Schwerpunkt Herzschr Elektrophys 2014 ∙ 25:140–147 DOI 10.1007/s00399-014-0336-4 Eingegangen: 23. April 2014 Angenommen: 12. Juni 2014 Online publiziert: 6. August 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Thomas Kriebel1 · Angelika Lindinger2

Tachykarde Herzrhythmusstörungen bei pädiatrischen Patienten ohne sonstige Herzerkrankung werden anhand ihres Ursprungsortes in supraventrikuläre und ventrikuläre Tachykardien unterteilt. Das Verständnis des zugrunde liegenden elektrophysiologischen Mechanismus der einzelnen Tachykardien und die Kenntnis der Herzfrequenz, des typischen Alters bei der Erstmanifestation sowie des natürlichen Verlaufs sind sowohl für den Kinderarzt und Kinderkardiologen als auch für den invasiv tätigen pädiatrischen Elektrophysiologen von entscheidender Bedeutung im Hinblick aufdie akute und chronische Therapie.

manenten junktionalen Reentrytachykardie, unterschieden werden.

1 Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern, Kaiserslautern, Deutschland 2 ehemals Klinik für Pädiatrische Kardiologie, Universitätskliniken, Homburg/Saar, Deutschland

Tachykarde Herzrhythmusstörungen bei Kindern ohne angeborene Herzfehler

Atrioventrikuläre Reentrytachykardien inklusive Wolff-Parkinson-White-Syndrom Akzessorische atrioventrikuläre Leitungsbahnen sind die häufigste Ursache von supraventrikulären Tachykardien im Kindesalter [15]. Zusätzlich zum AV-Knoten besteht eine zweite muskuläre, elektrisch leitende Verbindung zwischen dem Vorhof- und dem Kammermyokard, die auf der gesamten AV-Klappenebene lokalisiert sein kann und elektrophysiologisch vom kompakten AV-Knoten und His-

Bündel getrennt ist. Diese muskulären Verbindungen werden im fetalen Her­zen beschrieben; sie bilden sich in der Re­gel bis zur 20. Schwangerschaftswoche zurück. Die fehlerhafte Rückbildung dieser Strukturen ist vermutlich die Grundlage für akzessorische Leitungsbahnen [6]. Bei antegrader Leitung von den Vorhöfen auf das Kammermyokard über die akzessorische Bahn liegt im EKG bei Sinusrhythmus das typische Bild einer DeltaWelle bzw. Präexzitation vor (.  Abb.  1). Zirka 55–60 % der akzessorischen Leitungsbahnen sind im Oberflächen-EKG mit einem z. T. variierenden Ausmaß an präexzitierten Kammerkomplexen sichtbar [15]. Das Ausmaß der Präexzitation

Supraventrikuläre Tachykardien im Kindesalter Supraventrikuläre Tachykardien sind die häufigsten symptomatischen Herzrhythmusstörungen im Kindesalter. Studien zeigen eine Prävalenz von ca. 2,25/1000 Personen und eine jährliche Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen unter 19 Jahren von 13/100.000 [2]. Insgesamt werden 10 verschiedene Formen unterschieden, von denen bei Kindern mit einem strukturell normalen Herzen 4 Formen von klinischer Bedeutung sind. Klinisch können die häufigeren paroxysmalen Tachykardieformen, die atrioventrikuläre Reentrytachykardie auf der Grundlage einer akzessorischen Leitungsbahn und die AV-Knoten-Reentrytachykardie, von den chronisch permanenten supraventrikulären Tachykardien, der fokalen atrialen Tachykardie und der per-

Abb. 1 8 Oberflächen-EKG eines 4-jährigen Jungen mit klassischem WPW-Syndrom. Aufgrund der frühzeitigen Kammererregung über die akzessorische Leitungsbahn ist die PQ-Zeit mit 70 ms verkürzt und der QRS-Komplex bei deutlich erkennbarer Deltawelle (Pfeil) auf 120 ms verbreitert

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Abb. 2 8 a Links Schema des elektrischen Erregungsablaufs einer supraventrikulären Tachykardie auf der Grundlage einer akzessorischen Leitungsbahn. (Quelle: [8]). b Rechts Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie auf der Grundlage einer akzessorischen Leitungsbahn mit einer Herzfrequenz von 185 Schlägen/min (gleicher Patient wie in . Abb. 1). Die QRS-Komplexe sind schmal, eine Deltawelle fehlt, die P-Wellen folgen jeweils dem QRS-Komplex (Pfeile)

ist u. a. von der antegraden Leitungsgeschwindigkeit der akzessorischen Bahn im Vergleich zur Leitungsgeschwindigkeit des AV-Knotens und von der Position der atrialen Insertationsstelle der akzessorischen Leitungsbahn abhängig. Bei nur ca. der Hälfte der Patienten mit den Zeichen einer Präexzitation im EKG treten auch supraventrikuläre Tachykardien auf; man spricht dann von einem WolffParkinson-White- (WPW-)Syndrom. Wenn die akzessorische Leitungsbahn ausschließlich retrograde Leitungseigenschaften aufweist, ist das EKG im Sinusrhythmus unauffällig. Man spricht von einer verborgenen Leitungsbahn. Bei Vorliegen eines WPW-Syndroms besteht am häufigsten eine orthodrome atrioventrikuläre Reentrytachykardie, bei der die retrograden Leitungseigenschaften der akzessorischen Leitungsbahn entscheidend für das Zustandekommen der supraventrikulären Tachykardie sind. Die Erregung wird von den Vorhöfen über den AV-Knoten zu den Kammern übergeleitet und kehrt über die akzes­ sorische Leitungsbahn zu den Vorhöfen zurück (.  Abb.  2a). Damit ist der Reentrykreis innerhalb des Herzens geschlossen. Aufgrund der alleinigen Überleitung der Erregung über den AV-Knoten auf das Kammermyokard liegt während

der Tachykardie keine Präexzitation vor (. Abb. 2b). Relativ selten dagegen wird die Erregung während der Tachykardie antegrad über die akzessorische Bahn geleitet und retrograd über den AV-Knoten; der QRS-Komplex ist dann schenkelblockartig verbreitert, und man spricht von einer antidromen Tachykardie. Die klinische Symptomatik während der supraventrikulären Tachykardien ist abhängig vom Lebensalter sowie der kardialen Anatomie und Funktion. Die Herzfrequenzen können zwischen 180– 250 Schläge/min variieren; bei Neugeborenen werden oft auch Frequenzen bis zu 300 Schläge/min beobachtet. Im Neugeborenen- und Säuglingsalter kommt es rasch zur Entwicklung einer Herzinsuffizienz. Bei Kindern und Jugendlichen sind Herzrasen, Unwohlsein und Schwindel aufgrund des paroxysmalen Auftretens der Tachykardien die Leitsymptome. Synkopen sind selten. Die Erstmanifestation von supraventrikulären Tachykardien bei einem WPWSyndrom ist altersabhängig. Es bestehen 2 Häufigkeitsgipfel mit sehr unterschiedlicher Prognose: Auftreten der supraventrikulären Tachykardien im 1. Lebensjahr und im frühen Schulkindesalter. In beiden Altersgruppen besteht nach einer

ersten Tachykardieepisode ein signifikantes Wiederholungsrisiko. Bei Neugeborenen und Säuglingen kommt es allerdings in über  90 % zu einem spontanen Sistieren der Tachykardien im Verlauf des 1. Lebensjahres. Aus diesem Grund ist in diesem Alter bei supraventrikulären Tachykardien zunächst eine medikamentöse Therapie sinnvoll. Bei fehlenden Rezidiven sowie fehlender Symptomatik kann diese dann im Alter von einem Jahr un­ ter kinderkardiologischer Kontrolle beendet werden. Im Gegensatz dazu wird ein spontanes Sistieren der supraventrikulären Tachykardien bei Schulkindern und Adoleszenten sehr selten beobachtet. Diese Patienten müssen deshalb im weiteren Verlauf mit rezidivierenden supraventrikulären Tachykardien rechnen. Bei strukturell normalem Herzen und seltenen Tachykardieepisoden, die sym­ ptomarm sind und durch vagale Manöver gut beherrschbar sind, kann nach ausführlichem Gespräch mit dem Patienten und den Eltern u. U. ein abwartendes Verhalten eingenommen werden. Dagegen sollte bei symptomatischen Patienten mit häufigen supraventrikulären Tachykardien, Präsynkopen oder Synkopen bei einem WPW-Syndrom sowie bei Patienten mit einem angeborenen Herzfeh-

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Zusammenfassung · Abstract ler eine medikamentöse Tachykardieprävention oder eine kurative Therapie mittels Katheterablation erfolgen. Die Indikation zur spezifischen medikamentösen Therapie oder Katheterablation richtet sich nach den aktuellen Leitlinien ([10], s.  auch die entsprechenden Beiträge in diesem Heft).

Management des asymptomatischen pädiatrischen Patienten mit einer Präexzitation Das Ziel bei einer asymptomatischen Präexzitation ist die Identifikation der Patienten mit hohem Risiko für einen plötzlichen Herztod aufgrund einer kurzen antegraden Refraktärzeit der akzessorischen Leitungsbahn. Hierbei besteht die Gefahr der hochfrequenten Überleitung von atrialen Tachykardien (z. B. Vorhofflattern oder -flimmern) auf die Kammern, wodurch es zur Degeneration ins Kammerflimmern kommen kann. Zudem kommt es bei Patienten mit einem WPW-Syndrom im Vergleich zu Patienten mit einer verborgenen Leitungsbahn oder gesunden Kindern häufiger zu spontanem Auftreten von Vorhofflimmern. In einer kürzlich publizierten Studie wurde bei 3 von 184 Kindern und Jugendlichen mit asymptomatischer Präexzitation während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 57 Monaten das Auftreten von Kammerflimmern beobachtet [13]. Aus diesem Grund wird eine gestufte Diagnostik bei Patienten ab einem Patientenalter von 8 Jahren empfohlen, um potentiell gefährdete Patienten zu identifizieren (. Abb. 3, [4, 10]). Allerdings verbleibt aufgrund sehr weniger Studien weiterhin eine Unsicherheit in der Aussagekraft sowohl der beschriebenen nichtinvasiven als auch der invasiven Untersuchungsmethoden bezügliches des potentiellen Risikos bei Patienten mit einer asymptomatischen Präexzitation.

Akzessorische Leitungsbahnen vom Maheim-Typ Atrioventrikuläre Leitungsbahnen mit exklusiver antegrader Leitung, die sog. akzessorischen Leitungsbahnen vom Mahaim-Typ sind selten und liegen nur bei 3 % aller akzesorischen Leitungsbah-

Herzschr Elektrophys 2014 ∙ 25:140–147  DOI 10.1007/s00399-014-0336-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 T. Kriebel · A. Lindinger

Tachykarde Herzrhythmusstörungen bei Kindern ohne angeborene Herzfehler Zusammenfassung Aufgrund der invasiven elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden und Behandlungsverfahren von tachykarden Herzrhythmusstörungen im Kinders- und Jugendalter haben sich Verständnis und Wissen über die einzelnen Tachykardieformen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Der vorliegende Beitrag erläutert die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen mit den zu erwartenden EKG-Veränderungen der vier häufigsten Formen der supraventrikulären Tachykardien bei Kindern und Jugendlichen ohne angeborenen Herzfehler: die atrioventrikuläre Reentrytachykardie auf der Grundlage einer akzessorischen Leitungsbahn, die AVKnoten-Reentrytachykardie, die fokale atriale Tachykardie und die permanente junktionale

Reentrytachykardie. Des Weiteren werden die idiopathischen ventrikulären Tachykardien beschrieben. Inzidenz, klinische Symptomatik, natürlicher Verlauf und Prognose werden für jede Tachykardieform gesondert dargestellt. Auf die medikamentöse und interventionelle Therapie wird in den folgenden Kapiteln dieses Heftes eingegangen. Zusätzlich werden die aktuellen Empfehlungen zur Vorgehensweise bei asymptomatischen Kindern mit einer Präexzitation anhand der zur Verfügung stehenden Leitlinien erläutert. Schlüsselwörter supraventrikuläre Tachykardien · ventrikuläre Tachykardien · Präexzitation · Kindesalter · Akzessorische Leitungsbahn

Tachycardiac arrhythmia in children without congenital heart diseases Abstract Based on invasive electrophysiological studies and ablation procedures of tachycardias in children and adolescents, the understanding and knowledge of the different tachycardia substrates have significantly increased in recent years. This article describes the underlying pathophysiological mechanisms together with the expected changes in electrocardiogram (ECG) of the four most common types of supraventricular tachycardia in children and adolescents without congenital heart defects: atrioventricular reentrant tachycardia, atrioventricular nodal reentrant tachycardia, focal atrial tachycardia and permanent junctional reentrant tachycardia. Furthermore, id-

nen vor [1]. Pathophysiologisch handelt es sich vermutlich um versprengtes AV-Knotengewebe. Durch endokardiales Mapping und Ablation konnte gezeigt werden, dass die meisten dieser Bahnen den atrialen lateralen Trikuspidal­ klappenanulus mit dem rechten TawaraSchenkel (atriofaszikulär) oder mit dem rechtsventrikulärem Myokard (atrioventrikulär) verbinden. Aufgrund der dekrementalen Leitungseigenschaften ist die Präexzitation im Sinusrhythmus sehr gering oder fehlt, wird aber während atrialer Stimulation oder bei der atrioventrikulä-

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iopathic ventricular tachycardia is described. The incidence, clinical symptoms, natural course and prognosis of each particular tachycardia will be specified . The pharmacological and interventional treatment will be the focus of other reports in this issue. Finally, the current recommendations for the approach to asymptomatic children and adolescents with preexcitation are discussed according to the current guidelines. Keywords Supraventricular Tachycardia · Ventricular Tachycardia · Preexcitation · Childhood · Accessory pathway

ren Reentrytachykardie sichtbar. Typisch ist eine antidrome supraventrikuläre Tachykardie mit antegrader Leitung über die akzessorische Leitungsbahn bei linksschenkelblockartig deformierten Kammerkomplexen und retrograder Leitung über den AV-Knoten.

AV-Knoten-Reentrytachykardie Die AV-Knoten-Reentrytachykardie ist die zweithäufigste Form von supraventrikulären Tachykardien im Kindesal­ ter und die häufigste im Erwachsenenal­

12-Kanal-Elektrokardiogramm Persistierende Präexzitation

Intermittierende Präexzitation

Belastungs-EKG* Persistenz bzw. nicht sicherer Verlust der ∆ -Welle; Synkopen, Palpitationen

Kinderkardiologische Kontrolluntersuchungen (Symptome?)

Plötzlicher und eindeutiger Verlust der manifesten Präexzitation

Synkopen, Palpitationen, Vorhofflimmern Ablation in Abhängigkeit der Risikofaktoren (Klasse I bzw. IIa)

Elektrophysiologische Untersuchung

SPERRI** >250 ms bei Vorhofflimmern bzw., SVT nicht induzierbar Kinderkardiologische Kontrolluntersuchungen (Symptome ?) (Klasse IIa)

SPERRI **

[Tachycardiac arrhythmia in children without congenital heart diseases].

Based on invasive electrophysiological studies and ablation procedures of tachycardias in children and adolescents, the understanding and knowledge of...
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