19.

Beersiek u. a.: Spontane Ruptur des Osophagus

November 1976, 101. Jg.

1719

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 1719-1723 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die spontane Ruptur des Osophagus

Spontaneous rupture of the oesophagus

Bericht über drei Beobachtungen

During the last 4 years three so-called spontaneous perforations of the oesophagus were treated, twice by surgical intervention 12 and 36 hours, respectively, after the rupture and once conservatively 14 days after the rupture. Two patients survived. The classical history of retching or vomiting and retrosternal splitting pain is indicative, whereas mediastinal emphysema and left sided pleural effusion are highly suspicious. Proof of the diagnosis is given by leakage of the contrast medium, amidotrizoate sodium (Gastrografin®), from the oesophagus. Prognosis depends decisively on the time of operation after the rupture. Direct suture of the rupture with plastic coverage of the defect by sewing on of the gastric fundus or by plication of the fundus have proved valuable.

F. Beersiek, H. Schneiders, A. Mehdizadeh, G. Jacobs und F. W. Eigler Abteilung für Allgemeine Chirurgie (Direktor: Prof. Dr. F. W. Eigler) der Chirurgischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums der Gesamthochschule Essen

In den letzten 4 Jahren wurden drei sogenannte spontane Ösophagusperforationen behandelt, zweimal aktiv chirurgisch 12 bzw. 36 Stunden nach der Ruptur, einmal konservativ 14 Tage danach. Zwei Patienten überlebten. Die klassische Anamnese mit Würgereiz oder Erbrechen und retrosternalem Berstungsschmerz ist ein Hinweis, Mediastinalemphysem und linksseitiger Pleuraergu sind dringend verdächtig, der Nachweis eines Kontrastmittelaustritts bei Ami dotrizoat-Natrium- (Gastrografin®) Untersuchung des Ösophagus ist Beweis für die Diagnose. Die Prognose hängt entscheidend vom Zeitpunkt der Operation nach der Ruptur ab. Als Operationsmethode hat sich die direkte Naht der Ruptur mit plastischer Deckung des Defektes durch Aufsteppen des Magenfundus oder durch Fundoplicatio bewährt. Die spontane Ösophagusruptur, nach ihrem Erstbeschreiber als Boerhaave-Syndrom (3) bezeichnet, gehört zu den seltenen Krankheitsbildern. Es handelt sich um eine Wandberstung der gesunden Speiseröhre. Die Spontanrupturen der Speiseröhren sind abzugrenzen von Perfora-

tionen, die durch direkte Traumen (instrumentelle Durchspießung, Fremdkörper) oder durch Wandschädigung, wie entzündliche Prozesse, Tumoren und Verätzungen zustande kommen. Pathologisch-anatomisch handelt es sich um schlitzförmige, längsverlaufende Defekte der

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Nr. 47,

Beersiek u. a.: Spontane Ruptur des Osophagus

Speiseröhrenwand von 2 bis 6 cm Länge. Sie werden meistens im distalen Ösophagusdrittel oberhalb der Kardia auf der linken Seite gefunden (6, 12, 20, 21) (Abbildung 1). Die Diagnostik und die Behandlung der spontanen Osophagusruptur soll anhand von drei eigenen Beobachtungen und unter Berücksichtigung der Literatur dargestellt werden.

-

anterolateral re. posterolateral re. anteroIatera Ii. laterai re. posterolateral Ii.

Abb. 1. Lokalisation von 83 Rupturen. Weitaus am häufigsten sind sie oberhalb der Cardia und hier posterolateral gelegen.

Kasuistik Fall 1: Die damals S8jährige Frau K. B. wurde aus einem auswärtigen Krankenhaus verlegt zur Behandlung einer ösophago-pleuralen Fistel. 1958 war sie in Behandlung wegen linksseitiger Lungentuberkulose, 1966 war eine Zweidrittelresektion des Magens wegen Magenulkus mit vorderer Gastroenterostomie und Braunscher Anastomose durchgeführt worden. Die Patientin gab an, daß seit etwa 10 Monaten häufig ein Druckgefühl im Magenbereich aufgetreten sei, gelegentlich mit t)belkeit und anschließendem Erbrechen. In den letzten 6 Wochen vor der Klinikaufnahme hätten sich die Beschwerden verstärkt. 14 Tage vor ihrer Einweisung in die auswärtige Klinik mußte die Patientin nach dem Essen heftig erbrechen, wobei sich eine graue, übelriechende Flüssigkeit entleerte. Danach verschlechterte sich ihr Zustand kontinuierlich: Sie mußte häufig erbrechen und hatte zunehmende Schmerzen in der Herzgegend. Bei der Aufnahme in das auswärtige Krankenhaus wurde ein Pleuraempyem links diagnostiziert, und mehrfache Pleurapunktionen und Spülungen mit Kochsalzlösung wurden vorgenommen. Bei den Punktionen wurden immer wieder größere Mengen eines putriden Exsudates zutage gefördert. Bei einer Magen-Darm-Passage mit Bariumbrei, die zur Klärung von Oberbauchschmerzen durchgeführt wurde, fand sich eine ösophago-pleurale Fistel. 39 Tage nach der Ruptur (Abbildung 2*) wurde die Patientin in unsere Klinik verlegt. In Intubationsnarkose wurde eine Bülau-Drainage angelegt, der Bariumbrei abgesaugt und die Empyemhöhle gespült. In der Folgezeit entleerte sich aus der Pleurahöhle reichlich eitrige Flüssigkeit, *

Abbildungen 2-6 siehe Tafel Seite 1735 und 1736

Deutsche Medizinische Wochenschrift

in der Escherichia cou und Proteus vulgaris nachgewiesen wurden. Nach dem Antibiogramm wurde die Patientin gezielt antibiotisch behandelt. Innerhalb von 11/2 Wochen wurde eine vollständige Rückbildung des Pleuraempyems erreicht, so daß die Drainage cntlernt werden konnte. Bis zum nachgewiesenen Verschluß der ösophago-pleuralen Fistel wurde die Patientin rein parenteral, später über eine Magensonde ernährt. Nach Entfernung der Magensonde tolerierte sie die orale Nahrungsaufnahme gut. Bei Nachuntersuchung 1 und 4 Jahre nach der Ruptur war die Patientin beschwerdefrei. Röntgenologisch ließ sich im unteren Ösophagusbereich eine funktionell nicht ins Gewicht fallende traktionsdivertikelartige Ausziehung nachweisen (Abbildung 3), die Thoraxdurchleuchtung ergab keinen pathologischen Befund.

Fall 2: Aus der Anamnese des 48jährigen Patienten F. 0. W. sind rezidivierende Uretersteinkoliken mit wiederholten Spontanabgängen von Oxalatsteinen erwähnenswert. 1972 wurde röntgenologisch ein Ulcus duodeni nachgewiesen, das nach konservativer Behandlung ausheilte. Am Tage vor der jetzigen Aufnahme fand eine urologische Konsultation statt, wobei wegen der Steinanamnese für den nächsten Tag ein Urogramm vorgesehen wurde. In der folgenden Nacht traten nach plötzlichem Unwohlsein mit Übelkeit heftige Schmerzen im Bereich des mittleren Oberbauches mit gürtelförmiger Ausstrahlung auf. Sie folgten einem heftigen Brechreiz, ohne daß Wesentliches erbrochen werden konnte. Der Schmerzcharakter wurde vom Patienten so geschildert, cals ob mit eiserner Faust das Erbrechen abgewürgt worden sei.« Die Schmerzsymptomatik wurde von ihm zunächst ähnlich wie bei früheren Steinkoliken empfunden. Ein Konkrement der Harnwege konnte röntgenologisch ausgeschlossen werden. Wegen der sich allmählich entwickelnden Oberbauchsymptomatik erfolgte die Überweisung unter der Verdachtsdiagnose einer Magenperforation. Die klinische Untersuchung ließ zwar eine Schmerzempfindlichkeit des Oberbauches erkennen, jedoch keine Abwehrspannung. Die Lungenübersichtsaufnahme ergab mit einer linksseitigen parakardialen Verschattung den Verdacht auf eine Pneumonie, freie Luft unter dem Zwerchfell fehlte. Wegen der nicht eindeutigen Symptomatik wurde eine Gastrografin-Darstellung von Osophagus und Magen durchgeführt. Es zeigte sich das Bild eines glatt begrenzten Kontrastmitteldepots über dem Zwerchfell, das zunächst als paraösophageale Zwerchfellhernie mit Perforation gedeutet wurde (Abbildung 4). Unter diesem Verdacht wurde sofort eine Oberbauchlaparotomie vorgenommen (12 Stunden nach der Ruptur). Ein krankhafter Befund ließ sich jedoch im Abdomen nicht feststellen, insbesondere lag keine Hernie vor. Die Eröffnung des hinteren Mediastinums paraösophageal führte zur Entleerung mißfarbener Flüssigkeit. Bei der daraufhin durchgeführten Thorakotomie fand sich eine trübe, graue Flüssigkeit in der Pleura. Nach Eröffnung des hinteren Mediastinums fanden sich Speisereste und an der linkslateralen Zirkumferenz des Osophagus ein etwa 4 cm langen Längsriß mit glatten Schleimhauträndern (Abbildung 5). Der Ösophagusriß wurde mit Chromcatguteinzelnähten in zwei Reihen verschlossen und durch Aufsteppen des durch das Zwerchfell gezogenen Magenfundus gesichert, da eine ausgiebigere Mobilisation zur Durchführung einer Fundoplicatio bei dem erhobenen Befund nicht tunlich erschien. Zur Verbesserung der Entleerungsfunktion des Magens bei nicht sicher geschonten Nervi vagi wurde zusätzlich eine Pyloroplastik angelegt. Im postoperativen Verlauf traten Reizergüsse in beiden Pleurahöhlen auf, die zu zweimaligen Punktionen zwangen. Im übrigen verlief die Wundheilung ungestört. Zehn Tage nach der Operation fand sich bei einer Kontrastmitteldarstellung eine glatte Passage des Osophagus. Am 19. Tag nach dem Eingriff konnte der Patient bei Wohlbefinden nach Hause entlassen werden.

Fall 3: Die stationäre Aufnahme des Søjährigen Patienten H. J. in einem auswärtigen Krankenhaus erfolgte am 4. 5. 1975 als Notfall. Der Patient hatte vorher plötzliche Übelkeit verspürt und das Gefühl, erbrechen zu müssen. Auf dem Weg zur Toilette war er infolge eines Schwindelgefühls mit der linken Flanke gegen ein Waschbecken gestürzt. Im Anschluß an diesen Fall traten unerträgliche Schmerzen im Rücken auf. Bei der Aufnahme fand sich eine Tachykardie von 124/min bei einem Blutdruck von 180/100 mm Hg. Ober beiden Lungen ließen

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172.0

sich reichlich grobblasige Rasselgeräusche auskultieren. Das Abdomen war unauffällig. Im sofort angefertigten Elektrokardiogramm bestand kein Hinweis auf einen zunächst vermuteten Infarkt. Die Leukozytenzahl war erheblich erhöht (20,9 X 1O/1), der p02 mit 44 mm Hg deutlich erniedrigt. Die Röntgenaufnahme des Thorax zeigte einen Seropneumothorax links. Nach Punktion eines dunkelbraunen bis rötlichen Ergusses fand sich ein Pneumothorax links. Eine Magensonde förderte reichlich hämatinhaltige Flüssigkeit. Wegen des Verdachtes auf eine Blutung aus dem oberen Gastrointestinaltrakt wurde gastroskopiert, eine eindeutige Blutungsquelle jedoch nicht gefunden. Wegen zunehmender Hypoxie und Allgemeinverschlechterung des Patienten erfolgte die Verlegung auf unsere chirurgische Intensivstation. Kurz nach der Aufnahme kam es, wohl infolge einer Hypoxie, zum Kammerflimmern, das durch Defibrillation beherrscht wurde. Es wurde eine Intubation vorgenommen und eine neue BülauDrainage gelegt. Erneut entleerte sich eine trüb-hämorrhagischseröse Flüssigkeit. Nach Durchführung dieser Maßnahmen stabilisierten sich die Kreislaufverhältnisse. Zur weiteren diagnostischen Klärung wurde eine Osophagusdarstellung mit Gastrografin durch eine schrittweise zurückgezogene Magensonde durchgeführt. Dabei zeigte sich eine distale Ösophagusperforation mit Austritt von Kontrastmittel in die linke Pleurahöhle (Abbildung 6). Bei der am gleichen Tage (36 Stunden nach der vermuteten Ruptur) durchgeführten Thorakotomie fand sich eine 3 cm lange Ösophagusruptur dicht oberhalb des Zwerchfells linkslateral. Die gesamte Pleura pulmonalis und parietalis war mit schwarzen Belägen überzogen. Das Mediastinum war 6 cm weit eröffnet und das Gewebe schwarz nekrotisch verändert, Die Osophagusruptur wurde nach Anfrischung der Ränder durch eine zweischichtige Naht des Osophagus vernäht, zur Sicherung der Naht eine Fundoplicatio durchgeführt. 1m postoperativen Verlauf kam es zunächst zu einer Stabilisierung. Zwölf Tage nach dem Eingriff kam es zu einer massiven Magenbiutung, als deren Ursache sich bei der Laparotomie zwei Ulzera an der kleinen Magenkurvaturseite fanden. Die IJizera wurden umstochen. Weiter wurde eine Kaderfistel angelegt. Der Patient erholte sich von diesem Eingriff zunächst gut. Im weiteren Verlauf entleerten sich aus der noch liegenden Thoraxdrainage zunehmende Mengen blutig tingierter Flüssigkeit. 16 Tage nach der Versorgung der Osophagusruptur kam es zu einer massiven Blutung in den linken Thorax. Als Ursache für die Hämorrhagie ließ sich eine Arrosion der distalen Aorta thoracalis nachweisen, wohl infolge Andauung der Aortenwand. Die Perforation wurde durch direkte Naht versorgt. Weiter fand sich bei diesem Zweiteingriff eine Perforationsstelle im Bereich des Magenfundus. Eine direkte Naht der Perforationsstelle war wegen des ödematös entzündlich veränderten Gewebes nicht möglich. Deswegen wurde eine thorakal ausgeleitete Gastrotomie angelegt. Der weitere Verlauf war durch eine zunehmende respiratorische Insuffizienz mit septischen Temperaturen gekennzeichnet. Vier Tage später starb der Patient. Bei der Autopsie fand sich eine ausgedehnte eitrige Pleuritis links mit beidseitiger Bronchopneumonie. Die Aortennaht war suffizient.

Die ursprünglich durch direkte Naht und Fundoplicatio versorgte Osophagusruptur war zum Teil dehiszent.

Diskussion In allen drei geschilderten Fällen war die Diagnose nicht primär gestellt worden. Alle drei Patienten gaben fibelkeit und Brechreiz bzw. Erbrechen an. Im ersten Fall kam es 14 Tage vor der Klinikaufnahme zu heftigem Erbrechen einer grauen, übelriechenden Flüssigkeit. Nimmt man an, daß dieses Erbrechen zur Ruptur des Ösophagus geführt hat, so bleibt ungeklärt, weshalb das Erbrechen »grau-übelriechend« war. Trotz des sicherlich äußerst seltenen Vorkommens muß in diesem Falle diskutiert werden, ob die Ösophagusruptur auch sekundär durch Einbruch eines Pleuraempyems in den Osophagus entstanden sein könnte. Die primäre Verkennung des wirklichen Krankheitsbildes im Fall 2 ist infolge der Uretersteinanamnese ver-

1721

Beersiek u. a.: Spontane Ruptur des Ösophagus

ständlich. Zweifellos war die Gastrografin-Darstellung von Ösophagus und Magen für die weitere Therapie richtungsbestimmend, da die Lungenübersichtsaufnahme durchaus für eine basale Pneumonie hätte sprechen können. Die Fehldiagnose einer paraösophagealen Hernie ließ sich intraoperativ schnell korrigieren. Bei unserem dritten Patienten war nach Ausschluß eines Myokardinfarktes vom auswärtigen Krankenhaus die Verdachtsdiagnose eines traumatisch bedingten Pleuraergusses gestellt worden, da der Patient bei der Aufnahme angab, zu Hause im Badezimmer nach einem Cbelkeitsanfall gestürzt und mit der linken Flanke aufgeschlagen zu sein. Die Diagnosestellung wurde bei uns durch die geschilderte Kreislaufsituation weiter verzögert und konnte erst 24 Stunden nach der Ruptur durch eine Gastrografin-Kontrastmitteluntersuchung gestellt werden. Tab. 1. «Auslösende Ursachen von

165

Osophagusrupturen

Ursache

Erbrechen

Zahl der Fälle 155

stumpfes Trauma im Thoraxbereich

3

Heben eines schweren Gewichtes

1

ohne Angabe

6

Ätiologie und Pathogenese In den letzten 12 Jahre sind 165 Fälle von Ösophagusrupturen bekanntgeworden. Wie aus Tabelle 1 zu ersehen, waren sie in 155 Fällen ohne jeden äußeren Anlaß erfolgt. In der Mehrzahl der Fälle gingen der Ruptur heftiges Erbrechen (15), häufig nach reichlichen Mahlzeiten oder Alkoholabusus (27), sowie erschwerte Defäkation (5) voraus. Allgemein kann festgestellt werden: Die Ösophagusruptur entsteht durch einen plötzlichen intraösophagealen Druckanstieg bis auf etwa 200 mm Hg, ausgelöst durch verschiedene Ursachen. Als ein »ln-vivo-Experiment« ist ein von Heberer und Mitarbeitern (12) veröffentlichter Fall anzusehen: Beim Öffnen eines Bierfasses drang einem 29jährigen Mann unter 6-7 Atmosphären tJberdruck stehendes Gas in Mund und Pharynx und führte zu einem 7 cm langen Riß aller Wandschichten im mittleren Drittel des Osophagus. Als Ursache für die vorwiegende Lokalisation der spontanen Osophagusruptur im unteren Ösophagus werden mehrere Erklärungen angegeben. Erstens ist dieser Ösophagusanteil von anderen Organen, wie Wirbelsäule, Trachea, Bifurkation, Herz und Aorta, wenig geschützt (15). Zweitens besteht in diesem Ösophagusabschnitt eine lokale Wandschwäche, bedingt durch gehäufte Gefäß- und Nervenaustritte sowie durch eine vorwiegende Anordnung der Muskelfasern in Längsrichtung (16, 24).

Symptomatik, Klinik und Diagnostik In über 94% der Fälle geht der Ösophagusspontanruptur Erbrechen voran, dem ein scharfer Schmerz im epi-

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Nr. 47, 19. November 1976, 101. Jg.

Beersiek u. a.: Spontane Ruptur des Osophagus

Deutsche Medizinische Wochenschrift

gastrischen Winkel, in der Brust, seltener retrosternal oder im Rücken folgt. Dieser Schmerz verstärkt sich beim tiefen Atmen, Schlucken oder Erbrechen. Die wichtigsten Symptome sind Dyspnoe, Zyanose, Tachykardie, erhöhte Temperatur und Schockzeichen. Im weiteren Verlauf kommt es zu mehrmaligem blutigem Erbrechen und zum klinischen Bild eines Pneumothorax, Hydropneumothorax oder eines Pleuraergusses (7). Nach Machier (15) sollte die Trias Erbrechen, tiefer Thoraxschmerz und subkutanes Emphysem zur Diagnose führen. Röntgenologische Zeichen sind Mediastinalverbreiterung sowie linksseitige Pleuraergüsse mit Pneumothorax. Beweisend ist eine Ösophagographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel, zum Beispiel AmidotrizoatNatrium (Gastrografin), und der Nachweis von Kontrastmittelaustritt. Eine Osophagoskopie scheint in Cbereinstimmung mit der Mehrzahl der Autoren unnötig zu sein. Beweisend für eine Ösophagusruptur ist weiterhin der Nachweis von geschlucktem Methylenblau (13) und von Acidität im Pleurapunktat. Von Naclerio (19) wurde das sogenannte V-Zeichen beschrieben, das durch die Abhebung der mediastinalen und diaphragmalen Pleura entsteht (Abbildung 7). Differentialdiagnostisch kommen alle schmerzhaften Zustände im Thorax und im Oberbauch in Betracht. Vor allem bei Patienten zwischen dem SO. und 60. Lebensjahr sollte man an die spontane Ösophagusruptur denken (Tabelle 2).

Abb. 7. V-Zeichen nach Nacierio.

Therapie und Behandlungsergebnisse Die Behandlung der Osophagusruptur kann nur operativ sein (2, 8, 28). Je eher die chirurgische Versorgung durchgeführt wird, desto besser sind die Behandlungsergebnisse. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung in einem Stadium, in dem die Rupturränder noch glatt und nicht sekundär entzündlich verändert sind, kommt die einfache Ubernähung mit Thoraxdrainage in Frage. In den Tab. 3. Operative Behandlungsmöglichkeiten direkte zweischichtige Naht und Thoraxdrainage direkte Naht mit Aufsteppen des Magenfundus (Operation nach Thai) (25) direkte Naht und Fundoplicatio (28)

Tab. 2. Altersverteilung von 168 spontanen Osophagusrupturen Alter (Jahre)

Deckung der Ruptur durch gestieiten Diaphragmalappen (22)

Zahl der Fälle

direkte Naht mit koliarer Ösophagostomie und Gastrostomie Neugeborene

16

1lo

s

11-20

3

21-30

7

31-40

15

41-50

34

51-60

43

61-70

27

71-80

14

81-90

4

Einnähen eines T-Drains in die Osophagusperforationssteile mit Gastrostomie nach Abbott (1)

nicht seltenen Fällen, in denen die Perforation viele Stunden bis Tage zurückliegt, gestaltet sich die direkte Naht problematisch. Die Ösophaguswand ist extrem entzündet und aufgequollen, so daß eine direkte Naht in jedem Fall von der Gefahr einer Nahtinsuffizienz bedroht ist. Von den zahlreichen in der Literatur angegebenen operativen Behandlungsmöglichkeiten (Tabelle 3) sei besonders die Methode nach Thal (25) erwähnt. Der Defekt am Ösophagus wird durch direkte Naht und anschließendes Aufsteppen eines Magenfundus-

Tab. 4. Gesamtüberblick der bis 1974 veröffentlichten Osophagusrupturen, bis 1959 zitiert nach einer Sammelstatistik von Skajaa (23), ab 1960 eigene Sammelstatistik operative Behandlung Zahl Letalität

konservative Behandlung Zahl Letalität

Jahr der Veröffentlichung

Gesamtzahl

Sammeistatistik nach Skajaa (23)

bis 1959

250

56

20 (35,7°/o)

194

128 (66,0%)

eigene Sammelstatistik

1960-74

149

112

31 (27,7°/o)

37

24 (64,9%)

Autor

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I 72.Z

Tab. S. Letalität bei verschiedenen Behandlungsmethoden der spontanen Osophagusruptur (Literaturauswertung) Behandlung

GesahTt

Todesfälle

Literatur Abbott, 0. A., K. A. Mansour, W. D. Logan, C. R. Hatcher, N. S. Panagiotis: Atraumatic so-called .sponraneous* rupture of the esophagus. J. thorac. cardiovasc. Surg. 59 (1970), 68.

Blichert-Toft, M.: Ruptura oesophagi sponranea. Nord. Med. 84

konservativ symptomatisch

15

13 (86,7%)

Thoraxdrainage und Antibiotika

22

10 (45,5%)

operativ

direkter Verschluß Osophagostomie und (oder) Gastrostomie

104

31 (29,8%)

8

1

(12,5°/o)

(1970), 881.

Boerhaave, H.: Atrocis, nec descripti prius morbi historia. Secundum medicae artis leges conscripts. Lugduni Batavorum, Boutesteniana, 1724. Brosch, A.: Die spontane Ruptur der Speiseröhre auf Grund neuer Untersuchungen. Vitchows Arch. path. Anat. 162 (1900), 114.

Bunch, G. H.: Spontaneous rupture of the esophagus. Ann. Surg. 145 (S)

(1957), 1001.

lappens versorgt. Woodward (28) hat dieses Vorgehen 1968 dadurch modifiziert, daß er den Magenfundus manschettenförmig um den distalen Ösophagus legte im Sinne einer Fundoplicatio, ein Verfahren, daß sich auch bei anderen Eingriffen am distalen Osophagus bewährt hat. Als Zugangsweg hat sich die linksseitige Thorako-

Campbell, D., W. A. Cox: Spontaneous rupture of the esophagus presenting as an acute abdominal catastrophe. Surgery 66 (1969), 304. Cheng, H. W.: Spontaneous rupture of the esophagus. China med. J. 83 (1964), 248.

Derbes, V. J., R. E. Mitchell jr.: Rupture of the esophagus. Surgery 39 (1956), 688.

tomie bewährt.

Desorgher, G., M. Bayart: Perforation spontanée du bas oesophage chez un nouveau-né. Ann. Chir. infant.

Tab. 6. Letalität der chirurgisch behandelten Osophagusrupturen in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Operation nach Diagnosestellung, nach Blichert-Toft (2)

13 (1972), 17.*

Stunden bis zur Operation

Letalität

6

50/e

12

3°/o

24

15°/o

> 24

64°/o

Duval, P.: Pneumatic rupture of intestinal canal with experimental data showing the mechanism of perforation and the pressure required. Arch. Surg. 22 (1931), 875*

Hall, K., H. Hartwig, J. Krautheim, A. Mührer, E. Schmid, E. Winkler: Atraumatische komplette Ruptur des terminalen Osophagus. Z. Gastroent. 9 (1971), 23.* Heberer, G., H. Lauschke, T. Hau: Pathogenese, Klinik und Therapie der Osophagusrupturen. Chirurg 37 (1966), 443.

Wie aus Tabelle 5 hervorgeht, ist die Spontanruptur trotz der Fortschritte in der Ösophagus-Chirurgie mit einer hohen Letalität belastet. Sie liegt bei den operativ behandelten Fällen nach wie vor bei 27,7% (Tabelle 4). Die Abhängigkeit der tJberlebenschance vom Zeitpunkt der Operation nach der Ruptur ist in Tabelle 6 dargestellt. Danach steigt die Letalität bei chirurgischer Behandlung, die später als 24 Stunden nach der Ruptur einsetzt, auf 64%. Eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse läßt sich somit nur durch frühzeitige Diagnosestellung und sofortiges chirurgisches Vorgehen erreichen.

Irmer, W., R. Forssmann: Spontane Ösophagusrupturen. Med. Welt )Stutrg.) 22 N. F. (1971), 588. Leicher, F.: Spontanrisse und -rupturen der Osophagus-Kardiaregion.

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Woodward, E. R.: zitiert nach Callaghan, J.: The Boerhaave syndrome (spontaneous rupture of the esophagus). Brit. J. Surg. 59 (1972), 1. *

In der Sammelstatistik enthalten.

Prof. Dr. F. W. Eigler, Dr. F. Beersiek, Dr. A. Mehdizadeh Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik Klinikum der Gesamthochschule 4300 Essen, Hufelandstr. 55 Dr. H. Schneiders Chirurgische Abteilung St. Johannes-Krankenhaus

5210 Troisdorf-Sieglar, Wilhelm-Busch-Straße

Prof. Dr. G. Jacobs Chirurgische Universitätsklinik 4000 Düsseldorf, Moorenstr. 5

172.3

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Beersiek u. a.: Spontane Ruptur des Osophagus

Nr. 47, 19. November 1976, 101. Jg.

'735 Zur Arbeit Beersiek u. a. (Seite 1719-1723)

Abb. 2. Fall 1: Zustand 39 Tage nach spontaner Ösophagusruptur. Linksseitiges Pleuraempyem. Das Mediastinum ist im mittleren Auteil verbreitert,

Abb.3. FaIl 1: Kontrastmittcldarstellung von Ösophagus und Magen ein Jahr nach der Ruptur. Passage des unteren Osophagus und der Kardia völlig frei. Leichte Ausziehung des Osophagus epiphrcnal. Zustand nach Billroth-I1-Resektion.

Abb. 4. Fall 2: epiphrenales Konttastmitteldepot (Gastrografin-Darstellung).

Abb. 5. Fall 2: 4 cm lange Osophagusruptur mit glatten Schleim-

hauträndern.

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Die spontane Ruptur des Osophagus

1736 Zur Arbeit Beersiek u.

.

(Seite 1719-1723)

Abb. 6. Fall 3: Kontrastmittclstra1e vorn distalen Osophagus in dic linke Pleurahöhlc (Gastrografin-Darstellung).

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Die spontane Ruptur des Osophagus

[Spontaneous rupture of the oesophagus (author's transl)].

19. Beersiek u. a.: Spontane Ruptur des Osophagus November 1976, 101. Jg. 1719 Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 1719-1723 © Georg Thieme Verlag, Stu...
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