Schwerpunkt Herz 2014 · 39:423–428 DOI 10.1007/s00059-014-4087-0 Online publiziert: 18. April 2014 © Urban & Vogel 2014

C.-H. Heeger · A. Rillig · F. Ouyang · K.-H. Kuck · R.R. Tilz Abteilung für Kardiologie, Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg

Synkope Epidemiologie, Definition, Klassifikation, Pathophysiologie und Prognose

Hintergrund Aktuell erleiden rund 40% der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben eine Synkope [1, 2]. Für die Betroffenen sind diese Ereignisse meist emotional belastend. Zudem können sie zu leichten und schweren Sekundärverletzungen führen. Je nach zugrunde liegender Ursache können Synkopen mit einer ungünstigen Prognose assoziiert sein. Zwischen 0,9 und 1,7% der in Notaufnahmen behandelten Patienten werden aufgrund einer Synkope vorstellig. Synkopenabklärung und Therapie stellen für die behandelnden Ärzte aufgrund der komplexen und heterogenen Ätiologie und Pathophysiologie häufig eine große Herausforderung dar [3]. Ursache einer Synkope können harmlose Orthostasereaktionen, aber auch potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen sein. Eine schnelle Differenzierung ist essenziell, um einerseits gefährdete Patienten suffizient zu erkennen und einer entsprechenden Diagnostik und Therapie zuzuführen und anderseits unnötige stationäre Aufnahmen und Überdiagnostik auch aus gesundheitsökonomischen Gründen zu vermeiden [4]. Aufgrund von heterogener Ätiologie und Symptomatik werden Patienten nach Synkopen bei Allgemeinmedizinern, Internisten, Neurologen, Kardiologen und, da in etwa 30% der Fälle Stürze mit Verletzungen auftreten, auch bei Unfallchirurgen vorstellig. Bisher gab es zwischen diesen Fachdisziplinen unterschiedliche Definitionen und Vorgehensweisen bei der Abklärung von Synkopen. Die aktuellen ESC-Leitlinien haben zahl-

reiche Neuerungen und Verbesserungen eingeführt [3]. Die Einordnung des Phänomens Synkope im Rahmen eines transienten Bewusstseinsverlusts („transient loss of consciousness“, T-LOC), wurde durch klarere Definitionskriterien erleichtert und die Klassifikation deutlich vereinfacht. Zusätzlich erfolgte eine Anpassung von Diagnostik und Therapie anhand evidenzbasierter Daten. Diese Leitlinien stellen aktuell die einzigen weltweit interdisziplinär anerkannten Guidelines zum Thema Synkope dar [5]. Ziel ist es, fachübergreifend ein standardisiertes, einheitliches Klassifikationssystem und Vorgehen einzuführen, um die Patienten möglichst schnell der entsprechenden Fachrichtung und damit einer zielgerichteten Diagnostik und Therapie zuzuführen. Da ab dem 65. Lebensjahr eine kontinuierliche Zunahme der Häufigkeit von Synkopen beobachtet wird, muss aufgrund des demographischen Wandels in Zukunft mit einer deutlichen Zunahme der Inzidenz und der Prävalenz von Synkopen gerechnet werden. Die Abklärung von Synkopen stellt damit eine wichtige Herausforderung der modernen interdisziplinären Medizin dar. Dieser Artikel fasst die aktuellen Leitlinien der ESC bezüglich Definition, Klassifikation, Pathophysiologie und Prognose zusammen und ergänzt diese um aktuelle Daten.

Definition und Epidemiologie Bezug nehmend auf die aktuellen ESCLeitlinien wird die Synkope als ein transienter Bewusstseinsverlust (T-LOC) in-

folge einer globalen zerebralen Hypoperfusion definiert, welcher durch rasches Einsetzen, kurze Dauer und spontane, vollständige Erholung charakterisiert ist [3]. Dieser Umstand ist essenziell, um die Synkope differenzialdiagnostisch von weiteren Ursachen einer scheinbaren oder tatsächlichen Bewusstlosigkeit zu unterscheiden (. Abb. 1). Der Oberbegriff T-LOC bezeichnet im Laufe der Ursachenabklärung zunächst verschiedene Zustände und Erkrankungen, die mit einem kurzzeitigen vorübergehenden Bewusstseinsverlust einhergehen, ohne die zugrunde liegende Pathophysiologie zu berücksichtigen. Der echte T-LOC ist entweder traumatischer oder atraumatischer Genese, und die Synkope ist neben der Epilepsie und anderen seltenen Ursachen wie der psychogenen Pseudosynkope und der Kataplexie eine Form des atraumatischen T-LOC. Einer Synkope können unspezifische Prodromi (z. B. Herzrasen, Schwindel, Übelkeit, Seh- und Hörstörungen, Schweißausbrüche und körperliche Schwäche) vorausgehen; in den meisten Fällen tritt diese jedoch ohne Vorwarnung auf. Eine Präsynkope wird als ein Vorstadium zur Synkope definiert. Hierbei kommt es zu den oben genannten Prodromi, jedoch nicht zu einem vollständigen Bewusstseinsverlust [3]. Synkopen sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Nach Angaben der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wurden in Deutschland im Jahr 2012 158.418 Menschen mit einer Synkope in Krankenhäusern behandelt [6]. In den meisten Fällen ist die Synkope ein einHerz 4 · 2014 

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Schwerpunkt Bewusstseinsverlust?

Nein

Sturz Bewusstseinsveränderung

Ja Transient? Plötzlicher Beginn? Kurze Dauer? Spontane Erholung? Nein Ja Transienter Bewusstseinsverlust „T-LOC“

Koma überlebter plötzlicher Herztod andere traumatisch

atraumatisch Synkope psychogen

Epilepsie seltene Ursachen

Abb. 1 9 Die Synkope im Kontext des Bewusstseinsverlusts (TLOC „transient loss of consciousness“); andere Ursachen eines Bewusstseinsverlusts: z. B. Apoplex; seltene Ursachen eines atraumatischen T-LOC: z. B. Kataplexie, „drop attacks“. (Modifiziert nach [24] mit freundlicher Genehmigung der DGK).

Synkope anderer Genese 14,3 %

Reflexsynkope

21 %

9,4 % 39 %

Synkope unklarer Genese

Orthostatische Hypotonie

9,5 % Kardiale Synkope

9%

Keine „echte“ Synkope

Abb. 2 9 Häufigkeitsverteilung der Synkope (keine „echte“ Synkope: z. B. Epilepsie, Hypoglykämie, transitorische Ischämie-Attacke, Intoxikation, Kataplexie, psychogen). (Daten aus der Framingham-Studie [8])

Abb. 3 9 Pathophysiologische Basis der Synkopenklassifikation (ANS autonomes Nervensystem, RR Blutdruck). (Modifiziert nach [24] mit freundlicher Genehmigung der DGK).

maliges Ereignis. Im Zeitraum von 3 Jahren kommt es bei rund 30% der Betroffenen zu einem Rezidiv [3]. Einer aktuellen internationalen Metaanalyse mit über 40.000 Patienten zufolge werden 42% der Patienten aufgrund einer Synkope stationär aufgenommen und für durchschnittlich 5,5 Tage behandelt [4, 7]. Jedoch werden entsprechend einer Studie von Sote-

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riades et al. [8] bis zu 44% aller Patienten nach erlittener Synkope nicht ärztlich vorstellig. Bei jüngeren Patienten wird über eine deutlich höhere Rate berichtet [3]. Beim Erstereignis einer Synkope werden 2 Altersspitzen beobachtet: Die erste liegt zwischen dem 10. und dem 30. Lebensjahr. In diesem Alter erleiden 47%

der weiblichen und 31% der männlichen Jugendlichen erstmals eine Synkope. Die Reflexsynkope ist in dieser Altersgruppe die häufigste Ursache, während Epilepsie und kardiale Synkopen mit jeweils weniger als 1% deutlich seltener auftreten. Nur 5% der Bevölkerung haben im Alter von über 40 Jahren erstmalig eine Synkope [3]. Ab dem 65. Lebensjahr kommt es zu einer kontinuierlichen Zunahme der Inzidenz von Synkopen, was zur zweiten Altersspitze führt. In dieser Altersgruppe ist die häufigste Ursache die orthostatisch bedingte Hypotonie, häufig infolge von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Exsikkose. Die nächsthäufigsten Ursachen in diesem Alter sind Reflexsynkopen und kardiale Synkopen, welche meist durch Herzrhythmusstörungen verursacht werden [9]. Die Prävalenz der Synkope in der Gesamtbevölkerung liegt bei etwa 9,3 pro 1000 Patientenjahre [3]. Die Genese ist altersabhängig und variiert in verschiedenen Studien deutlich, was insbesondere auf die Verwendung unterschiedlicher Definitionen bzw. Studiendesigns zurückzuführen ist. In der FraminghamStudie wird die Häufigkeitsverteilung von der Reflexsynkope angeführt, gefolgt von der kardialen Synkope und der orthostatischen Synkope; ungeklärt bleiben 39% der Synkopen, und 14% werden zur Gruppe der seltenen Ursachen gezählt (. Abb. 2; [8]). Die Betreuung von Patienten mit Synkopen ist kostenintensiv. So werden in den USA jährlich rund 2 Mrd. US-Dollar für die Versorgung von Patienten mit Synkopen ausgegeben [10]. Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist es daher essenziell, durch eine strukturierte Synkopenabklärung eine für den Patienten zufriedenstellende Diagnose und Therapie einzuleiten sowie überflüssige medizinische Tests und rezidivierende stationäre Aufnahmen oder Überdiagnostik zu vermeiden.

Klassifikation und Pathophysiologie Mit den aktuellen Leitlinien wird ein neues, deutlich vereinfachtes Klassifikationssystem anhand der Pathophysiolo-

Zusammenfassung · Abstract gie der Synkope eingeführt. So wird zunächst zwischen 3 Gruppen unterschieden (. Tab. 1; [3]): F Reflexsynkope, F Synkope bei orthostatischer Hypotonie, F kardiale Synkope. Die Ursache der zerebralen Hypoperfusion ist in allen 3 Gruppen ein für die jeweilige Situation nicht ausreichend hoher Blutdruck. Vereinfacht gesagt, reagiert das autonome Nervensystem bei der Reflexsynkope fehlerhaft, wird bei der orthostatischen Hypotonie der Blutdruck unzureichend geregelt bzw. herrscht ein Blutvolumenmangel und ist bei der kardialen Synkope der kardiale Auswurf unzureichend. . Abb. 3 gibt einen Überblick über die Genese der unterschiedlich klassifizierten Synkopen anhand ihrer Pathophysiologie, resultierend in einem unzureichenden Blutdruck (im Zentrum des Kreises). Ursächlich hierfür sind zunächst 2 unterschiedliche Pathomechanismen: ein niedriger peripherer Widerstand und/oder ein reduzierter kardialer Auswurf (innerer Ring). Beide können Auslöser für eine Reflexsynkope sein. Die orthostatische Synkope ist typischerweise mit einem niedrigen peripheren Wiederstand, die kardiale Synkope mit einem reduzierten kardialen Auswurf assoziiert. Allerdings treten auch Überschneidungen auf; so kann ein reduzierter kardialer Auswurf auf Basis eines inadäquaten venösen Rückflusses (mittlerer Ring) auch eine orthostatische Synkope auslösen. Neben der echten Synkope gibt es eine Reihe von Erkrankungen, deren Symptomatik einer Synkope ähneln, die jedoch nicht die aktuelle Definition einer Synkope erfüllen. So findet bei Epilepsie, Hypoxie, Hypoglykämie, transitorischer Ischämie-Attacke (TIA) und Intoxikation unter Umständen ein Bewusstseinsverlust statt, es kommt jedoch nicht zu einer globalen Hypoperfusion des Gehirns; demgegenüber besteht während Erkrankungen wie Kataplexie, Sturzanfällen („drop attacks“) und psychogenen Pseudosynkopen bei Somatisierungsstörung nur eine scheinbare Bewusstlosigkeit (. Tab. 2; [3]). Eine rein klinische Unterscheidung

Herz 2014 · 39:423–428  DOI 10.1007/s00059-014-4087-0 © Urban & Vogel 2014 C.-H. Heeger · A. Rillig · F. Ouyang · K.-H. Kuck · R.R. Tilz

Synkope. Epidemiologie, Definition, Klassifikation, Pathophysiologie und Prognose Zusammenfassung Synkopen sind ein häufiges klinisches Problem. Rund 40% der Gesamtbevölkerung erleben im Laufe ihres Lebens eine Synkope. Synkopen reduzieren nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern können zu teils schweren Verletzungen führen und mit einer ungünstigen Prognose einhergehen. Zusätzlich stellen sie aufgrund der komplexen Ätiologie und Pathophysiologie die behandelnden Ärzte sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im klinischen Alltag vor große Herausforderungen. Auch verursachen Synkopenabklärung und Therapie hohe Kos-

ten für das Gesundheitssystem. Dieser Übersichtsartikel basiert auf den aktuellen europäischen Empfehlungen zur Synkopenabklärung, welche von Internisten, Neurologen, Notfallmedizinern und Kardiologen gemeinsam erarbeitet wurden. Der Artikel gibt einen Überblick über die aktuelle Epidemiologie, Definition, Klassifikation, Pathophysiologie und Prognose der Synkope. Schlüsselwörter Bewusstlosigkeit · Präsynkope ·   Epidemiologie · Klassifikation · Prognose

Syncope. Epidemiology, definition, classification, pathophysiology and prognosis Abstract Syncope is a common clinical issue. Around 40% of the total population experience syncope during their lifetime. Serious injuries and reduced quality of life are often observed after syncope. Furthermore, in some cases syncope can be associated with an unfavorable prognosis. Due to the complex etiology and pathophysiology, syncope provides challenges for doctors both in private and in clinical practices. This review is based on the lat-

ist in diesen Fällen häufig schwierig, jedoch essenziell für die weitere Diagnostik, Therapie und Prognose.

Reflexvermittelte Synkope Reflex- oder neuralvermittelte Synkopen werden durch überschießende physiologische kardiovaskuläre Reflexe ausgelöst und führen über einen Trigger zu Vasodilatation und/oder Bradykardie bzw. Asystolie. Letztlich kommt es durch verschiedene Mechanismen zu einer unangemessenen Reaktion des autonomen Nervensystems, welche in einer Synkope resultiert. Diese heterogene Gruppe wird nach dem efferenten Anteil des autonomen Nervensystems in sympathisch und parasympathisch und je nach Effekt der Reaktion in den vasodepressorischen, den kardioinhibitorischen oder den gemischten Typ eingeteilt [3]. Eine einfa-

est European guidelines for syncope which were formulated by internists, neurologists, emergency physicians and cardiologists and gives an overview of the current epidemiology, definition, classification, pathophysiology and prognosis of syncope. Keywords Unconsciousness · Presyncope ·   Epidemiology · Classification · Prognosis

chere und praktischere Einteilung basiert auf dem auslösenden Trigger und erlaubt damit ein diagnostisches und therapeutisches Vorgehen. Die vasovagale Synkope wird meist durch längeres Stehen in überfüllten Räumen sowie emotionalen Stress ausgelöst. Diese Form der Synkope tritt bei jungen Patienten häufig primär als ein einmaliges Ereignis mit eher atypischer Symptomatik und guter Prognose auf, während die vasovagale Synkope des älteren Patienten eher sekundär als Ausdruck von Komorbidität (kardiovaskulär, neurologisch) aufzufassen ist [11]. Die situationsbedingte Synkope wird durch spezifische Trigger wie Husten, Miktion und Defäkation vermittelt, während ein hypersensitiver Karotissinus z. B. durch Drehung des Kopfes zu einer Synkope führen kann. Weitere atypische Formen treten eher selten auf und sind durch das Fehlen eines offensichtliHerz 4 · 2014 

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Schwerpunkt Tab. 1  Klassifikation der Synkope. (Modifiziert nach [24] mit freundlicher Genehmigung der

DGK) Reflexsynkope Vasovagal

Emotionaler Stress Orthostatischer Stress Situationsbedingt Husten, Niesen Gastrointestinal (Schlucken, Defäkation, Schmerzen) Miktion Postprandial Körperliche Belastung Andere (z. B. Lachen, Gewichtheben, Blechbläser) Karotissinussynkope Atypische Formen (ohne bekannten Auslöser und/oder atypische Symptomatik) Synkope infolge orthostatischer Hypotonie Primär autonome Dysfunktion Emotionaler Stress, Morbus Parkinson, Lewy-Körper-Demenz Sekundär autonome Dysfunktion Diabetes, Amyloidose, Urämie, Wirbelsäulenverletzungen Medikamentös bedingte orthoAlkohol, Vasodilatation, Diuretika, Antidepressiva statische Hypotonie Volumenmangel Blutungen, Diarrhö, Erbrechen Kardiale Synkope Primär arrhythmischer Genese – Sinusknotendysfunktion (SA-Block) Bradykardie AV-Knoten-Dysfunktion (AV-Block) Device-Fehlfunktion Primär arrhythmischer Genese – Supraventrikulär (Vorhofflimmern, Vorhofflattern, AVNRT, Tachykardie AVRT) Ventrikulär (ventrikuläre Tachykardie, Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom) Medikamenteninduzierte Brady  kardie/Tachykardie Strukturelle Herzerkrankung Herzklappenerkrankungen, Ischämie/Infarkt, hypertrophe Kardiomyopathie, kardiale Tumoren, perikardiale Genese, kongenitale Anomalien der Herzkranzgefäße Andere: Lungenarterienembolie, Aortendissektion, pulmonalarterieller Hypertonus SA sinuatrial, AV atrioventrikulär, AVNRT AV-nodale Reentry-Tachykardie, AVRT AV-Reentry-Tachykardie.

Tab. 2  Synkopenähnliche Erkrankungen

und Zustände Bewussteinsverlust ohne zerebrale Hypoperfusion Epilepsie Hypoxie Hypoglykämie TIA Intoxikation Erkrankungen mit scheinbarem Bewusstseinsverlust Kataplexie Sturzanfälle („drop attacks“) Psychogene Pseudosynkope bei Somatisierungsstörung TIA transitorische Ischämie-Attacke.

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Herz 4 · 2014

chen Triggers und/oder eine uncharakteristische Symptomatik charakterisiert [3].

Synkope infolge orthostatischer Hypotonie Orthostatisch bedingte Synkopen sind definiert als ein abnormaler Blutdruckabfall nach dem Aufstehen und zeichnen sich durch das Unvermögen des autonomen Nervensystems aus, eine orthostatische Hypotonie durch ausreichende Vasokonstriktion auszugleichen. Im Gegensatz zur reflexvermittelten Synkope handelt es sich hierbei meistens um Volumenmangel und Medikamentennebenwirkungen (Antihypertensiva, Diuretika) oder um eine chronische Beeinträchtigung der efferenten Aktivität des autonomen Nervensystems (Morbus Parkinson,

Diabetes mellitus). Die klinischen Ausprägungen der reflexvermittelten und der orthostatischen Synkope überschneiden sich häufig und erschweren somit diese therapeutisch wichtige Unterscheidung. Anhand des zeitlichen Ablaufs nach dem Hinstellen aus dem Liegen werden aktuell 5 Typen der sog. orthostatischen Intoleranzsyndrome unterschieden [3]. Die Synkope stellt in den meisten Fällen, neben Schwindel, Übelkeit, Schweißausbrüchen und körperlicher Schwäche ein Symptom dieser Syndrome dar: F Die initiale orthostatische Hypotonie ist durch einen schnellen Blutdruckabfall (3 min nach dem Hinstellen) sind wie bei der letztgenannten Form definiert, es kommt jedoch zusätzlich aufgrund einer vasovagalen Reaktion zu einer reflexvermittelten Synkope. Beides sind Syndrome des alten Menschen, können medikamenteninduziert sein und sind häufig mit Komorbidität assoziiert [3].

F  Das posturale Tachykardiesyndrom (POTS) betrifft meist jüngere Frauen und zeichnet sich durch orthostatische Intoleranz (ohne Synkopen) sowie einen symptomatischen Herzfrequenzanstieg >30/min innerhalb von 10 min nach dem Aufstehen aus [14]. Das POTS ist häufig mit einem chronischen Erschöpfungssyndrom assoziiert. Der Pathomechanismus ist noch nicht hinreichend geklärt [3].

Kardiale Synkope Unter dem Oberbegriff „kardiale Synkope“ werden Synkopen aufgrund von Herzrhythmusstörungen (rhythmogen) und strukturellen Herzerkrankungen (strukturell) zusammengefasst. Herzrhythmusstörungen sind die häufigsten Ursachen der kardialen Synkope. Sie können primär auftreten oder aber medikamentös induziert sein und jeweils zu einer Reduktion der kardialen Auswurfleistung und somit zu einer zerebralen Hypoperfusion führen. Eine genaue Differenzierung per EKG (bradykard/tachykard, supraventrikulär/ventrikulär) ist entscheidend für das weitere Vorgehen. Im Falle des Sick-Sinus-Syndroms kann ein kranker Sinusknoten zu längeren Pausen und bei einem fehlenden oder späten Einsatz eines Ersatzrhythmus zu Synkopen führen. Höhergradige AV- (atrioventrikuläre) Blockierungen (AV-II° Typ Mobitz und AV-III°) sind ebenfalls häufige Ursachen für Synkopen. Paroxysmale Tachykardien können sowohl zu Beginn als Folge einer unzureichenden vaskulären Reaktion als auch bei Terminierung als Folge eines zu späten Wiedereinsetzens des Sinusrhythmus (präautomatisch) zu Präsynkopen und Synkopen führen [15]. Verschiedene Medikamente können als unerwünschte Arzneimittelwirkungen brady- und tachykarde Rhythmusstörungen induzieren. So können Antiarrhythmika aufgrund ihrer bradykardisierenden Wirkung zu bradykardiebedingten Synkopen führen. Auch können sie als Folge ihrer proarrhythmischen Wirkung Herzrhythmusstörungen induzieren und so rhythmogene Synkopen auslösen [3]. Als weiteres Phänomen sei an dieser Stelle das medikamenteninduzierte Long-QTSyndrom genannt. Viele verschiedene

Medikamentenkategorien (u. a. Antiarrhythmika, Antibiotika, Antihistaminika, Neuroleptika) sind in der Lage, die QTZeit zu verlängern und so zu potenziell lebensbedrohlichen Torsade-de-PointesTachykardien zu führen [16]. Besonders prädisponiert sind hierbei Patienten mit einem angeborenen Long-QT-Syndrom (z. B. Romano-Ward- und Jervell-LangeNielsen-Syndrom; [17]). Eine Vielzahl struktureller Herzerkrankungen kann ebenfalls zu Synkopen führen. Ursächlich ist entweder eine unzureichende kardiale Auswurfsleistung infolge einer linksventrikulären Entleerungsstörung (z. B. Aortenklappenstenose, ischämische und dilatative Kardiomyopathie) oder eine Füllungsstörung (z. B. bei Lungenembolie und pulmonalarteriellem Hypertonus). Weiterhin besteht eine multifaktorielle Genese, wenn Patienten mit struktureller Herzerkrankung zusätzlich an Herzrhythmusstörungen leiden. Eine reduzierte kardiale Auswurfleistung kann zusätzlich durch einen inadäquaten Reflex (Reflexsynkope) oder durch eine orthostatisch bedingte Hypotonie über den reduzierten venösen Rückstrom ausgelöst werden [3].

Prognose und Lebensqualität Rezidivierende Synkopen haben gravierende Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen, vergleichbar mit der von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder terminale Niereninsuffizienz [18, 19, 20]. Bei bis zu 30% der Synkopen kommt es zu leichten, bei bis zu 6% zu schweren Verletzungen [3]. Aus Angst vor rezidivierenden Stürzen ändern etwa drei Viertel aller Patienten mit Synkopen ihre Lebensgewohnheiten; so fahren 60% nur eingeschränkt oder gar kein Kraftfahrzeug mehr, und rund 40% wechseln ihren Beruf [5, 19]. Synkopen reduzieren die Mobilität und erhöhen die Depressionsrate (≤70%). Hohe Komorbidität und Häufigkeit von Synkopen und Präsynkopen sind mit einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität verbunden [21]. Die Prognose nach stattgehabter Synkope ist abhängig von der Ätiologie. Aktuelle Daten zeigen eine Sterblichkeitsrate von 4,4%/Jahr nach Synkopen [7]. Liegt

die Einjahresmortalität bei nichtkardialen Synkopen zwischen 0 und 12%, haben Patienten mit kardialen Synkopen mit einer Einjahresmortalität von 20% eine besonders ungünstige Prognose [2]. Aus diesen und weiteren gesundheitsökonomischen Gründen müssen Patienten mit Synkopen systematisch und konsequent abgeklärt werden. Etwa 29% der Synkopen bleiben ungeklärt und sind somit „Synkopen unklarer Genese“ [7]. Die Hospitalisierung von Synkopenpatienten macht mehr als 75% der Gesamtkosten in der Synkopenabklärung aus [22]. Mit der Diagnosefindung werden eine gezieltere Therapie, weniger stationäre Aufnahmen und somit ein erhebliches Einsparungspotenzial ermöglicht. In den letzten Jahren wurden bereits spezialisierte Einrichtungen (sog. „Synkopen-Units“ = Synkopeneinheiten) gegründet, die sich auf eine gezielte Abklärung von Synkopen spezialisiert haben. Einer aktuellen multizentrischen Studie der European Heart Rhythm Association (EHRA) zufolge gibt es trotz der aktuellen Leitlinien weiterhin erhebliche Unterschiede in der Behandlung von Patienten mit Synkopen in Europa. Demnach haben nur 26% der befragten Zentren des sog. EHRA Electrophysiology Research Network Synkopen-Units etabliert, und nur 42% verwenden einen standardisierten Algorithmus zur Synkopenabklärung in der Notaufnahme [23]. In Anbetracht der Tatsache, dass besonders Patienten mit kardialen Synkopen eine ungünstige Prognose aufweisen, ist ein standardisiertes Vorgehen zwingend erforderlich, um diese Patienten zu identifizieren und einer entsprechenden Diagnostik und Therapie zuzuführen. Eine gezielte Behandlung führt zusätzlich zu einer Kostenreduktion durch Vermeidung von rezidivierenden stationären Aufnahmen und Doppeluntersuchungen. Dies kann mit an das jeweilige Krankenhaus angepassten Strukturen erreicht werden.

Korrespondenzadresse Dr. R.R. Tilz Abteilung für Kardiologie,   Asklepios Klinik St. Georg Lohmühlenstr. 5, 20099 Hamburg [email protected] Herz 4 · 2014 

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Schwerpunkt

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  C.-H. Heeger, A. Rillig, F. Ouyang, K.-H. Kuck und R.R. Tilz geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Herzrhythmusstörungen im Kindes- und Jugendalter Herzrhythmusstörungen stellen auch in der niedergelassenen Praxis ein relativ häufiges Problem dar, zumeist in Form „harmloser“ Extrasystolen oder Palpitationen. Dabei gilt, einerseits unnötige „Überdiagnostik“ zu vermeiden, gleichzeitig aber auch eine weiterführende Diagnostik und ggf. Therapie in die Wege zu leiten, wenn diese indiziert sind. Dadurch können lebensbedrohliche Zustände und in Einzelfällen sogar tödliche Ausgänge vermieden werden. Das Schwerpunktheft „Herzrhythmusstörungen im Kindes- und Jugendalter“ (Ausgabe 9/2013) der Monatsschrift Kinderheilkunde stellt die wesentlichen Aspekte der pädiatrischen Rhythmologie, mögliche Ursachen von Herzrhythmusstörungen und aktuelle Therapiemodalitäten dar: – Elektrokardiographie in der kinderärztlichen Praxis – Ionenkanalerkrankungen – Elektrophysiologische Untersuchung und Katheterablation – Diagnose und Therapie von Herzrhythmusstörungen bei Kindern und Jugendlichen Bestellen Sie diese Ausgabe zum Preis von 37,- EUR zzgl. Versandkosten bei Springer Customer Service Center Kundenservice Zeitschriften Haberstr. 7 69126 Heidelberg Tel.: +49 6221-345-4303 Fax: +49 6221-345-4229 E-Mail: [email protected] Suchen Sie noch mehr zum Thema?   Mit e.Med, dem Online-Paket von   Springer Medizin, können Sie schnell und komfortabel in über 500 medizinischen Fachzeitschriften recherchieren. Weitere Infos unter   springermedizin.de/eMed.

[Syncope : epidemiology, definition, classification, pathophysiology and prognosis].

Syncope is a common clinical issue. Around 40 % of the total population experience syncope during their lifetime. Serious injuries and reduced quality...
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