Langenbecks Archiv

kangenbecks Arch. Chir. 343, 87-92 (1976)

for Chirurgie

© by Springer-Verlag1976

Die spontane Oesophagusruptur Kasuistischer Beitrag zweier Ffiile U. Steenblock und F. Enderlin Allgemeinchirurgische Klinik, Department fiir Chirurgie der Universit~it,Kantonsspital, CH-4004 Basel, Schweiz

Spontaneous Rupture of the Oesophagus Report of Two Cases Summary. Case report of two so-called spontaneous ruptures of the oesophagus. The early diagnosis saved one of the patients, in the other the sequelae of the oesophagus rupture were treated successfully by intensive care. He died one month later from stress ulcers in the stomach and duodenum. Key words: Spontaneous rupture of the oesophagus.

Zusammenfassung. Es wird fiber zwei F~ille spontaner Oesophagusrupter berichtet. Dank friihzeitiger Diagnose konnte der eine Kranke gerettet werden, bei dem andern Patienten wurden mit den modernen Mitteln der Intensivtherapie die Folgen der Oesophagusperforation zwar kuriert, er starb jedoch an einer abundanten Blutung aus Stressulzera.

Die Bezeichung spontane Oesophagusruptur wird in der Literatur vielfach kritisiert, da das Organ nicht spontan, sondern infolge einer pl6tzlichen Erh6hung des Innendruckes zerreil3t. Dennoch konnte sich keiner der folgenden Termini durchsetzen: pressure rupture [6], Oesophagusruptur im Gegensatz zu prim~irer und sekund~irer Perforation [5], postemetic rupture [1], atraumatic panmural rupture [1]. Wir meinen, dal3 sich der Terminus spontane Oesophagusruptur so eingebi.irgert hat, dab der Versuch einer ~nderung nur Verwirrung stiftet. Die klinische Symptomatik dagegen muB immer wieder in das Bewul3tsein geriickt werden, denn nur die friJhzeitige Diagnose gibt dem Kranken eine reelle Chance zur Rettung. Nur wenn das Krankheitsbild in die diagnostischen l]berlegungen des akuten Abdomens, der thoraxchirurgischen und kardiologischen Notf~ille einbezogen wird, kann die hohe Sterblichkeit gesenkt werden. Damit ist unseres Erachtens diese Art kasuistischen Beitrages gerechffertigt.

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U. Steenblock und F. Enderlin

Kasuistik

1. Patient B. F., 44J. Notfallmiiflige Hospitalisation am 26. 10. 1974 mit Verdacht auf Herzinfarkt Anamnese Am 22. 10. 1974 nach einer Turnstunde leichte Bauchschmerzen. An den beiden folgenden Tagen Besserung, so dab die Erkl~irung der Beschwerden als Muskelkater plausibel erschien. Am Aufnahmetag nach einem reichlichen Mittagessen pl6tzlich heftiges Erbrechen und mit dem Erbrechen Auftreten eines vernichtenden Schmerzes im oberen Abdomen mit Ausstrahlung in die linke Thoraxseite. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Patient insbesondere von seiten des Magens immer beschwerdefrei. Klinischer und radiologischer Untersuchungsbefund Der Patient wirkte schwerkrank, war sehr unruhig, gab heftigste Schmerzen im Oberbauch an. Palpatorisch starke Druckdolenz im Oberbauch mit muskul~irer Abwehrspannung und LoslaBschmerz, Unterbauch deutlich weicher. Peristaltik vorhanden. Ein diskretes Hautemphysem im Bereich des Jugulum lieB den aus Anamnese und Klinik gestellten Verdacht einer spontanen Oesophagusruptur fast zur GewiBheit werden. Die R6ntgeniibersichtsaufnahmen der Thoraxorgane (s. Abb. 1) zeigte das erwartete Mediastinalemphysem und einen linksseitigen PleuraerguB. Damit war die Diagnose

gesichert und die Indikation zur Operation gegeben. l]brige Befunde RR 155/90 mm Hg, Frequenz 100/min regelm~iBig, Leukocyten 15600/ram 3, H~imatokrit 48%, Serumelektrolyte, Kreatinin und Harnstoff im Bereich der Norm, Urinstatus und Sediment o. B., Diastase unter 128 W.E.

Abb. 1. Pat. B. F.: p.a. R6-1~lbersichtsaufnahme der Thoraxorgane 3 h nach der spontanen Oesophagusruptur. Man erkennt neben dem ErguB li. das ausgepr~igte Emphysem am Hals

Die spontane Oesophagusruptur

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Bei der linksseitigen anterolateralen Thorakotomie durch den 8. Intercostalraum trat triibes, d/innfl/issiges Exsudat aus, das s~iuerlich roch. Die Pleura mediastinalis war von oberhalb des Zwerchfelles bis/iber das Ligamentum pulmonale hinauf grauschw~irzlich verfiirbt und 6demat6s. Aus der Mitte dieses Bezirkes quoll wenig F1/issigkeit hervor. Nach Spalten der Pleura in diesem Bereich entleerte sich massenhaft saurer Magensaft und unverdauter Mageninhalt. Die Spontanperforation lag in der linksseitigen Oesophaguswandung oberhalb des Hiatus oesophageus und hatte eine L~inge von 3 cm. Sie wurde mit Dexon-Naht verschlossen und diese Naht mit einer Magenmanschette im Sinne einer Fundoplicatio gesichert. Der Patient konnte 20 Tage nach der Operation bei Wohlbefinden entlassen werden.

2. Patient K. 0., 75 J. Notfallmiiflige Hospitalisation am 8. 11. 1974 Anamnese Am 7. 11. um 22.00 Uhr beginnende, rasch an Intensit~it zunehmende, vom mittleren Oberbauch ausgehende Schmerzen. Mehrmals Erbrechen. Spuren des Erbrochenen in der Kleidung lie6en an Kaffeesatz denken. Der Kranke hatte sich in den vorangehenden Tagen nicht recht wohlgefiJhlt, und, wie schon h/iufiger, Magenbrennen versp/irt. Ein eigentliches Ulcusleiden bestand nicht. Befund Sitzend transportierter, lautst6hnender Patient. Wegen starker Unruhe war die Untecsuchung kaum m6glich. Der Patient atmete keuchend und hatte feuchtk~ihle, bl~iuliche Akren. Das Abdomen war insgesamt bretthart gespannt. 12brige B e f u n d e RR 140/100 mm Hg, Frequenz 104/min, Leukocyten 21000/mm 3, H~matokrit 52%, Blutzucker 181 mg-%, Natrium 142 mval/l, Kalium 3,2 mval/k Kreatinin 1,5 mg-%, Harnstoff 46 mg-%, Urinstatus und Sediment o.B., Diastase weniger als 128 W.E., arterielle Blutgas-Analyse (nach 2 x 10 mg Morphium) pH 7,24, BE - 4,3 Aeq./l, PCO 2 57,7 mm Hg, t'O 2 44,5 mm Hg. Auf der R6ntgen6bersichtsaufnahme der Thoraxorgane und des Abdomens ergab sich kein pathologischer Befund. Auch bei retrospektiver Betrachtung der R6ntgenbilder yon unabhfingigen Untersuchern konnte an der Aufnahme, verglichen mit einer Cbersichtsaufnahme aus dem Jahre 1970 kein wesentlich pathologischer Befund erhoben werden. Aus der Akuit~it des Befundes und seiner Hauptlokalisation im Abdomen stellten wir die Verdachtsdiagnose einer Magenperforation und ffihrten eine Laparotomie durch. Bei Einleitung der Narkose wurden via Magensonde 1500 ml Magensaft mit h~imatinisiertem Blut untermischt abgesogen. Wir fanden auff~illige h~morrhagische Insugillationen der Kardiaregion und des kleinen Netzes bis zum Angulus ventriculi. Am Magen selbst und am Duodenum war yon auBen kein krankhafter Befund zu erheben. Die Gastrotomie zeigte eine h~imorrhagisch erosive Gastritis, jedoch kein Ulcus. Daraufhin wurde der Eingriff als Revisionslaparotomie beendet. Wegen der weiterbestehenden schweren respiratorischen Insuffizienz wurde der Patient auf der Abteilung fiir Chirurgische Intensivtherapie weiterbehandelt. 12 h sp~iter fand sich eine fast vollstfindige Verschattung der linken Thoraxhfilfte und in geringerem MaBe auch der rechten Thoraxhfilfte. IJber Saugdrainagen wurden 1800 ml leicht h~imorrhagischen Exsudates abgelassen. Ca. 1 Monat nach der Revisionslaparotomie trat nach erfreulicher Besserung des Allgemeinzustandes pl6tzlich eine massive Blutung aus einem Ulcus ventriculi und zwei Ulcera duodeni auf, die nicht rechtzeitig beherrscht werden konnte. Bei der Sektion fand man zu unserer (Jberraschung eine inzwischen vernarbte Oesophagusruptur und die Spuren der abgelaufenen Mediastinitis und doppelseitigen Pleuritis.

Diskussion D e r hollfindische A r z t B o e r h a v e hat das K r a n k h e i t s b i l d der s p o n t a n e n O e s o p h a g u s r u p t u r 1724 b e s c h f i e b e n , n a c h d e m ein G r o B a d m i r a l yon H o l l a n d im Anschluf~ an

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U. Steenblock und F. Enderlin

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Abb. 2. Symptomatik der spontanen Oesophagusruptur

ein opulentes Mahl in seinem Beisein unter grauenhaften Schmerzen innerhalb weniger Stunden starb. Barrett trug 1926 50 F~lle unzweifelhafter spontaner Oesophagusruptur zusammen und schlol3 ,,in the byways of surgery there can be few conditions more drammatic in their presentation and more terrible in their symptomes spontaneous perforation of the oesophagus... Several things are essential to success: firstly a knowledge that the accident can and does occur; secondly a knowledge of the symptomatology and thirdly an early diagnosis" [2}. 1947 ver6ffentlichte der gleiche Autor den ersten Bericht einer erfolgreichen Behandlung einer spontanen Oesophagusruptur [3]. Moynihan z~ihlte 1952 200 ver6ffentlichte F~ille. Bis zur Gesamtzahl von 134 Beobachtungen ~iberlebten 27 Kranke, d.h. jeder ffinfte [6]. Abbott stellte 1969 in einer Mitteilung ~iber 47 pers6nlich beobachtete Verl/iufe spontaner Oesophagusrupturen erneut heraus, mit welcher Vielfalt klinischer Zeichen das Ereignis einhergehen kann [1]. F~ihrend bleibt die sorgf~iltige Anamnese und der klinische Befund. In etwa einem Drittel der F~ille erscheint die Diagnose mit der Trias - iJberreichliche Mahlzeit - pl6tzliches Erbrechen - vernichtender Schmerz unverfehlbar, wenn man das Krankheitsbild kennt. Ein Mediastinalemphysem und ein Hautemphysem im Jugulum ohne vorausgegangenes Trauma werden einen auf

Die spontane Oesophagusruptur

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die F~ihrte einer spontanen Oesophagusruptur bringen, aber sie sind nur bei jedem dritten Kranken und oft auch verh~iltnism~il3ig spat zu beobachten [7]. W~ihrend Anamnese und klinischer Befund auch bei sorgfaltiger Erhebung im Stich lassen k6nnen, l~il3t das Verhalten der Kranken nach dem Ereignis aufmerksam werden. Darin deckt sich unsere Erfahrung mit der Mehrzahl der Autoren kasuistischer Beitr~ige. Unsere Beobachtung eines Kranken, der sich vor Schmerzen nicht zu lassen weiB, der von Angeh6rigen gesttitzt, zusammengekrtimmt, schwer atmend im Bett sitzt und dem jede )~nderung seiner Lage neue heftige Schmerzen bereitet, die auch auf hohe Dosen von Analgetika nicht oder nur geringfiigig ansprechen, ist beinahe eine Abschrift der Schilderung Boerhaves. Es ist ein viel dramatischeres Bild als das eines Kranken mit einer Magenperforation, der h~iufigsten Fehldiagnose. Unglticklicherweise ist die Kombination von spontaner Oesophagusruptur und Ulcuskrankheit nicht eben selten [1,8]. An zweiter Stelle in der Reihe von Fehldeutungen des Krankheitsbildes steht der Herzinfarkt, dann folgen die akute Pankreatitis, gelegentlich mit Perforation einer Pankreaspseudocyste in den Pleuraraum, und die perakute Cholecystitis mit Perforation. Auch kann das Symptomenbild dem bei einer Lungenembolie oder einer thorakalen Aortendissektion gleichen. Die Kombination eines akuten, scheinbar abdominellen Ereignisses mit ein- oder doppelseitigen Pleuraergfissen mul3 einen jedoch auf den Gedanken einer spontanen Oesophagusruptur bringen. Eine griindliche physikalische und r6ntgenologische Untersuchung der Thoraxorgane, die in kurzen Zeitabst~inden zu wiederholen ist, wird den Verdacht verst~irken. Der Beweis diirfte durch eine Oesophaguspassage fast immer gelingen. Wir haben im zweiten Fall nicht an die spontane Oesophagusruptur gedacht und deshalb die Diagnose verpaBt. Der Kranke wurde unter Aufwendung aller Hilfsmittel der modernen Intensiv-Therapie symptomatisch mit Thoraxsptildrainagen behandelt. Es ist bemerkenswert, dab die Oesophagusruptur vernarbte und die Mediastinitis ausheilte. Der Patient starb jedoch einen Monat nach der spontanen Oesophagusruptur an einer abundanten Blutung aus Stressulzera. Die spontane Oesophagusruptur ist selten, kann jedoch im typischen Fall allein aus der Anamnese und dem klinischen Befund diagnostiziert und durch rechtzeitige Thorakotomie und direkte Naht des Oesophagus geheilt werden. Die Naht sollte mit einer Fundusmanchette im Sinne einer Fundoplicatio nach Nissen gedeckt werden.

Literatur

1. Abbott, Osier, A., Kamal, Mansour, A., Logan, William D., Hatcher, Charles R., Symbas, Panagotis N.: Atraumatic so-called ,,spontaneous" rupture of the oesophagus. J. thorac, cardiovasc. Surg. 59, 67-83 (1970) 2. Barrett, N. R.: Spontaneous perforation of the oesophagus. Review of the literature and report of three new cases. Thorax I, 48-70 (1946) 3. Barrett, N.R.: Report of acaseof spontaneous perforation of the oesophagus successfullytreated by operation. Brit. J. Surg., pp. 216-218 4. Bradbrook, R. A.: A unusual case of spontaneous perforation of the oesophagus. Brit. J. Surg. 60, 331-333 (1973) 5. Heberer, G., Lauschke, H., Hau, T.: Pathogenese, Klinik und Therapie der Oesophagusrupturen. Chirurg 37, 433-440 (1966)

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U. Steenblock und F. Enderlin

6. Moynihan, N. H.: Pressure perforation and rupture of the oesophagus. Lancet 195411, 728-732 7. Nissen, R.: Handbuch der Thoraxchirurgie, Bd. III, S. 921. Berlin-G6ttingen-Heidelberg: Springer 1958 8. Rodary, M., Goumet, J.-C.: Ruptures spontan6es de l'oesophage. Apropos d'un cas associ6 des ulc~res gastroduod6naux multiples et h6morrhagiques, trait6 avec succ6s par gastrectomie et patch gastrique. Chirurgie 98, 614-618 (1972) Eingegangen am 5. Juli 1976

[Spontaneous rupture of the oesophagus. Report of two cases].

Case report of two so-called spontaneous ruptures of the oesophagus. The early diagnosis saved one of the patients, in the other the sequelae of the o...
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