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Subjektive Belastung einer adjuvanten Chemotherapie bei Mammakarzinom-Patientinnen M. Krohn. G. Trams Frauenklinik 11 Zentralkrankenhaus St-Jü rgen-Straße Bremen (Direktor: Prof. Dr. G. Trams)

Es w urden 50 Patientinnen mit ein em Mamma- Karzinom des Stadiums pT 1- 3 mit axillärem Lymphknotenbefall ohne Fernmetastasen untersu cht. die eine adjuvante Che mo the rapie (CMF oder AC bzw. EC) er hielten. Längere Zeit na ch Abschluß der Th erapie wurd en somatisc he und psychis ch e Befindensstörungen sowie eine kriti sche Eins chätz ung der Kliniks ituation eva luiert. Nebe n der Übelkeit und noch vor dem Haarausfall belastete die durch Chemotherapie aktivierte Er innerung an das Karzinom . 92 % der Patien tinnen, die sich zu eine r Chem otherapie entschlosse n. machten ihre Ents cheidungsfindung ausschließlich von der ärztliche n Information ab hän gig. Dennoch empfanden 30% die Aufklärung als un zur eichend . Die Angst vor den Nebenwirkungen und die Wartezeit bis zur Applikation sowie die Konfrontation mit z. T. Schwe rkranken wu rden negativ empfunden. Mit der Chemothe rapie wurd en hohe Erwartu ngen hinsichtlich der Prognoseverbesserung verkn üp ft: 74 % wü rden eine erne ute Zytost as e durchfüh ren las sen. Psychische Norm abweich ungen i. S. von Dep ressivität lagen im Verg lei ch mit eine r Referenzpopulation nach länger zurückliege nde r Che mothe rapie nicht vor.

Einlei tu ng Psychische und psycho sozial e Aspekte gewinnen in der Therapi e und Nachsorge des Karzinoms zunehmende Bed eutung (3.4. 5.6. 7. 8. 13. 14. 15). Ungeac htet der Relevan z des Themas befind et sich der wissenschaftliche Zugang zum weni g faßbaren Begriff . Lebensqualit ät" aber erst in se inen Anfängen. Wirkungen und Nebenwirkungen der adjuvanten Chemo therapie des Mammakarzinom s sind vielfach diskutiert und gegeneinander abgewogen. Denn och verb inden nicht nur Patientin nen mit dem Begriff Che mothera pie diffuse Ängst e. auch auf Seiten der Therapeuten herrschen eher vage Vorstellungen über das Ausma ß der Betroffen heit. so fern es über die Quantifi zienmg von Haarausfall und Erbrechen hinausgeht.

Gcburtsh. u. Frauenheilk. 52 (1992) 69 3-697 © Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Su bjeclive St ress of Adj uvan t Chemothe ra py on Pa tien ts with Carcinoma of the Bre ast 50 patients, suffering from ca rcmoma of the breast pTl - 3 with concomitant metastatic affection of th e lym ph nodes with no evide nce of distant metastases, and who rec eived adjuvant chemotherapy (either CMF od AC/EC) we re examined. Soma tic and psychic interferences, the feeling of well-being and gene ral con dltion. as well as a critical esti mation of the clinica l situation were asse sse d. Besides nausea and vomiting. an d still pr ior to hair fall out. che mothe rapy activated the mem ory of the carcinoma. 92 % of the patien ts agreeing to che mothe rapy describ ed th eir decision as ha ving been gas ed exclusively on the medi cal infonnati on . Nevert heless , 30 % feel insufficiently informed, so the fea r of side effects . the waiting period prior to application. and thc confrontation with the se riously ill. we re doscribed as a negative experience . An optimistic view with respect to improving the prognosis of the disease were correlated wi th chemotherapy: 74 % w ould agree to a furthe r che mot he rapy. Psychic abnorm alities, e. g. depress ions . could not be shown followin g chemothe rapy wh en com pared to a reference pop ulation .

Fr agestellung Es galt. folgen de Fragestellungen zu beantworten: I. Welche Ran gordnung läßt sich aufstellen hinsichtlich der Befindenss törungen während der Chem oth erapie? 2. Wie bew erten Patientinnen die Aufkärung übe r Wirkun g und Nebenwirkung der Che motherapie un d welche Anforderungen werden an die Klinik gestellt? 3. Welche Erwart ungen werden mit der Chem othera pie verk nüpft? 4. Unterschei den sich che mothe rapeutisch beh and elte Frau en nach Abschluß de r Therapi e hins icht lich depre sstver. ängstlicher ode r dysp horische r Ver stimmung von eine m . Normal"kollektiv?

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Zu samm enfassung

694 Geburtsh. u. Frauenheilk. 52 (1992)

M. Krohn , G. Trams

Art der Beeinträchtigung

Negativpunkte (max. 1501

I. Übelkert

111

2. die mit der Chemotherapie verbundene Erinnerung an das Karzinom 3. Haarausfall 4. häufige Klinikaufenthalte

5. Sonstiges 6. Müdlgkert

35

31

29 20

12

Tab.2 Nebenwirkungen im zeitlichen Verlauf der Therapie. n = 50 Patientinnen. keine Nebenwirkungen Aggravation Reduktion

4% 36% 20%

Tab.3 Auftreten von Nebenwirkungen in Abhängigkeit des Therapiezyklus. n = 50 Patientinnen.

Kurs I

42%

Kurs 2 Kurs 3

36%

Kurs 4

4%

Kurs 5 Kurs 6

2%

12 %

Tab.4 Dauer der Nebenwirkungen in Tagen. n = 50 Patientinnen.

I Tag 2 Tage 3 Tage länger als 3 Tage

14% 22% 22% 38%

Methode Unte rs ucht wur den 50 Patientinnen mit einem Mam makar zinom des Stadiums pTl -3 mit axilläre m Lymphknotenbefall ohne Fernmetasta sen. die eine adju vante Chemotherapie erha lten hatten; 29mal wa r CMF (Cyclophosph ami d /M ethotrexat /Flour ourac il) appli ziert worden. 21ma l AC (Adriam ycin / Cyclophos pha mid) bzw. EC (Epirub icin / Cyclophosph amid). Im Median hatten die Patientinnen 6-8 Kurse erha lten . Soziodemogra phische Da ten. die als Kontr ollvari ablen erwä hne nswe rt sind. verteilen sich wie folgt: 27 Patientinnen wa ren präm enopausal. 23 postmenopau sal; das Durchschnittsalter betru g 54.3 Ja hre . 27 Patientinnen wa re n vor der Erkrankung berufstätig. 13 nac h der Er kra nkung; 42 Patientinnen lebten in einer Partnerschaft. 8 wa ren alleinste hend. Alle Patienti nnen wur den im Rahm en der GABG-Studie 111 te erman Adjuvant Breast Cancer Grou p) du rch die Klinik betr eut. Für die zeitlich relativ aufwend igen Interviews wurden die Patientinn en gesonder t a ngesch rieben und eingeladen . Die Rekrutieru ngsph ase dauerte ca . 1/2 J ahr. Dabei wurden 21 Patientinnen innerh alb des ers ten Jahres nach Abschluß der Therap ie befragt. im Mittel 3,4 Monat e später. 29 Pati entinn en wurden im Mittel 3 1/4 Jahre (40.2 Mona te) nach Abschluß der Therapie interviewt. Wir entwickelten eine n Patientinnenfrage-

bogen. der über 45 Items soma tische und psychische Beeintr ächtigunge n erfa ßte . Ferne r benutzten wir eine n Fragebogen zur Selbste inschätz ung a us dem Münchene r Psychiatrischen Informationssystem des Max-Planc k-lnstl tutes für Psychiatrie, eine sogena nnte ..Depressivitäts-Skala". die 16 Items umfaßte (18). Die Beantwortung der 61 Fragen erfolgte mündlich in Form strukturierter Interviews. jeweils von dersel ben Unters ucherin dur chgeführt. Patientin nen. die vor der Kar zinomer krankung bere its in psychiatrischer oder neurologischer Behan dlung waren oder a n einer chronis chen Erkran kung litten. wurden von der Testung a usgesc hlosse n.

Ergehnisse

Welche Rangordnung läß t sich aufstellen hinsichtlich der Befind ensst örungen während der Chemotherapie? In einer vorgege bene n Liste möglicher Beeintr ächtigungen durch Che mothe ra pie konn ten die Patientinn en maximal 3 ankre uze n und mit Negativpun kten bewert en . Die stä rks te Beeinträchtigung erhielt 3 Negativpunkte, die nächstfolgende 2, die tertiär genannte Neben wirkung 1 Negativpunkt. Die Ran gordnung der Beeinträchtigungen durch Che mothe rapie ist in Tab. 1 wiederg egeben . Erwartun gsgem äß sta nd die Übe lkeit im Vordergrund. Ehe r üb erraschend wurde no ch vor dem Haa rausfall die mit der Che mothe rapie verbun dene Erinnerung an das Karzinom als Beeinträc htigung empfunde n. Tab . 2 -4 informiere n über die Nebenwir kungen im zeitliche n Verlauf. 4 Patientinnen br achen die Th erapie ab (2 x AC, 2 x CMF). In gut 1/ 3 der Fälle verstärkten sich die Nebe nwirkungen, in 1/ 5 der Fälle verri ngerten sich die Nebenwir kungen im Verlaufe der The ra pie. Auffällig ist, daß nur 4 % kein e Nebenwir kunge n hatten und daß bei 1/3 der Pati entinnen die Nebenwirkungen län ger als 3 Tage anhie lten.

Wie bewerten die Patientinn en die Aufklärung und die Kliniksituation? 92 % der Patientin nen , die sich einer Chemotherapie unt erzog en. machten ihre Entscheidung für die The rapie auss chließlich von der ärz tliche n Aufkläru ng a bhä ngig . 8 % gaben an , durch Pr esse, Mitpati entinnen od er Ange hörige beeinfiußt w ord en zu sein. Die Bewe rtun g der Qualit ät ärztliche r Autldärung üh er die Th erapi e fiel deutlich wen iger günstig a us (Tab. 5). Nur 2/3 der Patientinnen ware n mit der Aufklärung zufrie den. ein nicht unerheblicher Teil. 30 %. hätte sich eine weiterg ehende Aufklärung gewünscht. Die kritische Beurte ilung der Kliniksitua tion (Ta b. 6) erga h folgende Rang ordnung negativ em pfund ener Umstä nde (Dreifachnennung möglich): Der Konta kt zu a ndere n Krebskrank en und die Übe rnachtung in der Klinik wurden negativ gewe rtet. andere rse its wü nschten 72 % der Befragten nicht im Einbettzimm er zu liegen. ver mutlich aus Angst vor den Nebenwi rkungen. Auf die Frage "Füh len Sie sich in der Klinik siche re r oder hätten Sie lieb er die Therapi e in eine r Praxis durchführen lassen ?" favorisiert en über raschenderweise 90% die Applikati on unter stationä re n Bedin gungen, trotz der oben erwähnte n Kritik. Einsc hrä nkend

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Tab. 1 Rangordnung der Beeinträchtigung durch Chemotherapie. n = 50 Patientinnen.

Subjektive Belastung einer adjuvanten Chemotherapie

Tab.5 Qualität der Aufklärung über die Chemotherapie . n = 50 Patientinnen. ausreichend unzureichend keine Antwort

Welche Erwartungen werden mit der Chemotherapie verknüpf t? Eine Verbesserung der Lebenschancen erwarteten 94 % der befragten Pat ientin nen . eine Heilung er hofften gar 52 % (Mehrfach ne nn ung möglich), Trotz der relativ günstigen Einschätzung der Che motherapie füh rten 50 % de r Patientinnen zusätzliche therap eutische Maßn ahm en aus dem Spektrum alternativer Krebs therapie durch. Der Abschlu ß der Che mothe rapie bed eut ete für ca. die Hälfte der Patientinnen einen gewichtigen Einschnitt in der Leben sführung, 42 % der Probandinn en ga ben an, für diesen Zeitpunkt etwas Besonderes geplant zu haben . 82 % der Patientinn en fühlten sich wä hrend der Che mothe ra pie man chmal dys phorisc h (abgesc hlagen , müde, tra uri g). Die Ursachen für die Verstim mung demonstriert Tab . 7. Geraum e Zeit nac h Beendigung der Chemotherapie we rteten die befragten Patientinn en ihre Stim mungs lage deutlich günstiger. Fast 3/4 der Patientinnen würden eine erneute Che mothe rapie durchführ en lassen (Abb. 1). Betrachtet ma n die Gruppe der Patienti nne n, die Zusatzmaßnah me n aus de m Spektrum der Alternati vmedi zin durchführten , gesond ert. so würden sich aus dieser Untergruppe nur 64 % erneut zytostatisc h behan deln lassen. Unser Kollekti v ist allerdings bislan g zu geri ng, als daß diese Aussage mehr als nur eine Tendenz andeuten könnte.

Unterscheiden sich chemotherapeutisch behandelt e Frauen nach Abschluß der Therap ie hinsichtlich depressioer: ängstlicher oder dysphorischer Verstimmung von einem .Norma l't- kollek tiu? Mittels der einleitend ge nann ten Depre ssivitäts-Ska la so llten nach Been digung der Therapie diejenigen Aspekt e psychi scher Gestörthe it erfa ßt werden, die sich vor allem auf aktuelle. we nige r auf habituelle persönlichkeitssp ezifische Störungsanteile beziehen. Die Te stung der Depressivi tät bezog sich auf eine Referen zpopulation von Frauen zwisc he n 20 -64 Jah r en (18).

Abb. 2 gibt einen Überblick über die Ergebnisse. Bei der von uns befragten Mammakarzinom -Grupp e (sch raffierte Sä ulen) lag nac h Abschluß der Chemotherap ie kein e signifikant vom Durchsc hnitt der Bevölkerung abwe ichende affektive Gestörtheit vor. Tendenz iell sc hätzten sic h die Patientinnen sogar als we niger depressiv ein . Die differenzie rte Auswertung der Testprotokolle enthält Abb. 3.

66 % 30% 4%

Tab.6 Art der Beeinträchtigung in der Klinik. n = 50 Patientinnen. Negativpunkte

Irnax, 150) 1. die Angst vor den aufkommenden Nebenwirkungen 2. die Wartezeit bis zur Applikation 3. die Konfrontation mit anderen KrebsPatientinnen, z. T. schwerkranken 4. die Übernachtung in der Klinik 5. der Arztwechsel auf den Stationen 6. der Weg zur Klinik 7. das Anlegen der Infusion

69

49 30 26

24 20 12 6

8. Sonstiges

Tab. 7 Ursachen der Dysphorie. n = 50 Patientinnen. Verstimmung durch die Chemotherapie Verstimmung eher durch den Krebs Verstimmung durch beides keine Antwort

22% 48 % 10 %

20%

Abb . 1 Bereitschaft

,.

von MammakarzinomPatientinnen, eine Zweitc hemotl1erapie durchführen zu las-

74 %

sen in = 50). unentschlossen

Aus 16 Items des Testfragebogen s wurde eine Punkts umme gebildet (= Rohwert), der Normwerte auf einer Perzentil-Skala zugeo rdnet sind. Für den Summenscore liegen Normwe rte aus der Durchschnittsbevö lkerung und Referenzwerte von klinischen Gruppen vor. Die Testwert e der Skala bieten Anha ltspunkte für das Vor liegen und ggf. das Ausmaß einer psycho pa tholog ischen Symptomatik. Psychische Norma bweic hunge n finden sich lediglich in dem Perzentilbereich zwisc hen 78 ,4 und 100 . Als Depressivität I. S. von Path ologie mit klinischem Stellenwert gelten nur die Werte zwischen 97 ,7 bis 100 der da rges tellten Prozentra ng-Skala . In diesem Bereich lagen 2 % der von uns befragten Frauen, dies entspricht der Depressivitäts verteilung der übr igen Bevölkerung. Die von un s befragte Patientinn en -Gruppe wich nach Selbsteinschätzung insgesamt nicht von der Referenzpopulation ab . Im Gegenteil. es ließ sich eine leichte Verschiebung in Richtung ..we niger depressiv" ermitteln. In der Bewe rtung

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sei bem erkt, daß wir nur Frauen, die sich in der Kliniknach sor ge befanden , befragten und insofern eine Selektion pro Klinik eingestellter Patientinnen berücksichtigt werden muß .

Geburtsh. u. Frauenheilk. 52 (l992) 695

Geburts h. u. Frauen heilk. 52 (1992)

M. Krohn, G. Trams

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-

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- - - ----H 30 20

%

10

(29 %) Fra uen aus der letztgenannten Gru ppe werteten die Therapie als unerträglich . Nach 8 Kursen waren nur 33 % der Patientinn en , die erhe bliche Einsc hränkunge n in ihren Leben sgewoh nh eiten durch die Ther api e hinneh men mußten , bereit. die Medikation fortzusetzen . Palmer et al. füh rten die Befragung unmitt elbar nach Abschluß der Thera pie durch . Dies kann Differenzen zu unseren günstigeren Ergebnisse n erklären.

o

pos. abweichend

Durchschnitt

neg. abweichend

Abb. 2 Vergleich der Depressivitätstestung bei einer weiblichen ..Normabevölkerung" und Mammakarzinom-Patientinnen (n = 501.

, x

.

x ,

x x

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x

xx xx

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x x x x

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o

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[Subjective stress of adjuvant chemotherapy in breast cancer patients].

50 patients, suffering from carcinoma of the breast pT1-3 with concomitant metastatic affection of the lymph nodes with no evidence of distant metasta...
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