Spontane bakterielle Peritonitis ohne Aszites R Brase, W. Kuckelt, C. Manholrl, F. Böhmert

Spontaneous Bacterial Peritonitis without Ascites Summary A 34year-old woman with acute pain in the lower abdomen and a history of non-A-non-B-hepatitis underwent laparotomy. A diffuse light redness of the small bowel without ascites was the only abnormal finding. An appendectomy was performed. The patient deteriorated into a sepsis during the next 60 hours. Relaparotomy established acute diffuse peritonitis with ascites and without any apparent intra-abdominal source of infection. Tracheal, blood, and intraperitoneal cu~turesof both procedures grew group A streptococci and proved a haematogenous spread of the infection. The sepsis was successfully treated with antibiotics and peritoneal lavage. The Course of the infection and the findings are discussed and the case is interpreted as a spontaneous bacterial peritonitis without ascites.

Eine spontan auftretende bakterielle Peritonitis ist bei immunkompetenten Erwachsenen ohne dekom~ensierteLeberzirrhose extrem selten. Wir beschreiben im Folgenden eine atypische spontane bakterielle Peritonitis (SBP). Kasuistik Eine 34jährige Frau wurde nach Stägigem fieberhaftem Infekt mit Durchfällen und unklaren Unterbauchschmerzen stationär aufgenommen. Der gesamte Unterbauch war erheblich dmckdolent, Druck- und b s l & schmerz am McBurney-Punkt positiv, die Bauchdecken weich, Peristaltik vorhanden. Die Portio war klobig mit Verschiebe- und Douglasschmen. Die rektale Temperatur betmg 39 "C, auffällig waren ein Kalium von 3,O mmol/l und 18000 Leukozyten/mm3 Die Leberwerte waren im Normbereich, ein Schwangerschaftsnachweis negativ. Die Röntgenaufnahme des Abdomens im Stehen zeigte angedeutete Spiegelbildungen und arkadenartig aufgestellte Dünndarmschlingen.

Anästhesiol. Intensivmed. Notfdlmed. Schmerzther. 27 (1992) 32-327 0 Ceorg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Zusammenfassung Eine 34jährige Frau mit anamnestischer Non-A-non-B-Hepatitis und akuten Unterbauchschmerzen wurde explorativ laparotomiert. Es zeigte sich nur eine diffuse leichte Rötung des Dünndarms ohne Aszites; bei sonst unauffalligem Bauchbefund wurde appendektomiert. Die Patientin entwickelte binnen 60 Stunden eine Sepsis. Bei der Relaparotomie fand sich eine diffuse Serofibrinöse Peritonitis ohne Eintrittspforte. Abstriche beider Eingriffe, Trachealsekret und Blutkulturen belegten eine hämatogene Sepsis durch hämolysierende Streptokokken der Gruppe A. Durch Antibiose und Peritonealspülung wurde die Erkrankung erfolgreich behandelt. Angesichts des Verlaufes und der Befundkonstellation wird der Faii als spontane bakterielle Peritonitis ohne Aszites gedeutet.

Die Patientin hatte vor zehn Jahren ein gesundes Kind geboren, die letzte Regel setzte zwei Tage vor Aufnahme ein. Bei Cholelithiasis war sie vor 8 Jahren cholezystektomiert worden. Sie erkrankte drei Jahre vor Aufnahme an einer laborchemisch und histologisch gesicherten Non-A-non-&Hepatitis, die fur mehr als ein Jahr persistierte. Bis zur Aufnahme hatte sie keine Blutprodukte erhalten oder Drogen eingenommen und war nie im Ausland gewesen. Mit der Diagnose akute Appendizitis und Dougiasinfiltrat wurde die Patientin durch Unterbauchmedianschnitt laparotomiert und das gesamte Abdomen inspiziert. Es fand sich kein Exsudat in der Bauchhöhle, der Dünndarm war diffus leicht gerötet, der Douglasraum frei, dennoch wurde dort ein Abstrich entnommen. Das innere Genitale war nicht pathologisch verändert, der unauffällige Wurmfortsatz wurde bei retrozökaler Lage entfernt. In den folgenden 60 Stunden verschlechterte sich der Zustand der Patientin, sie wurde im septischen Zustand mit Temperaturen bis 41 "C auf die Intensivstation verlegt. Die Bauchdecken waren druckschmerzhaft ohne Abwehrspannung, die Peristaltik spärlich. Reflux über die Magensonde > 100 ml/h. Die Patientin war hypovolämisch (Herzfrequenz: 16S/min, Blutdruck: 105/70 mmHg,

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Abteilung für Anästhesiologie und Intensinhcrapie, Zcnrralkrankenhaus Links der Wcser, Bremen (Direktor: Dr. F. Böhmert)

326 Anästhesiol. Intensivrned. Notfaiimed. Schmerzther. 27 (1 992) Peri- und intraoperative Keimnachweise.

Tag

Mikrobiologische Befunde

19.8. (1. Op) intraperitoneal 22.8. (vor 2.o p ) Trachealsekret

hämolys, Streptokokken Gr, A hämolys. Streptokokken A

22.8. (vor 2. Op) 3 x Blutkultur 22.8. (2.OP) subkutan

hämolys. Streptokokken Gr. A hämolys. Streptokokken Gr. A E. coli hämolys. Streptokokken Gr. A E. coli hämolys. Streptokokken Gr. A E. coli stenl

22.8. (2.OP)

intraperitoneal

22.8. (2.OP)

Douglas

25.8. Küretage

Uterus

zentralvenöser Dmck: Ocm H20). Laborwerte: Laktat 4,4 rnmol/l (normal bis 1 mmol/l), Kalium 2,6 mmol/i, kolloidosmotischer Dmck 15,7 mmHg (Humanalbumin 5 O/o entspricht 18 mmHg), BZ 231 mg/dl, Leukozyten 18/mm3. Der Urinbefund war unauffällig. Das CT des A b domens zeigte Flüssigkeitsansammlungen perihepatisch und perisplenisch ohne Abszesslokalisation. Es wurden Trachealsekret und Blutkuituren abgenommen und eine Antibiose mit Amoxicillin/Cla~ilansäure,Gentamicin und Metronidazol begonnen. Die Patienten wurde beatmet und zum Ausschluß einer Nahtinsuffizienz in Allgemeinanästhesie relaparotomiert. Es fand sich diesmai reichlich trübseröser Aszites und eine serofibrinöe Peritonitis im gesamten Bauchraum. Keine Insuffizienz im Appendixbereich, keine Hohlorganperforation, das innere Genitale war im Sinne einer Mitreaktion fibrinös belegt und gerötet. Abstriche wurden subkutan, intraperitoneal und im Douglasbereich entnommen. Es wurde eine ausgiebige Peritoneallavage durchgeführt und die Fibrinbeläge, soweit atraumatisch möglich, entfernt.

Penicillinmonothera~ieumeestellt. Am 11.Tae setzte Peristaltik ein, die Pati'entin L r d e von der ~ e i t r n u nent~ wöhnt. Sechs Wochen nach stationärer Aufnahme wurde die Patientin in reduziertem Allgemeinzustand in die Anschlußheilbehandlung entlassen, sie ist seitdem wohlauf und lebt heute ohne gesundheitliche EinschränkungenDiskussion Die bakterielle Peritonitis wird unterteilt in primäre, d.h. spontan auftretende, und sekundäre, nach Hohlorganperforanon entstehende Formen (11). Die primäre Peritonitis ist bei Kindern (8) ein bekanntes Krankheitsbild, bei h a c h s e n e n ist sie nur gehäuft bei Leberzirrhose zu finden (1,8). Das Syndrom der SBP ist definiert als akut einsetzende bakterielle Pcritonins ohne intraabdominellen Focus bei vorbestehender dekornpensierter, meist alkoholisch bedingter, Leberzirrhose mit Aszites (5-7,9,10, 16). Die SBP hat durch die Schwere der Grunderkrankungen eine Cesamtmortalität von 48 bis 78 O/o (9). Die Erreger dieser seltenen, typischerweise monobakteriellen Peritonitis sind meist Escherichia coli, Streptokokken und Kiebsiellen (16). Die Lebererkrankung mit Aszites steht im Mittelpunkt verschiedener pathogenetischer Konzepte: 1. portaler Hochdruck mit Ödem der Darmmukosa erlaubt die transmurale Migration von Bakterien (9,16). 2. Eingeschwemmte Bakterien umgehen den gestauten Blutfilter Leber über porto-cavale Anastomosen und besiedeln hämatogen den Aszites (5,7,9,10,16). 3. Ein durch Lebererkrankungen verursachter Immundefekt mit herabgesetzter RES-Funktion (5,7,9,10,13,16), veränderter Zusammensetzung (7,9,10,16) und durch Verdünnung erniedrigtes Komplement (7,9,10,16) und eine gestörte Opsonisierungsleistung (5,7,9,10,16) im Aszites erlaubt ein Wachstum von Bakterien.

Das septische Bild (Herzrninutenvolumen 4-6 l/min/mz, gemischtvenöse Sättigung bis 85 %, Laktat max. 4,0mmol/l) setzte sich über Tage fort. Die Patientin wurde weiterbeatmet, zusätzlich zur bestehenden Antibiose mit hochdosiertem Penicillin behandelt und kontinuierlich mit 750 ml/h intraperitoneal gespült.

Lymphogene Besiedlung und Keimeintritt über die Haut und Tuben sind sehr selten (9,16). Invasive Verfahren gehen trotz häufiger transitorischer Bakteriämie selten mit einer SBP einher (7,9,12,16). Zur Diagnose der typischen SBP werden heute drei Kriterien gefordert: Leberzirrhose mit Aszites, mehr als 250 Granulozyten/mm3 Aszites und eine positive Asziteskultur (9,16).

Aus allen peri- und intraoperativen mikrobiologischen Proben beider Eingriffe ließen sich beta-hämolysierende Streptokokken der Gmppe A anzüchten. Zusätzlich konnten bei allen Wundabstrichen der 2.OP Escherichia coli angezüchtet werden (Tab. 1).Eine Utemskürettage zeigte makroskopisch, histologisch und kulturell keine Auffälligkeiten. Eine Tuberkulose oder Zytomegalievims-Infektion war in mehrfachen Untersuchungen ebensowenig nachzuweisen wie Yersinien, Entamoebica histolytica, Shigellen, Salmonellen, Lamblien, Campylobacter in Stuhlkulturen.

Auch wenn bei unserer Patientin keine dekompensierte Lebenirrhose vorlag, Iißt die zurückliegende chronisch persistierende Non-A-non-B-Hepatitis an die Möglichkeit denken, d& die Entstehung der Peritonitis durch einen noch bestehenden Leberschaden mit einer relevanten lokalen Resistenzminderung begünstigt worden ist (10). Unter dem Bild des akuten Abdomens wurde, wie in anderen typischen Fällen (1)der SBP, zum Ausschluß einer gastrointestinalen Perforation laparotomiert. In unserem Fall fand sich erst bei der zweiten Laparotomie der für die SBP typische Aszites.

Die Antibiose und Peritonealspülung wurden 7 Tage fortgesetzt. Ein nach 4 Tagen auftretender erneuter septischer Schub bildete sich unter unveränderter Therapie zurück. Nach 7 Tagen wurde die Antibiose auf

Eine über die Tuben aszendierende Infektion erscheint aufgrund der fehlenden makroskopischen Verändemngen des inneren Genitales bei der ersten OP und der unauffälligen Uteruskürettage als sehr unwahr-

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Tab. 1

R Brase und Mitarb.: Spontane bakterielle Peritonitis

Anästhesiol. lntensimed. Notfallmed. Schmerzther. 27 (1992) 327

scheinlich. Ebenso ist eine iatrogene Einschleppurig der Streptokokken durch die erste Operation angesichts der vorbestehenden peritoneden Symptomatik zu verneinen. Wegen der erheblichen technischen und diagnostischen Probleme werden Stuhlproben nicht regelmaßig auf härne lysierende Streptokokken untersucht. Eine Besiedlung des Darmes mit hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A mit anschließender bakterieller Translokation ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Der Befund der ersten Operation wurde als Gastroenteritis bewertet und ohne Antibioth behandelt. Rückblickend wäre in unserem speziellen Fdl eine frühe Antibiose günstig gewesen. In den lernten Jahren wurden im anglo-amerikanischen Raum vermehrt dramatisch verlaufende Infektionen durch sehr virulente Streptokokken der Gruppe A beobachtet. Die erhöhte Virulenz der Streptokokken wird mit einem vermehrten Auftreten des M-Proteins erklärt. Dieses M-Protein geht als Hauptvirulenzfaktor mit einer erhöhten Resistenz gegen Opsonisierung und Phagozytose einher (2,6,14,15). Im vorliegenden F d konnten härnolysierende Streptokokken der Gruppe A in der Trachea, im Blut und intraperitoneal bei einer Peritonitis ohne Aszites nachgewiesen werden. Die tracheale Besiedlung mit Streptokokken der Gruppe A könnte nach unserer Meinung der Ausgangspunkt einer hämatogenen Streuung gewesen sein, die zur Besiedlung des Peritoneums führte. Die bei der Relaparotomie gefundenen E. coli wurden als Superinfektion gedeutet. Die von uns vorgestellte Kasuistik unterstreicht die Bedeutung mehrfacher mikrobiologischer Probenentnahmen. Die pen- und intraoperativen Keimnachweise erlaubten den Ausschluß einer Keimeinbnngung während der ersten Laparatomie und ermöglichten die Deutung des anfänglich unklaren Krankheitsbildes als eines der seltenen Fälle einer primären bzw. spontanen bakteriellen Peritonitis ohne Vorliegen von Aszites (3,4,10).

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Dr. Rainer Brase Abteilung für Anästhcsioloeie und lntensivtheravie Zentralk'ankenhaus Links der Weser Senator-Wessling-Str.1 2800 Bremen 61

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Spontane bakterielle Peritonitis ohne Aszites

[Spontaneous bacterial peritonitis without ascites].

A 34-year-old woman with acute pain in the lower abdomen and a history of non-A-non-B-hepatitis underwent laparotomy. A diffuse light redness of the s...
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