbten Gendefekt, den in Mitteleuropa einer von etwa 20.000 Menschen trägt. Nur etwa 10–20% der Genträger erkranken jemals an AIP, fast immer zwischen Pubertät und 60. Lebensjahr. Hatte ein Blutsverwandter eine AIP-Attacke, hat ein Genträger ein Risiko von etwa 30%, eines Tages ebenfalls zu erkranken. Bei leerer Familiengeschichte ist das „sporadische“ Krankheitsrisiko viel geringer [8]. D Die Symptome der akuten

intermittierenden Porphyrie können als neurotoxisch verursacht gedeutet werden. Bei einer AIP-Attacke sind D-Aminolävulinsäure und Porphobilinogen im Urin praktisch immer erheblich erhöht [3], die Messung in einer lichtgeschützt und gekühlt verschickten Spontanprobe genügt. Ist das Ergebnis nicht eindeutig, der klinische Verdacht aber hoch, sollte die Messung wiederholt werden. Eine Porphyrinurie beweist noch keine AIP, Differenzialdiagnosen sind

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Zusammenfassung · Abstract Internist 2014 · 55:88–92  DOI 10.1007/s00108-013-3398-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 W. Wagner

Tetraplegie, Reanimation und Krampfanfälle nach Kolonteilresektion bei einer 41-Jährigen Zusammenfassung Eine 41-jährige Frau präsentierte sich bei anhaltendem Bauchschmerz nur mit einer flüchtigen, unspezifischen Pankolitis und unklaren Hyponatriämie; trotz nur fraglicher Erklärung durch eine ausgeprägte Kolonelongation wurde teilreseziert. Danach erzwangen körperlicher Verfall, Hypästhesie, Areflexie und Tetraparese die Intensivbehandlung. Obwohl unter der Annahme eines Guillain-Barré-Syndroms eine Immunglobulintherapie durchgeführt wurde, musste die Patientin reanimiert werden mit schweren Folgen einer Hypoxie (hoher Wert der neuronenspezifischen Enolase, Hippocampusläsionen). Bauchschmerz, Hyponatriämie, Dau-

ertachykardie, sensible Ausfälle, Tetraplegie, Kreislaufstillstand, spätere epileptische Anfälle und eine ungewöhnliche Urinfarbe wurden letztlich durch eine akute intermittierende Porphyrie (AIP) erklärt. Trotz klassischer Symptome wurde die Krankheit erst sehr spät erkannt. Sie ist tatsächlich so selten, dass die meisten Ärzte einer AIP nie oder nur ein- bis zweimal begegnen. Schlüsselwörter Hyponatriämie · Tachykardie · Guillain-BarréSyndrom · Akute intermittierende Porphyrie · Harnfarbe

Tetraplegia, resuscitation and epileptic seizures after partial colon resection in a 41-year-old woman Abstract A 41-year-old woman, suffering from continuous abdominal pain, only presented a nonspecific inflammation of the whole colon and an unclaryfied hyponatriaemia; in spite of the only doubtful explanation by an enormous elongation of the colon, it was partially resected. Thereafter, the patient’s decline, hypaesthesia, areflexia and tetraparesis required intensive care. Despite immunoglobulin therapy, assuming a Guillain–Barré syndrome, the patient needed resuscitation, followed by signs of severe hypoxia (high level of neuron-specific enolase, hippocampal lesions). The abdominal pain, hyponatriaemia, persis-

F andere Formen der akuten hepatischen Porphyrie, F die hereditäre Koproporphyrie, F Leberkrankheiten und F Bleivergiftung. Die Vielfalt der Symptome lässt sich bei der geschilderten Patientin lehrbuchreif wiederfinden (+ = traf zu): Erst nach der Pubertät (+), zu 80% Frauen betreffend (+), aber praktisch nie in der Schwangerschaft (+) können porphyrinogene Arzneien, Alkohol, Infekte (+), Nahrungsentzug (+), Gestagene, Menses oder „Stress“ wie z. B. Operationen (+) die AIP manifest werden lassen. Das erste Symptom ist fast immer ein heftiger, meist im Mittel-

tent tachycardia, sensory deficits, tetraplegia, circulation arrest, later epileptic seizures and unusual urine color were finally explained by an acute intermittent porphyria (AIP). Although the symptoms were classic, the disease was recognized only very late. Indeed, it is so rare that most physicians will never be confronted with an AIP or only once or twice. Keywords Hyponatremia · Tachycardia · Guillain–Barré syndrome · Porphyria, acute intermittent · Urine color

und Unterbauch empfundener, 1–2 Wochen anhaltender Schmerz (+), oft mit Erbrechen und Obstipation (+), seltener mit Diarrhö (+). Der Bauchbefund ist im Gegensatz zu den Schmerzen blande und wirkt nicht wie ein „akutes Abdomen“ (+). Nicht erklärbare Tachykardie und Hypertonie kommen bei der Hälfte der AIP-Fälle vor (+), die Tachykardie ist ein direktes Maß der Schwere der AIP (+). Eine Hyponatriämie (+) wegen inadäquater ADH-Sekretion findet sich bei etwa 25% der Kranken, sie sagt [10] ein erhöhtes Anfallsrisiko voraus (+). Die apparative Untersuchung bleibt unergiebig (+/−). Endoskopisch kann sich eine „Kolitis“ zeigen (+), vermutlich ischämisch

Infobox 1  Hilfreiche Internetadressen 5 www.drugs-porphyria.org (internationale Datenbank zur Porphyrinogenität von Arzneimitteln) 5 www.med4you.at/laborbefunde/lbef3/ lbef_harnfarbe.htm (wissenschaftlich fundiert, hochdetailliert) 5 www.orpha.net (Sammlung zu seltenen Erkrankungen) 5 www.porphyria-europe.com (European Porphyria Network) 5 www.porphyrie.de/forum.html (Referenzkliniken und -laboratorien in Deutschland)

verursacht durch Befall der Gefäßnerven. Oft findet sich ein Subileus (+), ergebnislose explorative Laparotomien sind nicht selten. Häufig folgen den Bauchschmerzen neurologische Symptome wie Missempfindungen (+), Lähmungen (+), Wesensänderung (+) oder, bei etwa 10%, epileptische Anfälle (+; Differenzialdiagnose: hypoxisch bedingt). Hirnnervenausfälle, z. B. Schluckstörungen, oder Tetraplegie betreffen etwa 5% der AIP-Kranken (+; +). Verfärbt sich der Urin (in etwa 60% der Fälle) himbeer- bis kirschrot (+) oder braun-schwarz (+), ist die Diagnose sozusagen augenscheinlich.

Therapie der akuten intermittierenden Porphyrie Unverzüglich nach Diagnose sind porphyrinogene Arzneien abzusetzen und die i.v.-Gabe von Hämarginat in einer Dosierung von 3–5 mg/kgKG einzuleiten. Kohlenhydratreiche Ernährung, ggf. als Glukoseinfusion, ausreichende Natriumgabe sowie Magnesium sind erforderlich. Zur symptomatischen Schmerzlinderung werden Opiate gegeben. Vor jeder Neumedikation muss die Porphyrinogenität der Arznei geklärt werden (. Infobox 1). Die Krankenakte muss diesbezüglich einen unübersehbaren Warnhinweis tragen. Ein Porphyriepass ist auszuhändigen, Angehörige sind über die Erblichkeit der AIP aufzuklären.

Differenzialdiagnosen Warum haben die beteiligten Ober- und Chefärzte, alle jahrzehntelang erfahren, die Hinweise auf eine AIP nicht früher

erkannt? Am schwersten fällt die Antwort angesichts der wiederholt sonderbaren Urinfarbe und der Hyponatriämie schon bei Krankheitsbeginn. „Bauchschmerz plus Hyponatriämie“ ließe auch an eine Addison-Krise denken. „Abdominale Schmerzen ohne Korrelat“ – so die internistische Diagnose, Hyponatriämie und flüchtige Kolitis übergehend – sind im Alltag häufig: Fast 50% der Bauchbeschwerden in der Praxis werden zu Recht so benannt. Leider gilt auch umgekehrt, dass die Hälfte der klinisch und mit basaler Zusatzdiagnostik gestellten „Bauch“Diagnosen falsch ist [6]. Die Kunst liegt in der Unterscheidung zwischen einer raschen Intervention aufgrund einer bedrohlichen Symptomatik und einem Vorgehen mit verordneter Nüchternheit, durchdachter Untersuchung und Abwarten – bei der AIP ist allerdings schon das „Nüchternlassen“ falsch. Wäre eine „standard operating procedure“ (SOP) von Nutzen gewesen? Oder gar eine, nicht existente, Leitlinie „Bauchschmerz“ (sie würde Hunderte Seiten umfassen)? In 7 Monaten erhielt die Patientin über 60 verschiedene Pharmaka, von denen aber nur Valproinsäure als „sicher porphyrinogen“ gilt; mindestens zwei Medikamente waren es potenziell: Metamizol und Mirtazapin. Arzneien sind klassische Auslöser eines AIPAusbruchs [5]. Da Symptome jedoch erst nach Tagen (!) auftreten, gelingt nur unter „monokausalen“ Umständen eine klare Zuordnung; in der komplexen Betreuung eines Schwerkranken wird dies dagegen leicht übersehen. Die rasch ausgebildete sensible Störung und schwere Tetraparese [1, 2], 3 Wochen nach einer Durchfallepisode, ließ zu Recht an ein GBS denken; der Umstand fast 2-wöchiger Bauchschmerzen ohne klares Korrelat wurde leider nicht gewürdigt. Neben dem GBS kommen für die neurologischen Defizite 30 weitere Diagnosen infrage, die – so die AWMF-Leitlinie – nur bei besonderen Zweifeln explizit abzuarbeiten sind. Nun ist die AIP wohl eine wichtige, aber eben doch sehr seltene Ursache für ein „GBS“. Tachykardie und Kreislaufstillstand sind klassische Komplikationen des GBS (autonome Symptome) und wurden, das GBS vorausgesetzt, verständlicherweise so gedeutet.

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Die Differenzialdiagnose „Anfälle im Erwachsenenalter“ ist nahezu grenzenlos Nach der Reanimation fanden sich beiderseits Läsionen im Hippocampus, wie sie nach einer Hypoxie typisch sind. Die Läsionen verschwanden nach Monaten, die klinische Besserung dagegen blieb aus. Passagere Herdbefunde im kranialen MRT wurden bei AIP vereinzelt beschrieben. Das pathologische EEG und die anfangs nur vermuteten, später belegten Anfälle ließen sich ebenfalls zwanglos durch zerebrale Hypoxie und Herdläsion erklären. Die Differenzialdiagnose „Anfälle im Erwachsenenalter“ ist nahezu grenzenlos [4]. Bei naheliegender Erklärung durch eine Hypoxie und nach ausgiebiger neurologischer Diagnostik schien hier die Dia­gnose genügend gesichert. Bei der vorgestellten Patientin bleibt offen, wie viel die Hypoxie bzw. die Porphyrie zur Anfallsauslösung beitrug, ebenso, ob die anhaltend schweren motorischen und kognitiven Defizite allein der zerebralen Hypoxie geschuldet sind – die NSE war erheblich erhöht. Diagnosen der zuweisenden Kliniken werden in einer Rehabilitationsklinik nur selten und noch seltener zu Recht infrage gestellt. Dass erst hier, nach gut 3 Monaten Aufenthalt, die Diagnose AIP gefunden wurde, lag an dem glücklichen Augenblick der Harnschau.

Fazit für die Praxis Alle pathologischen Laborwerte, hier die als ein Leitsymptom anzusehende Hyponatriämie, müssen geklärt werden, insbesondere wenn sie völlig „unpassend“ erscheinen. Wird dem Arzt eine auffällige Urinfarbe gemeldet, darf er sich nicht auf die angebotene Deutung („sieht aus wie mit ein bisschen Blut“) verlassen. Er sollte sie selbst nachprüfen, Überlegungen anstellen und die erforderliche Diagnostik veranlassen. An eine AIP ist zu denken, wenn bei Frauen im gebärfähigen Alter Bauchschmerzen mit Hyponatriämie auftreten, v. a. wenn neurologische Symptome hinzu-

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kommen. Wenn Lähmungen oder einer akuten „Polyneuropathie“ kaum erklärliche Bauchschmerzen vorangingen, ist explizit nach der AIP zu suchen. Selbst manche Krankenhäuser der Maximalversorgung und große Einsendelaboratorien halten keinen Urin-Porphobilinogen-Schnelltest mehr vor (WatsonSchwartz-Test; Porphobilinogen Test Kit der Fa. Thermo-Fisher). Daher muss jeder Einsender diagnostische Proben direkt einem Porphyrielabor zuleiten und um eine unverzügliche Analyse bitten. Arzneien werden zu großzügig verordnet, seltene Kontraindikationen zu selten bedacht. An Polypharmazie sterben in Deutschland Tausende! Wer als Arzt aus einer Vielfalt verwirrender Krankheitssymptome und Befunde verschiedene Diagnosen ableitet, sollte immer auch bedenken, ob das Gefundene nicht doch einer alles vereinenden Grunddiagnose genügt. Dies erfordert eine detailgenaue Betrachtung („Woher kommt die Hyponatriämie?“) und zugleich großzügige Abstraktion („anhaltende, nicht bedrohliche Bauchschmerzen und dann neurologische Symptome?“). Das mag trivial klingen, ist aber der Königsweg. Welche „speziellen“ Schlüsse sollte jeder Arzt aus diesem katastrophalen Verlauf ziehen? Die nüchterne Antwort: keine! Das Obige genügt. Denn bei jährlich nur etwa 30–40 an AIP neu Erkrankten in Deutschland, von denen nur drei schwere neurologische Defizite entwickeln, wird ein 35 Jahre lang niedergelassener Arzt mit 95%iger Wahrscheinlichkeit nie einem erstmals an AIP Erkrankten begegnen. Selbst jahrzehntelang im Krank­ enhaus tätige Ärzte sehen in einer mittelgroßen Abteilung nur ein- bis zweimal in ihrem Leben eine akute intermittierende Porphyrie. So wichtig es ist, sie zu kennen, die AIP ist nur eine von 1000 etwa gleich seltenen „orphan diseases“, deren Namen man meist nicht einmal weiß und die doch die gleiche Aufmerksamkeit verdienten.

Korrespondenzadresse Dr. W. Wagner Fachklink für Neurologie Medical Park Obertorstr. 100–102, 65520 Bad Camberg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  W. Wagner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Bischofs S, Welter B, Nolden-Koch M et al (2008) Akut intermittierende Porphyrie – eine wichtige Differentialdiagnose bei rasch progredienten Polyneuropathien. Akt Neurol 35:V345   2. Diels A, Fink GR, Faust M et al (2012) Akute Neuropathie mit Tetraparese und Ateminsuffizienz bei akuter intermittierender Porpyhrie. Fortschr Neurol Psychiatr 80:221–226   3. Doss M (1982) Hepatic porphyrias: pathobiochemical, diagnostic and therapeutic implications. Prog Liver Dis 7:573–597   4. Elger C, Beyenburg S, Ebner A et al (2008) Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinienregisternummer 030/041   5. Koch T, Bürkle H (2008) Empfehlung zur Durchführung von Anästhesien bei Patienten mit Porphyrie. Anästh Intensivmed 49:612–615   6. Lankisch PG, Mahlke R, Lübbers H (2006) Das akute Abdomen aus internistischer Sicht. Dtsch Arztebl 103:A2179–A2188   7. Pflüger KH, Doss M (1982) Hereditäre Koproporphyrie: Klinische Fehldiagnose bei akuter hepatischer Porphyrie über ein Dezennium. Dtsch Med Wochenschr 107:777–782   8. Stölzel U, Stauch T, Doss MO (2012) Porphyrien. Gastroenterology up2date: V3. Thieme, Stuttgart   9. Thömke F, Weilemann SL (2007) Prognose kardiopulmonal reanimierter Patienten. Dtsch Arztebl 104:A2879–A2886 10. Wessels T, Blaess F, Röttger C et al (2005) Kortikale Amaurosis und Status epilepticus bei akuter Porphyrie. Nervenarzt 76:992–998

[Tetraplegia, resuscitation and epileptic seizures after partial colon resection in a 41-year-old woman].

A 41-year-old woman, suffering from continuous abdominal pain, only presented a non-specific inflammation of the whole colon and an unclaryfied hypona...
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